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ADB:Paullini, Franz Christian

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Artikel „Paullini, Franz Christian“ von Franz Xaver von Wegele in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 279–281, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Paullini,_Franz_Christian&oldid=- (Version vom 4. Dezember 2024, 14:11 Uhr UTC)
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Paullini: Franz Christian P., Polyhistor. Geboren im Februar 1643 zu Eisenach, aus einer kaufmännischen Familie stammend, erhielt er seine gelehrte Ausbildung zunächst auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt, weiterhin an dem Casimirianum zu Coburg. Er hat sich ursprünglich für den ärztlichen Beruf bestimmt, erwies sich aber zugleich bald genug den verschiedensten Anregungen und Einwirkungen zugänglich. Bei Zeiten gab er seinem Wandertriebe nach, der ihn weit in die Welt hinausführte. Er besuchte Königsberg, Kopenhagen, Franeker und Leiden, und hielt sich an diesen Orten seiner Ausbildung wegen überall kürzere oder längere Zeit auf. Außerdem hat er England, Norwegen, Schweden und Livland bereist. Mit anerkennungswerther Lernbegierde ausgestattet, erwarb er sich neben dem Studium der Arzneikunde die verschiedenartigsten Kenntnisse und verstand er es, mit erprobter Gewandtheit die mannigfaltigsten und ergiebigsten Verbindungen anzuknüpfen. Betriebsam wie er war, erlangte er an der Universität in Wittenberg die Magisterwürde und ließ er sich durch Sigismund von Birken in den Blumenorden an der Pegnitz aufnehmen; später ist er Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft und der Leopoldina und bald auch der Recuperatoren in Florenz geworden. Denn auch Italien hat er aufgesucht; der Großherzog von Toscana ließ ihm eine Professur der Arzneikunde in Pisa anbieten: P. lehnte sie zwar ab, machte aber gleich darauf eine Reise über die Alpen, um dem gelehrten Jesuiten Athanasius Kircher – dessen Beifall er, man erfährt nicht wie, gewonnen und der ihn zu jener Professur empfohlen [280] hatte, in Rom einen Besuch abzustatten. Von da kehrte er nach Deutschland und zwar nach Hamburg zurück, wo er sich gerne aufzuhalten pflegte, und hier erwarteten ihn neue Ehren; es wurde ihm die Würde eines kaiserlichen Pfalzgrafen zu Theil, kraft welcher er „viele Magistros, Poëtas und Notarios gemacht und H–-=Kinder legitimirt hat“. Diese Wanderungen füllten in ihrer größeren Zahl das dritte Jahrzehnt seines Lebens aus. Endlich gewann es den Anschein, als wolle den Unsteten sein Geschick in den sicheren Hafen geleiten. Der bekannte streitbare Fürstbischof Bernhard von Münster, der zugleich Administrator der Reichsabtei Corvey war, ernannte ihn um das Jahr 1676 zu seinem Leibarzte und zugleich zum Historiographen des genannten Stiftes. P. hatte sich unseres Wissens zwar als Geschichtsforscher zur Zeit noch nicht hervorgethan, aber angesichts seiner angedeuteten polyhistorischen Neigungen und dem herrschenden Geiste des Zeitalters darf uns diese Thatsache nicht überraschen. Der Fürstbischof starb zwar schon das Jahr darauf, P. fuhr aber fort, an der ihm übertragenen Herstellung einer Geschichte von Corvey zu arbeiten und vollendete sie in der Handschrift im J. 1681. Im Zusammenhange mit dieser Arbeit ist es geschehen, daß sein Name in den bekannten litterarischen Proceß über die Echtheit des sogen. Chronicon Corbeiense in bedenklicher Weise verwickelt worden. Es darf indessen nicht verschwiegen werden, daß auf dieser und der nächsten Zeit seines Lebens ein unbehagliches Dunkel ruht, das mit confessionellen Zweideutigkeiten von seiner Seite verkettet ist und bis auf seine berührte Verbindung mit Athanasius Kircher zurückreicht. Gewiß ist, daß P., mit dem neuen Prälaten von Corvey entzweit, sich hier nicht mehr halten konnte, und nun zu dem braunschweigischen Hofe in Beziehung trat, welche sich mit der eben verlassenen Stellung nicht recht vertrugen. Aber auch in Braunschweig gelang es ihm nicht, festen Fuß zu fassen, und so lenkte er denn im Laufe des Jahres 1685 die Schritte in seine Vaterstadt Eisenach zurück. Noch aus seiner Knabenzeit her erfreute er sich hier nutzbarer Beziehungen zu dem herzogl. sächsischen Hofe – einen solchen gab es damals in Eisenach – und auf Grund derselben wurde ihm jetzt das Amt eines herzoglichen Stadtphysikus übertragen, bei welchem er dann bis zu seinem Tode ausgehalten hat. In dieser Zeit hat P. eine dem Umfange nach äußerst fruchtbare litterarische Thätigkeit, und zwar in mehr als einer Richtung, entfaltet. Seine bezüglichen Schriften gehören theils der Arzneikunde und den Naturwissenschaften, theils der Historie an. Die ersteren sind überwiegend populärer Natur. Von ausgebreiteter Belesenheit zeugend, bekunden sie sämmtlich den Geschmack der Zeit, der bekanntlich nicht immer der feinste und oft sogar recht unsauber war. Schon die Titel mancher seiner Werke sind bezeichnend: „Bauernphysik“, „Heilsame Dreckapotheke“, „Anmuthige Langeweile“, „Zeitkürzende Lust“, und was dergleichen geistvolle Einfälle mehr sind. Die geschichtlichen Studien hat er nie ganz fallen lassen und im J. 1698 eine Anzahl meist von ihm selbst herrührende Chroniken und Untersuchungen u. d. T.: „Syntagma rerum et antiquitatum Germaniae“ veröffentlicht, deren Bedeutung und Werth freilich recht zweifelhafter Art waren. Indessen, gerade in Bezug auf die deutsche Geschichte trug er sich seit mehreren Jahren mit kühnen Gedanken: von keinem anderen als von ihm ist nämlich der Plan der Gründung eines „historischen Reichscollegs“ ausgegangen, dessen Aufgabe die Herstellung einer deutschen Geschichte im großen Stile durch die vereinigte Kraft aller dazu berufenen deutschen Gelehrten sein sollte. In der That war das das rühmlichste der mehrfachen Projecte, mit welchen P. sich zu verschiedenen Zeiten getragen hat. Es gelang ihm wirklich, eine Anzahl zum Theil vortrefflicher Männer, wie Hiob Ludolf, E. W. Tentzel u. s. f. für seinen Plan zu gewinnen, sodaß im J. 1687 die Hand an die Vorbereitung des löblichen Unternehmens gelegt werden [281] konnte. P. selbst wurde der Geschäftsführer, Syndikus und Archivar der Gesellschaft; das Programm, welches das Unternehmen ankündigte und präcisirte, war von ihm entworfen. Es ist hier nicht der Ort, das Schicksal des Reichscollegs des weitern und nähern zu verfolgen: es genüge anzuführen, daß die großen Erwartungen, die es ursprünglich erweckt hatte, zuletzt getäuscht wurden und daß die Sympathien, die ihm anfangs entgegenkamen, nur allzubald sanken und erloschen. Es endigte mit einem vollständigen Mißerfolg, vornehmlich, weil der Plan dazu von falschen Voraussetzungen ausgegangen war. P. hat mit seinen Hoffnungen am längsten ausgehalten. Er fand sogar den Muth, zu einer Zeit, als es mit dem Gelingen des Reichscollegs schon recht bedenklich stand, noch weitere, neue Projecte zu ersinnen. So trug er sich noch mit dem Gedanken des „Belorbeerten Taubenordens“, der sich mit Antiquitäten und Historie beschäftigen sollte. Und fast gleichzeitig machte der Unerschöpfliche den Vorschlag zu einer „Academia Pauperum“, einer gelehrten Anstalt für dürftige Jünglinge, wenigstens nicht das Abgeschmackteste, was sein erfinderischer Kopf ersonnen hat. Doch blieb es hierbei überall bei dem bloßen Vorschlag, und als dann sein Versuch mit der Gründung des historischen Reichscollegs seit dem Jahre 1703 als vollständig gescheitert betrachtet werden mußte, fing auch er zu verstummen an. Im J. 1711 ist er gestorben.

Vgl. meinen Aufsatz im „Neuen Reich“ (Jahrg. 1881) und die Geschichte der deutschen Historiographie (München 1885, S. 597 ff.).