Deadnaming

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Deadname ([ˈdɛdneɪ̯m]; englisch für „toter Name“) bezeichnet bei einer Person, die einen neuen Vornamen angenommen hat, den alten, von der betreffenden Person nicht mehr verwendeten Vornamen. Dies ist üblicherweise bei Transgender- und nichtbinären Personen der Fall.[1][2]

Deadnaming („den toten Namen nennen“) bezeichnet die Verwendung des Deadnames einer Person. Dies kann unabsichtlich geschehen, etwa weil der Sprecher noch nicht von der Namensänderung weiß oder sich noch nicht daran gewöhnt hat, oder auch in der transfeindlichen Absicht eines Sprechers, den gewählten Namen der Person nicht anzuerkennen (und damit möglicherweise auch nicht ihr Geschlecht/Gender). Betroffene Personen empfinden es in der Regel – unabhängig von der Absicht – verletzend und belastend, mit dem Deadname in Verbindung gebracht zu werden und ihn zu hören.[1][3][4][5][6] Deadnaming wird als eine Form des Misgenderns angesehen.[7]

Menschen erhalten bei der Geburt einen oder mehrere individuelle Vornamen, die in der Regel auf ein bestimmtes Geschlecht hinweisen. So wird etwa ein als männlich geltender Vorname für ein Kind verwendet, das auch dem männlichen Geschlecht zugeordnet wird. Weil bei trans Personen die eigene Geschlechtsidentität nicht zu dem Geschlecht, dem sie zugeordnet worden sind, passt, was von ihnen als unangenehm empfunden wird, halten sie häufig den ihnen bei Geburt zugewiesenen Vornamen für unpassend und ersetzen ihn durch einen neugewählten Vornamen.[8]

Sie ziehen es in der Regel vor, wenn nur noch der neue selbstgewählte Name verwendet wird, und zwar auch in Bezug auf die Vergangenheit, in der die Person den Deadname noch nicht abgelegt hatte. Lebt die Person bereits lange in der ihrer Identität entsprechenden Geschlechtsrolle und hat sich äußerlich angepasst, kann Deadnaming auch ein Fremd-Outing bedeuten, indem andere erst dadurch erfahren, dass die betroffene Person transgender ist.[9]

Es gibt aber auch Transsexuelle, die ihren früheren Namen behalten, etwa der deutsche Pastor Ines-Paul Baumann, der seinen Namen Ines behielt und um Paul ergänzte.[10]

Den abgelegten Deadname zu hören, kann Gefühle von Angst, Gender-Dysphorie und einem Fehlen an Akzeptanz und an Sicherheit auslösen. Durch Verwendung des Deadnames gegenüber Personen geoutet zu werden, ist auch potenziell gefährlich, wenn diese möglicherweise mit Belästigung, Diskriminierung oder Gewalt reagieren. Abbie Goldberg, Professorin für Genderfragen und Psychologie, erklärt: „Menschen, die mit ihrem Deadname angesprochen werden, insbesondere von Freunden oder Nahestehenden, können dies als Signal erfahren, dass diese Person sie nicht respektiert, unterstützt oder nicht genug ernst nimmt, um sich die Mühe zu geben, den richtigen Namen zu verwenden. Das Ergebnis kann ein Gefühl tiefgreifender Entwertung sein und ist mindestens invasiv und unerwünscht.“ Sich auf diese Weise mit dem Deadname befassen zu müssen, kann daher zu chronischem Stress, Depressionen, niedrigem Selbstwertgefühl und Suizidgedanken führen.[11]

Die Verwendung des selbstgewählten Namens wiederum verbessere gemäß einer 2018 im Journal of Adolescent Health veröffentlichten Studie an Transgender-Jugendlichen die psychische Gesundheit der Angesprochenen, indem depressive Symptome und Suizidalität reduziert werden.[12]

Nachrichten/Zeitungen

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Die meisten Menschen, die nicht selbst transgender sind, kommen mit dem Thema erst und hauptsächlich durch die Medien in Berührung, insbesondere wenn über Coming-outs von Prominenten berichtet wird. So erreichte die Bezeichnung Deadnaming erstmals öffentliche Aufmerksamkeit nach dem Coming-out von Caitlyn Jenner im Jahr 2015, als viele Zeitungen und Online-Medien noch den früheren Namen erwähnten.[2][13] 2020 wurden Medien in den USA und auch in Deutschland für Deadnaming in Bezug auf Elliot Page kritisiert[9][14] und andere gelobt, die den Deadname ausgelassen hatten.[15] LGBT-Verbände gaben Schreibratgeber zu Transgender-Themen heraus; so schreibt die Trans Journalists Association in ihrem Styleguide, es gebe niemals einen Grund, den Deadname einer Person in einem Artikel zu veröffentlichen, und Journalisten sollten unterlassen, nach dieser Information zu fragen.[16] Nach dem Tod der US-amerikanischen Transgender-Aktivistin Aimee Stephens im Mai 2020 führte die Kritik am Deadnaming in Nachrufen der größten Zeitungen dazu, dass beispielsweise die New York Times und die Associated Press ihre Artikel änderten und im Nachhinein Stephens’ Geburtsnamen entfernten und sich ihre Herausgeber für das Deadnaming entschuldigten.[17][18]

Ein besonderes Problem in den USA ist Deadnaming in Berichten über ermordete trans Personen als Folge von Deadnaming durch die Polizei.[19] Laverne Cox kritisierte dies 2018 scharf als doppelte Ungerechtigkeit.[20] Laut einem im August 2018 von ProPublica veröffentlichten Bericht wurden seit Januar 2015 in 74 von 85 Mordfällen an trans Personen diese durch die Polizei mit ihrem Deadname und falschem Geschlecht identifiziert.[21] Im November 2020 berichtete Media Matters, in dem Jahr seien bis dahin zwei Drittel der Opfer transfeindlicher Gewalt von Nachrichtenplattformen mit ihrem falschen Namen oder Geschlecht bezeichnet worden.[22]

In Deutschland kritisierten beispielsweise der Autor Linus Giese Berichte, die Chelsea Manning deadnamen,[23] sowie das Onlinemagazin für Medienkritik Übermedien Zeitungen und Magazine, die häufig bereits in der Überschrift oder dem ersten Absatz den Deadname einer transgender Personen mitnennen.[24]

Im Oktober 2018 ergänzte die Social-Media-Plattform Twitter ihre Nutzungsregeln mit einem Verbot von Deadnaming und Misgendering.[25] Ein Jahr später merkten Betroffene an, das Verbot sei ineffektiv und kaum durchgesetzt.[26] Die Internet Movie Database änderte im August 2019 ihre Regeln nach Vorwürfen durch transgender Schauspieler dahingehend, dass der Geburtsname entfernt werden darf.[27]

Die Kaffeehauskette Starbucks veröffentlichte im Februar 2020 in Großbritannien einen Werbespot zu Deadnaming, für den sie mit dem Diversity in Advertising Award von Channel 4 ausgezeichnet wurde.[3]

Vereinigtes Königreich

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Als erster britischer Deadnaming-Rechtsfall gilt die Anzeige der Anwältin und trans Frau Stephanie Hayden gegen den Drehbuchautor Graham Linehan, nachdem er sie im September 2018 auf Twitter unter anderem mit ihrem männlichen Geburtsnamen bezeichnete. Hayden sagte, sein Handeln verursache ihr Leiden und sei ein grober Affront gegen ihre Würde als Frau. Linehan erhielt von der Polizei eine Verwarnung wegen verbaler Belästigung und soll Hayden nicht mehr kontaktieren.[28]

Das deutsche Transsexuellengesetz enthält zwar ein Offenbarungsverbot, dass der frühere Name nicht offenbart und ausgeforscht werden darf, ist allerdings nicht strafbewehrt. Im Juli 2020 zeigte die baden-württembergische Grünen-Politikerin und Transfrau Maike Pfuderer den Parteikollegen Boris Palmer wegen Beleidigung an, nachdem er sie auf Facebook mit dem Pronomen „ihn“ bezeichnete und ihren früheren Namen verwendete, was sie als bewusste Provokation und Teil einer Strategie zur Diskursverschiebung ansah.[29] Im August erging die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Tübingen, das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts einzustellen. Seine Äußerungen mögen taktlos und unhöflich sein, aber würden nicht die Grenze einer strafbaren Handlung erreichen. Pfuderer bezeichnet das deutsche Transsexuellengesetz als „zahnloser Tiger. Es hilft nicht, wenn wir Rechte, aber keinen Rechtsschutz haben.“ Sie will auf Bundesebene erreichen, dass Deadnaming künftig unter Strafe gestellt wird.[30]

Im April 2021 klagte eine trans Frau aus Waltrop beim Amtsgericht Recklinghausen auf Unterlassung gegen ihren ehemaligen Nachbarn, der sie wiederholt und öffentlich durch Deadnaming lächerlich gemacht habe. Ihr Anwalt erklärte: „Juristisch sieht es so aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht meiner Mandantin einen Anspruch darauf verleiht, bei ihrem richtigen, weiblichen Vornamen genannt zu werden. Denn niemand muss es sich gefallen lassen, beim falschen Geschlechtervornamen genannt zu werden.“[31] Das Amtsgericht untersagte die Benutzung des Deadnames und drohte ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro an.[32]

Einzelnachweise

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  1. a b Worteintrag: Deadname. In: Queer Lexikon. 31. August 2020, abgerufen am 11. Dezember 2020.
  2. a b Worteintrag: Deadname. In: Pop Culture Dictionary. Abgerufen am 11. Dezember 2020 (englisch).
  3. a b Saskia Hödl: Starbucks-Werbespot über „Deadnaming“: Sag meinen Namen. In: taz.de. 6. Februar 2020, abgerufen am 1. Mai 2021.
  4. Linus Giese: Was ist eigentlich ein Deadname? In: Ich bin’s, Linus. Blog, 24. April 2018, abgerufen am 11. Dezember 2020.
  5. Tamás Jules Fütty, Marek Sancho Höhne, Eric Llaveria Caselles: Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf: Bedarfe und Umsetzungsmöglichkeiten von Antidiskriminierung für Arbeitgeber_innen. Herausgegeben von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Berlin, November 2020, S. 52, Fußnote 31 (beauftragte Studie zu Geschlechterdiversen; Downloadseite); Zitat: „Deadnaming: Die wiederholte oder absichtlich verletzende Verwendung des Geburtsvornamens oder amtlich eingetragenen Vornamens, wenn dieser dem selbstbestimmten Vornamen nicht entspricht.“
  6. Netzwerk Geschlechtliche Vielfalt Trans* NRW: Deadname / alter Name. In: NGVT.nrw. 2019, abgerufen am 11. Dezember 2020 (gefördert vom NRW-Familienministerium).
  7. Sonny Nordmarken: Misgendering. In: Abbie E. Goldberg, Genny Beemyn (Hrsg.): The SAGE Encyclopedia of Trans Studies. SAGE, Thousand Oaks 2021, ISBN 978-1-5443-9381-0, S. 639-540, doi:10.4135/9781544393858 (sagepub.com [abgerufen am 18. Dezember 2022]).
  8. Maggie O’Neill: What Does It Mean to “Deadname” Someone? Here’s How It Affects the Transgender Community. In: Health.com. 28. Juli 2020, abgerufen am 7. Januar 2022 (englisch).
  9. a b Kalle Hümpfner (Bundesverband Trans*) im Gespräch: Deadnaming ist „…eine massive Verletzung“. In: Deutsche Welle. 8. Dezember 2020, abgerufen am 11. Dezember 2020 („In Berichten über Schauspieler Elliot Page erwähnen Medien auch den alten Namen. Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* erklärt, warum das ein Problem ist“).
  10. Transgender-Bischof war früher eine Frau: Ines-Paul Baumann kämpft für eine offenere Kirche. Abgerufen am 1. April 2022.
  11. Andrea Rice: Deadnaming: How Using the Wrong Name Can Affect Mental Health. In: Psych Central. 15. November 2021, abgerufen am 19. Februar 2023 (englisch).
  12. Stephen T. Russell, Amanda M. Pollitt, Gu Li, Arnold H. Grossman: Chosen Name Use Is Linked to Reduced Depressive Symptoms, Suicidal Ideation, and Suicidal Behavior Among Transgender Youth. In: Journal of Adolescent Health. Band 63, Nr. 4, 1. Oktober 2018, S. 503–505 (Zusammenfassung mit Download-Link [PDF]).
  13. Meredith Ramirez Talusan: What ‘deadnaming' means, and why you shouldn’t do it to Caitlyn Jenner. In: Splinter. 6. April 2015, abgerufen am 11. Dezember 2020.
  14. Samson Amore und Lindsey Ellefson: LGBTQ Organizations Urge Media to Stop “Deadnaming” Transgender Stars After Elliot Page Comes Out. In: The Wrap. 1. Dezember 2020, abgerufen am 11. Dezember 2020.
  15. Oliver C. Haug: Elliot Page: What the Media Got Right. In: Ms. 4. Dezember 2020, abgerufen am 13. Dezember 2020.
  16. Trans Journalists Association: Style Guide. Abgerufen am 13. Dezember 2020.
  17. Nico Lang: Aimee Stephens Died Fighting for Trans Rights. Reports Still Deadnamed Her. In: Vice. 13. Mai 2020, abgerufen am 15. Dezember 2020.
  18. Tim Fitzsimons: News sites backtrack after 'deadnaming' transgender woman in obituary. In: NBC News. 15. Mai 2020, abgerufen am 15. Dezember 2020.
  19. Sam Riedel: Deadnaming A Trans Person Is Violence – So Why Does The Media Do It Anyway? In: Huffpost. 17. März 2017, abgerufen am 11. Dezember 2020.
  20. Allyson Chlu: Laverne Cox lambastes ‘deadnaming.’ What is it and why is it a problem? In: Washington Post. 14. August 2018, abgerufen am 11. Dezember 2020.
  21. Sarah Rice: Deadnaming: 74 of 85 trans murder cases filed using wrong names, genders. In: LGBTQ Nation. 12. August 2018, abgerufen am 11. Dezember 2020.
  22. Alex Paterson: News outlets misidentified nearly two out of three victims of anti-trans violence in 2020. In: Media Matters. 19. November 2020, abgerufen am 11. Dezember 2020.
  23. Linus Giese: Wenn Journalist*innen über trans Themen schreiben. In: Ich bin’s, Linus. 23. Mai 2018, abgerufen am 13. Dezember 2020.
  24. Wieso man tote Namen nicht verwenden sollte. In: ÜberMedien. 4. Mai 2018, abgerufen am 13. Dezember 2020.
  25. Matt Moore: Twitter updates its rules to ban deadnaming and misgendering. In: GayTimes.co.uk. November 2018, abgerufen am 1. Mai 2021 (englisch).
  26. Jamie Wareham: Twitter’s Transphobia Ban: One Year On, The Platform Is Still Failing Trans People, Activists Say. In: Forbes.com. 11. Dezember 2019, abgerufen am 1. Mai 2021 (englisch).
  27. Jake Viswanatg: IMDb Changed Its Birth Name Policy Shortly After Laverne Cox Accused The Site Of Deadnaming. In: Bustle.com. 14. August 2019, abgerufen am 1. Mai 2021 (englisch).
  28. Thomas Connelly: Transgender lawyer sues Father Ted creator for allegedly publishing tweets containing her former male name. In: legalcheek.com. 8. Oktober 2018, abgerufen am 11. Dezember 2020 (englisch).
  29. Mitsuo Iwamoto: Grenzen für Boris Palmer. In: taz. 14. Juli 2020, abgerufen am 11. Dezember 2020.
  30. Mitsuo Iwamoto: Keine Beleidigung? In: taz. 6. August 2020, abgerufen am 11. Dezember 2020.
  31. Trans Frau klagt gegen Diskriminierung. In: Queer.de. 29. April 2021, abgerufen am 17. Mai 2021.
  32. Gericht: Trans-Hasser darf Frau nicht deadnamen. In: Queer.de. 3. Januar 2022, abgerufen am 4. Januar 2022.