Dany Dattel

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Dany Dattel, auch Peter Dattel, (bürgerlich Daniel Dattel; geboren 29. Juli[1] 1939[2]; gestorben 13. Februar 2023 in Köln[3][4]) war ein deutscher Bankkaufmann. Er war der letzte Abteilungsleiter der Devisenabteilung der im Juni 1974 insolvent gegangenen Herstatt-Bank.

1947 wurde deutschlandweit über den damals Siebenjährigen unter dem Namen Peter Dattel oder Peter-Danny Dattel berichtet. Er gilt als das einzige von rund 8000 in das KZ Auschwitz deportierten Kindern aus Berlin, das das Vernichtungslager überlebt hatte.

Todesanzeige der Familie Dattel im Aufbau v. 12. April 1946

Die Familie Dattel wurde im Juni 1943 in das KZ Auschwitz deportiert. Peter wurde mit drei Jahren wie allen Gefangenen die Häftlingsnummer auf den Arm tätowiert. Sein Vater Hans musste im Lager Buna Zwangsarbeit leisten, in der Endphase des Krieges wurde er laut seinem Sohn bei einem Todesmarsch erschossen.[5] Seine Mutter wurde für den Block 10 selektiert, in dem der SS-Arzt Carl Clauberg Sterilisationsversuche an Frauen unternahm. Ihren Sohn durfte sie mitnehmen. Die Frauen versteckten ihn vor Blockrazzien; er wurde ihr „Maskottchen“ im Überlebenskampf.[6][7] Als die Rote Armee im Januar 1945 näher rückte, wurde das Lager von der SS geräumt. Auf dem Todesmarsch wurde er von seiner Mutter getrennt. Fünf junge jüdische Mädchen aus Tschechien nahmen ihn auf der Flucht nach Brünn in ihre Mitte. Eines der Mädchen, Püppi genannt, nahm mit ihrem Mann Pavel Bauer den Fünfjährigen als Kind an.[5]

Nach ihrer eigenen Befreiung im Mai 1945 aus dem KZ Neustadt-Glewe kehrte Ruth Dattel nach Berlin zurück und begann mithilfe der Jüdischen Gemeinde die Suche nach ihrem Sohn. Er konnte nach zwei Jahren über das Internationale Rote Kreuz ausfindig gemacht werden. Der mittlerweile sieben Jahre alte Peter musste gezwungen werden, nach Berlin mitzufahren, da er sich nicht von seinen Pflegeeltern trennen wollte.[8] Mit seiner Mutter konnte er sich nicht verständigen, da er während seiner Zeit in Brünn die deutsche Sprache verlernt hatte.[9]

Über die Rückkehr des damals siebenjährigen Peter Dattel wurde 1947 deutschlandweit berichtet. Die Jüdische Gemeinde Berlin veranstaltete ein Fest, bei dem Vertreter der Besatzungsmächte, des Magistrats und der tschechoslowakische Militärattaché anwesend waren. Dattel gilt bis heute als das einzige von rund 8000 Berliner jüdischen Kindern, das den Aufenthalt in Auschwitz überlebte.[5][10][11] Julius Meyer, Vorsitzender der OdF-Ausschüsse, forderte in einer Rede, dass die Überlebenden des „mörderischen Systems“ alle ihre Kraft darauf verwenden sollten, aus Peter Dattel ein „glückliches Menschenskind“ zu machen, dessen Leben nicht durch Feindseligkeit und Verfolgung zerstört werde.[12]

Tätigkeit bei Herstatt

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Von Berlin aus zogen Ruth (jetzt Friedhoff) und Dany Dattel zunächst nach Israel, später nach Köln.[3][7] 1958 absolvierte Dattel eine Banklehre bei der Herstatt-Bank in Köln. 1971 erfolgte die Freigabe der festen Wechselkurse, was einen spekulativen Devisenhandel ermöglichte. Anfangs brachten die Geschäfte hohe Gewinne, bei Herstatt 1973 einen Umsatz von etwa 24 Milliarden Deutsche Mark (DM). Diese Gewinne waren der Hauptgrund für Dattels Aufstieg zum Leiter des Devisen- und Goldhandels. Bankier Iwan David Herstatt nannte sie seine „Goldjungs“. Entgegen den Prognosen sank jedoch gegen Ende 1973 der US-Dollar-Kurs. Glattstellungen der offenen Devisenpositionen führten zu steigenden Verlusten (siehe Artikel Herstatt-Bank). Lange Zeit wurden diese Verluste jedoch verschleiert. Am Ende betrugen sie das Zehnfache des haftenden Kapitals und führten so zur Überschuldung der Bank.[13]

Nach der Insolvenz

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Dattel wurde im Rahmen von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft am 26. August 1976 wegen des Verdachts auf Untreue, Betrug und Bilanzfälschung gemeinsam mit dem Bankier Iwan David Herstatt und sechs weiteren Managern der Bank vorübergehend in Untersuchungshaft genommen. Die Staatsanwaltschaft warf den Angeklagten nach Prozessbeginn am 23. März 1979 Untreue und Beihilfe zum besonders schweren Bankrott vor: Die Angeklagten hätten „in der Zeit vom März 1971 bis zur Schließung der Bank am 26. Juni 1974 durch Devisenspekulationen größeren Ausmaßes, die in keinem vertretbaren Verhältnis zu den ausgewiesenen Eigenmitteln der Bank standen, das Vermögen der Einleger gefährdet und geschädigt“. Das astronomische Ausmaß dieser Transaktionen kann dadurch veranschaulicht werden, dass pro Geschäftstag im Durchschnitt rund 180 Geschäfte mit einem Volumen von über 4 Milliarden DM abgeschlossen wurden.

Am 31. August 1983 verurteilte das Landgericht Köln zwei andere Verantwortliche wegen der genannten Tatvorwürfe zu einer Haftstrafe von jeweils 2 Jahren und 5 Monaten nebst einer Geldstrafe von jeweils 45.000 DM. Dattel war davon nicht betroffen: Das Verfahren gegen ihn war noch 1979 wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt worden. In mehreren forensischen Gutachten wurde bei ihm ein lebensbedrohendes KZ-Syndrom diagnostiziert. Während seine Verhandlungsfähigkeit vor Gericht erörtert wurde, wurde ein Ersatzschöffe vom Verfahren ausgeschlossen, weil er auf der Toilette einen Journalisten gefragt hatte, ob sich noch mehr Juden im Saal befänden.[14]

Am 12. Mai 1986 hatte er seinen ersten Auftritt im Herstatt-Komplex vor Gericht, als er vor dem Landesarbeitsgericht Köln als Zeuge in einem Verfahren gegen vier „Goldjungs“ der Treuhand AG, der Rechtsnachfolgerin der Bank, aussagte. Dabei wurde er lediglich zur inneren Organisation der Bank befragt; das Verfahren gegen ihn selbst war abgetrennt worden.[15]

Dattel, Chef-Devisenhändler und Vizedirektor des Geldhandels der Bank, wurde von Iwan D. Herstatt und anderen für die Schließung der Bank verantwortlich gemacht. Herstatt selbst hatte die Aufsicht über die Devisenabteilung an den Generalbevollmächtigten Bernhard von der Goltz abgegeben.[13] 1983 sahen die Richter im Prozess gegen zwei Herstatt-Direktoren auch eine Mitschuld des Großaktionärs der Bank Hans Gerling.[16]

Herstatt erhob in seiner Autobiografie Die Vernichtung Vorwürfe gegen Dattel. Dessen Fehlspekulationen und falsche Informationen hätten die wahren Ausmaße der Schieflage verschleiert und die Pleite maßgeblich verursacht. Bis heute ist allerdings nicht vollständig geklärt, wie die Schuld an der größten deutschen Bankinsolvenz der Nachkriegszeit zu verteilen ist. Dattel selbst klagte bis 2006 beim Bezirksgericht Luxemburg auf die Herausgabe von 2,822 Mio. DM, die seiner Familie gehören würden und im Rahmen der Herstatt-Insolvenz beschlagnahmt worden waren. Seine Klagen blieben ohne Erfolg, verzögerten allerdings die Abwicklung der Herstatt-Insolvenz erheblich.[17] Nach Auskunft der Creditreform hat er im Jahr 2004 gemeinsam mit seiner Frau Margot eidesstattliche Versicherungen über die Vermögensverhältnisse abgelegt.[18] Als Folge der Bankenpleite wurde Dattel Opfer von antisemitischen Beschimpfungen und Hetze, er nannte das seine „zweite Verfolgung“.[3]

Dattel lebte zuletzt in Köln-Lindenthal.[19] Er starb am 13. Februar 2023 im Alter von 83 Jahren in Köln[3] und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Bocklemünd beigesetzt.[20]

Jahrelang gab Dany Dattel keine Interviews, bis er ein Buchprojekt über seine Erlebnisse im KZ schreiben wollte. Auf der Suche nach jemandem, der Tonbandgespräche von ihm und seiner Mutter aus dem Jahre 1993 digitalisieren konnte, kam er in Kontakt mit dem Kölner Produzenten Frank Terjung, und es entstand die Idee zu einem Filmprojekt mit dem Titel Das Maskottchen von Auschwitz – so war der kleine Dany von den Mitgefangenen genannt worden.[7] Mit Unterstützung des Kölner Vereins EL-DE-Haus, Förderverein des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln wurden die Erinnerungen von Dany Dattel professionell gesichert. Die Interviews sollen im NS-Dokumentationszentrum dauerhaft archiviert und Teil der Dauerausstellung sowie in der Vermittlungs- und Bildungsarbeit eingesetzt werden. Im Oktober 2022 reiste Dattel mit einem Filmteam, das einen Dokumentarfilm über ihn drehte, nach Auschwitz.[21] Er starb vier Monate nach Ende der Dreharbeiten. Im Mai 2024 wurde der Film auf Arte ausgestrahlt. Dattel beschloss den Film mit den Worten: „Eines möchte ich noch betonen: Die Nazis hatten auf der Wannseekonferenz beschlossen, alle Juden zu vernichten. Das ist ihnen nicht gelungen. Ich lebe noch!“[22]

Literatur, Theater, Film

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  • ADN: Das einzige überlebende Kind. In: Der Tagesspiegel, 22. Januar 1947.
  • Julia Edwards: From the S&S archives: Child Auschwitz survivor comes home. In: stripes.com. 2. Februar 1947, abgerufen am 6. Juli 2024 (englisch).
  • Atina Grossmann: Home and Displacement in a City of Bordercrossers: Jews in Berlin 1945–1948. In: Leslie Morris, Jack Zipes (Hrsg.): Unlikely History. The Changing German-Jewish Symbiosis, 1945–2000. Palgrave Macmillan, New York/Houndmills 2002, ISBN 0-312-29390-9, S. 63–100.
  • Atina Grossmann: Jews, Germans, and Allies: Close Encounters in Occupied Germany. Princeton University Press, Princeton 2009, ISBN 978-0-691-14317-0, S. 103 f.
  • Julius Meyer: Peter Dattel wieder bei seiner Mutter. In: Der Weg Nr. 6 vom 7. Februar 1947, hier:
  • o. V.: Das einzige überlebende Kind aus Auschwitz kommt nach Berlin zurück. In: Der Weg. Nr. 29, 13. September 1946 (archive.org [PDF] ohne Seitenangabe).
  • Filmdetails: Der Augenzeuge 1947/41 (1947) – Abschnitt 2. In: defa-stiftung.de. Abgerufen am 20. Februar 2023.
  • Theaterstück Kölner Devisen von Jan Stephan Hillebrand
  • Goldjungs, Filmkomödie (2021)
  • Verfolgt – Das Maskottchen von Auschwitz. (Sendetitel: Die sieben Leben des Dany Dattel) Filmdokumentation 90 Minuten arte/ARD. Erstsendung arte 23. Mai 2024 (In der Mediathek abrufbar bis zum 21. August 2024).

Einzelnachweise

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  1. Wir gratulieren. In: Gemeindeblatt der Synagogen-Gemeinde Köln. Nr. 6/7, 2021, S. 40 (sgk.de [PDF]).
  2. Annette Wilczek: Iwan-David Herstatt. In: Portal Rheinische Geschichte. Abgerufen am 6. Mai 2021.
  3. a b c d Christian Parth: „Nicht der Ort ist grausam“. Ehemaliger Herstatt-Banker und KZ-Überlebender Dany Dattel gestorben. In: Kölner Stadt-Anzeiger, Ausgabe K. 15. Februar 2023, S. 26.
  4. Claudia Lehnen: Der zweifach Verfolgte: Nachruf auf Dany Dattel – einen der letzten Auschwitz-Überlebenden. In: Kölner Stadt-Anzeiger. 15. Februar 2023, abgerufen am 16. Februar 2023.
  5. a b c o. V.: Das einzige überlebende Kind aus Auschwitz kommt nach Berlin zurück. in: Der Weg. Zeitschrift für Fragen des Judentums. Berlin, Nr. 29 vom 13. September 1946, o. S.
  6. Julius Meyer: Peter Dattel wieder bei seiner Mutter. In: Der Weg Nr. 6, 7. Februar 1947, o. S.
  7. a b c Michael Fuchs: Als Jude zweimal verfolgt. In: Kölnische Rundschau, Lokalteil Köln. 15. Februar 2023, S. 22.
  8. Atina Grossmann: Jews, Germans, and Allies: Close Encounters in Occupied Germany, Princeton University Press 2009, ISBN 978-0-691-14317-0, S. 104
  9. From the S&S archives: Child Auschwitz survivor comes home. In: stripes.com. 20. Februar 2023, abgerufen am 20. Februar 2023 (englisch).
  10. Wiedersehen mit dem verlorenen Sohn. In: Berliner Zeitung. 31. Januar 1947, S. 6 (dfg-viewer.de).
  11. Leslie Morris/Jack Zipes (Hrsg.): Unlikely History: The Changing German-Jewish Symbiosis,1945-2000. Palgrave Macmillan, 2002, ISBN 978-0-312-29390-1, S. 77.
  12. Grossmann, Home and Displacement, S. 77.
  13. a b Bernhard Emunds, Michael Faust, Jürgen Kädtler, Ulrich Klüh (Hrsg.): Was sollen und dürfen Banken tun? Gesellschaftliche Erwartungen in und nach der Finanzkrise. Campus, Frankfurt am Main/New York 2022, ISBN 978-3-593-51288-4, S. 75.
  14. „Herr Verteidiger, zum welchem Behufe?“ In: Der Spiegel. Nr. 27, 1979 (online).
  15. Renate Franz: „Goldjunge“ Dany Dattel sagt zum ersten Mal aus. In: Kölnische Rundschau. 13. Mai 1986.
  16. Beispiellose Mißachtung. In: Der Spiegel. Nr. 36, 1983 (online).
  17. Herstatt-Bank endlich am Ende. In: rundschau-online.de. 9. August 2006, abgerufen am 15. Februar 2023.
  18. Peter Brors, Thomas Knüwer: Ex-Devisenhändler Danny Dattel klagt noch vor dem Bezirksgericht: Der Fall der Goldjungen. In: Handelsblatt. 19. Mai 2004, archiviert vom Original am 12. März 2007; abgerufen am 15. Februar 2023.
  19. Caspar Dohmen: Die großen Spekulanten (8) – Commander Dattel und seine Goldjungs. In: sueddeutsche.de. 17. Mai 2010, abgerufen am 15. Februar 2023.
  20. Dany Dattel in der Datenbank Find a Grave, abgerufen am 14. Mai 2023.
  21. resch media: NRW-Stiftung unterstützt Verein EL-DE-Haus bei Zeitzeugenprojekt. In: nrw-stiftung.de. 14. Oktober 2022, abgerufen am 20. Februar 2023.
  22. Verfolgt – Das Maskottchen von Auschwitz. In: arte.tv. Abgerufen am 24. Mai 2024.