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ADB:Calov, Abraham

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Artikel „Calovius, Abraham“ von Wilhelm Gaß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 712–715, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Calov,_Abraham&oldid=- (Version vom 5. Dezember 2024, 05:16 Uhr UTC)
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Calovius: Abraham C. (Kalau), der unermüdliche Gegner Calixt’s, der Repräsentant des exclusiven Lutherthums und der confessionellen Polemik im Geist der jüngeren Wittenberger Schule, hat mit Herder denselben Geburtsort; er ist 1612 zu Morungen in Ostpreußen geboren, und stand frühzeitig unter Einflüssen, die seine spätere Wirksamkeit bestimmt haben. Die Aufnahme in das kurfürstliche Convictorium[WS 1] zu Königsberg erleichterte sein Fortkommen; hier studirte C. seit 1626 sechs Jahre, zunächst Naturwissenschaften, Mathemathik und orientalische Sprachen, dann wandte er sich, nachdem er schon mit 17 Jahren gepredigt, zur Theologie, in welcher er Behm und Myslenta zu Lehrern hatte. Schon als junger Mensch erhielt er Gelegenheit zum öffentlichen Streit. Als der reformirte Hofprediger Johann Bergius, 1631 in Königsberg auftretend, die Schrift: „Daß die Worte Christi noch fest stehen“, Berlin 1624, zur Vertheidigung seiner Abendmahlslehre nochmals herausgab, setzte C. ihm ein „Stereoma voluntatis Christi de substantiali praesentia etc.“, nachher zu Rostock 1633 (35. 55) gedruckt, entgegen, eine erste litterarische That, welche ihm von dem lutherischen Adel mit einem Geldgeschenk von 333 Thalern gelohnt wurde. Beide Männer sind 1640 an demselben Ort noch einmal mündlich an einander gerathen in einer sechsstündigen, aber völlig vergeblichen Disputation über die Bedeutung der Einsetzungsworte. Nach einer ersten Anstellung in Rostock (1634) folgte C. drei Jahre später und inzwischen zum Doctor der Theologie promovirt, einem Rufe nach Königsberg, woselbst er als junger außerordentlicher Professor mit glänzenden Ehrenbezeigungen von den Studirenden empfangen wurde und seine dialektische Fähigkeit und Fertigkeit weiter ausbildete. Bedeutender wurde seine dritte Station als Rector und Prediger in der damals zu Polen gehörigen, aber sehr selbständigen und streng lutherischen Stadt Danzig. Es gelang ihm, während der J. 1643–50 die Frequenz des dortigen Gymnasiums beträchtlich zu heben und zugleich seinen eigenen Ruf als den eines eifrigen, allezeit bereiten und allseitig gerüsteten Polemikers zu befestigen; dagegen trachtete er vergeblich, nach Preußen zurückzukehren, er blieb ausgeschlossen und wurde um so geneigter, die Stellung des preußischen Kirchenregiments unter dem großen Kurfürsten als Abfall von der Wahrheit und als harte Tyrannei öffentlich anzuklagen. Seine Heimath und zwar die seiner Denkart und kirchlichen Tendenz entsprechende sollte er dagegen in Wittenberg finden, wohin ihn 1650 der Ruf des Kurfürsten von Sachsen, Georg II., unter Vermittlung des Hofprediger Weller führte und woselbst er schon in seiner Antrittsrede den kirchlichen Nothstand seiner Heimath beklagte. Hier in Wittenberg hat er, umgeben von sehr zahlreichen Zuhörern und begünstigt vom Kurfürsten, 36 Jahre lang eifrig und immer in gleicher Richtung gearbeitet und dafür alle Ehren eines auserwählten Rüstzeuges lutherischer Rechtgläubigkeit davongetragen. Er wurde Prediger und Katechet, zuletzt Professor primarius der Theologie, Mitglied des Consistoriums und Generalsuperintendent und beherrschte seine Collegen, mit Ausnahme Johann Meisner’s, mit welchem er gänzlich zerfiel. Und allen diesen Aemtern hat er ungeachtet seiner schriftstellerischen Betriebsamkeit mit rastlosem Fleiße obgelegen.

C., ohne selbständige Geisteskraft und philosophische Begabung, vereinigte doch diejenigen Talente, die sein Streben forderte, in hohem Grade. Leidenschaftlich und kalt zugleich, verständig, geschickt, von umfassendem Gedächtniß und in den Grenzen seiner Aufgaben sehr scharfsinnig, entwickelte er die herrschende Streittheologie bis zur Virtuosität, er brachte sie zur Blüthe, wenn man auch [713] dem Ungesunden diesen Namen gönnen will; aber er erschöpfte sich auch beinahe gänzlich in der Ausbildung dieser Einen Kraft und Tapferkeit. Seine Religion ist Lehre, seine Lehre fällt zusammen mit der der Concordienformel in ihrer nachherigen dogmatischen Ausprägung; diese gegen alle wirklichen oder vermeintlichen Abzüge oder Zuthaten sicherzustellen, die gegnerischen Meinungen als solche zu erkennen, zu unterscheiden, in möglichster Anzahl zu sammeln, mit möglichster Schärfe zu richten, ist sein Ziel. Sein Geist lebt in der Genauigkeit der Formel und in dem Glauben an deren adäquate Richtigkeit; in die Möglichkeit einer Gemeinschaft mit irgendwie Andersglaubenden kann oder will er sich nicht hineindenken. Er nennt die Katholiken Götzendiener, die Reformirten Nestorianer und Abtrünnige, sein schwerster Tadel aber trifft diejenigen, die vom Wahn der Enthusiasten und Indifferentisten hingerissen, die Lehrgrenzen der Kirche erweitern oder verrücken und fremde Waaren unter dem Vorwande des Friedens in das eigene Lager einführen wollen.

Mit solchen Gesinnungen ist C. zunächst in den synkretistischen Streit eingetreten. Er suchte und fand seinen natürlichen Widersacher in Georg Calixt. Die Namen Calovius und Calixtus klingen durch alle Spalten der nächstfolgenden polemischen Litteratur. Bei Gelegenheit der Eröffnung des Thorner Religionsgesprächs, zu welchem C. von Danzig aus berufen wurde, im Herbst 1645 lernten sich beide Männer persönlich kennen. Ihre erste Unterredung begann friedlich, endete aber, nachdem Calixt seine Meinung ausgesprochen, mit stürmischer Aufregung und C. wußte es durchzusetzen, daß Calixt als der verderbliche Neutralist und Verfälscher der lutherischen Lehre von jeder unmittelbaren Theilnahme an dem Colloquium ausgeschlossen blieb. Daher erklärte auch späterhin Calixt, in Thorn sei ihm von Jedermann Wohlwollen und Ehre erwiesen worden, praeter unum Calovium.

Ueber Calovius’ fernere Theilnahme an dem Verlauf der synkretistischen Streitigkeiten müssen wenige Bemerkungen (vg. den Artikel G. Calixt) genügen. Schon von Danzig aus hatte C. in der „Consideratio theol. Helmstad.“ von 1649 der Juliusuniversität Helmstädt und ihrem theologischen Haupt den Fehdebrief hingeworfen. In dieser Schrift wird die ganze Controverse entwickelt und auf zwei Grundgedanken zurückgeführt. Wenn Calixt dem Lutherthum nur einen höheren Grad von Reinheit beilegt, übrigens aber die christlichen Glaubenssätze nach Verhältnissen des Secundären und Primären abstuft und nur das apostolische Symbol und nächst ihm den consensus patrum des kirchlichen Alterthums als unantastbaren Kern bestehen läßt: so betrachtet C. den lutherischen Lehrbegriff als allein und schlechthin richtigen, darum aber auch jede Vereinbarung mit anderen Confessionen ausschließenden Ausdruck des Glaubens, als gleichartiges und untheilbares Ganze, welchem kein Titelchen fehlen darf. Und wenn Calixt neben dem grundlegenden Werth des Glaubens zugleich die Wichtigkeit des sittlichen Wandels sehr nachdrücklich hervorhebt und dessen Vernachlässigung als gefährlich für das Seelenheil hinstellt: so sieht C. darin einen verwerflichen Rückfall zu dem Standpunkt der guten Werke. Nach seiner Uebersiedelung trat er von Wittenberg aus an die Spitze der confessionellen Reaction, welche sich nunmehr auf mehrere Universitäten und Länder ausbreitete. Mit der „Nöthigen Ablehnung etlicher Injurien“ von 1651 beginnt die lange Reihe seiner polemischen Abhandlungen, sie reicht bis zu dem 1655 von ihm überarbeiteten „Consensus repetitus fidei Lutheranae“, zu der „Harmonia Calixt. haeretica“ (1655), dem „Syntagma antisyncretistica“ von 1682. In jeder folgenden Schrift wächst die Zahl der Anklagen und Ausstellungen; er schrieb fort, auch als sein Gegner ihn nicht mehr lesen noch beantworten konnte. Was aber gegen Calixt [714] und seinen Synkretismus mit einigem Grund gesagt werden konnte, das ist allerdings auch am schärfsten von ihm ausgesprochen worden.

Auch nach verschiedenen anderen Seiten, gegen Reformirte, Jesuiten, Arminianer, Labadisten und gegen Jakob Böhme hat er sich, obwol weniger eifrig und gründlich ausgelassen. Mehr Wichtigkeit haben jedoch zwei andere Bestandtheile seiner Schriftstellerei. Sein exegetisches Hauptwerk: „Biblia illustrata“, Francof. ad M. 1676. 4 tomi, war hauptsächlich gegen Hugo Grotius’ Anmerkungen zum N. T. gerichtet und stellt uns wirklich das volle Gegentheil der von diesem angebahnten historisch-philologischen Interpretationsweise vor Augen. C. betrachtet die Schrift wie das überall redende und wo möglich in jedem Buch und Verse genau niedergelegte Dogma selbst, so vollständig wird das lutherische Lehrsystem auf den biblischen Buchstaben zurückgeführt, was dann nur mittelst einer mechanischen Anwendung des Inspirationsbegriffs und durch eine völlig atomistische Hermeneutik und Harmonistik geschehen konnte. Dasselbe äußerliche Verfahren soll auch den Naturwissenschaften gegenüber ausreichen. Das neuentdeckte Gesetz von der Bewegung der Himmelskörper hatte schon unter den Theologen, besonders den reformirten, ziemlich allgemeine Anerkennung gefunden; C. weist es einfach mit Bibelstellen zurück. Ferner hat sich derselbe, von manchen isagogischen und encyklopädischen Schriften abgesehen, auch als Dogmatiker eine Stelle gegeben, besonders durch sein zehntheiliges und doch unvollendet gebliebenes „Systema locorum theologicorum“, Vitemb. 1655–1677. Das Werk ist nach der damals gewöhnlichen Causal- und Definitionsmethode ausgeführt und hat sein Verdienst theils in der Anhäufung und gleichmäßigen Verarbeitung eines massenhaften polemischen Materials, theils in den einleitenden Abschnitten, welche eine umfassend angelegte logisch metaphysische Offenbarungstheorie enthalten. Die ersten Bände zeichnen sich durch einige Gründlichkeit aus, gegen welche die letzten sehr abstechen; den ehrwürdigen milden und frommen Geist eines Gerhard sucht man vergebens.

Bei so viel Eifer und Anstrengung durfte sich C. als siegreichen Bannerträger auf dem Kampfplatz lutherischer Kirchlichkeit betragen. Dennoch mußte auch er, nachdem sein letzter Streich gegen Calixt und die Seinigen, die Einführung einer nachträglichen Bekenntnißschrift gänzlich mißlungen war, und als dann das Ansehen der Wittenberger Schule mit 1680 plötzlich sank, den Wechsel der Zeiten erfahren. Die Fortsetzung der Polemik gegen die Helmstädter und Jenenser wurde vom Kurfürsten wiederholt untersagt, die „Historia antisyncretistica“ mit Beschlag belegt; der schon 1655 ausgearbeitete „Consensus repetitus“ konnte zwar 1664 und 1666 gedruckt werden, aber ohne irgendwie Eingang zu finden. Eine neue Angelegenheit begann die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn C. sich 1675 über Spener’s erste Wirksamkeit und dessen Desiderien zustimmend äußerte: so beweist dies nur, daß er deren allgemeinere Tendenz nicht verstand.

Im eigenen Hause hat er lauter Trübsal erlebt. Nachdem er fünf Gattinnen und 13 Kinder begraben, wagte er es als alter Mann und zum größten Befremden der Welt, sich 1684 nochmals und mit der jugendlichen Tochter Quenstedt’s zu verheirathen, der Tod rief ihn aber 1686 im Alter von 74 Jahren ab. Er war, wie ein Zeitgenosse ihn beschreibt, „von mittlerer Körpergröße, schwarzhaarig, mit langem und zugespitztem Bart, das Gesicht etwas blaß und gedrückt, die Stirn aber hervortretend, so daß man aus der Gesichtsbildung nicht leicht das Temperament erschließen konnte.“

Eine vollständigere Biographie fehlt, aber Materialien zu einer solchen finden sich reichlich in vielen Briefen und Calovius’ eigenen Schriften, besonders der historisch werthvollen Theologia antisyncretistica, in Leichenreden von [715] Mayer, Meisner, Schurzfleisch, ferner in Pipping, Memoria theologorum nostra aetate clarissimorum; Struve, Acta literaria fasc. 5. Sie sind benutzt in Tholuck’s Charakteristik: Geist der Theologen Wittenbergs, 1852, S. 185 ff. und in dessen Artikel in Herzog’s Encykl. Dazu vergl. Henke, G. Calixt, II. 2. S. 23 ff. und öfter und meine Gesch. der prot. Dogmatik, I. S. 164. 332 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Covictorium