Stefan Brunnhuber

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Stefan Brunnhuber (2022)

Stefan Brunnhuber (* 2. Juli 1962 in Augsburg) ist ein deutscher Autor, Psychiater und Soziologe, der sich aus interdisziplinärer Perspektive mit Strategien für nachhaltige Entwicklungen und Transformationsprozesse beschäftigt.

Nach Zivildienst und Tätigkeit als Rettungssanitäter sowie einer Lehre als Kfz-Mechaniker studierte Brunnhuber Medizin in Ulm, wo er 1993 mit einer Arbeit über Martin Buber, Martin Heidegger und Sigmund Freud promovierte.[1][2] Des Weiteren studierte er parallel Philosophie, Sozialpädagogik und Wirtschaftssoziologie in Ulm, München und Konstanz, wo er 1998 mit einer Arbeit über Karl Poppers Konzept einer Offenen Gesellschaft promovierte.[3] Unterbrochen wurde das Doppelstudium durch ein Auslandstrimester an Universitäten in Johannesburg, Melbourne und Jakarta.

Nach einer Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (Universitätskliniken Homburg/Saar) und Tätigkeit als Notarzt arbeitete er zunächst als Oberarzt an der Universitätsklinik Würzburg (1999–2007). Nach Forschungsaufenthalten in den USA (Mayo-Kliniken Rochester, UCLA) habilitierte er sich an der Universität Würzburg im Bereich Medizinische Soziologie, Medizinische Psychologie und Psychotherapie mit dem Thema „Die Bedeutung der Affektpsychologie für die psychosomatische Symptombildung“.[1] Anschließend war Brunnhuber als Lehrbeauftragter am C. G. Jung-Institut Zürich tätig, am Internationalen Seminar für Analytische Psychologie (ISAP) (1999–2009) sowie als Mitglied im Directorial Board des European Institute of Health (E.I.H) (2003–2009). 2006 absolvierte er einen klinischer Aufenthalt am WHO-Collaboration Center für Traditionelle Chinesische Medizin in Peking und eine Weiterbildung am Lehrstuhl für Naturheilkunde/Integrative Medizin an der Universität Duisburg-Essen. Von 2009 bis 2010 arbeitete er als Oberarzt in den Universitätskliniken Salzburg.

Gegenwärtig ist Brunnhuber Ärztlicher Direktor der Diakonie Kliniken Zschadraß (akademisches Lehrkrankenhaus der Technischen Universität Dresden sowie der Universitätskliniken Salzburg) und dort Chefarzt der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie und hat einen Lehrstuhl mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit, Sozialmedizin, Psychosomatik und Komplementärmedizin an der Hochschule Mittweida inne.[1][4][5]

Forschungsinteressen und Positionen

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Die interdisziplinäre Integration von Theorie und Praxis steht im Mittelpunkt der Arbeiten von Brunnhuber, welche folgende Bereiche im Schwerpunkt umfasst:[6][7][8][9]

Brunnhuber ist Vertreter des kritischen Rationalismus und bezeichnet sich als einen Schüler des liberalen Soziologen Ralf Dahrendorfs.[1] Seine Arbeiten sind des Weiteren durch die Auseinandersetzung mit Bernard Lietaer, Ken Wilber und Willigis Jäger beeinflusst und zeigen eine Prägung durch J. M Keynes, Milton Friedman, C.G Jung, Hans Albert, der Systemtheorie, den Wüstenvätern sowie des japanischen ZEN und der christlichen Mystik des Hochmittelalters.[8][9][26]

Er fasst seine Forschungsinteressen mit den Worten eines ‚evolutionären, integralen, translationalen, praxisrelevanten human-zentrierten Ansatzes‘ zusammen.[27]

Ein besonderes Interesse Brunnhubers gilt den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Social Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen. Seiner Ansicht nach handelt es sich bei zwei Dritteln dieser Ziele um „global commons“ (deutsch: globale Allmendegüter oder auch globale öffentliche Güter).[28] Die Finanzierung dieser Allgemeingüter erfordert neue Finanzierungsinstrumente (financial engineerings) sowie eine angepasste Geldpolitik in Verbindung mit einem erweiterten Mandat der Zentralbanken. Durch die Berücksichtigung von energiearmen Blockchain Technologien und ‚digitalen Vertragsprotokollen‘ (smart contracts) kann das Geldangebot kontrolliert erweitert und die Nachhaltigkeitsziele finanziert werden.[29] Er gibt in diesem Zusammenhang an, mit der Finanzierung der global commons könne ein Return on Investment des 10 bis 100-fachen des Return on Investment privater Investments in Aktien oder Staatsanleihen erreicht werden.[30]

Zum Erreichen der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen müssten seiner Einschätzung nach mindestens 5–7 % des weltweiten Bruttoinlandsprodukts zusätzlich hierfür ausgegeben werden, bei Betrachtung des Bevölkerungswachstums bis zu 9 %.[31][32] Um dies zu erreichen, schlägt er die Einführung einer digitalen Zweitwährung auf Blockchain-Basis (ohne energiereiches Mining) vor, womit durch direkte Zahlungen durch Zentralbanken finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden sollten. Es solle dabei mittels eines „digitale[n] Vertragsprotokoll[s]“ sichergestellt sein, dass die „Bezahlungsmöglichkeit auf nachhaltige Verwendung einschränkt“[33] ist.[34] Hierzu sollten die Transaktionen nachvollziehbar sein und Institutionen wie die European Investment Bank oder die Asian Development Bank garantieren, dass das zusätzliche Geld entsprechend der politischen Agenda kanalisiert werde.[35][36][37]

Mitgliedschaften

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Brunnhuber war von 2015 bis 2019 Senator der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste (EASA) und ist derzeit Mitglied im Board of Trustees der Weltakademie der Künste und Wissenschaften sowie internationales Vollmitglied (full-member) des Club of Rome.[38][7]

Er ist Mitglied der FDP, Freunde der Erde (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und der Lancet Kommission Postcovid and Green Recovery.[6][39] Seit 2022 ist er zudem Mitglied im Beirat Sustainable Finance der Bundesregierung in der 20. Legislaturperiode.[40]

Brunnhuber ist verheiratet und lebt mit seiner Frau (Stephanie Tache) und seinen zwei Kindern in Dresden.[1] Er ist praktizierender Buddhist und Katholik und gibt an, seine professionellen Aktivitäten seien in die mystischen Traditionen und Praktiken der beständigen östlichen und westlichen Philosophien eingebettet.[41]

Schriften (Auswahl)

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  • B. Lietaer, C. Arnsperger, S. Goerner, S. Brunnhuber: Geld und Nachhaltigkeit. Europa Verlag, Berlin, 2013
  • K. Lieb, S. Frauenknecht, S. Brunnhuber (unter Mitarbeit von Ch. Wewetzer): Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie, Urban & Fischer, München 2016 (8. Auflage)
  • Stefan Brunnhuber: Die Kunst der Transformation: Wie wir lernen, die Welt zu verändern. Herder, Freiburg im Breisgau, 2018
  • Stefan Brunnhuber: Die offene Gesellschaft: Ein Plädoyer für Freiheit und Ordnung im 21. Jahrhundert. oekum verlag, München, 2019
  • Stefan Brunnhuber: The TAO of finance. The future wealth of nations. oekum verlag, München, 2020
  • Stefan Brunnhuber: Financing our future. Unveiling a parallel currency system to fund the SDGs and the common good. Palgrave Macmillan, 2021

Einzelnachweise

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  1. a b c d e Stefan Brunnhuber: Curriculum Vitae 2019. (PDF) Abgerufen am 16. Mai 2022.
  2. Stefan Brunnhuber: Der dialogische Aufbau der Wirklichkeit : gemeinsame Elemente im Philosophiebegriff von Martin Buber, Martin Heidegger und Sigmund Freud. Roderer, Regensburg 1993 (Dissertation an der Universität Ulm).
  3. Stefan Brunnhuber: Die Ordnung der Freiheit: K. R. Poppers Modell der „Offenen Gesellschaft“ in der politischen Soziologie der Gegenwart. 1998 (Dissertation an der Universität Konstanz).
  4. Diakonie Kliniken Zschadrass – Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie. In: Deutsches Krankenhausverzeichnis. Abgerufen am 16. Mai 2022.
  5. Professuren. Hochschule Mittweida, abgerufen am 16. Mai 2022.
  6. a b Michael Pohl: Experte für Menschheitskrisen: „Wir brauchen einen grünen Euro“. Abgerufen am 2. November 2022.
  7. a b Michael Pohl: Club-of-Rome-Mitglied Brunnhuber: „Angst vor Klimaapokalypse hilft nicht“. Abgerufen am 2. November 2022.
  8. a b Forschungsüberblick - Stefan Brunnhuber. In: ResearchGate. Abgerufen am 10. November 2022.
  9. a b Forschungsüberblick - Stefan Brunnhuber. In: Google Scholar. Abgerufen am 10. November 2022.
  10. a b Stefan Brunnhuber: Die offene Gesellschaft: Ein Plädoyer für Freiheit und Ordnung im 21. Jahrhundert. oekom Verlag, 2019, ISBN 3-96238-105-8.
  11. Yumpu.com: The Make-or-Break Decade for the SDGs has begun. Abgerufen am 10. November 2022 (englisch).
  12. Stefan Brunnhuber: Open Societies versus Autocratic Experiments or Why the Latter are Parasitic Cannibalizing and Self-Limiting. Band 4, Nr. 4. Cadmus, S. 216–225.
  13. Stefan Brunnhuber: Böckenförde 2.0: Offene Gesellschaften und autokratische Experimente. In: Zeitschrift für Rechtsphilosophie. Band 3, 2019, S. 326–332.
  14. Mind-Body-Medizin in der Psychiatrie, Diakonie Kliniken Zschadrass, 2019, Brunnhuber, S., Somburg, O., Tiesler, K., Gläßer, C., Rohr, A., Preger, J., Weise, R.-F., Mikosch, R., Bringmann, H. C., In Mind Body Medizin (G. Dobos & A. Paul) , Kap. 4.6. pp: 244–247, Urban und Fischer, Elsevier (2. Auflage), München
  15. Bringmann, H. C., Bringmann, N., Jeitler, M., Brunnhuber, S., Michalsen, A., Sedlmeier, P., 2021, Meditation Based Lifestyle Modification (MBLM) in outpatients with mild to moderate depression: A mixed-methods feasibility study. Complement Ther Med. 2021;56:102598. doi:10.1016/j.ctim.2020.102598
  16. ; Brunnhuber, S., Michalsen, A., 2021‚ Die Psychiatrie von Morgen – Warum die Psychiatrie integral wird und was ist das eigentlich?, Zeitschrift für Komplementärmedizin, pp:1-3, 2021
  17. Finanzexperte und Mitglied im „Club of Rome“: So will dieser Sachse die Inflation ausbremsen. Abgerufen am 10. November 2022.
  18. Bankier der Nachhaltigkeit | Freie Presse - Wissenschaft. Abgerufen am 10. November 2022.
  19. Financing the Anthropocene- 8 arguments behind the story, 29. April 2022, at the international NEOS -Conference, Dresden, BRD, see: Video auf YouTube
  20. Violetta Simon: Wie Fasten gegen Ängste und Stress hilft. Abgerufen am 10. November 2022.
  21. Education Isn’t Education: The Creativity Response or How to Improve the Learning Curve in Our Society | Cadmus Journal. Abgerufen am 10. November 2022.
  22. Brunnhuber, S.,2016, Die Kunst der Transformation, Wir wir lernen die Welt zu verändern, Herder, Freiburg, ISBN 978-3-451-60003-6
  23. Brunnhuber, S., 2021. ‚Der Creativity Response - Warum wir unsere Bildung völlig neu organisieren müssen’, Vorwort zu Neugier entfesseln – Wie Corona, die Klimakrise und Neurowissenschaften die Schule umkrempeln, pp: 8-14
  24. Visual Ink Publishing oder auch Brunnhuber, S., ’Wie geht Kreativität’ Der Beitrag der Human und Biowissenschaften für die Bildungsdebatte, 29. September 2021, invited by the UNESCO
  25. Brunnhuber, S. 2022, ‚Eine Andere Art von Shanga - Neue Formen von Transzendenz und Gemeinschaftlichkeit‘ in Evolve, Das Heilige und die Offene Gesellschaft, 35 /2022, pp 54-57
  26. https://stefan-brunnhuber.de/talkstexts/
  27. Stefan Brunnhuber. Abgerufen am 26. August 2022.
  28. Stefan Brunnhuber: Financing our future. 2021, S. 50: „These other two thirds [of the SDGs] are (global) commons and require an entirely different approach to ensure or common future.“
  29. Brunnhuber, S., 2022, ‚The Real Tragedy of the Commons - Garrett Hardin (1968) revised‘ in:  Problems of Sustainable Development (PROBLEMY EKOROZWOJU) 17(2): pp19–23
  30. Stefan Brunnhuber: The TAO of finance. 2020, S. 51–52: „Whereas Standard & Poors 500 investments provide long term ROI of 8 – 10 % and state bond a ROI of 4 – 5 %, common goods have the potential to offer ROIs of up to 10 – 100 times that amount.“
  31. Stefan Brunnhuber: Financing our future. 2021, S. 134: „On a global level, 5–7 % of any given gross domestic product is required additionally every year on average.”
  32. Stefan Brunnhuber: Financing our future. 2021, S. 136: „5 – 7 % is in fact a conservative figure; including population growth might increase the absolute volume by 25 % to one third of the budget. This would mean that instead of 5 – 7 % of GDP, we would be talking about 8–9 %.“
  33. Michael Pohl: Experte für Menschheitskrisen: „Wir brauchen einen grünen Euro“. 5. August 2021 (augsburger-allgemeine.de – In dem Interview schlägt Brunnhuber konkret einen „grünen Euro“ vor, die Vorschläge sind aber für einen weltweiten Rahmen im Kontext der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Siehe hierzu beispielsweise die Bücher Financing our future und The TAO of finance.).
  34. siehe auch Stefan Brunnhuber: Financing our future, S. 178: „Rather than the conventional currency used in her country, the funds come in the form of “green” coins and bills, which allow her to purchase specific goods such a vegetables, schoolbooks, and clothes, but not other goods such as alcohol, cigarettes, drugs or guns. The green currency is only available in electronic form.”
  35. Stefan Brunnhuber: Financing our future. 2021, S. 144: „Transactions are thus traceable […]”
  36. Stefan Brunnhuber: Financing our Future. 2021, S. 132: „If the regulators were to be given a mandate that removes their neutrality and makes them partisan to ensuring our common future, they would target inflation, address unemployment and deal with the SDGs. Intermediary institutions such as the European Investment Bank or the Asian Development Bank could guarantee that any additional money was channeled based on the political agenda. It is these institutional bodies that could create the additional trillions of dollars required, using an electronic and digital format such as blockchain technology. We would then have a supplementary currency running in parallel to the existing conventional system, able to generate what is required to match the 5 trillion USD needed over the next 12-15 years. This is the indispensable missing link (Box 5.1).“
  37. Stefan Brunnhuber: The TAO of finance. S. 25: „Financing the SDGs requires an agent or co-signer with provision and revenue interests representing the global commons.“
  38. Stefan Brunnhuber. In: Members. Clube of Rome, abgerufen am 16. Mai 2022.
  39. Green Recovery. In: The Lancet COVID-19 commission. The Lancet, abgerufen am 22. August 2022 (englisch).
  40. Mitglieder. In: Der Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung in der 20. Legislaturperiode. Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung, abgerufen am 22. August 2022.
  41. Stefan Brunnhuber. Abgerufen am 26. August 2022: „As a practicing Buddhist and Catholic, professional activities are embedded into the mystical traditions and practices of the perennial Eastern and Western philosophies.“