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ADB:Oosten, Gertrud van

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Artikel „Oosten, Gertrud van“ von Philipp Strauch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 364–365, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oosten,_Gertrud_van&oldid=- (Version vom 4. Dezember 2024, 03:17 Uhr UTC)
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Oosten: Gertrud (Truyt, Truyken) van O., niederländische Begine und stigmatisirte Visionärin, wurde gegen Ende des 13. Jahrhunderts in dem zwischen Haag und Delft gelegenen Dorfe Voorburg (Südholland) von armen Landleuten geboren. Schon früh machte sich an ihr der Hang zur Frömmigkeit und Weltentsagung bemerkbar. In Delft, wo sie als Magd diente, pflegte sie mit zwei gleichgesinnten Freundinnen – auch diese lebten später in Delft als Beginen – auf den Brücken oder sonst geeigneten Plätzen der Stadt das Lied Het daghet in den oosten (ein altes Volkslied, das aber nach Mittheilung von J. Franck schwerlich in den Niederlanden zu Hause, vielmehr unter deutschem Einfluß entstanden ist, vgl. Willems, Oude vlaemsche liederen nr. 48; Hoffmann v. Fallersleben, Geschichte des deutschen Kirchenliedes, 3. Aufl., S. 390; Kalff, Het Lied in de Middeleeuwen, S. 154 f.) zu singen, nach dem sie den Namen „van Oosten“ trägt. Wenn es in jenem Liede im Munde des Mädchens, dem der Geliebte erschlagen ist, heißt: nu wil ic mi gaen begheven in een clein cloosterkijn ende draghen swarte wijlen ende worden een nonnekijn, so sollte Gertrud selbst diese Stimmung nachempfinden lernen. Sie hatte sich verlobt, der Verlobte wurde ihr jedoch untreu. Alle Versuche Gertruds, die Nebenbuhlerin von einer Vermählung mit dem von ihr geliebten Manne abzuhalten, blieben erfolglos; als letztere dann aber später ihrer Niederkunft entgegensah, mußte sie zur Strafe solange in den Wehen liegen, bis sie von Gertrud für das dieser zugefügte Leid Verzeihung erhalten hatte. Gertruds Richtung auf das Religiöse wurde durch die ihr von der Welt bereiteten Enttäuschungen nur noch gesteigert, sie wurde Begine und es beginnt auch bei ihr nun ein Leben, wie es uns oft genug von anderen religiösen Frauen geschildert ist. Zuerst starke Askese (Abbruch oder Beschränkung des Schlafs), reicher Thränenfluß über die eigene Sündenlast und Teufelsversuchungen, denen dann die göttliche Begnadigung folgt. Ihren Unterhalt erbettelte sich G., indem sie von Haus zu Haus ging, sie benutzte aber gleichzeitig diese Wanderungen, um die Menschen, die sie um ein Almosen bat, zu einem frommen Leben zu ermahnen. Sie soll einst, in ein Haus zu Tisch geladen, im Hausflur verzückt stehen geblieben sein und sich längere Zeit nicht von der Stelle haben bewegen können. Oft blieb sie auch Wochen lang in ihrer Kammer und wurde dann durch Gott der Geheimnisse seiner Weisheit ganz besonders theilhaftig. Kehrte sie nach solchen inneren Erlebnissen zur Außenwelt zurück, so aß und trank sie, was ihr gerade nahe lag, schimmeliges oder hartes Brot, geronnene Milch. Vor allem beschäftigte sie sich mit Christus und seinem Leiden. Einst zur Weihnachtszeit war sie in tiefe Betrachtungen über die Geburt Christi versunken. Da begannen – und Gertruds Biograph hält es für [365] nöthig, dabei an das Wort des Hieronymus zu erinnern, nach dem alle wahren Jungfrauen Mütter des Herrn seien – ihre Brüste zu schwellen und sich mit Milch zu füllen, ein Wunder, das 40 Tage, bis zum Tage der Reinigung (2. Februar) dauerte. Der Ruf der Begnadigten erreichte seinen Höhepunkt, als G. in der Charfreitagsnacht 1340, während sie vor dem Kreuze betete, die Wundenmale des Herrn an sich empfing. Von da an soll bis zum Himmelfahrtstage täglich siebenmal und zwar zu den sieben kirchlichen Tageszeiten rothes Blut aus den fünf Wunden an ihrem Körper geflossen sein. Der Zudrang von auswärts war ein so zahlreicher, daß G. schließlich selbst zu Gott um Wegnahme des Wunders bat, weil sie sich in ihren geistlichen Uebungen gestört sah und auch Ueberhebung bei sich selbst fürchten mußte. Ihr Wunsch ging in Erfüllung; als sie später auf Wiederherstellung der Blutungen hoffte, blieb ihre Bitte unerhört. Auch die Gabe der Weissagung war G. verliehen. Sie befaßte sich vornehmlich mit der Zukunft ihrer näheren Umgebung. Eine drohende Rheinüberschwemmung wußte sie durch ihr und ihrer Mitschwestern Gebet abzuwenden. Die Geschicke der Heimath lagen ihr am Herzen. 1351 sagte sie den mit ihr in der Kirche zu Delft befindlichen Beginen in dem Kampfe zwischen Margaretha, der Wittwe Kaiser Ludwigs des Baiern und ihrem Sohne Graf Wilhelm V. den Sieg des Letzteren, zu dem auch die Stadt Delft hielt, in dem blutigen Treffen bei Vlaardingen (4. Juli, s. A. D. B. XX, 318) voraus. Auch die Belagerung von Delft 1359 durch Albrecht von Baiern, die sie selbst nicht mehr erlebte, wußte sie vorher. G. starb am 6. Januar 1358, nachdem sie in den letzten Jahren mehrfach durch Krankheiten, namentlich auch durch zunehmende Corpulenz zu leiden gehabt hatte. Ihr Grab befindet sich in der Hippolytskirche zu Delft. Sie wird noch jährlich an ihrem Todestage verehrt (obwol sie nur Beata, nicht Sancta ist), wobei das Kreuz, durch dessen Anblick sie die Wundenmale erhielt, ausgestellt wird. Ihre Reliquien sollen eine Zeit lang in Lissabon gewesen, später aber nach Antwerpen gebracht worden sein.

G. darf nicht verwechselt werden mit einer anderen Begine gleiches Namens, die ebenfalls im Delfter Beginenhause lebte und nach ihrem Tode einem Klausner in Flandern erschien, von zwei Engeln begleitet, die sie zum Himmel führten. Ebensowenig darf mit ihr in Zusammenhang gebracht werden das nordbrabantische Geertruidenberg, das seinen Namen nach Gertrud v. Nivelles trägt. –

Gertrud van O. gehört in den mitgliederreichen Kreis visionärer Frauen, wie sie gerade in den Niederlanden seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts zahlreich auftreten, in jenen Gegenden, in denen das Beginenwesen gleichfalls weiteste Verbreitung fand. Sie schließt sich den von Preger in seiner Geschichte der deutschen Mystik 1, 53 ff. besprochenen älteren Marie v. Oegnies, Christine v. St. Troud, Margaretha v. Ypern und Luitgard v. Tongern an, auf sie folgt wieder der Zeit nach Lydia (Lydweid) van Schiedam (1380–1433), vgl. Stadler und Heim, Heiligenlexikon 3, 827. Handschrift Nr. 2261 des Germanischen Museums zu Nürnberg, Blatt 118–205a. Trübner’s Handschriften- und Bücherauction zu Straßburg i. E. am October 1886, S. 25, Nr. 95.

Die von ungenanntem Verfasser lateinisch aufgezeichnete Vita ist, jedoch in veränderter Gestalt, von L. Surius, De probatis sanctorum historiis, Coloniae 1581, Bd. VII S. 14 ff. herausgegeben, in ursprünglicher Gestalt nach einer Utrechter Handschrift von den Bollandisten, AA SS Januar 1, 348–353, vgl. April 1, 73, 74, 898; auf letzterer fußen die Artikel bei Zedler 10, 1198, Ersch und Gruber 1, 62, 109, Stadler und Heim 2, 424 sowie obiger Aufsatz. Die AA SS verzeichnen auch eine Lebensbeschreibung der Gertrud: Lovanii lingua Belgica, 1589.