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ADB:Ennemoser, Joseph

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Artikel „Ennemoser, Joseph“ von August Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 150–151, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ennemoser,_Joseph&oldid=- (Version vom 12. Dezember 2024, 23:39 Uhr UTC)
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Band 6 (1877), S. 150–151 (Quelle).
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Ennemoser: Joseph E., Arzt, den 15. Novbr. 1787 in Schönau (Tirol) geboren, studirte in Innsbruck Medicin, diente 1809 unter Andreas Hofer als Schreiber desselben, wandte sich nach Schluß dieser kriegerischen Episode behufs Fortsetzung seiner Studien zuerst nach Salzburg, später nach Erlangen und Berlin, trat 1812 in das Lützow’sche Corps ein, nahm 1815 seine Studien von neuem auf und erlangte 1816 in Berlin den Doctortitel. Im nächstfolgenden Jahre habilitirte er sich als Arzt und später als Privatdocent in Bonn und wurde hier 1820 zum Prof. extraordinarius und 1828 zum Prof. ordinarius [151] ernannt; 1837 nahm er seinen Abschied, kehrte nach Innsbruck zurück, siedelte dann von hier 1841 nach München über und ist am 19. Septbr. 1854 in Egern (am Tegernsee) gestorben. – E. war einer der extremsten Vertreter jener aus der Naturphilosophie erwachsenen mystischen Richtung in den Naturwissenschaften, deren Blüthe sich in der praktischen Heilkunde als „thierischer Magnetismus“ und „Mesmerismus“ entfaltet hat, und die nach dieser Richtung hin gerade in Berlin und Bonn, den Aufenthaltsorten Ennemoser’s, einen sehr fruchtbaren Boden gefunden hatte. Schon in der ersten seiner litterarischen Arbeiten, „Der Magnetismus[1] nach der allseitigen Beziehung seines Wesens, seiner Erscheinungen, seiner Anwendung und Enträthselung“, 1819, 781 S., entwickelt E. das ganze System der Anschauungen, von denen er beherrscht wird, und zwar auf geschichtlicher Basis. (Eine zweite, vermehrte Auflage dieser Schrift ist unter dem Titel „Geschichte des thierischen Magnetismus“ 1844 erschienen.) „Magnetismus“, sagt E., „ist die Lehre von den Kraftverhältnissen, welche alle Körper im ganzen Weltbaue auf einander wechselweise ausüben“, aber der Begriff umfaßt auch „die Idee der bis jetzt erworbenen Kenntnisse der magnetischen Heilung“ und der magnetischen Erhaltung alles Organischen. Alles muß behufs seines Gedeihens magnetisirt werden, die Kinder im Mutterleibe, damit sie als gesunde, kräftige Weltbürger das Licht der Welt erblicken, die Bäume, damit sie Früchte tragen etc.; am wirksamsten sind die magnetischen Kuren, die in der Kirche vorgenommen werden. Der Magnetismus ist so alt, wie die Welt, schon Adam und Eva haben ein magnetisches Leben geführt, mit Verlust des Paradieses ist vom Magnetismus etwas verloren gegangen und dieser Verlust hat sich immer mehr gesteigert, je weiter die Menschheit vom Pfade der Tugend abgewichen ist. „Wir sollen nicht gelehrt sein“, sagt E., „wir sollen keine Erfahrungen machen, aber eins sollen wir, nämlich geistlich werden, den Leib ablegen, das zeitliche Suchen aufgeben und dem Ewigen nachstreben … Bevor nicht ein Gott, eine Kirche, ein Glaube und eine Liebe ist, bevor nicht ein Hirt und ein Schafstall wird, so lange wird auch der Magnetismus nicht allgemein werden, so lange wird die unselige äußere Gelehrsamkeit und das böse Dichten und Trachten der Menschen nicht aufhören.“ In den späteren Schriften Ennemoser’s („Histor.-psychol. Untersuchungen über den Ursprung und das Wesen der menschlichen Seele etc.“, 1824, „Ueber die nähere Wechselwirkung des Leibes und der Seele etc.“, 1825, „Anthropologische Ansichten etc.“, 1828, „Der Magnetismus im Verhältnisse zur Natur und Religion“, 1842, in zweiter Auflage, in welcher in einem Anhange auch das „Tischrücken“ wissenschaftlich behandelt wird, 1853 veröffentlicht, und zahlreiche Aufsätze in der Zeitschr. für psychische Aerzte und in Zeitschr. für Anthropologie) tritt dieser theosophische Magnetismus nicht weniger craß, nicht weniger prätentiös und mit nicht geringerer Verachtung aller Wissenschaftlichkeit auf, er gewinnt gleichzeitig, und zwar unter Zuhülfenahme des Stahl’schen Princips, dem gemäß sich die Seele den Körper zu ihrem Gebrauche aufbauet, eine praktischere Gestalt, indem E. seine Grundsätze, welche er zunächst theoretisch mit dem Mesmerismus in Verbindung gebracht hatte, nun auch thatsächlich als „Magnetismus“ durchführte, und als solcher hat er sich eines sehr großen Rufes erfreut. Trotz der Selbsttäuschung, in welcher sich E. bewegte und die bei ihm hart an die Grenze der Geistesstörung streifte, behielt er doch so viel Unbefangenheit übrig, daß er erklären konnte, es sei ihm gleichgültig, was Andere von den von ihm mitgetheilten Wundererscheinungen und Wunderkuren hielten. Seine „Anleitung zur Mesmerischen Praxis“, 1852, ist der letzte Versuch einer pseudo-wissenschaftlichen Behandlung dieses Gegenstandes geblieben, mit E. ist der letzte (offenkundige) „magnetische Arzt“ zu Grabe getragen worden.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 151. Z. 9 v. o. l.: Magnetiseur (st. Magnetismus). [Bd. 6, S. 795]