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ADB:Alarich I.

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Artikel „Alarich I.“ von Georg Waitz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 173–174, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Alarich_I.&oldid=- (Version vom 13. November 2024, 00:14 Uhr UTC)
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Alarich, der erste König der Westgothen, den die Geschichte kennt. Er stammte aus einem Geschlecht, das den Namen der Balthen, d. h. der Kühnen, führte und wol nicht erst von ihm empfangen hat, dem nach dem ostgothischen Königsgeschlecht der Amaler der erste Rang unter dem Adel des gothischen Stammes überhaupt beigelegt wird wird. Er ist geboren auf der Insel Peuce an der südlichen Mündung der Donau, die wahrscheinlich erst nach dem Einbruch der Hunnen ein Theil der von den Sitzen nördlich des Flusses verdrängten Westgothen eingenommen hatte. Da diese damals das Christenthum nach arianischem Bekenntnisse annahmen, ist A. ohne Zweifel von Jugend auf in demselben erzogen und auch ihm immer anhängig geblieben. Er theilte auch sonst die Schicksale seines Volks, das in die Verhältnisse sogenannter Föderaten zum römischen Reich getreten war, betheiligte sich als Führer eines Heerhaufens an dem Krieg des Kaisers Theodosius gegen den im Westen erhobenen Eugenius. Nach des Theodosius Tod 395, da unter seinen jungen Söhnen Arcadius und Honorius das Reich getheilt war, und für jenen im Osten Rusin, für diesen im Westen der Vandale Stilicho die Herrschaft führten, treten die Gothen in größerer Selbständigkeit hervor: sie erheben den A., in welchem Ansehen des Geschlechts und persönliche Tüchtigkeit sich vereinigten, zu ihrem König; nicht volle Unabhängigkeit, aber besondere staatliche Vereinigung auf nationaler Grundlage nahmen sie damit in Anspruch. Der König war Haupt und Führer des Volks, zugleich Behüter desselben dem römischen Reich gegenüber, von dem er sich nicht trennte, dessen Würden er sich ertheilen ließ, auf das er, wie die Deutschen überhaupt, mit ehrfurchtsvoller Scheu blickte, mit dessen Gewalthabern er aber wiederholt in Kampf gerieth, dessen innere Zerrüttung er auszubeuten suchte, um Zugeständnisse mancherlei Art, vor allem für sein Volk feste Niederlassung in günstigen Sitzen zu erlangen. Zuerst versuchte er sein Glück im Osten. Noch im J. 395 zogen die Gothen bis Thessalien, im folgenden durch die Thermopylen nach dem alten Hellas bis tief in den Peloponnes hinab, wo aber Stilicho, von Westen kommend, wie er schon vorher gewollt, dem A. entgegentrat, ihn bedrängte, zur Rückkehr nach dem Norden nöthigte. Hier ward ihm das östliche Illyrien übergeben, wo er einige Jahre hindurch an den Grenzen des Ost- und Westreichs eine beiden drohende Stellung einnahm. Dann, am Ende des Jahres 400, [174] wandte er sich nach Italien, belagerte Aquileja, später Mailand, wo der Kaiser Honorius sich aufhielt, kämpfte mit dem zum Entsatz herangekommenen Stilicho in der gewaltigen Schlacht bei Polentia (Polenzo südwestlich von Asti) am Osterfest (6. April) 402, nicht Sieger, aber auch nicht besiegt, unglücklicher ein zweites Mal auf dem Rückwege bei Verona. Es kam zu einer Verständigung mit Stilicho, in dessen Interesse A. eine Zeit lang im Osten, aber ohne sonderlichen Erfolg, thätig war. Die Ermordung Stilicho’s, die Nichterfüllung von Forderungen, welche A. erhob, führten zu einem neuen Bruch mit dem weströmischen Hof: bald (408) standen die Gothen wieder in Italien, vor Rom, das seine Schonung mit einer reichen Zahlung erkaufen mußte. Längere Unterhandlungen führten zu keinem Resultat. Alarichs Verlangen, außer jährlicher Geldzahlung seinem Volk Noricum und beide Venetien, oder doch eine regelmäßige Getreidelieferung und die erste jener Provinzen zu gewähren, fand kein Gehör: er hätte hier, im Anschluß an die Gebiete stammverwandter Völker, eine für die Erweiterung des deutschen Bodens und den Fortgang der deutschen Geschichte überhaupt wichtige Herrschaft gründen können. Durch Aufstellung eines neuen Kaisers, des Attalus, suchte er seine Absichten zu erreichen. Er wird auch zu der höchsten Würde des Reichs, eines magister utriusque militiae, erhoben; aber weder gelingt es, dem Attalus allgemeine Anerkennung zu verschaffen, noch auf die Dauer das rechte Einverständniß zu erhalten, bald genug ist jener wieder beseitigt. Aber auch mit Honorius wird keine Einigung erreicht, und nun zieht A. aufs neue gegen Rom. Am 24. Aug. 410 fällt die Stadt in die Hände der Gothen: seit der gallischen Eroberung das erste Mal, daß ein Feind innerhalb ihrer Mauern erschien, ein Zeichen, was ihr und dem Reiche drohte, was die Deutschen damals schon vermochten und in Zukunft bedeuten sollten. Auch jetzt war es nicht die Absicht des Gothenkönigs, die Stadt zu behaupten, hier selbst die Herrschaft zu führen: schon nach drei Tagen verließ er sie, zog in den Süden der Halbinsel bis nach Reggio, entschlossen, wie es heißt, nach Sicilien und weiter nach Africa zu gehen, und sich so der reichen Kornlande des römischen Reiches zu bemächtigen. Aber ehe er dazu kam, raffte ein plötzlicher Tod ihn fort, noch in jungen Jahren: der Tag ist, wie Vieles in Alarichs Geschichte, nicht bekannt. Bei Cosenza im Bette des Busento fand er sein Grab, über das die Gothen die Wellen des Flusses strömen ließen, daß niemand die Stätte wisse, wo der König ruhte. – Er, der sein Volk in neue Bahnen geführt, die beiden Halbinseln des Südens durchzogen, auf alle Stätten des classischen Alterthums seinen Fuß gesetzt, fand hier das Ziel seines Lebens, das Volk der Westgothen schon unter seinem Nachfolger die Sitze, welche die Grundlage einer mächtigen Reichsgründung, vornehmlich auf der hispanischen Halbinsel werden sollten. In der großen, die Verhältnisse der alten und der germanischen Welt umgestaltenden Bewegungen der sogenannten Völkerwanderung ragt A. als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten hervor; aufgenommen in den Verband des römischen Reichs, hat er von innen heraus, fast wider seinen Willen, an der Zerstörung desselben gearbeitet, zugleich der Verbreitung germanischer Elemente über die Lande des Südens und Westens mächtigen Vorschub geleistet. In die deutsche Heldensage, die sich auf dem Grunde dieser historischen Umwandlungen gebildet, hat seine Person keine Aufnahme gefunden. Dagegen hat am Eingang des Mittelalters die Dichtung sich Alarichs Namens bemächtigt, um die Anfänge selbständigen deutschen Lebens in den Thälern der Alpen mit ihm in Verbindung zu setzen.

C. Simonis, Versuch einer Geschichte des Alarich, Königs der Westgothen. Erster Theil, Göttingen 1858. – J. Rosenstein, Alarich und Stilicho (Forschungen zur deutschen Geschichte III). – N. Riegel, Alarich der Balthe, König der Westgothen, Offenburg 1870. (Unbefriedigend.)