Ein Radiosensitizer (der Begriff Strahlungssensibilisator ist in der deutschsprachigen Fachliteratur kaum etabliert) ist ein Pharmakon, das nach seiner Verabreichung selektiv die Empfindlichkeit von bösartigen Tumorzellen gegenüber ionisierender Strahlung erhöht.[1] Radiosensitizer sind eine Untergruppe der Radiomodulatoren. Radioprotektoren dagegen sind Substanzen, die selektiv das normale gesunde Gewebe schützen und so eine höhere Strahlendosis ermöglichen.[2]

Beschreibung

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Die Strukturformel von Misonidazol
 
Die Strukturformel von Nimorazol

Eines der größten Probleme der konventionellen Strahlentherapie ist die niedrige Strahlungsempfindlichkeit vieler Tumoren im Vergleich zum umgebenden gesunden Gewebe.[3] Die wesentliche Ursache für die niedrige Strahlungsempfindlichkeit ist der Sauerstoffmangel (Hypoxie) in vielen Tumoren, der durch die eher mäßige Ausbildung von neuen Blutgefäßen (Angiogenese) während des Tumorwachstums verursacht wird. Sauerstoff ist ein sehr wirksamer Radiosensitizer. In vitro sind oxygenierte Zellen um den Faktor 2 bis 3 empfindlicher gegen ionisierende Strahlen, als die gleichen Zellen in hypoxischem Milieu.[4][5] Das Verhältnis der Strahlendosis ohne Radiosensitizer zur Strahlendosis mit Radiosensitizer, bei jeweils gleichem In-vitro- oder In-vivo-Effekt wird als Sensitizer Enhancement Ratio (SER) bezeichnet. Das SER ist ein Maß für die Veränderung der Wirkung der Strahlung durch einen Radiosensitizer.[5] Um die Strahlungsempfindlichkeit von Tumoren zu erhöhen, wurden verschiedene Konzepte und eine Reihe von unterschiedlichen Substanzen (Radiosensitizer) entwickelt. Viele Substanzen und Verfahren befinden sich noch in der klinischen Erprobung.

Von den »echten« Radiosensitizern sind „Zytostatika mit synergistischer Wirkung zur Strahlentherapie“, wie beispielsweise Cisplatin, 5-Fluoruracil, Vindesin, Hydroxyharnstoff, Doxorubicin oder Actinomycin D, abzugrenzen.[5]

Therapieansätze und Substanzklassen

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Zwischen den bisher in klinischen Studien erhaltenen Ergebnissen und den präklinischen Daten (in vitro und in vivo) besteht eine deutliche Diskrepanz. Folglich gibt es bisher noch keine Empfehlung für einen Radiosensitizer, der in der Fachwelt von einem breiten Konsens getragen wird.[5]

Imitierung des Sauerstoffeffektes

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Die Strukturformel von Cytarabin
 
Die Strukturformel von Evaproxiral

Ein Therapieansatz zur Verbesserung der Radiosensitivierung ist das Imitieren des Sauerstoffeffektes im Tumor. Man versucht den Sauerstoffgehalt in Krebszellen anzuheben, um ihre Empfindlichkeit gegen ionisierende Strahlen zu erhöhen.

Ein Verfahren ist die hyperbare Oxygenierung direkt vor der Bestrahlung.[6][7] Ähnliche Effekte bewirkt Wasserstoffperoxid.[8]

Elektronenaffine Substanzen, wie Misonidazol,[9][10] Nimorazol,[11] Sanazol,[12][13][14][15] Azomycin (2-Nitroimidazol),[16] Metronidazol[17] oder Pimonidazol[18][19] aus der Gruppe der Nitroimidazole, sollen den Sauerstoffeffekt im malignen Gewebe imitieren. In Modellorganismen wurden SER-Werte von 1,3 bis 2,7 gefunden. In Dänemark setzt man Nimorazol gegen Rachen- und Kehlkopfkrebs in der Strahlentherapie ein, da sich das Molekül nach dem Einfang eines langsamen Elektrons als Radikal an durch Strahlung geschädigte DNA bindet und so die DNA-Reparatur in Tumorzellen stört. In Zellen, wo genügend Sauerstoff vorliegt, gibt Nimorazol das eingefangene Elektron wieder an den Sauerstoff ab und wird recycelt. Damit reichert sich das Radikal in sauerstoffarmen Zellen an.[20]

Efaproxiral (RFR13) verändert als Radiosensitizer im Hämoglobin die Aufnahme des Sauerstoffs, der somit schwächer an Hämoglobin bindet und leichter an hypoxisches Gewebe abgegeben wird. Efaproxiral ist ein allosterischer Effektor des Hämoglobins. Die SER-Werte liegen bei 1,8 bis 2,1.[21] Efaproxiral erhöht den zytotoxischen Effekt der Strahlentherapie und der Chemotherapie mit Zytostatika.[1][22][23][24] Im Sommer 2007 wurde die Entwicklung von Efaproxiral, das sich in der klinischen Phase III befand,[25] eingestellt. Bei Brustkrebs-Patientinnen trat – gegenüber Frauen, die nur die Strahlentherapie erhielten – kein signifikanter Überlebensvorteil auf.

DNA-Sensitizer

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Ein anderer Weg wird mit DNA-Sensitizern verfolgt. Mit Substanzen wie Bromdesoxyuridin – einem Thymidin-Analogon – wird im Zellkern die Anzahl an DNA-Einzelstrangbrüchen erhöht. Möglicherweise werden auch die intrazellulären Reparaturmechanismen gestört. Ungünstig ist jedoch die Beeinträchtigung gesunder Zellen, mit hoher Proliferationsrate durch Bromdesoxyuridin.[5] Auch Gold-Nanopartikel sind offenbar in der Lage im Zellkern die DNA-Reparaturmechanismen zu hemmen.[26]

Cytarabin, beziehungsweise dessen Stoffwechselprodukt Cytosin-Arabinosid-Triphosphat, wirkt als Radiosensitizer, indem es die Reparaturmechanismen der Krebszellen hemmt. Dies geschieht über die Inhibierung der DNA-Polymerasen.[27][28]

Multifunktionale Radiosensitizer

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Die Strukturformel von Dexrazoxan

Dexrazoxan (ICRF-187), ein EDTA-Derivat, blockiert in der frühen G2/M-Phase den Zellzyklus. In dieser Phase hat eine Zelle ihre höchste Strahlungsempfindlichkeit.[29] In Modellorganismen konnte zudem eine Normalisierung des tumorösen Blutgefäßsystems festgestellt werden, wodurch die Sauerstoffversorgung des Tumors offensichtlich verbessert wird. Zudem zeigt es eine anti-metastatische Wirkung.[30][5] Es reduziert außerdem signifikant die Kardiotoxizität von Anthracyclinen.[31] Für diese Anwendung ist Dexrazoxan zugelassen.[32] Dexrazoxan konnte in einigen Studien bei bestimmten Tumoren in Kombination mit der Strahlentherapie die Prognose verbessern.[33][34] Dagegen brachte die Gabe von Dexrazoxan bei Zervix-, Bronchial- und Kopf-Hals-Karzinomen keine Vorteile.[5]

Auch N-Methylformamid ist ein multifunktionaler Radiosensitizer.[5][35][36]

Thiolmodulatoren

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Thiolmodulatoren sind Verbindungen, die Thiol-Gruppen (-SH) blockieren. Dazu gehören unter anderem N-Ethylmaleinimid, p-Chlormercuribenzoat und Buthioninsulfoximin.[5]

Weitere Substanzklassen

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Neben diesen Verbindungen befindet sich eine Vielzahl von anderen Substanzklassen in der (prä)-klinischen Erprobung als Radiosensitizer. Dazu gehören unter anderem Resveratrol,[37] Hydroxychalkone[38] und Motexafin-Gadolinium (Gd-Tex).[39] Motexafin-Gadolinium reichert sich nach systemischer Gabe im Tumor an und katalysiert in der Zelle die Oxidation von reduzierenden Verbindungen wie Ascorbinsäure und Glutathion. Dies löst eine Reaktionskaskade aus, an deren Ende reaktive Sauerstoffspezies generiert werden.[1][40][41]

Medizingeschichtliches

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Bereits 1921 machte der deutsche Röntgenologe Hermann Holthusen die Beobachtung, dass die Strahlenempfindlichkeit von Zellen durch Sauerstoff erhöht wird.[5]

Weiterführende Literatur

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Einzelnachweise

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  2. B. Kaser-Hotz: Prinzipien der Strahlentherapie. In: M. Kessler (Hrsg.): Kleintieronkologie: Diagnose und Therapie von Tumorerkrankungen bei Hunden. Georg Thieme Verlag, 2005, ISBN 3-830-44103-7, S. 160 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. D. J. Lee, M. Moini, J. Giuliano, W. H. Westra: Hypoxic sensitizer and cytotoxin for head and neck cancer. In: Annals of the Academy of Medicine, Singapore. Band 25, Nummer 3, Mai 1996, S. 397–404, ISSN 0304-4602, PMID 8876907 (Review).
  4. L. B. Harrison, M. Chadha, R. J. Hill, K. Hu, D. Shasha: Impact of tumor hypoxia and anemia on radiation therapy outcomes. In: The oncologist. Band 7, Nummer 6, 2002, S. 492–508, ISSN 1083-7159, PMID 12490737 (Review).
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  6. K. Ogawa, S. Ishiuchi, O. Inoue, Y. Yoshii, A. Saito, T. Watanabe, S. Iraha, T. Toita, Y. Kakinohana, T. Ariga, G. Kasuya, S. Murayama: Phase II Trial of Radiotherapy after Hyperbaric Oxygenation with Multiagent Chemotherapy (Procarbazine, Nimustine, and Vincristine) for High-Grade Gliomas: Long-Term Results. In: International Journal of Radiation Oncology – Biology – Physics [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck] März 2011, ISSN 1879-355X, doi:10.1016/j.ijrobp.2010.12.070, PMID 21420247.
  7. J. P. Kapp, A. Routh, D. Cotton: Hyperbaric oxygen as a radiation sensitizer in the treatment of brain tumors. In: Surgical Neurology. Band 17, Nummer 3, März 1982, S. 233–235, ISSN 0090-3019, PMID 7079944.
  8. Y. Ogawa, K. Kubota, H. Ue, Y. Kataoka, M. Tadokoro, K. Miyatake, K. Tsuzuki, T. Yamanishi, S. Itoh, J. Hitomi, N. Hamada, S. Kariya, M. Fukumoto, A. Nishioka, T. Inomata: Phase I study of a new radiosensitizer containing hydrogen peroxide and sodium hyaluronate for topical tumor injection: a new enzyme-targeting radiosensitization treatment, Kochi Oxydol-Radiation Therapy for Unresectable Carcinomas, Type II (KORTUC II). In: International Journal of Oncology. Band 34, Nummer 3, März 2009, S. 609–618, ISSN 1019-6439, PMID 19212665.
  9. M. Bamberg, P. Tamulevicius, C. Streffer, E. Scherer: Clinical experiences with the radiosensitizer Misonidazol. In: Strahlentherapie. Band 157, Nummer 8, August 1981, S. 524–536, ISSN 0039-2073, PMID 7268822.
  10. R. P. Hill: Sensitizers and radiation dose fractionation: results and interpretations. In: International journal of radiation oncology, biology, physics. Band 12, Nummer 7, Juli 1986, S. 1049–1054, ISSN 0360-3016, PMID 2943705, (Review).
  11. M. Bache, M. Kappler, H. M. Said, A. Staab, D. Vordermark: Detection and specific targeting of hypoxic regions within solid tumors: current preclinical and clinical strategies. In: Current Medicinal Chemistry. Band 15, Nummer 4, 2008, S. 322–338, ISSN 0929-8673, PMID 18288988, (Review).
  12. W. Dobrowsky, N. G. Huigol, R. S. Jayatilake, N. I. Kizilbash, S. Okkan, T. V. Kagiya, H. Tatsuzaki: AK-2123 (Sanazol) as a radiation sensitizer in the treatment of stage III cancer cervix: initial results of an IAEA multicentre randomized trial. In: Journal of Cancer Research and Therapeutics. Band 1, Nummer 2, 2005 Apr-Jun, S. 75–78, ISSN 1998-4138, PMID 17998631.
  13. R. Rajagopalan, T. V. Kagiya, C. K. Nair: Radiosensitizer sanazole (AK-2123) enhances gamma-radiation-induced apoptosis in murine fibrosarcoma. In: Journal of radiation research. Band 44, Nummer 4, Dezember 2003, S. 359–365, ISSN 0449-3060, PMID 15031563.
  14. C. Sugie, Y. Shibamoto, M. Ito, H. Ogino, H. Suzuki, Y. Uto, H. Nagasawa, H. Hori: Reevaluation of the radiosensitizing effects of sanazole and nimorazole in vitro and in vivo. In: Journal of radiation research. Band 46, Nummer 4, Dezember 2005, S. 453–459, ISSN 0449-3060, PMID 16394636.
  15. W. Dobrowsky, N. G. Huigol, R. S. Jayatilake, N. I. Kizilbash, S. Okkan, V. T. Kagiya, H. Tatsuzaki: AK-2123 (Sanazol) as a radiation sensitizer in the treatment of stage III cervical cancer: results of an IAEA multicentre randomised trial. In: Radiotherapy and Oncology. Band 82, Nummer 1, Januar 2007, S. 24–29, ISSN 0167-8140. doi:10.1016/j.radonc.2006.11.007, PMID 17161478.
  16. M. E. Watts, M. F. Dennis, I. J. Roberts: Radiosensitization by misonidazole, pimonidazole and azomycin and intracellular uptake in human tumour cell lines. In: International journal of radiation biology. Band 57, Nummer 2, Februar 1990, S. 361–372, ISSN 0955-3002, PMID 1968500.
  17. D. Nori, J. M. Cain, B. S. Hilaris, W. B. Jones, J. L. Lewis: Metronidazole as a radiosensitizer and high-dose radiation in advanced vulvovaginal malignancies, a pilot study. In: Gynecologic Oncology. Band 16, Nummer 1, August 1983, S. 117–128, ISSN 0090-8258, PMID 6884824.
  18. D. J. Chaplin, M. R. Horsman: Tumor blood flow changes induced by chemical modifiers of radiation response. In: International journal of radiation oncology, biology, physics. Band 22, Nummer 3, 1992, S. 459–462, ISSN 0360-3016, PMID 1735678.
  19. D. J. Chaplin: The effect of therapy on tumour vascular function. In: International journal of radiation biology. Band 60, Nummer 1–2, 1991, S. 311–325, ISSN 0955-3002, PMID 1677988, (Review).
  20. Rebecca Meißner, Jaroslav Kočišek, Eugen Illenberger, Stephan Denifl: Low-energy electrons transform the nimorazole molecule into a radiosensitiser. Nature Communications 10, 2388 (2019) doi:10.1038/s41467-019-10340-8
  21. B. A. Teicher, J. S. Wong, H. Takeuchi, L. M. Gravelin, G. Ara, D. Buxton: Allosteric effectors of hemoglobin as modulators of chemotherapy and radiation therapy in vitro and in vivo. In: Cancer Chemotherapy and Pharmacology. Band 42, Nummer 1, 1998, S. 24–30, ISSN 0344-5704, PMID 9619754.
  22. E. T. Donnelly, Y. Liu, S. Rockwell: Efaproxiral (RSR13) plus oxygen breathing increases the therapeutic ratio of carboplatin in EMT6 mouse mammary tumors. In: Experimental biology and medicine (Maywood, N.J.). Band 231, Nummer 3, März 2006, S. 317–321, ISSN 1535-3702, PMID 16514179.
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  25. J. H. Suh, B. Stea, A. Nabid, J. J. Kresl, A. Fortin, J. P. Mercier, N. Senzer, E. L. Chang, A. P. Boyd, P. J. Cagnoni, E. Shaw: Phase III study of efaproxiral as an adjunct to whole-brain radiation therapy for brain metastases. In: Journal of clinical oncology : official journal of the American Society of Clinical Oncology. Band 24, Nummer 1, Januar 2006, S. 106–114, ISSN 1527-7755. doi:10.1200/JCO.2004.00.1768, PMID 16314619.
  26. D. B. Chithrani, S. Jelveh, F. Jalali, M. van Prooijen, C. Allen, R. G. Bristow, R. P. Hill, D. A. Jaffray: Gold nanoparticles as radiation sensitizers in cancer therapy. In: Radiation research. Band 173, Nummer 6, Juni 2010, S. 719–728, ISSN 1938-5404. doi:10.1667/RR1984.1, PMID 20518651.
  27. E. Richter, T. Feyerabend: Grundlagen der Strahlentherapie. Verlag Springer, 2002, ISBN 3-540-41265-4, S. 80 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
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