Kumulante

Kenngröße der Verteilung einer Zufallsvariablen in der Wahrscheinlichkeitstheorie

Kumulanten sind in der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik Kenngrößen der Verteilung einer Zufallsvariablen, die in Bezug auf die Summenbildung von stochastisch unabhängigen Zufallsvariablen einfachen Rechengesetzen genügen. Die Folge der Kumulanten beginnt mit dem Erwartungswert und der Varianz.

Definition

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Ist   die momenterzeugende Funktion der Zufallsvariablen  , d. h., es ist

 ,

so heißt die Funktion

 

kumulantenerzeugende Funktion. Die  -te Kumulante   der Zufallsvariablen   ist dann definiert durch

 .

Alternativ lassen sich Kumulanten auch durch die charakteristische Funktion   einer Zufallsvariablen   definieren.

Die  -te Kumulante   ist dann definiert durch

 

Die ersten vier Kumulanten einer Zufallsvariablen   sind, wie unten noch umfassender dargelegt wird:

 
 
  (drittes zentrales Moment) und
 

Eigenschaften

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Kumulanten können aufgrund der für sie geltenden Rechengesetze oft einfach berechnet werden:

Verschiebungs-Invarianz

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Die Kumulanten werden auch als Semiinvarianten der Dichtefunktion   bezeichnet, da sie sich, mit Ausnahme von  , bei einer Verschiebung des Erwartungswertes nicht ändern. Sei   eine Zufallsvariable, dann gilt für eine beliebige Konstante  :

 
 

Homogenität

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Die  -te Kumulante ist homogen vom Grad  , sei   eine beliebige Konstante, dann gilt:

 

Additivität

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Seien   und   stochastisch unabhängige Zufallsvariablen, dann gilt für  

 

Analog gilt für die Summe   aus   stochastisch unabhängigen Zufallsvariablen  :

 

Die Additivität beruht darauf, dass für die charakteristische Funktionen einer Summe unabhängiger Zufallsvariablen die Produktdarstellung   gilt. Für die Logarithmen gilt somit eine Additivität:

 

Besonderheit der Normalverteilung

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Für eine Normalverteilung mit Erwartungswert   und Varianz   ist die charakteristische Funktion gleich   und somit die Kumulanten:

  für  .

Alle Kumulanten größer als 2. Ordnung verschwinden. Diese Eigenschaft charakterisiert die Normalverteilung.

Man kann zeigen, dass

  • entweder alle Kumulanten außer den ersten beiden verschwinden
  • oder unendlich viele nichtverschwindende Kumulanten existieren.

Anders ausgedrückt: Die Kumulanten generierende Funktion   kann kein endliches Polynom von Grad größer 2 sein.

Kumulanten und Momente

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Kumulanten als Funktion der Momente

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Bezeichne   das n-te Moment einer Zufallsvariablen  . Durch   lässt sich   darstellen als

 

Folglich lassen sich die Kumulanten durch die Momente   bzw. folgendermaßen ausdrücken:

 
 
 
 
 

Im Allgemeinen lässt sich die Abhängigkeit der Kumulanten von den Momenten durch folgende Rekursionsformel beschreiben:

 

Alternativ lässt sich aus der Formel von Faà di Bruno die k-te Kumulante mittels der Bell-Polynome   und der Momente   darstellen als

 .

Mit den zentralen Momenten   sind die Formeln meist kürzer:

 
 
 
 
 
 

Von besonderer Bedeutung sind die ersten beiden Kumulanten:   ist der Erwartungswert   und   ist die Varianz  . Ab der vierten Ordnung stimmen Kumulante und zentrales Moment nicht mehr überein.

Herleitung der ersten Kumulanten

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Man entwickelt   um  

 

und setzt die Reihendarstellung von  

 

in obige Entwicklung ein

 

Sortiert man noch nach Potenzen von  , so erhält man die Kumulanten:

 

Momente als Funktion der Kumulanten

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Das  -te Moment ist ein Polynom  -ten Grades der ersten   Kumulanten. Hier die ersten sechs Momente:

 
 
 
 
 
 

Die Koeffizienten entsprechen genau denjenigen in der Formel von Faà di Bruno. Allgemeiner ist das  -te Moment genau das  -te vollständige Bell-Polynom  , ausgewertet an der Stelle  :

 .

Um die zentralen Momente als Funktion der Kumulanten auszudrücken, vernachlässige in obigen Polynomen für die Momente alle Terme, bei denen   als Faktor auftaucht:

 
 
 
 
 
 

Kumulanten und Mengenpartitionen

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Oben haben wir die Momente als Polynome in den Kumulanten ausgedrückt. Diese Polynome haben eine interessante kombinatorische Interpretation: ihre Koeffizienten zählen Mengenpartitionen. Die allgemeine Form dieser Polynome kann folgendermaßen geschrieben werden

 

wobei

  •   die Menge aller Partitionen einer n-elementigen Menge durchläuft;
  • " " bedeutet, dass   einer der Blöcke ist, in welche die Menge zerlegt wurde; und
  •   ist die Größe des Blocks  .

Multivariate Kumulanten

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Die multivariaten (oder gemeinsamen) Kumulanten von mehreren Zufallsvariablen X1, ..., Xn kann auch durch eine Kumulanten-erzeugende Funktion definiert werden:

 

Diese Formel kann wieder in kombinatorischer Form interpretiert werden gemäß

 

wobei   alle Partitionen von { 1, ..., n } durchläuft,   läuft durch die Menge aller Blöcke der Partition  , und   ist die Anzahl der Blöcke in  . Zum Beispiel haben wir

 

Dieser kombinatorische Zusammenhang zwischen Kumulanten und Momenten erhält eine einfachere Form, wenn man Momente durch Kumulanten ausdrückt:

 

Zum Beispiel haben wir dann:

 

Die erste Kumulante einer Zufallsvariable ist ihr Erwartungswert, die gemeinsame zweite Kumulante von zwei Zufallsvariablen ist ihre Kovarianz. Sind einige der Zufallsvariablen unabhängig voneinander, so verschwindet jede gemischte Kumulante, welche mindestens zwei der unabhängigen Variablen enthält. Sind alle Zufallsvariablen gleich, so reduziert sich die gemeinsame Kumulante   auf die gewöhnliche n-te Kumulante   von  .

Eine weitere wichtige Eigenschaft der multivariaten Kumulanten ist Multilinearität in den Variablen:

 

Folgerungen

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Gegeben seien die identisch verteilten und stochastisch unabhängigen Zufallsvariablen  .

Zentraler Grenzwertsatz

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Für die Zufallsvariable

 

ergeben sich unter Ausnutzung der Eigenschaften Homogenität und Additivität folgende Kumulanten:

 

Die Ordnung ergibt sich, da die Summe über die Einzelkumulanten   von der Ordnung   ist. Hier die Ordnungen der ersten Kumulanten:

 

Für   ist die Ordnung   hoch einem negativen Exponenten und somit gilt im Grenzwert unendlich vieler Zufallsvariablen:

 

D. h., es bleiben nur die beiden ersten Kumulanten übrig. Die einzige Verteilung, die nur die erste und zweite Kumulante besitzt, ist die Gauß-Verteilung. Damit wird plausibel, dass die Summe beliebiger Zufallsvariablen geteilt durch die Wurzel der Anzahl gegen die Gauß-Verteilung konvergiert; dies ist der Zentrale Grenzwertsatz. Um diese Plausibilitätsbetrachtung zu einem Beweis zu vervollständigen, bedarf es der Verwendung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten von charakteristischen Funktionen. Die Gauß-Verteilung nimmt also eine besondere Stellung unter allen Verteilungen ein. Wirken bei einem Experiment viele stochastisch unabhängige Einflüsse, so kann man die Gesamtheit der Einflüsse durch eine Gaußsche Zufallsvariable darstellen.

Als einfachen Spezialfall betrachte alle Zufallsvariablen als identisch   mit Mittelwert 0, Varianz   und beliebigen höheren Momenten.

 

Für die Zufallsvariable  

 

kann man gegenüber   die Verschiebungsinvarianz der Kumulanten der Ordnung größer gleich 2 ausnutzen. Der einzige Unterschied zur Zufallsvariablen   ist, dass Erwartungswert von   Null ist, auch dann wenn die Erwartungswerte der   nicht verschwinden.

 

Gesetz der großen Zahlen

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Für die Zufallsvariable

 

ergeben sich unter Ausnutzung der Eigenschaften Homogenität und Additivität folgende Kumulanten:

 

Die Ordnung ergibt sich, da die Summe über die Einzelkumulanten   von der Ordnung   ist. Hier die Ordnungen der ersten Kumulanten:

 

Für   ist die Ordnung   hoch einem negativen Exponenten und somit gilt im Grenzwert unendlich vieler Zufallsvariablen:

 

D. h., es bleibt nur die erste Kumulante bzw. das erste Moment übrig. Mit wachsendem   erhält man eine Gauß-Verteilung um den Mittelwert

 ,

wobei die Breite von der Ordnung   ist, und im Grenzfall   einen scharfen (Delta-förmigen) Peak bei  .

Als einfachen Spezialfall betrachte alle Zufallsvariablen als identisch   mit Mittelwert  , Varianz   und beliebigen höheren Momenten.

 

Somit ist   eine Zufallsvariable mit demselben Mittelwert wie   (man nennt   erwartungstreuer Schätzer für den Mittelwert von  ). Die für wachsende   immer schmaler werdende Breite der Gauß-Verteilung (Standardabweichung um Mittelwert) beträgt  .

Geschichte

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Kumulanten und ihre Eigenschaften wurden erstmals 1889 von dem dänischen Mathematiker Thorvald Nicolai Thiele in einem in dänischer Sprache erschienenen Buch beschrieben.[1] Obwohl dieses Buch im gleichen Jahr im Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik ausführlich referiert wurde,[2] blieben die Ergebnisse zunächst weitgehend unbeachtet, so dass Felix Hausdorff noch 1901 diese Kenngrößen in einer Arbeit als (von ihm) „neueingeführt“ bezeichnete.[3]

Freie Kumulanten

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In obiger kombinatorischer Momenten-Kumulanten-Formel

 

summiert man über alle Partitionen der Menge  . Wenn man stattdessen nur über nicht-kreuzende Partitionen summiert, so erhält man die freien Kumulanten. Diese wurden von Roland Speicher[4] eingeführt und spielen in der freien Wahrscheinlichkeitstheorie eine analoge Rolle wie die üblichen Kumulanten in der klassischen Wahrscheinlichkeitstheorie.[5] Insbesondere sind die freien Kumulanten additiv für freie Zufallsvariable. Die Wignersche Halbkreisverteilung, welche das freie Gegenstück zur Normalverteilung ist, ist dadurch charakterisiert, dass nur die freie Kumulante zweiter Ordnung nicht verschwindet.

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Thorvald Nicolai Thiele: Forelæsninger over almindelig Iagttagelseslære: Sandsynlighedsregning og mindste Kvadraters Methode, Kopenhagen 1889.
  2. Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik JFM 21.0210.01.
  3. Felix Hausdorff: Gesammelte Werke, Band V: Astronomie, Optik und Wahrscheinlichkeitstheorie. 2006, ISBN 978-3-540-30624-5, S. 544, 577, doi:10.1007/3-540-30669-2_8.
  4. Speicher, Roland (1994), "Multiplicative functions on the lattice of non-crossing partitions and free convolution", Mathematische Annalen, 298 (4): 611–628
  5. Jonathan Novak, Piotr Śniady: What Is a Free Cumulant? In: Notices of the American Mathematical Society. 58. Jahrgang, Nr. 2, 2011, ISSN 0002-9920, S. 300–301 (ams.org [PDF]).