Agomelatin

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Strukturformel
Agomelatin
Allgemeines
Freiname Agomelatin
Andere Namen

N-(2-(7-Methoxy-1-naphthyl)ethyl)acetamid

Summenformel C15H17NO2
Kurzbeschreibung

weißer Feststoff[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 138112-76-2
EG-Nummer (Listennummer) 629-727-7
ECHA-InfoCard 100.157.896
PubChem 82148
ChemSpider 74141
DrugBank DB06863
Wikidata Q395229
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N06AX22

Wirkstoffklasse

Antidepressiva

Wirkmechanismus
Eigenschaften
Molare Masse 243,30 g·mol−1
Aggregatzustand

fest[2]

Schmelzpunkt

108 °C[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]

Achtung

H- und P-Sätze H: 410
P: 273​‐​391​‐​501[2]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Agomelatin (Handelsname Valdoxan; Hersteller Servier) ist eine dem Melatonin strukturell verwandte chemische Verbindung. Der Arzneistoff aus der Gruppe der Antidepressiva wird in der Behandlung der Major Depression bei Erwachsenen eingesetzt.[3]

Chemische Struktur

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Bei Agomelatin handelt es sich um ein metabolisch stabiles Analogon des Melatonins mit hoher Affinität zu den Melatonin-Rezeptoren. Im Unterschied zu Melatonin enthält das bizyklische aromatische Molekülgerüst jedoch anstelle des heterozyklischen Pyrrolrings einen Benzolring und ist damit nicht von Indol, sondern von Naphthalin ableitbar.

Agomelatin wurde erstmals 1992 von Yous et al. in einer dreistufigen Synthese ausgehend von der schwer zugänglichen (2-Methoxynaphthalin-8-yl)essigsäure dargestellt.[4] (2-Methoxynaphthalin-8-yl)essigsäure selbst kann aus 7-Methoxy-3,4-dihydro-2H-naphthalin-1-on hergestellt werden. Daneben ist eine ganze Reihe von Patenten erschienen, die besagte Route in abgewandelter Form beschrieben.

Im Februar 2010 veröffentlichte Servier zwei Patente über neue Agomelatin-Synthesen. Merkmal der beiden neuen Routen war, dass ein aufwendiger Aufbau des Naphthalingerüsts durch die Verwendung von 2,8-substituierten Naphthalinderivaten vermieden wurde. Die attraktivste der beiden ist eine nur dreistufige Synthese, ausgehend von der langbekannten (2-Methoxynaphthalin-8-yl)oxoessigsäure.[5]

2011 beschrieben Markl et al., dass besagte Patentroute nicht zu dem beschriebenen Produkt führe. Gleichzeitig veröffentlichten sie ihre eigene vierstufige Agomelatin-Route, ebenfalls ausgehend von (2-Methoxynaphthalin-8-yl)oxoessigsäure. Die Route beinhaltet die Boran-Reduktion der Oxoessigsäure, Dehydratisierung des erhaltenen Diols zum Aldehyd, die Umsetzung zum Aldoxim mittels Hydroxylaminhydrochlorid und die abschließende Raney-Nickel-Hydrogenierung/Acetylierung unter Erhalt von Agomelatin. Der letzte Schritt einer in-situ-Hydrierung/Acetylierung eines Aldoxims war vormals unbekannt.[6]

Agomelatin ist ein neuartiger Ansatz zur antidepressiven Behandlung. Agomelatin wirkt agonistisch auf die melatonergen MT1- und MT2-Rezeptoren und antagonistisch auf die 5HT2C-Rezeptoren im Nucleus suprachiasmaticus und kann auf diese Weise die „innere Uhr“ des Menschen beeinflussen und circadiane Rhythmen resynchronisieren.[7][8] Die antidepressive Wirkung von Agomelatin lässt sich nicht allein der melatonergen Komponente oder dem Antagonismus am 5HT2C-Rezeptor zuordnen. Vielmehr ist ein Zusammenspiel beider Wirkungen hierfür verantwortlich.[9] Denn die antagonistische Wirkung an den 5HT2C-Rezeptoren führt zu einer Blockade der stimulierenden und daher am Abend unerwünschten Wirkung des Serotonins im Nucleus suprachiasmaticus (SCN) und verstärkt so den Melatonin-agonistischen Effekt. Zudem vermittelt die 5HT2C-Rezeptor-Blockade indirekt eine Erhöhung von Noradrenalin und Dopamin im frontalen Cortex, was schon für sich genommen antidepressiv wirkt. Durch den Antagonismus am 5HT2C wird außerdem der Tiefschlaf vermehrt und somit die Schlafqualität und folglich die Tagesvigilanz verbessert.

Klinische Prüfung

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Die antidepressive Wirkung von Agomelatin wurde im Rahmen des Zulassungsverfahrens in mehreren großen, placebokontrollierten Studien untersucht (siehe unten). Zur Kurzzeitwirksamkeit von Agomelatin wurden sechs Studien veröffentlicht, darunter eine Dosisfindungsstudie mit drei verschiedenen Dosisgruppen. In zwei der sechswöchigen Studien sowie bei den Patienten, die in der Dosisfindungsstudie 25 mg Agomelatin täglich erhielten, zeigte sich ein signifikanter Wirkunterschied zu Placebo.[10][11][12] Eine weitere Studie verlief negativ, in zwei Studien unterschieden sich sowohl Agomelatin als auch die Referenzsubstanzen (Paroxetin, Fluoxetin) nicht signifikant von Placebo.[13] Diese Studien sind bisher nicht veröffentlicht.

In weiteren vier randomisiert-kontrollierten Studien wurde Agomelatin mit anderen Antidepressiva hinsichtlich Wirksamkeit, Schlafqualität und Verträglichkeit verglichen (Vergleichsstudien vs. Fluoxetin[14], Venlafaxin[15][16] und Sertralin[17]). Sowohl im Vergleich mit Fluoxetin (hier Wirksamkeit primärer Zielparameter) als auch im Vergleich mit Venlafaxin und Sertralin (hier Wirksamkeit sekundärer Zielparameter) zeigte Agomelatin eine gleich effektive antidepressive Wirksamkeit. In diese Studien waren zum überwiegenden Anteil ambulante Patienten mit einer mittelschweren bis schweren depressiven Episode eingeschlossen. Die Wirksamkeit von Agomelatin in Bezug auf eine Verbesserung des subjektiven Schlafes wurde verglichen mit Venlafaxin[15] und mit Sertralin[17] unter Verwendung des LSEQ (Leeds Schlafbewertungsfragebogen). In der Studie vs. Venlafaxin[15] zeigte sich eine Überlegenheit von Agomelatin in Bezug auf die Leichtigkeit des Einschlafens („getting to sleep“) und bezüglich der Schlafqualität bereits in Woche 1 (p<0,01 bzw. p<0,05). Der Unterschied blieb signifikant während der gesamten 6 Behandlungswochen (p<0,01 bzw. p<0,05). Es zeigte sich auch eine signifikante Differenz zugunsten von Agomelatin in Bezug auf die Leichtigkeit des Erwachens („ease of awakening“) ab Woche 2 (p<0,05) und auf die Abstimmung von Verhaltensmustern nach dem Erwachen („integrity of behavior after awakening“) mit einem signifikanten Unterschied nach Woche 1 (p<0,0001) und zum Endpunkt der Studie (p<0,05) im Vergleich zu Venlafaxin. Dies verwundert vielleicht zunächst nicht, da Schlaflosigkeit als eine häufige unerwünschte Wirkung von Venlafaxin beschrieben ist; doch ist hierbei erwähnenswert, dass Agomelatin als nicht antriebssteigernde Substanz dem antriebssteigernden Venlafaxin in Bezug auf Parameter wie die Aktivität am Tage nach Woche 1 signifikant überlegen und im weiteren Verlauf über 6 Wochen vergleichbar war.[15] In der Studie vs. Sertralin[17] zeigte sich ein signifikanter Unterschied in Bezug auf die Leichtigkeit des Einschlafens („getting to sleep“) und die Schlafqualität zugunsten von Agomelatin nach Woche 2 (p<0,001 bzw. p<0,05), jedoch nicht bei Studienende. Die relative Amplitude der circadianen Ruhe-Aktivitäts-Rhythmik besserte sich signifikant im Vergleich zu Sertralin, was als Normalisierung der circadianen Rhythmik gesehen werden kann.[17]

Eine erste Langzeitstudie über 34 (bis 52) Wochen konnte keinen signifikanten Unterschied zwischen Agomelatin und Placebo zeigen.[13] In einer zweiten, sechsmonatigen Studie zur Rückfallprophylaxe erlitten Patienten, die nach anfänglichem Ansprechen von Agomelatin auf ein Placebo umgestellt wurden, nach sechs Monaten signifikant häufiger Rückfälle (46,6 %) als jene Patienten, die weiterhin Agomelatin einnahmen (21,7 % Rückfälle).[18]

Verträglichkeit

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In den klinischen Studien wurde Agomelatin gut vertragen, die Nebenwirkungen lagen auf Placeboniveau. Typische Nebenwirkungen anderer Antidepressiva wie Libidoverlust, Erektionsstörungen und Gewichtszunahme waren bei Einnahme von Agomelatin deutlich seltener als unter den aktiven Vergleichssubstanzen. Da in den Zulassungsstudien unter 1,1 % der mit Agomelatin behandelten Patienten vs. 0,7 % der mit Placebo behandelten Patienten erhöhte AST- und/oder ALT-Werte (>3-fach oberer Normbereich) auftraten, sind zu Beginn der Therapie sowie nach 6, 12 und 24 Wochen und danach, falls klinisch indiziert, regelmäßige Laborkontrollen erforderlich. Eine eingeschränkte Leberfunktion, wie bei Leberzirrhose oder aktiver Lebererkrankung, stellt eine Kontraindikation dar.[3][19] Im Oktober 2012 verschickte der Hersteller Servier – in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittelagentur – eine Informationsschrift für medizinisches Fachpersonal, um an die Bedeutung von Leberfunktionskontrollen bei Patienten, die Agomelatin verwenden, zu erinnern.[20] Nach einem abrupten Behandlungsabbruch induzierte Agomelatin keine Absetzerscheinungen.[3][21]

Zulassungsverfahren und Zukunft

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Der Markenname Valdoxan wurde im April 2005 von dem französischen Hersteller Servier registriert. Ein Zulassungsantrag wurde 2006 abgelehnt, nachdem der Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur aus den eingereichten Studienunterlagen keinen ausreichenden antidepressiven Effekt erkennen konnte.[22] Nach Einreichen weiterer Studienunterlagen erteilte die Europäische Kommission dem Unternehmen Les Laboratoires Servier am 19. Februar 2009 die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Valdoxan in der gesamten Europäischen Union.[23]

Das Unternehmen Servier hatte die Rechte an Agomelatin für die USA und weitere Staaten an Novartis lizenziert.[24] Novartis startete anschließend mehrere neue klinische Studien mit der Substanz;[25] stellte jedoch inzwischen die Forschung ein.[26] Agomelatin ist seit 2019 auch als Generikum (Zilbea Zentiva) (Agomaval (TAD Pharma)) erhältlich.

Einzelnachweise

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  1. a b Hermann P. T. Ammon, Manfred Schubert-Zsilavecz (Hrsg.): Hunnius. Pharmazeutisches Wörterbuch. 11. Auflage. de Gruyter, Berlin/Boston 2014, ISBN 978-3-11-030990-4, S. 44.
  2. a b c Datenblatt Agomelatine bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 9. März 2024 (PDF).
  3. a b c Fachinformation Valdoxan (PDF; 88 kB) auf Fachinfo-Service.
  4. S. Yous, J. Andrieux, H. E. Howell, P. J. Morgan, P. Renard, B. Pfeiffer, D. Lesieur, B. Guardiola-Lemaitre: Novel naphthalenic ligands with high affinity for the melatonin receptor. In: J. Med. Chem. 35. Jahrgang, Nr. 8, 1992, S. 1484–1486, doi:10.1021/jm00086a018.
  5. Patent EP2151429B1: Verfahren zur Herstellung von Agomelatin. Angemeldet am 4. August 2009, veröffentlicht am 25. Mai 2011, Anmelder: Servier Lab, Erfinder: Christophe Hardouin, Jean-Pierre Lecouve.
  6. Christian Markl, Darius Zlotos: A Novel Synthesis of the Antidepressant Agomelatine. In: Synthesis. 2011, 2011, S. 79, doi:10.1055/s-0030-1258968.
  7. Audinot, V., F. Mailliet, et al. (2003). New selective ligands of human cloned melatonin MT1- und MT2 receptors. Naunyn-Schmiedeberg's Archives of Pharmacology 367: 553-561. PMID 12764576
  8. San, L. Arranz, B (2008). Agomelatine: a novel mechanism of antidepressant action involving the melatonergic and the serotonergic system. Eur Psychiatry 23(6): 396–402, PMID 18583104.
  9. Millan, M. J., A. Gobert, et al. (2003). The novel melatonin agonist agomelatine (S20098) is an antagonist at 5-hydroxytryptamine2C receptors, blockade of which enhances the activity of frontocortical dopaminergic and adrenergic pathways. J Pharmacol Exp Ther 306(3): 954–964, PMID 12750432.
  10. Loo H et al., In: Int Clin Psychopharmacol. 2002;17:239–247, PMID 12177586.
  11. Kennedy SH, Emsley R, Europ. Neuropsychopharmacol 2006;16:93–100, PMID 16249073.
  12. Olié JP, Kasper S, Int. J. Neuropsychopharmacol 2007;10(5):661-73, PMID 17477888.
  13. a b Refusal CHMP Assessment Report for Valdoxan (Agomelatine) (PDF; 81 kB); Europäische Arzneimittelagentur, 27. Juli 2006.
  14. Hale, A., R. Corral, et al. (2010). Superior antidepressant efficacy results of agomelatine versus fluoxetine in severe MDD patients: a randomized, double-blind study. Int Clin Psychopharmacol e-pub ahead of print, PMID 20856123.
  15. a b c d Lemoine, P., C. Guilleminault, et al. (2007). "Improvement in subjective sleep in major depressive disorder with a novel antidepressant, agomelatine: randomized, double-blind comparison with venlafaxine." J Clin Psychiatry 68(11): 1723–1732, PMID 18052566.
  16. Kennedy, S. H., S. Rizvi, et al. (2008). A double-blind comparison of sexual functioning, antidepressant efficacy, and tolerability between agomelatine and venlafaxine XR. J Clin Psychopharmacol 28(3): 329–333, PMID 18480691.
  17. a b c d Kasper, S., G. Hajak, et al. (2010). "Efficacy of the novel antidepressant agomelatine on the circadian rest-activity cycle and depressive and anxiety symptoms in patients with major depressive disorder: a randomized, double-blind comparison with sertraline." J Clin Psychiatry 71(2): 109–120, PMID 20193645.
  18. Goodwin, G. M., R. Emsley, et al. (2009). Agomelatine prevents relapse in patients with major depressive disorder without evidence of a discontinuation syndrome: a 24-week randomized, double-blind, placebo-controlled trial. J Clin Psychiatry 70(8): 1128–1137, PMID 19689920.
  19. Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft: Wirkstoff AKTUELL 5/2010 (PDF; 89 kB).
  20. Information für medizinisches Fachpersonal bezüglich des Risikos von Hepatotoxizität unter Agomelatin (Valdoxan/Thymanax). (PDF; 152 kB) Abgerufen am 15. Oktober 2012.
  21. Montgomery SA et al., Int Clin Psychopharmacol. 2004 Sep;19(5):271-280, PMID 15289700.
  22. Questions and Answers on Recommendation for Refusal of Marketing Authorisation for VALDOXAN/THYMANAX (PDF; 41 kB) – Europäische Arzneimittelagentur, 18. November 2006.
  23. COMMITTEE FOR MEDICINAL PRODUCTS FOR HUMAN USE SUMMARY OF POSITIVE OPINION for VALDOXAN (Memento vom 7. Oktober 2009 im Internet Archive) (PDF; 36 kB).
  24. Servier and Novartis sign licensing agreement for agomelatine; Meldung von Servier, PMID 18457470.
  25. ClinicalTrials.gov: Studien mit dem Wirkstoff Agomelatin.
  26. Srip intelligence: Novartis drops future blockbuster agomelatine (Memento vom 8. August 2017 im Internet Archive).