Johannes Boie
Johannes Boie (* 6. Dezember 1983 in Calw) ist ein deutscher Journalist und Unternehmensgründer. Von 2019 bis 2021 war er Chefredakteur der Welt am Sonntag, von 2021 bis 2023 leitete er als Vorsitzender der Chefredaktion die Zeitung Bild, bis die gesamte Chefredaktion durch den Axel-Springer-Verlag am 16. März 2023 abgesetzt wurde. Seit November 2024 schreibt er als freier Autor für die Deutschland-Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung.
Leben und Karriere
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Boie wurde 1983 in Calw geboren und wuchs in einer nahegelegenen Gemeinde im Nordschwarzwald auf.[1][2][3] Von 2004 bis 2005 arbeitete er als Werbetexter bei der Werbeagentur BBDO in Berlin. Er studierte von 2005 bis 2008 Geschichte an der FU Berlin. Ab 2005 arbeitete Boie als freier Journalist für die Berliner Zeitung, Der Tagesspiegel, die Jüdische Allgemeine und Spiegel Online.[4] Nach Abschluss seines Studiums war Boie zunächst Volontär, später Reporter und Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung.[5] Nach seinem Volontariat absolvierte er eine Arthur F. Burns Fellowship, mit der er 2010 als Gastredakteur bei der Los Angeles Times arbeitete[6] und dort zur digitalen Transformation sowie zum Thema Gangs in Los Angeles[7] recherchierte.
Als Reporter und Autor der Süddeutschen Zeitung schrieb er vorwiegend für das Feuilleton, wo er für die Bereiche Neue Medien und Netzpolitik verantwortlich war.[8] Zeitweise betrieb er den Blog Schaltzentrale über die Schnittstellen zwischen Medien und Politik der Süddeutschen Zeitung.[8] 2010 zählte ihn das Medium Magazin zu den dreißg wichtigsten bis 30-jährigen deutschen Journalisten.[4] Zusammen mit Fabian Heckenberger entwickelte und leitete er ab 2011 die digitale Ausgabe der SZ.[9] Später war er maßgeblich an der Entwicklung eines Bezahlinhalte-Modells für die SZ beteiligt.[10][5][11] Von 2015 bis 2016 absolvierte er einen MBA-Studiengang an der Technischen Universität München.[12]
Im Jahr 2016 veröffentlichte Johannes Boie im Magazin der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel Arzt ohne Grenzen[13] eine 16-seitige[14] Recherche über eine wissenschaftliche Studie des Mediziners Christoph Klein: Von neun Kindern, die an der Studie teilgenommen hatten, waren acht an Leukämie erkrankt und drei gestorben. Der vielbeachtete Artikel führte zu einem Rechtsstreit zwischen Klein und dem SZ-Magazin. Fünf Aussagen aus dem Text dürfen nach einem Urteil des Landgerichts Hamburg[15] nicht mehr verbreitet werden – an der grundsätzlichen Darstellung halten Boie und das SZ-Magazin allerdings fest.[13] Eine von der Ludwigs-Maximilians-Universität München eingerichtete Kommission[16] entlastete im Juli 2017 den Arzt: Die Leukämien seien zwar eine Folge der experimentellen Behandlung gewesen, die Untersuchung habe allerdings „kein Anhalt für ein wissenschaftliches, ärztliches, rechtliches oder ethisches Fehlverhalten“ Kleins ergeben.[17]
Ab Februar 2017 übernahm er für zwei Jahre die Funktion als Chief of Staff des Vorstandsvorsitzenden von Axel Springer, Mathias Döpfner.[5] Im Januar 2019 gründete Boie ein Start-up, das Konferenzen von Führungskräften einfacher organisierbar machen soll.[18]
Ab 2019 war Boie Chefredakteur der Welt am Sonntag und damit auch stellvertretender Chefredakteur der Welt-Gruppe.[19] Er baute dort das redaktionelle Angebot an Newslettern aus und gründete die Konferenz Better Future[20], die sich mit Themen wie Klimawandel[21], Frauenförderung[22] und Nachhaltigkeit[23] befasste. Als Chefredakteur restrukturierte Boie die Redaktion der Welt am Sonntag[24] und führte den Samstag als zusätzlichen, vorgezogenen Verkaufstag ein – gleichzeitig wurde die Samstagsausgabe der Zeitung Die Welt eingestellt.[25] Als Kolumnisten holte Boie unter anderem Jan Fleischhauer, Friedrich Merz, der damals kein politisches Amt innehatte, und den Hongkonger Dissidenten Joshua Wong zur Welt am Sonntag.
Im Januar 2021 machte Boie Äußerungen des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow bei einem Auftritt auf der Audioplattform Clubhouse öffentlich. Ramelow hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel despektierlich als „Merkelchen“ bezeichnet und angegeben, während einer Ministerpräsidentenkonferenz zur Corona-Ausgangssperre das Spiel Candy Crush auf seinem Handy gespielt zu haben. In zahlreichen Medien wurde der Vorgang als „Candy-Crush-Affäre“ bezeichnet.[26]
Nach Julian Reichelts Entlassung als Vorsitzender der Bild-Chefredaktion wurde Boie am 18. Oktober 2021 dessen Nachfolger.[27]
Im Dezember 2022 gab der Verlag Axel Springer bekannt, dass künftig Robert Schneider als gleichberechtigter Chefredakteur mit Boie die Bildzeitung leiten werde.[28] Im März 2023 wurden schließlich die drei bisherigen Chefredakteure Boie, Claus Strunz und Alexandra Würzbach überraschend abberufen. Über die Gründe für den Austausch der Chefredaktion ist wenig bekannt. Berichtet wurde von Verwerfungen zwischen Boie, Strunz und Würzbach, die selbst erst wenige Minuten vor der Bekanntgabe davon erfahren hätten.[29] In der Berichterstattung wurde spekuliert, Boie sei an alten, mächtigen Netzwerken gescheitert[18] und habe „mit dem Boulevard gefremdelt“[30]. Die FAZ resümierte, dass der Springer Verlag binnen weniger Jahre „auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau des Boulevardjournalismus drei ganz unterschiedliche ‚Bild‘-Chefredakteure verschlissen“ habe.[31]
Im August 2023 wurde bekannt, dass Boies bereits im Jahr 2019 gegründetes Start-up in einer ersten Finanzierungsrunde Risikokapital in Höhe von einer Million Euro von privaten Investoren gewonnen hat. Die Firma entwickelte ein Tool, um Meetings auf Vorstands- und Aufsichtsratsebene von Konzernen effizienter zu organisieren. Zu den Kunden gehören nach eigenen Angaben Unternehmen wie Würth, E.ON, Henkel oder Bosch.[18]
Seit November 2024 schreibt Boie als freier Autor für die Deutschland-Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung.[32]
Rezeption und Kritik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als Bild-Chef wurde Johannes Boie nach Ansicht von Beobachtern bewusst als Gegenpart zum scharf in der Kritik stehenden Julian Reichelt installiert („Der Anti-Reichelt“)[8], mit der Aufgabe, in der Redaktion für Ruhe und für einen Kulturwandel zu sorgen.[33] In Interviews zum Amtsantritt sagte er, werde „keinen Machtmissbrauch“ dulden, „eine Kultur des Respekts“ stärken und besseren Journalismus fördern.[10]
Dies ist ihm nach Ansicht von Kommentatoren zumindest vorübergehend gelungen. Positiv bemerkt wurde seine Personalpolitik: Kurz nach Amtsantritt holte er zwei Frauen in die Chefredaktion.[34] Der Spiegel attestierte, unter Boie würden „wieder mehr Recherchen statt Predigten des Chefredakteurs“[8] gedruckt, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hieß es, die Bildzeitung sei unter ihm „nicht mehr ganz so krachledern aufgetreten“, außerdem habe Boie eine Abteilung für investigative Recherche aufgebaut.[35] Auch das konservative Magazin Cicero zitierte Mitarbeiter der Bild, die von einer deutlich verbesserten Atmosphäre unter Boie berichteten.[36]
Im November 2022 verfasste die Nachrichtenagentur AP eine Meldung, dass in Polen ein russischer Marschflugkörper eingeschlagen sei. Dabei berief AP sich auf eine einen ungenannten, inoffiziellen, hohen US-Geheimdienstvertreter. Die Meldung stellte sich am selben Abend als Falschmeldung heraus. In Wahrheit hatte es sich um eine fehlgeleitete ukrainische Flugabwehrrakete gehandelt. Der AP-Reporter, der sie verfasst hatte, wurde später entlassen.[37] Auch die Bild-Zeitung brachte die Falschmeldung online – und noch am nächsten Tag in einem Teil der Auflage auf der Titelseite. Darin stellte Boie in einem Kommentar den nicht zutreffenden russischen Beschuss als Tatsachenbehauptung auf: „Die russische Armee hat Polen bombardiert“. Auch forderte er auf Bild TV eine Reaktion der NATO. Boie wurde scharf in Branchenmedien kritisiert, Medieninsider schrieb: „Boie verstieß gegen sein selbst aufgestelltes Gebot, Recherche vor These zu stellen – und verzichtet bis jetzt auf Konsequenzen“. Eine Führungskraft der Bild-Redaktion kritisierte gegenüber dem Branchenmagazin, Bois’ Kommentar verbreite Fake News.[38][39]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Johannes Boie im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
- Anton Rainer: Der Anti-Reichelt. In: Der Spiegel 43/2022 auf Spiegel.de. 21. Oktober 2022.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Internetauftritt von Johannes Boie
- Beiträge von Johannes Boie für das Süddeutsche Zeitung Magazin
- Johannes Boie bei IMDb
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Johannes Boie im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
- ↑ Ulrike Simon: Chefredakteur Johannes Boie über die Welt am Sonntag: „Hier wird investiert. Dafür stehe ich“. In: horizont.net. 28. Februar 2020, abgerufen am 19. Oktober 2021.
- ↑ Daniel Streib: Mit Julian Reichelt am Stammtisch: Ex-Bild-Chef ist jetzt YouTuber. In: bnn.de. 21. Juli 2022, abgerufen am 18. November 2022.
- ↑ a b Die Top 30 bis 30 des Jahres 2010 – medium magazin. Abgerufen am 12. Januar 2020.
- ↑ a b c Horizont: Neuer Job für Peter Huth: Springer macht 35-jährigen Johannes Boie zum Chefredakteur der „Welt am Sonntag“. In: horizont.net. 29. Januar 2019, abgerufen am 18. Oktober 2021.
- ↑ Johannes Boie. In: DIE WELT. 11. Juli 2019 (welt.de [abgerufen am 28. März 2020]).
- ↑ Christian Wickert: Gang in Los Angeles. In: criminologia.de. Abgerufen am 13. Mai 2024.
- ↑ a b c d Anton Rainer: Der Anti-Reichelt. In: spiegel.de. 21. Oktober 2022, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Wer die Süddeutsche Zeitung mag, wird diese App lieben. In: sueddeutsche.de. 28. Oktober 2011, abgerufen am 7. März 2024.Impressum. In: Digitale Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. 7. März 2015, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ a b Caspar Busse, Claudia Tieschky: "Kein Millimeter Machtmissbrauch". In: sueddeutsche.de. 27. Oktober 2021, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Melanie Ahlemeier, Anna Clauß, Alexander Kühn, Gunther Latsch: (S ) Johannes Boie: Wie tickt der neue »Bild«-Chefredakteur? In: Der Spiegel. 21. Oktober 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 31. August 2022]).
- ↑ Johannes Boie. In: LinkedIn. Ehemals im ; abgerufen am 12. Januar 2020. (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven) (nicht mehr online verfügbar)
- ↑ a b Johannes Boie: Arzt ohne Grenzen. In: SZ-Magazin. 19. Juli 2016, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Süddeutsche Zeitung Magazin Nr. 16/2016, 22. April 2016, Seite 16–31
- ↑ LG Hamburg AZ 324 O 268/16
- ↑ Christina Berndt, Heiner Effern, Christian Krügel und Sebastian Krass,: Universität untersucht Vorwürfe gegen Direktor der Haunerschen Kinderklinik. In: Süddeutsche Zeitung. 22. April 2016, abgerufen am 19. Mai 2024.
- ↑ Tod dreier Kinder nach Studie: Kommission entlastet Arzt. In: Deutsches Ärzteblatt. 17. Juli 2017, abgerufen am 19. Mai 2024.
- ↑ a b c Handelsblatt. Abgerufen am 9. Februar 2024.
- ↑ Axel Springer baut die Spitze der „Welt“-Gruppe um, Handelsblatt, 29. Januar 2019.
- ↑ Welt am Sonntag: mehr als eine Zeitung. Pressemitteilung:. In: axelspringer.com. Abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Ayhan Bakirdögen: Harte Zeiten im nicht mehr ewigen Eis. In: welt.de (Welt am Sonntag). 26. April 2021, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Uwe Sauerwein: Bereit sein, diese Welt mitzugestalten. In: welt.de (Welt am Sonntag). 26. November 2020, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Johannes Boie: Nachhaltigkeit - Eine gewaltige Herausforderung für uns alle. In: welt.de (Welt am Sonntag). 27. April 2021, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ "Welt am Sonntag" mit neuer Blattstruktur: "Focus"-Kolumnist Jan Fleischhauer schreibt für Sonntagszeitung. In: meedia.de. 28. Oktober 2019, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ "Welt" stellt Print-Strategie um – und streicht bisherige Samstagsausgabe. In: meedia.de. 13. Juli 2021, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ In wilder Nacht faz.net, 25. Januar 2021.
- ↑ Nach neuen Erkenntnissen: Axel Springer entbindet Julian Reichelt von seinen Aufgaben. In: axelspringer.com. 18. Oktober 2021, abgerufen am 18. Oktober 2021.
- ↑ Harald Hordych und Cornelius Pollmer: Neuer Chefredakteur bei "Bild". In: Süddeutsche Zeitung. 2. Dezember 2022, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Nur Minuten vor der Verkündung erfuhren die „Bild“-Chefs von ihrem Rauswurf. In: Focus online. 17. März 2023, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Alexander Kissler: Sturm auf der Kommandobrücke: Die «Bild»-Zeitung bekommt eine neue Führung. In: Neue Zürcher Zeitung. 16. März 2023, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Michael Hanfeld: Alle raus jetzt Springer rasiert die "Bild"-Chefredaktion, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. März 2023, Seite 15.
- ↑ Johannes Boie wird freier Autor. In: Persoenlich.com, 30. Oktober 2024.
- ↑ Wer im Glashaus sitzt. In: taz.de. Abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Zwei Frauen werden Mitglieder der "Bild"-Chefredaktion. In: Zeit Online. 1. November 2021, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Michael Hanfeld: Bei Springer sind jetzt alle raus. In: FAZ. Abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Ben Krischke und Alexander Marguier: Bild. Macht. Schlagzeilen. In: Cicero. 17. März 2023, abgerufen am 7. März 2024.
- ↑ Falschmeldung nach Raketeneinschlag in Polen: Associated Press entlässt Mitarbeiter RND, 22. November 2022.
- ↑ Marvin Schade: Raketen-Einschlag in Polen: Bild-Chef Johannes Boie im Eifer des Gefechts • Medieninsider. In: Medieninsider. 17. November 2022, abgerufen am 18. März 2023.
- ↑ “Bild” und “die unwahrscheinliche dritte Möglichkeit” — BILDblog. Abgerufen am 18. März 2023.
Personendaten | |
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NAME | Boie, Johannes |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Journalist |
GEBURTSDATUM | 6. Dezember 1983 |
GEBURTSORT | Calw |