Primitiv-rekursive Funktion
Primitiv-rekursive Funktionen sind totale Funktionen, die aus einfachen Grundfunktionen (konstante 0-Funktion, Projektionen auf ein Argument und Nachfolgefunktion) durch Komposition und (primitive) Rekursion gebildet werden können. Die primitive Rekursion lässt sich auf Richard Dedekinds 126. Theorem in Was sind und was sollen die Zahlen? (1888) zurückführen. Die primitiv rekursive Arithmetik geht auf Thoralf Skolem (1923) zurück.[1] Der Begriff primitiv-rekursive Funktion wurde von der ungarischen Mathematikerin Rózsa Péter geprägt. Primitiv-rekursive Funktionen spielen in der Rekursionstheorie, einem Teilgebiet der theoretischen Informatik, eine Rolle. Sie treten im Zusammenhang mit der Explikation des Berechenbarkeitsbegriffs auf.
Alle primitiv-rekursiven Funktionen sind im intuitiven Sinn berechenbar. Sie schöpfen aber nicht alle intuitiv berechenbaren Funktionen aus, Beispiele dafür sind die Ackermannfunktion und die Sudanfunktion, welche beide berechenbar, aber nicht primitiv-rekursiv sind. Eine vollständige Erfassung des Berechenbarkeitsbegriffs gelingt erst durch die µ-rekursiven Funktionen.
Für primitiv-rekursive Funktionen ist es möglich, ein Komplexitätsmaß zu definieren, d. h., es kann die Dauer der Berechnung eines ihrer Funktionswerte vorab ermittelt werden.
Die Klasse der primitiv-rekursiven Funktionen und die der LOOP-berechenbaren (vgl. LOOP-Programm) Funktionen sind äquivalent.
Definition
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Für ein beliebiges ist die k-stellige 0-Funktion definiert durch .
- Für ein beliebiges und ein beliebiges ist die k-stellige Projektion auf den i-ten Parameter definiert durch .
- Die Nachfolgerfunktion ist definiert durch .
- Für beliebige ist die Komposition einer Funktion mit m Funktionen definiert als die Funktion mit .
- Für ein beliebiges ist die primitive Rekursion zweier Funktionen und definiert als die Funktion mit
Die Menge der primitiv-rekursiven Funktionen ist dann definiert als die kleinste Menge, die alle Nullfunktionen, alle Projektionen und die Nachfolgerfunktion enthält und die unter Komposition und primitiver Rekursion abgeschlossen ist. Alltäglicher ausgedrückt heißt das: Eine Funktion ist genau dann primitiv-rekursiv, wenn man sie als Ausdruck mit den genannten Mitteln hinschreiben kann. Bereits als primitiv-rekursiv nachgewiesene Funktionen dürfen in dem Ausdruck vorkommen, denn sie können ja durch Einsetzen ihres Ausdrucks eliminiert werden.
Jede k-stellige primitiv-rekursive Funktion ist insbesondere immer auf ganz definiert. Funktionen mit kleinerem Definitionsbereich müssen erst geeignet auf ganz fortgesetzt werden, damit man primitiv-rekursive Funktionen erhält.
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Addition
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Addition ist rekursiv definiert durch
für alle . Es gilt also , die Addition ist damit primitiv-rekursiv.
Multiplikation
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Multiplikation ist rekursiv über die Addition definiert:
für alle . Die Multiplikation ist primitiv-rekursiv, denn es gilt .
Potenz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Potenz mit der Bedeutung ist rekursiv über die Multiplikation definiert:
für alle . Die Potenz ist primitiv-rekursiv, denn es gilt . Der Kontext hat hierbei den Zweck, die beiden Parameter und miteinander zu vertauschen.
Vorgängerfunktion
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Vorgängerfunktion ist nicht an der Stelle 0 definiert. Sie ist also nicht primitiv-rekursiv. Durch Fortsetzung an der Stelle 0 zum Beispiel mit dem Wert 0 kann man jedoch eine primitiv-rekursive Funktion daraus machen.
Die modifizierte Vorgängerfunktion , definiert durch
für alle ist primitiv-rekursiv, denn es gilt .
Subtraktion
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auch die Subtraktion ist nicht auf allen Paaren natürlicher Zahlen definiert. Man setzt also die Subtraktion durch Auffüllen mit Nullen fort auf ganz . Diese totale Subtraktion kann rekursiv charakterisiert werden durch
für alle . Für die totale Subtraktion gilt ; sie ist also primitiv-rekursiv. Man nennt diese modifizierte Differenz auch arithmetische Differenz.
Weitere Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die zweistelligen Funktionen und sind primitiv rekursiv.
- Die Folge der Primzahlen ist eine primitiv rekursive Funktion.
- Die Funktion, die zu einer natürlichen Zahl und einer Primzahl die Anzahl der Primfaktoren von in ermittelt, ist primitiv rekursiv.
- Es existieren primitiv rekursive Arithmetisierungen endlicher Folgen natürlicher Zahlen.
- Die Ackermannfunktion und die Sudanfunktion sind nicht primitiv rekursiv, aber µ-rekursiv.
- Die Funktion Fleißiger Biber (busy beaver) ist nicht primitiv rekursiv und nicht µ-rekursiv.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hans Hermes: Aufzählbarkeit, Entscheidbarkeit, Berechenbarkeit. 2. Auflage. Springer Berlin, Heidelberg, New York, 1971, ISBN 3-540-05334-4.
- Heinz-Dieter Ebbinghaus, Jörg Flum, Wolfgang Thomas: Einführung in die mathematische Logik. 4. Auflage. Spektrum, Akademischer Verlag, Heidelberg u. a. 1996, ISBN 3-8274-0130-5 (Hochschultaschenbuch).
- Arnold Oberschelp: Rekursionstheorie. BI-Wissenschaftlicher-Verlag, Mannheim u. a. 1993, ISBN 3-411-16171-X.
- Wolfgang Rautenberg: Einführung in die Mathematische Logik. 3. Auflage. Vieweg Teubner, Wiesbaden, ISBN 978-3-8348-0578-2.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Peter Schroeder-Heister, Mathematische Logik II (Gödelsche Unvollständigkeitssätze), Skript, S. 39