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ADB:Estor, Johann Georg

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Artikel „Estor, Johann Georg“ von Theodor Muther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 390–392, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Estor,_Johann_Georg&oldid=- (Version vom 4. Dezember 2024, 09:54 Uhr UTC)
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Estor: Johann Georg E., Jurist, geb. am 8. (nicht 9.) Juni 1699 zu Schweinsberg in Hessen, † am 25. October 1773 zu Marburg. Die Herkunft von Estor’s Familie ist schwerlich auf eine ehemals in Brabant angesessene, um 1549 der Religionsverfolgungen wegen ausgewanderte gleichnamige Adelsfamilie zurückzuführen, vielmehr ist E. bei seiner Taufe in das Kirchenbuch unter dem Namen „Esther“ eingetragen worden und neuerdings wahrscheinlich gemacht, daß die Schreibung „Esther“ an die Stelle der Freiherren „Hester“ getreten sei, deren sich ältere für die Zeit von 1573–1644 zu Schweinsberg in der angesehenen Stellung Schenkischer Bauschreiber nachweisbare Familienglieder bedienten. Der Vater unseres E., Johann Heinrich E., war von Gewerbe Chirurgus und Barbier, hatte fast 14 Jahre lang in Frankreich gewandert, besonders in Paris sich umgesehen, dann in seiner Heimath sich niedergelassen, wo er zur Zeit der Geburt des Sohnes in guten Verhältnissen lebte, sein Geschäft betrieb, zugleich aber auch das Amt eines Rathsschöffen bekleidete. Er fiel als Feldscheer der hessischen Truppen in dem unglücklichen Gefecht bei Speierbach (am 15. Novbr. 1703). Der Sohn wurde von seiner Mutter für eine gelehrte Laufbahn bestimmt und erhielt den ersten Unterricht hierfür von jungen Theologen, welche als Schenkische Informatoren in Schweinsberg sich aufhielten. Später genoß er zu Marburg ebenfalls Privatunterricht eines Theologen. 1715 ging er nach Gießen, setzte daselbst seine Sprach- wie allgemeinen Studien fort und wendete sich dann der Jurisprudenz zu. 1719 begab er sich nach kurzem Aufenthalt in Jena nach Halle, wo er zunächst im Hause des Kanzlers Joh. Peter v. Ludewig, dann in demjenigen Nic. Hieronymus Gundling’s Aufnahme fand. Gundling liebte E. wie einen Sohn und gewährte ihm nicht nur freien Unterhalt, sondern wählte ihn auch zum Begleiter bei seinen Spazierfahrten und zum Gesellschafter in seinen Erholungsstunden. Aus diesem nahen Verhältniß zu dem berühmten Polyhistor zog E. großen Nutzen für seine Ausbildung, nicht minder war ihm das fleißige Hören der Vorlesungen von Christian Thomasius und Justus Henning Böhmer sehr förderlich. Drei Jahre etwa verblieb E. in Halle, dann begab er sich auf einige Zeit nach Leipzig, von da seine „Peregrinatio academica“ durch Deutschland, die ihn unter anderen auch nach Straßburg führte, fortsetzend. Einige Zeit versuchte sich E. als Hauslehrer, begab sich aber bald nach Wetzlar, um sich mit der Praxis des Reichskammergerichts bekannt zu machen. Von dort aus promovirte er 1725 in Gießen zum Lic. iuris und siedelte im nämlichen [391] Jahre gänzlich nach letzterem Orte über, um seine Thätigkeit als akademischer Docent zu beginnen. Ende 1726 erhielt E. eine außerordentliche Rechtsprofessur und zugleich den Titel eines hessen-darmstädt’schen Rathes und Historiographen, 1727 trat er als Prof. ordin. in die Juristenfacultät, 14. Aug. 1728 nahm er den juristischen Doctorgrad an. Estor’s Ruf als gern gehörter Lehrer hatte sich verbreitet, auch hatte er seine Schriftstellerlaufbahn im Gebiete der deutschen Rechtsgeschichte, sowie des öffentlichen und Civilrechts („De ministerialibus“, 1727, „Analecta Fuldensia“, 1727, „Heineccii Elementa iuris civilis cum animadversionibus“, 1727, „Heraldik“, 1728, „Delineatio iuris publici ecclesiastici protestantium“, 1732, „Auserlesene kleine Schriften“, 1. Bd. 1732–34 und 2. Bd. 1734–35) glücklichst begonnen, da fehlte es denn nicht an Berufungen nach außen. 1734 und nochmals 1735 waren Anerbietungen von Helmstädt gekommen und abgelehnt worden. Eine Vocation nach Jena aber als Professor der Pandekten und Assessor im Hofgericht, in der Juristenfacultät und im Schöppenstuhl mit dem Titel eines Hofraths nahm er an. Im Monat September 1735 zog E. von Gießen nach Jena über und nun begann, wie Pütter sagt, „die wahre Epoche seines Ruhms“. Stets saßen einige Hundert Zuhörer zu seinen Füßen, 1737 wurde er einstimmig zum Prorector der Universität erwählt, 1739 erhielt er einen Ruf nach Frankfurt a. O., den er ausschlug. Als ihm jedoch 1742 die zweite Professur der Rechte mit dem Titel Regierungsrath in Marburg angeboten wurde, lehnte er nicht ab, im September jenes Jahres bewirkte er seinen Umzug in die Heimath, der er fortan erhalten blieb. Berufungen nach Halle, Erlangen und Gießen (1743), nach Göttingen und Tübingen (1744), abermals nach Gießen (1746), wiederum nach Halle (1749), nach Wittenberg (1752), selbst nach Utrecht, wie nach Leyden wies er zurück, dagegen rückte er in Marburg 1748 zum ersten Professor der Rechte und Vicecanzler, 1754 zum geh. Regierungsrath, 1768 zum Kanzler der Universität und Geh.-Rath auf. Beerdigt wurde er nach letztwilliger Bestimmung in Schweinsberg. Estor’s äußere Erscheinung war stattlich, er lebte unverehelicht, alle Stimmen kommen darin überein, die Biederkeit und Treue seines Charakters, seinen Patriotismus, seine Liebe zur Heimath, seine kirchliche Gesinnung zu loben. Sein wissenschaftliches Streben geht auf historische Erkenntniß der deutschen Rechtszustände. Er ist durchaus kein Freund der „Deutsch-Rechts-Schmidte“, die aus „Hirn-hypotheses ein ius chimaericum“ aufbauen, d. h. „ein Gehäuß neu und abentheuerlicher Lehren des iuris Germanici“, auch nicht derer, welche „das deutsche Recht mit dem römischen clystiren“; wol aber suchte er selbst dem römischen Rechte auf Wegen beizukommen, die damals in Deutschland wenigstens nicht zu den gewöhnlichen gehörten (wir denken dabei an seine Abhandlung „De iurisprudentia Quinti Horatii Flacci“ vor der Ausgabe von „Hambergeri Opuscula“) und die deutschrechtlichen geschichtlichen Arbeiten Estor’s sind, wenn auch mitunter geschmacklos, doch noch jetzt zuverlässige Führer voll brauchbaren Materials und nüchterner, gesunder Anschauung. Ein Buch, dessen Lectüre sich noch in der Gegenwart von Nutzen erweist, sind Estor’s „Anfangsgründe des Gem. und Reichsprocesses“, 1744 und die dazu gehörigen Fortsetzungen. Von vielen anderen Werken sind außer den schon oben erwähnten noch hervorzuheben: „Auserlesene kleine Schriften“, 3 Bde. 1736–38, „Origines iuris publici Hassiaci“, 2 Thle. 1738–40, „Observationes iuris feudalis“, 1740, „Libellus de iudicio principum fundamento et radice provocationis, vulgo recursus ad comitia“, 1741, „Anmerkungen über das Staats- und Kirchenrecht“, 1750, „Praktische Anleitung zur Ahnenprobe“, 1750, „Vorrede zu J. P. v. Ludewig’s Erläuterung der goldnen Bulle“, 2 Thle. 1752, „Von der röm. Usucapion“, 1756, „Bürgerl. Rechtsgelehrsamkeit der Deutschen“, 3 Thle., ausgef. von [392] J. A. Hoffmann, 1757–67, „Neue kleine Schriften“, 2 Bde. 1783. Anderes in Weidlich’s Zuverläss. Nachrichten von denen jetztlebenden Rechtsgelehrten 4. Thl. S. 1–75.

Vgl. namentlich C. Sippel, Joh. Georg Estor, Marburg 1874.