Medizinischer Blutegel
Medizinischer Blutegel | ||||||||||||
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Medizinischer Blutegel (Hirudo medicinalis) | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Hirudo medicinalis | ||||||||||||
Linnaeus, 1758 |
Der Medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis), genannt auch Gemeiner Blutegel, ist ein Kieferegel mit drei Chitinkiefern im Schlund und der bekannteste Vertreter der Egel (Hirudinea) bzw. der „Blutegel“. Er wird seit Jahrhunderten zur Behandlung verschiedener Krankheiten verwendet. Wie die meisten Egelarten kommt er im Süßwasser vor. Sein natürliches Verbreitungsgebiet ist Europa, Nordafrika und Kleinasien. Er ist leicht mit dem Mediterranen Medizinischen Blutegel (Hirudo verbana, auch Ungarischer Blutegel genannt) zu verwechseln.[1] Noch häufiger werden die schwarzbraunen, unterseits grünlichen Pferdeegel (Haemopis sanguisuga) irrtümlich für Medizinische Blutegel gehalten: sie erreichen eine ähnliche Größe.
Merkmale und Lebensweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Außerhalb des Wassers bewegt sich der Medizinische Blutegel mit Hilfe zweier Saugnäpfe an den Körperenden fort. Erwachsene Tiere werden ausgestreckt bis zu 15 cm lang, und bei hellem Licht sowie bei einem Vorhandensein von Blut im Egel ist eine Rückenzeichnung zu erkennen. Hirudo medicinalis hat eine bräunliche bis olivgrüne Farbe, sechs meist rötliche Längsstreifen auf dem Rücken und schwarze Flecken auf dem Bauch – im Gegensatz zum Ungarischen Blutegel, dessen Bauchseite einfarbig grün ist. Blutegel sind langlebig: Sie werden erst mit drei Jahren geschlechtsreif und über 30 Jahre alt.
Obwohl Blutegel Zwitter sind, benötigen sie einen Geschlechtspartner, um sich fortzupflanzen. Nach der Paarung werden bis zu 20 Eier außerhalb vom Wasser abgelegt und in Kokons eingesponnen. Nach dem Schlüpfen ernähren sich die jungen Blutegel zunächst von kleinen Wirbellosen, die sie fressen oder aussaugen. Später saugen sie an Fröschen und Fischen, als Erwachsene schließlich an Säugetieren einschließlich des Menschen.
Mit Hilfe von Tastorganen auf der Hautoberfläche werden Blutegel auf potenzielle Beute aufmerksam. Sie nehmen noch aus mehreren Metern Entfernung die Bewegungen im Wasser wahr, wenn sich beispielsweise ein größeres Säugetier im Gewässer befindet. Mit Schlängelbewegungen ihres muskulösen Körpers schwimmen sie schnell und zielsicher auf die Quelle des Reizes zu. Der Blutegel saugt sich an der Haut fest und „sägt“ diese mit Hilfe seiner mit scharfen Calcitzähnchen besetzten drei Kiefer an. Selbst dickes Rinderfell kann in wenigen Sekunden durchdrungen werden. Die zwischen den Kiefern mündenden Speicheldrüsen sondern dabei unter anderem den gerinnungshemmenden Stoff Hirudin ab. Anschließend kann ein Egel in etwa 30 bis 60 Minuten bis zum Fünffachen seines Körpergewichts an Blut saugen.
Der Medizinische Blutegel dickt aufgenommenes Blut noch während des Saugens ein; das Wasser wird über die Haut ausgeschieden. Nach Erreichen der Sättigung fällt das Tier von selbst von seinem Wirt ab. Das gesaugte Blut wird im Körper des Egels mit Hilfe von speziellen Darmbakterien konserviert, der Blutegel muss danach bis zu ein Jahr lang keine Nahrung mehr aufnehmen.
Medizinische Verwendung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Blutegel werden seit Jahrhunderten zur Blutentziehung (vergleiche Aderlass) verwendet. Dies soll(te) einerseits zur „Entgiftung“ beitragen, während gleichzeitig die im Speichel des Egels enthaltenen Substanzen blutgerinnungshemmend, aber auch antithrombotisch, gefäßkrampflösend und lymphstrombeschleunigend wirken. Diese Effekte werden insbesondere dem 1884 entdeckten und 1903 aus den Speicheldrüsen von Blutegeln isolierten Hirudin[2] zugeschrieben, das sich mit dem Thrombin des Wirtsblutes verbindet. Eine medizinische Indikation ist daher vor allem bei Thrombosen und Venenentzündungen gegeben. Das Polypeptid Eglin kann Entzündungen und Schmerzen lindern (z. B. bei Arthrose). Blutegel können beispielsweise die mit der Gelenkentzündung (Arthritis) einhergehenden Schmerzen im Fingergelenk deutlich lindern.[3] Die Wirkung weiterer Inhaltsstoffe des Egel-Speichels sind:[4]
- Hirudin: Hemmung der Blutgerinnung (Thrombinhemmstoff)
- Calin: kollagenvermittelte Gerinnungshemmung, die für eine Nachblutung sorgt; die Nachblutung fördert die Wundreinigung[5]
- Eglin C: Gerinnungs- und Entzündungshemmung
- Bdellin: Gerinnungshemmung
- Apyrase: Hemmung der Thrombozytenaggregation
- Hyaluronidase (Orgelase): Abbau von Hyaluronsäure
- Histaminähnliche Substanz
In Deutschland sind medizinische Blutegel über Apotheken zu beziehen.
Für die Herstellung von Sportsalben, welche Hirudin als Wirkstoff verwenden, wird der Speichel von Blutegeln verwendet; darüber hinaus gibt es entsprechende Pflege-Kosmetika zur Förderung der Hautdurchblutung. Der Speichel wird gewonnen, ohne die Tiere zu töten.
In der traditionellen ayurvedischen Medizin Indiens werden die Egel nach dem Saugen mit Kurkumapulver in Kontakt gebracht, was einen Brechreiz beim Egel auslöst. Das vorher aufgenommene Blut wird nahezu vollständig ausgeworfen, der Egel ist nach wenigen Tagen wieder bereit für eine Behandlung. Das Infektionsrisiko der Wiederverwendung scheint gering zu sein.[6]
Gefährdung und Artenschutz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Durch den vermehrten Einsatz Medizinischer Blutegel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die natürlichen Blutegelbestände stark dezimiert. Mittlerweile ist die Art in Europa nur noch in wenigen Gebieten in ihrer natürlichen Umgebung zu finden. Lebensräume sind vor allem eutrophe, schlammige Stillgewässer mit reicher Verkrautung aus submersen Makrophyten (Wasserpflanzen). Hirudo medicinalis steht in Deutschland, der Schweiz, Frankreich und weiteren Ländern Europas unter Naturschutz. Ohne CITES-Bewilligung dürfen Wildegel nicht gesammelt werden.[7]
Seit über 10 Jahren werden Blutegel für medizinische Zwecke in Deutschland gezüchtet und über Apotheken vertrieben. Hierdurch wird sowohl der Bestand geschützt, als auch die Qualität der medizinischen Blutegel sichergestellt. In Deutschland werden die medizinischen Blutegel als Fertigarzneimittel eingestuft.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Mark Benecke: Zucht und Biologie des Medizinischen Blutegels. In: Die Aquarien- und Terrarienzeitschrift. Jahrgang 48, 1995, S. 168–171 (benecke.com [PDF]).
- J. Malcolm Elliott, Ulrich Kutschera: Medicinal leeches: historical use, ecology, genetics and conservation. In: Freshwater Reviews. Band 4, Nr. 1, 2011, S. 21–41, ISSN 1755-084X, doi:10.1608/FRJ-4.1.417; (hirudinea-lamarck1818.com PDF, 1,6 MB).
- Wolfgang Engelhardt: Was lebt in Tümpel, Bach und Weiher? Pflanzen und Tiere unserer Gewässer in Farbe. Eine Einführung in die Lehre vom Leben der Binnengewässer. 12. Auflage. Franckh, Stuttgart 1986, ISBN 3-440-05444-6.
- Konrad Herter: Der medizinische Blutegel und seine Verwandten (= Die Neue Brehm-Bücherei. Band 381). A. Ziemsen Verlag, Wittenberg Lutherstadt 1968, ISSN 0138-1423.
- Fritz Jauker, Wolfgang Clauss: Blutsauger in der Forschung: Hirudo medicinalis. In: Biologie in unserer Zeit. Band 33, Nr. 1, 2003, S. 29–35, doi:10.1002/biuz.200395005.
- Joseph Johann Knolz: Naturhistorische Abhandlung über die Blutegel, und ihren medicinischen Gebrauch. Heubner, Wien 1820, (urn:nbn:de:hbz:061:2-10118).
- Lexikon der Biologie. Band 4: Gehölze bis Kasugamycin. Herder, Freiburg (Breisgau) u. a. 1985, ISBN 3-451-19644-1, S. 238 f.
- Blutegel. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage. Band 3: Bismarck-Archipel–Chemnitz. Bibliographisches Institut, Leipzig / Wien 1905, S. 88–89 (zeno.org).
- Karl A. F. Otto: Der medicinische Blutegel. Voigt, Weimar u. a. 1835, (Digitalisat).
- Stefan Schorn, Monika Schorn: Blutsauger als Heimtier und Heilmittel. Hrsg.: Mark Benecke. Eygennutz, Hamm 2020, ISBN 978-3-946643-09-8 (Seite zum Buch).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hirudo medicinalis in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN 2013.2. Eingestellt von: World Conservation Monitoring Centre, 1996. Abgerufen am 26. März 2014.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Ulrich Kutschera: The Hirudo medicinalis species complex. In: Naturwissenschaften. Band 99, Nr. 5, 2012, S. 433–434, doi:10.1007/s00114-012-0906-4; hirudinea-lamarck1818.com (PDF; 114 kB).
- ↑ Axel W. Bauer: Antikoagulantium. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 71 f.
- ↑ Andreas Michalsen, Rainer Lüdtke, Özgür Cesur, Dani Afra, Frauke Musial, Marcus Baecker, Matthias Fink, Gustav J. Dobos: Effectiveness of leech therapy in women with symptomatic arthrosis of the first carpometacarpal joint: A randomized controlled trial. In: Pain, Band 137, Nr. 2, 2008, S. 452–459, doi:10.1016/j.pain.2008.03.012.
- ↑ pharmazeutische-zeitung.de
- ↑ R. Munro, C. P. Jones, R. T. Sawyer: Calin–a platelet adhesion inhibitor from the saliva of the medicinal leech. In: Blood coagulation & fibrinolysis: an international journal in haemostasis and thrombosis. Band 2, Nummer 1, Februar 1991, S. 179–184, PMID 1772988.
- ↑ Vijaykumar S. Mane, Pradeep S. Shindhe, Giridhar Vedantam, Harsha D. Pednekar, Ramesh Killedar: An Analytical Study to Evaluate the Safety of Reusing of the Vomited Leech in Leech Therapy: A Pilot Study. In: Indian Journal of Ayurveda and Integrative Medicine KLEU. Band 2, Nr. 1, Juni 2021, ISSN 2772-6010, S. 13, doi:10.4103/ijaim.ijaim_5_21 (lww.com [abgerufen am 22. August 2024]).
- ↑ Hirudo medicinalis. WISIA.de, Wissenschaftliches Informationssystem zum Internationalen Artenschutz des Bundesamts für Naturschutz (Suchbegriff Hirudo medicinalis in Suchmaske eingeben)