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ADB:Schmincke, Johann Hermann

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Artikel „Schmincke, Johann Hermann“ von Georg Winter in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 34–36, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmincke,_Johann_Hermann&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 13:38 Uhr UTC)
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Schmincke: Johann Hermann S., verdienstvoller hessischer Geschichtschreiber, ist am 23. August 1684 in Kassel geboren, wo er von seinem Vater und von Hauslehrern in den Elementen der Wissenschaft unterrichtet wurde. Sechzehnjährig bezog er im J. 1700 die Universität Marburg, um Philosophie und Philologie zu studiren. 1702 siedelte er nach der damals noch blühenden Universität Franeker über, wo er sich neben seinen bisherigen Fächern namentlich mit profaner und Kirchengeschichte beschäftigte, die er später als sein Hauptfach betreiben sollte. In der Philosophie schloß er sich insbesondere an seinen Franekerer Lehrer Roel an. Als dieser nach Utrecht berufen wurde, siedelte auch S. dahin über und besuchte später noch die Universität Leyden. 1708 kehrte er in seine hessische Heimath zurück und wurde Hauslehrer bei einem Sohne des [35] Regierungsraths v. Haagen, als dessen Mentor er nochmals die Universitäten Utrecht und Leyden besuchte, um namentlich die Vorlesungen des Vitriarius über Staatsrecht zu hören. Er unternahm dann mit seinem Schutzbefohlenen noch weitere Reisen, die für seine spätere litterarische Thätigkeit namentlich dadurch von Bedeutung wurden, daß er auf denselben mit einer Reihe hervorragender Gelehrter bekannt wurde, so namentlich mit Leibnitz, Eccard, Fabricius und Christoph Wolf, die ihn später in seinen auf die Erforschung der vaterländischen Geschichte gerichteten Bestrebungen wirksam unterstützten. Mit großem Eifer widmete er sich, nachdem er im J. 1712 Professor der Geschichte und der Beredtsamkeit in Marburg geworden war, historischen Studien, die von vornherein namentlich der hessischen Territorialgeschichte zugewandt waren. Zum Theil wol aus diesem Grunde lehnte er mehrere Berufungen an andere Hochschulen, die an ihn ergingen, ab und blieb in der hessischen Heimaths-Universität. 1717 wurde er zum Historiographen von Hessen, 1722 zum Rath und Bibliothekar in Kassel ernannt, blieb aber außerdem, auch nachdem er zum Leiter der hessischen Kunstschätze bestellt worden war, Honorarprofessor in Marburg. Die Verdienste, welche er sich in diesen Stellungen erwarb, veranlaßten den Kasseler Hof, ihm 1738 den Unterricht der Prinzessin Marie und des Prinzen Friedrich in der Geschichte und Geographie anzuvertrauen. Er starb am 18. Juli 1743.

Von seinen zahlreichen akademischen und sonstigen Schriften, welche sich auf fast alle Gebiete der Philosophie, Geschichte und Alterthumswissenschaften erstreckten, sind die weitaus hervorragendsten die der hessischen Specialgeschichte gewidmeten. Von ihnen dürfen viele, trotz des Mangels an dem, was wir heute technisch mit äußerer Quellenkritik bezeichnen, noch jetzt als Grundlage für die Erforschung der hessischen Geschichte betrachtet werden, und zwar um so mehr, als jener bei ihm hervortretende Mangel in Bezug auf die ältere historiographische Tradition Hessens noch heute keineswegs gehoben ist. Der Werth seiner Untersuchungen liegt vor allem darin, daß er zur Controlle der auch von ihm als wenig zuverlässig erkannten chronikalischen Nachrichten über die ältere hessische Geschichte in oft recht gewandter und erfolgreicher Weise das urkundliche Material heranzog und hie und da anhangsweise aus den ihm zur Verfügung gestellten Archivalien publicirte. Je weniger es nun bisher gelungen ist, in das Chaos der meist erst sehr spät einsetzenden chronikalischen Ueberlieferung Hessens Ordnung zu bringen und auch nur die hervorragendsten Quellenschriftsteller (wie namentlich die Gerstenberger’sche Chronik) auf ihre äußere Entstehung und innere Zusammensetzung hin zu untersuchen, um so dankenswerther sind die Vorarbeiten, welche S. für eine umfassendere Heranziehung und Verwerthung des urkundlichen Materials geliefert hat. Leider ist aber von seinen darauf bezüglichen Studien nur ein kleiner Theil von ihm selbst, ein anderer von seinem Sohne Friedrich Christoph in dessen Monumenta Hassiaca (Kassel 1747–65) veröffentlicht worden, während der größte Theil entweder in den Vorarbeiten stecken oder ausgearbeitet ungedruckt blieb. So wissen wir aus genauen und urkundlichen Zeugnissen, daß er mit dem Plane umging, eine umfassende „Hessische Historie“ zu schreiben, zu welcher er aus Chroniken, Urkunden und Acten schon umfangreiche Vorarbeiten gesammelt hatte. Im Verein mit dem Bibliothekar Gerdes sollte dies Werk durch die Unterstützung des Landgrafen beider Hessen zur Ausführung kommen, ist aber dann doch nicht zur Reife gelangt, hat aber späteren verwandten Bestrebungen zur Grundlage gedient. Von den in die Oeffentlichkeit gedrungenen historiographischen Arbeiten Schmincke’s ist die umfangreichste und kritisch gelungenste seine von seinem Sohne Friedrich Christoph 1746 herausgegebene Untersuchung über die an den Landgrafen Otto den Schützen sich anknüpfenden sagenhaften Chronikenberichte, welche er durch Heranziehung [36] des gleichzeitigen Urkundenmaterials als völlig unhaltbar darlegt. Einige weitere Abhandlungen, die sein Sohn in den Monumenta Hassiaca veröffentlicht hat, beschäftigen sich mit vorwiegend archäologischen Fragen, wie die über die Lage des von Tacitus erwähnten Ortes Mattium, über welche noch heute gelehrte Controversen obwalten. Neben seinen Arbeiten über die hessische Geschichte beschäftigten ihn aber auch solche aus der allgemeinen deutschen Geschichte. So gab er die vita Caroli Magni Einhard’s heraus. Ueber diese und ähnliche Arbeiten stand er vielfach mit anderen Gelehrten in Correspondenz, so in erster Linie mit Leibnitz, der in seinen Briefen ein reges Interesse für Schmincke’s Bestrebungen und Studien an den Tag legt. (Vgl. diesen interessanten Briefwechsel in Friedrich Christoph Schmincke’s Monumenta Hassiaca II, 757–764.) Wie mit Leibnitz über Fragen der allgemeinen deutschen, so correspondirte er namentlich mit Schannat über seine Studien und Pläne zur hessischen Geschichte. So erfahren wir aus diesem Briefwechsel, daß S. sich u. A. auch mit dem Gedanken einer Sammlung der Hersfelder Urkunden trug, ein Gedanke, der leider mit ihm begraben und bis heute noch nicht zur Ausführung gekommen ist. So hat er theils durch die von ihm vollendeten Arbeiten, theils durch mannigfache Anregungen, Pläne und Vorarbeiten in hohem Maße befruchtend auf die spätere hessische Geschichtschreibung eingewirkt.

Vgl. Strieder’s Grundlage zu einer hessischen Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte XIII, 127–139, dessen Nachrichten über ihn aber sehr dürftig und nur durch die genaue bibliographische Zusammenstellung seiner Schriften von Werth sind. – Vgl. ferner Wenck’s Hessische Landesgeschichte, Bd. I, Vorrede S. XL–XLV, wo in dem Abschnitt über die Quellen zur hessischen Geschichte eingehend von S. gehandelt wird, vor allem aber die mehrfach erwähnten Monumenta Hassiaca Friedrich Christoph Schmincke’s. Weitere Nachrichten über ihn im Marburger Staatsarchiv.