Oneg Schabbat

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Eine der Milchkannen, in denen das Ringelblum-Archiv versteckt wurde.

Oneg Schabbat (hebräisch עונג שבת – Freude am Sabbat, weitere Schreibweisen: Oneg Shabbat oder Oyneg Shab(b)es) war ein Tarnname für das Geheime Archiv des Warschauer Gettos oder Ringelblum-Archiv, das einzige bekannte Untergrundarchiv im Warschauer Ghetto. Es wurde während der deutschen Besatzung Polens unter der Leitung von Emanuel Ringelblum aufgebaut und dokumentiert das Leben und Sterben der Juden im Ghetto während der Schoah.

Die Sammlung des Geheimen Archivs / Oneg Shabbat wird im Jüdischen Historischen Institut in Warschau aufbewahrt. Sie umfasst 1.680 Archivposten mit etwa 25.000 Seiten. Ihre polnische Bezeichnung dort lautet: „Konspiracyjne Archiwum Getta Warszawskiego. Archiwum Emanuela Ringelbluma“. 1999 wurde das Archiv in das Weltdokumentenerbe der UNESCO unter der engl. Bezeichnung Warsaw Ghetto Archives (Emanuel Ringelblum Archives) aufgenommen.

In dem Archiv wurde von Historikern in enger Zusammenarbeit mit dem von den Nationalsozialisten kontrollierten Judenrat alles gesammelt, was das Leben der Gefangenen im von der Besatzungsmacht bezeichneten „Jüdischen Wohnbezirk / Ghetto“ dokumentieren konnte. Daraus sollten künftige Historiker Nutzen ziehen. Auf Grund dieser Materialien wurden auch Berichte für den in Polen aktiven polnischen Untergrund und für die polnische Exilregierung in London verfasst. Insbesondere der Briefwechsel des „Judenrates“ mit den deutschen Behörden war für das Archiv von großer Bedeutung. Marcel Reich-Ranicki schreibt, dass er von allen wichtigeren Briefen und Berichten Kopien anzufertigen und sie einem der Mitarbeiter Ringelblums im Sekretariat des „Judenrates“ auszuhändigen hatte.[1]

Am 22. Juli 1942 begann die Große Aktion genannte Deportation der in Warschau gefangenen Juden in das NS-Vernichtungslager Treblinka. Anfang August sicherten die Mitarbeiter des Untergrundarchivs ihre wertvollen Bestände: Zehn wasserdichte Metallkisten für Dokumente wurden angefertigt und im Keller einer ehemaligen Schule im Ghetto eingemauert. Ein mithelfender 18-jähriger Schüler schrieb noch rasch seinen Lebenslauf und sein Vermächtnis:

„Ich möchte den Augenblick erleben, wenn die Schätze, die wir hier verstecken, ausgegraben werden und die Welt die ganze Wahrheit erfährt. Glücklich, wem das Schicksal diese Leiden erspart hat! Und wir werden uns fühlen wie Veteranen mit Orden auf der Brust, wie die Weisen, die in die Zukunft schauen.“

Nach dem Krieg begannen drei überlebende Mitarbeiter Ringelblums mit der Suche nach dem verborgenen Untergrund-Archiv. Im September 1946 wurden zehn Blechkisten mit 1208 Archivalien tief unter den Trümmern des Hauses wiedergefunden. Im Dezember 1950 wurden bei einer weiteren Suchaktion zwei große Milchkannen mit 484 Archivalien geborgen. Von der dritten Abteilung des Archivs fanden sich an anderer Stelle nur eine Anzahl halbzerstörter Blätter. Der vierte und letzte Teil mit Ringelblums letzten Arbeiten aus den Jahren 1943 und 1944 war noch während des Kriegs bei polnischen Freunden versteckt worden und wurde später an das Museum der Ghettokämpfer im Kibbuz Lochamej haGeta’ot (Israel) abgegeben.

Eine umfassende Edition der Dokumente des Ringelblum-Archivs ist als Buch von Samuel Kassow: Ringelblums Vermächtnis: Das geheime Archiv des Warschauer Ghettos erschienen.[2]

Es gab nur drei Überlebende der Oneg-Shabbat-Gruppe nach der Zerstörung des Ghettos: Rachel Auerbach, Bluma und Hersh Wasser.[3]

Das Münchner NS-Dokumentationszentrum zeigte 2023 in Kooperation mit dem Jüdischen Historischen Institut Emanuel Ringelblum in einer Ausstellung erstmals Zeichnungen, Fotografien, Briefe, Plakate, Zeitungsberichte, NS-Verlautbarungen, Passierscheine, Einladungen zu Kulturveranstaltungen etc. aus dem Ringelblum-Archiv. Der Titel der Ausstellung lautete „'Wichtiger als unser Leben’. Das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos“.[5]

  • Emanuel Ringelblum: Ghetto Warschau. Tagebücher aus dem Chaos. Vorw. Arieh Tartakower. Seewald, Degerloch 1967.
  • Samuel D. Kassow: Ringelblums Vermächtnis: Das geheime Archiv des Warschauer Ghettos. Karl Heinz Siber (Übersetzer). Rowohlt, Reinbek 2010, ISBN 978-3-498-03547-1 (Hier Schreibweise: „Oyneg Shabes“).[6]
  • Joseph Kermish (Hrsg.): To Live with Honor and Die with Honor. Selected Documents from the Warsaw Ghetto Underground Archives Oneg Shabbath. Yad Vashem, Jerusalem 1986.
  • Ruta Sakowska: Die zweite Etappe ist der Tod. NS-Ausrottungspolitik gegen die polnischen Juden, gesehen mit den Augen der Opfer. Ein historischer Essay und ausgewählte Dokumente aus dem Ringelblum-Archiv 1941–1943. Hentrich, Berlin 1993, ISBN 3-89468-077-6.
    • dies.: Menschen im Ghetto. Die jüdische Bevölkerung im besetzten Warschau 1939–1943. Fibre, Osnabrück 1999, ISBN 3-929759-37-3.
    • dies.: Archiwum Ringelbluma. Getto warszawskie lipiec 1942 – styczeń 1943, Warszawa 1980.
    • dies. und Jüdisches Historisches Institut (Warschau) Hg.: Oneg Schabbat. Das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos. Ausstellungskatalog. Text in Deutsch; abgebildete Dokumente auch in Polnisch und Jiddisch. Mit einem Namensverzeichnis. Verlag Arbeit und Leben NRW, Düsseldorf 2003, ISBN 83-85888-72-1.
  • Robert Moses Shapiro & Tadeusz Epsztein: The Warsaw Ghetto Oyneg Shabes – Ringelblum Archive. Catalog and Guide. Indiana University Press 2009. ISBN 978-0-253-35327-6. (Inhaltsverzeichnis online)
  • Yad Vashem (Hrsg.): A Commemorative Symposium in Honour of Dr. Emanuel Ringelblum and His „Oneg Shabbat“ Underground Archives. Jerusalem 1983.
  • Samuel Kassow: Oyneg Shabbes. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Band 4: Ly–Po. Metzler, Stuttgart/Weimar 2013, ISBN 978-3-476-02504-3, S. 464–468.

Einzelnachweise

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  1. Reich-Ranicki: Mein Leben, S. 215f.
  2. Samuel Kassow: Ringelblums Vermächtnis: Das geheime Archiv des Warschauer Ghettos. Karl Heinz Siber (Übersetzer). Rowohlt, Reinbek 2010, ISBN 978-3-498-03547-1.
  3. Laura Jockusch: "Collect and record!" Jewish Holocaust documentation in early postwar Europe. Oxford University Press, 2012. In der englischen WIKIPEDIA gibt es einen ausführlichen Artikel über Rokhel Auerbakh (Rachel Auerbach). Zu weiteren Biographien siehe: Biographien der Oneg-Shabbat-Gruppe.
  4. Informationsseite des Senders arte zur Dokumentation. Der Film enthält Bild- und Film-Archivmaterial über und aus dem deutschen Judenlager in Warschau (meist so genanntes Warschauer Ghetto) und nachgestellte Spielszenen.
  5. Chris Schinke: Ringelblum-Archiv aus Warschauer Ghetto: Vermächtnis in Milchkannen. In: Die Tageszeitung: taz. 5. Juli 2023, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 14. Juli 2023]).
  6. auch als Amazon Kindle lesbar. Auch in Englisch und Französisch verfügbar