Kerberos
Kerberos (altgriechisch Κέρβερος Kérberos, latinisiert Cerberus, deutsch auch Zerberus – „Dämon der Grube“[1]) ist in der griechischen Mythologie ein zumeist mehrköpfiger Hund, der den Eingang zur Unterwelt bewacht, damit kein Lebender eindringt und kein Toter herauskommt.
Mythos
BearbeitenKerberos wurde zumeist dreiköpfig geschildert[2], aber auch mit einem[3], zwei[4], fünfzig[5] oder sogar mit hundert Köpfen[6]. Die Dichter und Künstler versahen ihn oft mit einem Schlangenschwanz bzw. einer Schlange als Schwanz, Schlangenhaaren und Schlangenköpfen oder ganzen Schlangen auf dem Rücken. Sein Bellen klang metallisch[7] und sein Atem war tödlich.
Die Sage berichtet, dass dem Kerberos, als ihn Herakles – wie es eine der ihm von Eurystheus gestellten Aufgaben war[8] – gewürgt[9], gefesselt[10] und zur Oberwelt verschleppt hatte[11], der Speichel aus dem Maul troff und davon die todbringend giftige Blume Akóniton aus dem Boden spross, hierzulande bekannt als Eisenhut. Auch Ovid erzählt in seinen Metamorphosen von dem Gift Aconitum: Medea habe es aus ihrer Heimat an der Küste des Schwarzen Meeres mitgebracht und versucht, damit den Theseus zu töten. Dieses Gift sei einst aus dem Geifer des wütenden Hundes zu einer Pflanze entsprungen.[12]
In der Theogonie des Hesiod ist Kerberos ein Kind der Echidna und des Typhon[13], seine Geschwister sind die Chimära, die Hydra, der Nemeische Löwe, der zweiköpfige Hund Orth(r)os und die von diesem mit der Mutter gezeugte Sphinx. Hesiod schildert ihn als „…den blutrünstigen, den des Hades fünfzigköpfigen Hund mit der Kupferstimme.“[14]
Orpheus brauchte nicht wie Herakles zu kämpfen, um den Kerberos zu besiegen. Er gelangte in die Unterwelt, um von dort seine Gemahlin Eurydike zurückzuholen, weil er den wütenden Wächter mit seinem Lyraspiel und seinem Gesang besänftigen konnte.[15]
Psyche wiederum bestach ihn zweimal mit Honigkuchen, einmal beim Betreten und einmal beim Verlassen der Unterwelt. So schaffte sie es, den Auftrag der Venus zu erfüllen und dieser eine Dose mit der Schönheit der von Pluto in sein Reich entführten Proserpina zu bringen.[16]
Honig war auch in dem Schlafmittel, das die Seherin Sibylla, die Aeneas zum Eingang zur Unterwelt begleitete, dem Hund gab, der „mit dreifach klaffenden Schlünden“ danach schnappte und sich betäubt hinstreckte, wie es in der Aeneis heißt.[17]
Orte, von denen Menschen glaubten, dass sich dort der Eingang zur Unterwelt befinde, hinter dem die Bestie wacht, gibt es mehrere: Herakles soll an der kleinasiatischen Schwarzmeerküste bei Herakleia Pontike (heute Karadeniz Ereğli) hinabgestiegen sein. Homer ließ den Odysseus dagegen bei der „Stadt der kimmerischen Männer“ auf die Seele des Sehers Teiresias treffen. Nach einer späteren Auslegung wurde dieser Ort auch in der westlich von Neapel gelegenen Vulkanlandschaft vermutet. Dort soll sich auch der Ort befunden haben, an dem nach Vergil Aeneas das Reich der Toten betrat. Letztere sollen nach altem Glauben über den Acheron (Schwarzer Fluss) zum Averner See und von dort durch die Höhlen in den Kraterwänden des Vulkans Avernus in die Unterwelt gelangt sein. Orpheus wiederum fand den Eingang auf dem Tainaron an der Südspitze der Peloponnes. Pausanias berichtet in seiner Betrachtung Griechenlands, dass dieser bei Hermione im Nordosten der Peloponnes gewesen sei. Dionysos sei hier hinabgestiegen, um seine Mutter Semele aus dem Hades zu retten.
In Aristophanes’ Komödie Die Frösche ist nicht Kerberos der Türhüter der Unterwelt, sondern Aiakos,[18] ein Sohn des Zeus, der wegen seines Gerechtigkeitssinns nach seinem Tod zum Richter der Unterwelt berufen wurde. Dieser ersetzt den Hund ebenfalls in satirischen Werken Lukians von Samosata.[19]
Rezeption
BearbeitenDantes Göttliche Komödie
BearbeitenAuch in Dantes Göttlicher Komödie, die der Dichter 1307 zu schreiben begann, kommt Kerberos vor. „Ein Untier, wild und seltsam, Zerberus, / Bellt, wie ein böser Hund, aus dreien Kehlen / Jedweden an, der dort hinunter muss.“[20] Dante trifft auf ihn, als er im dritten Kreis der Hölle (6. Gesang) angelangt ist, in dem die Schlemmer büßen – vom ewigen Regen durchnässt, in Schlamm und Kot versinkend. Diese bewacht er und heult „wie ein Hund“ über sie hin, die ebenso „wie Hunde heulen“. „Rot sind die Augen, schmutzigschwarz der Bart, / mächtig sein Wanst und scharf bekrallt die Tatzen / er kratzt, zerfleischt die Geister, vierteilt sie“[21] Kerberos ist grausam gegen die Toten und verkörpert zugleich das Laster, für das sie bestraft werden: die Völlerei. Doch ist deren zivilisierte Schlemmerei von einst in ihm, der nach altem Mythos durch Honigkuchen zu besänftigen war, zum rein Animalischen abgesunken. Vergil, der Führer Dantes durch die Hölle, hebt mit beiden Händen Dreck auf und wirft ihn dem Tier ins gefräßige Maul und bringt es so zum Schweigen. – Illustriert wurde diese Szene von Gustave Doré (siehe Abbildung).
Redewendung
BearbeitenIm übertragenen – scherzhaften – Sinn wird ein strenger, grimmiger Wächter[22] (beispielsweise ein Pförtner oder eine Chefsekretärin[23]), im Besonderen auch ein verwegener Torwart[24] als Zerberus bezeichnet.
Biologie
BearbeitenCerberus heißt eine Gattung der Familie der Wassertrugnattern mit den vier Arten Cerberus australis, Cerberus microlepis, Cerberus rynchops und Cerberus dunsoni. Dies sind Schlangen, deren Kopf dem eines Hundes ähnelt (zu finden in Australien und Südostasien sowie auf den Palauinseln). Cerberus rynchops trägt auch den deutschen Namen Hundskopf-Wassertrugnatter. Wie alle Wassertrugnattern besitzen die Cerberus-Arten Giftzähne hinten im Maul (Trugnattern) und können auch dem Menschen gefährlich werden. Giftigkeit und Hundsköpfigkeit sind die Referenz zum mythologischen Wächter mit dem Schlangenschwanz. Darüber hinaus wurde im Jahr 2015 mit Kerberos eine Gattung aus der ausgestorbenen Gruppe der Hyaenodonta beschrieben. Die Hyaendonten repräsentieren fleischfressende Säugetiere, die möglicherweise mit den heutigen Raubtieren verwandt sind. Kerberos trat im Mittleren Eozän vor etwa 40 Millionen Jahren auf und gehört zu den größten terrestrischen Beutegreifern seiner Zeit.[25]
Informatik
BearbeitenKerberos bezeichnet einen Authentifizierungsdienst für offene und unsichere Computernetze – zum Beispiel das Internet. Der Name für den elektronischen Torhüter ist dem Wächter der Unterwelt entlehnt – offenbar ein Prädikat für die Unbestechlichkeit bei der Kontrolle des Computernetzes. Hier sind gewissermaßen der Client, der Server, den der Client nutzen will, und der Kerberos-Server die drei Köpfe.
Wirtschaft
BearbeitenCerberus Capital Management ist ein internationales Private-Equity-Unternehmen mit Sitz in New York. Es heißt, für den Gründer Stephen Feinberg habe bei der Wahl des Namens Cerberus eine Rolle gespielt, dass einer der Köpfe des mythologischen Vorbilds immer wach gewesen sei, so, wie sein Unternehmen stets die Investitionen der Kunden bewachen solle.
Harry-Potter-Reihe
BearbeitenHier bewacht ein dreiköpfiger Riesenhund den Stein der Weisen. Er wurde allerdings vom monsterliebenden Wildhüter Rubeus Hagrid „Fluffy“ genannt und lässt sich – in Anlehnung an Orpheus – mit Musik zum Einschlafen bringen.
Heraldik
BearbeitenDas dreiköpfige Fabelwesen ist in der Heraldik eine sehr seltene Wappenfigur. Bei der südfranzösischen Grenzgemeinde Cerbère handelt es sich um ein Redendes Wappen. Hier ist "Kerberos" im 3. Platz zu finden.
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Muster
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Cerbère
Gesundheit
BearbeitenDie SARS-CoV-2-Subvariante BQ 1.1 wird oftmals in Anlehnung an Kerberos als Höllenhund bezeichnet.[26][27]
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- Raphael Baer: Das Schwören des Sokrates „beim Hunde!“ In: Xenophons Apologie des Sokrates. Hrsg. von R. Baer, Verlag Bär, Niederuzwil 2007, ISBN 978-3-9523212-3-2, S. 95–125.
- Hans Martin von Erffa: Cerberus. in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Bd. 3, 1952, Sp. 394–397.
- Michael Grant, John Hazel: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. dtv, München 2004, ISBN 3-423-32508-9.
- Otto Immisch: Kerberos 2. In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band 2,1, Leipzig 1894, Sp. 1119–1135 (Digitalisat).
- Karl Kerényi: Die Mythologie der Griechen. Die Götter- und Menschheitsgeschichten. dtv, München 1994, ISBN 3-423-30030-2.
- Robert von Ranke-Graves: Griechische Mythologie. Quellen und Deutung. rororo, Hamburg 2001, ISBN 3-499-55404-6.
Weblinks
BearbeitenFußnoten/Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Plutarch, De fluviis 16,1 nennt auch den Namen Φοβερός Phoberós, deutsch ‚der Furchtbare‘.
- ↑ Euripides, Herakles 611; Vergil, Aeneis 6,417; Ovid, Metamorphosen 4,450 und 10,22; Seneca, Hercules furens 62; Bibliotheke des Apollodor 2,5,12; Hyginus, Fabulae 151; keine Zahl bei Diodor 4,25–26. Vgl. Pausanias 3,25,6
- ↑ Hesiod, Theogonie 771; Zeus-Tempel in Olympia und Hephaistos-Tempel in Athen
- ↑ Amphora des Andokides-Malers
- ↑ Hesiod, Theogonie 312
- ↑ Vgl. Pindar, Pythische Oden 1,31 und Horaz, Carmen 2,13,34
- ↑ Hesiod, Theogonie 311
- ↑ Erste Erwähnungen (ohne Nennung des Namens) bei Homer, Ilias 8,368 und Homer, Odyssee 11,623
- ↑ Bibliotheke des Apollodor 2,5,12
- ↑ Diodor 4,26
- ↑ Hades, der Gott der Unterwelt, hatte ihm erlaubt, den Hund aus seinem Reich zu schaffen, wenn er ihn ohne Waffen besiege.
- ↑ Ovid, Metamorphosen 7,404–424. Die Bauern hätten die Pflanze, da sie auf hartem Felsgrund gewachsen sei, Aconitum (griechisch akónai, steile Felsen) genannt.
- ↑ Hyginus, Fabulae 30
- ↑ Hesiod, Theogonie 311
- ↑ Vergil, Georgica 4,481–483
- ↑ Apuleius, Metamorphosen 6,18–20
- ↑ Vergil, Aeneis 6,419–423
- ↑ Aristophanes, Frösche 465–478
- ↑ Johannes Toepffer: Aiakos 1. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band I,1, Stuttgart 1893, Sp. 923–926.
- ↑ (Eine deutsche Fassung in Terzinen) – Dante Alighieris Göttliche Komödie. Übersetzt von Karl Streckfuß, Leipzig 1876
- ↑ (Eine deutsche Fassung in Blankversen) – Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Ins Deutsche übersetzt von Ida und Walther von Wartburg, Zürich 1963 (mit Kommentar).
- ↑ Wahrig Deutsches Wörterbuch. Gütersloh/München 2006.
- ↑ Der kleine Duden. Fremdwörterbuch, 3. Auflage, 1991.
- ↑ Der große Duden. Fremdwörterbuch, Mannheim 1974.
- ↑ Floréal Solé, Eli Amson, Matthew Borths, Dominique Vidalenc, Michael Morlo und Katharina Bastl: A New Large Hyainailourine from the Bartonian of Europe and Its Bearings on the Evolution and Ecology of Massive Hyaenodonts (Mammalia). PLoS ONE 10 (9), 2015, S. e0135698 doi:10.1371/journal.pone.0135698
- ↑ Der "Höllenhund" breitet sich aus. In: Tagesschau. Norddeutscher Rundfunk, 18. November 2022, archiviert vom ; abgerufen am 18. November 2022.
- ↑ Was bisher über die Corona-Subvariante BQ 1.1 bekannt ist. Westdeutscher Rundfunk Köln, 28. Oktober 2022, abgerufen am 18. November 2022.