Der Renault MH war der erste serienmäßig gebaute LKW mit zwei angetriebenen Hinterachsen (6×4).

Renault Type MH
6. Aug. 1924: Rückkehr des Hauptmanns Delingette mit seinem Renault MH nach Paris

6. Aug. 1924: Rückkehr des Hauptmanns Delingette mit seinem Renault MH nach Paris

Basisinformation
Hersteller Renault
Modell Renault MH
Produktionszeit 1923 bis ca. 1926/7
Varianten siehe Text
Besatzung 2
Technische Daten [1]
Eigengewicht 1220 kg (nur Fahrgestell)
Nutzlast 1,5 t
Länge 4,27 m
Breite 1,89 m
Radstand 3,02 0,90 m
Motor 4-Zylinder-Ottomotor Renault 2,1 Liter
Leistung 30 PS (22 kW)
Getriebe 3V, 1R
Antriebsformel 6×4
Bereifung 775 × 145

Geschichte

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Zu Frankreichs Kolonialbesitz zählten in den 1920er Jahren große Teile der Sahara und Zentralafrikas. Diese größte Trockenwüste der Welt (und vielleicht auch noch das gesamte restliche Afrika bis zum Kap der Guten Hoffnung) mit einem Kraftfahrzeug zu durchqueren, stellte insbesondere für die Franzosen als Besitzer dieser Wüstengebiete eine gewaltige Herausforderung dar. In den 1920er Jahren war die technische Entwicklung des Kraftfahrzeugs so weit fortgeschritten, dass man ein Fahrzeug konstruieren konnte, das in der Lage war, etliche tausend Kilometer einer letztlich straßenlosen Strecke ohne größere Reparaturen zurückzulegen. Dabei waren insbesondere auch an die Geländegängigkeit des Kraftfahrzeugs hohe Anforderungen zu stellen. Citroēn entwickelte in diesem Zusammenhang ihre Citroën-Kégresse Halbkettenfahrzeuge und Renault den hier vorgestellten Typ MH. Berliet folgte ein Jahr später mit dem Typ VPB, einem 6×6-Fahrzeug mit lenkbarer Vorder- und Hinterachse.

Der Renault MH machte von sich reden, als der französische Hauptmann Delingette mit seiner Frau und einem Arzt in den Jahren 1923/24, beginnend in Oran, zunächst die Sahara und anschließend das restliche Afrika über Nairobi und Elisabethville nach Kapstadt durchquerte. Bei seiner Rückkehr nach Paris am 6. August 1925 wurde den Expeditionsteilnehmern ein jubelnder Empfang bereitet.

Im Übrigen waren die verkauften Stückzahlen des Renault MH eher bescheiden: Im Jahr 1924 bestellte die französische Armee 22 Stück.[2] Die polnische Armee erwarb in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre einige Dutzend,[3] die britische Armee testete mindestens ein Exemplar.[1]

Das Fahrzeug hatte einen Vierzylindermotor mit einem Hubraum von 2120 cm³ (Bohrung 75 mm, Hub 120 mm). Dieser Motor war auch im zur gleichen Zeit gebauten Mittelklassewagen Renault 10 CV (auch Renault GS, Renault GC, Renault IG, Renault JR und Renault KZ genannt) eingebaut und leistete etwa 30 effektive PS. Das Besondere des Fahrzeugs waren die drei Achsen: Hierdurch sollte ein möglichst geringer Bodendruck des einzelnen Rades erreicht werden, um ein Einsinken im Wüstensand zu verhindern. Um diese Wirkung noch zu verstärken, waren alle Räder doppelt bereift. Ein Antrieb auf die Vorderräder war damals noch sehr schwierig: Da sie zum Lenken schwenkbar sein mussten, waren die Antriebswellen besonderem Verschleiß ausgesetzt, ihre Kreuzgelenke nutzten sich sehr schnell ab. Erst allmählich löste die Automobilindustrie dieses Problem. Renault versuchte es zu umgehen und konstruierte einen Antrieb für beide Hinterachsen, um zwei Achsen anzutreiben – ähnlich wie beim Allradantrieb eines zweiachsigen Fahrzeuges.

Bedeutung des Fahrzeugs

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Das Fahrzeug fand nur sehr eingeschränkte Verbreitung: Frankreich gehörte zwar zu Siegerstaaten des Ersten Weltkriegs, war aber durch den Krieg gegenüber den USA hoch verschuldet; die deutschen Reparationszahlungen reichten gerade aus, um Zins- und Tilgungslasten aus diesen Krediten zu bedienen. Frankreich hatte also in den 1920er Jahren keinerlei Mittel, um seine Armee zu motorisieren, und anderen europäischen Staaten erging es ähnlich.

Die Bedeutung des Fahrzeuges liegt einerseits darin, dass es als eines der ersten Afrika von Norden nach Süden durchquerte (die Croisière Noire mit Citroēn-Fahrzeugen folgte erst ein Jahr später). Weiterhin war der Renault MH der erste leichte Lkw mit der Antriebsformel 6×4. Dieser Typ fand in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren beim Militär weite Verbreitung, zu nennen sind:

Großbritannien: Morris-Commercial D, Crossley Motors BGV
Deutschland: Krupp-Protze, Büssing G31, Klöckner-Humboldt-Deutz M206, Daimler-Benz G3
Österreich: Steyr 640
Tschechoslowakei: Praga RV, Tatra T26 und andere
Italien: Fiat-SPA Dovunque 33, Fiat-SPA Dovunque 35
Sowjetunion: GAZ-AAA
Japan: Isuzu Typ 94

Allerdings neigten 6×4-Fahrzeuge mit dem schweren Motorblock auf der antriebslosen Vorderachse dazu, sich im matschigen Untergrund „einzugraben“. Ende der 1930er Jahre erkannte man, dass ein Vierrad-Lkw mit zuschaltbarem Vorderradantrieb diesen Nachteil nicht hatte und außerdem mit geringerem Aufwand herzustellen war. Dementsprechend lösten ab 1939/40 in der 1,5-Tonnen-Klasse Fahrzeuge mit 4×4-Antrieb (z. B. Bedford OX, Morris-Commercial C8, Guy Quad Ant, SPA TL37, Daimler-Benz L 1500 A, Steyr 1500, Dodge WC-Serie) die 1,5-Tonner mit 6×4-Antrieb ab.

Der „große Bruder“ des Renault MH war der Dreitonner-Lkw Renault OX von 1925, der als erster in der Dreitonnenklasse über einen 6×4-Antrieb verfügte.

Literatur

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  • Adam Jońca: Pojazdy mechaniczne Wojska Polskiego, Warschau 2006, ISBN 978-83-60619-10-0, zit. als „Jonca“
  • Atlas des camions français : l'ère des grands routiers. Éd. Glénat, Issy-les-Moulineaux 2007, ISBN 2-7234-5924-1.
  • George Nicholas Georgano, Carlo Demand: Trucks : an illustrated history, 1896-1920. Macdonald, Jane's, London 1978, ISBN 978-0-354-01207-2.
  • Peter J. Davies: The world encyclopedia of trucks : an illustrated guide to classic and contemporary trucks around the world with over 600 colour illustrations covering the great makes and the landmarks in design and development. Hermes House, London 2011, ISBN 1-84477-577-1.
  • Halwart Schrader, Jan P. Norbye: Le dictionnaire des camions : toutes les marques de 1900 'a nos jours. Editions MDM, Boulogne 1993, ISBN 2-909313-13-1.
  • Bart H. Vanderveen: The Observer's Army Vehicles Directory to 1940. Hrsg.: Olyslager Organisation. F. Warne, London 1974, ISBN 0-7232-1540-5.
  • François Vauvillier: Tous les Renault militaires 1914–1940. Histoire et Collections, Paris 2018, ISBN 978-2-35250-498-6 (zit. als „Vauvillier“).
  • François Vauvillier, Jean-Michel Touraine, Jean Restrayn, Paul Berliet: L'automobile sous l'uniforme 1939–40. Massin, Paris 1992, ISBN 2-7072-0197-9 (zit. als „Vauvillier/Touraine“).
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Commons: Renault Type MH – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Bart H. Vanderveen: The Observer's Army Vehicles Directory to 1940. S. 73.
  2. Vauvillier-Touraine S. 163, Vanderveen verlegt diese Bestellung in das Jahr 1929 (vgl. Vanderveen 1974), was aber zu spät erscheint: 1929 gab es bereits modernere Typen.
  3. Jonca S. 34