Entheogen
Das Adjektiv entheogen (von altgriechisch ἐν en „in, innerhalb“, θεός theos „Gott“ und -gen) bezeichnet eine spirituelle Erfahrung, die als All-Einheit empfunden wird und häufig von Konsumenten psychotroper Drogen beschrieben wird. Die Bezeichnung dieser als Entheogene wurde 1970 bei einem informellen Komitee von dem amerikanischen Ethnomykologen R. Gordon Wasson (1898–1986), dem amerikanischen Ethnobotaniker Jonathan Ott und anderen eingeführt und ersetzt abwertende Bezeichnungen für spirituell nutzbare Substanzen mit halluzinogenen Wirkeigenschaften wie Cannabis, Psilocybin, LSD oder Dimethyltryptamin (DMT). Gemäß dieser Definition sind Entheogene weitgehend identisch mit den Psychedelika. Entheogene wirken psychotomimetisch (psychoseähnlich) durch die Beeinflussung verschiedener Neurotransmitter-Systeme.
In einem allgemeineren Sinne werden als Entheogene solche Stoffe und Zubereitungen bezeichnet, die traditionell zu spirituellen, mystischen und religiösen Zwecken benutzt werden. Ihr diesbezüglicher Gebrauch kann bei den unter Einfluss stehenden Personen das Gefühl hervorrufen, mit einer Gottheit oder anderen Wesenheiten verbunden zu sein oder das ganze Universum zu erfassen und zu schauen (religiöse Vision). Dieser Zustand ist vergleichbar mit dem eines Schamanen oder Medizinmannes, der glaubt, sich etwa durch die Wirkung eines Elixiers in die Lage versetzen zu können, mit den Geistern zu kommunizieren.
Beispiele
BearbeitenZu den Entheogenen gehören beispielsweise der Pflanzensud Ayahuasca, verschiedene psychoaktive Pilze, Mescalin oder der Azteken-Salbei (Götter-/Wahrsage-Salbei). Diese werden auch von indigenen Kulturen in Süd- und Mittelamerika und der Karibik genutzt.
In der aus Jamaika stammenden Glaubensrichtung der Rastafari wird Cannabis als Rauschmittel (ganja) in ritueller Weise eingesetzt.
In der indischen Religion des Shivaismus gibt es eine lange Tradition der Verwendung von Haschisch (charas) und Cannabis: Indische asketische „heilige Männer“ (Sadhus) rauchen teilweise täglich ihre ortstypischen Shillum-Pfeifen, die traditionelle Hanfzubereitung bhang wird auch in religiösen Ritualen verwendet. Bereits in der Rigveda, dem ältesten Teil der vedischen Schriften, wird Soma erwähnt, ein mit (saurer) Milch gemischter Saft einer Pflanze als Ritualgetränk bei Opfern sowie Rauschtrank der Götter.
Weitere in verschiedenen Gegenden genutzte Entheogene sind:
- Ägyptisches Bilsenkraut: ein Nachtschattengewächs
- Bauern-Tabak: ein Nachtschattengewächs
- Engelstrompeten: ein Nachtschattengewächs
- Fliegenpilz: ein Rauschmittel bei sibirischen Völkern
- Gemeine Alraune: als Zauberpflanze verwendet
- Gemeiner oder Weißer Stechapfel: in Mitteleuropa
- Himmelblaue Prunkwinde: eine Kletterpflanze aus Mexiko
- Kava: Rauschpfeffer
- Met: Honigwein
- Schwarze Tollkirsche: Atropa belladonna
- Schwarzes Bilsenkraut: Hexenkraut
- Steppenraute: Harmalkraut
- Traumkraut: Aztekisches Traumgras
Siehe auch
Bearbeiten- Entaktogene (psychoaktive Substanzen, welche die Wahrnehmung eigener Emotionen verstärken)
- Empathogene (Wirkstoffe, die das Gefühl erzeugen, mit anderen Menschen eine Einheit zu bilden)
- Psychotherapie mit Psychedelika (Einsatz psychedelischer Substanzen zur Therapieunterstützung)
- Psychonautik (Erforschen der eigenen Psyche und des Unbewussten)
- Neurotheologie (neurophysiologische Interpretation religiöser Phänomene)
- Trance (schlafähnlicher oder höchst konzentrierter Bewusstseinszustand)
- Außerkörperliche Erfahrung (Erlebnis der Empfindung, außerhalb des eigenen Körpers zu sein)
Literatur
Bearbeiten- Gerhard Böck: Genußmittel bei Wildbeutern: Drogengebrauch bei Jägern und Sammlern. Selbstpublikation. Grin, München 2012, ISBN 978-3-656-09500-2. (Doktorarbeit 1989 Philipps-Universität Marburg; Leseprobe in der Google-Buchsuche)
- Veronica M. Davidov: Ecotourism and Cultural Production. An Anthropology of Indigenous Spaces in Ecuador. Palgrave Macmillan, New York 2013, ISBN 978-1-137-35537-9, S. 154–160: Entheogen Tourism and Shamanism in Ecuador (englisch; Seitenansichten in der Google-Buchsuche).
- Robert Forte (Hrsg.): Entheogens and the Future of Religion. Neuauflage. Park Street Press, Rochester 2012, ISBN 978-1-86377-797-4 (englisch; erstveröffentlicht 1997 vom Council on Spiritual Practices in San Francisco; Leseprobe in der Google-Buchsuche, ohne Seitenzahlen).
- Peter T. Furst: Flesh of the Gods. The Ritual Use of Hallucinogens. Nachdruck. Waveland, Prospect Heights 1990, ISBN 0-88133-477-4 (englisch; original 1972).
- Jonathan Ott: Pharmacotheon. Entheogenic Drugs, Their Plant Sources And History. Natural Products, Kennewick 1993, ISBN 0-9614234-2-0. (englisch)
- Thomas B. Roberts (Hrsg.): Spiritual Growth with Entheogens. Psychoactive Sacramentals and Human Transformation. Park Street Press, Rochester 2012, ISBN 978-1-86377-709-7 (englischer Tagungsband; Leseprobe in der Google-Buchsuche, ohne Seitenzahlen).
- R. Gordon Wasson, Stella Kramrisch u. a.: Persephone’s Quest. Entheogens and the Origins of Religion (= Ethno-mycological Studies. Band 10). Neuauflage. Yale University Press, New Haven 1986, ISBN 0-300-05266-9 (englisch; Leseprobe in der Google-Buchsuche).
Weblinks
Bearbeiten- Hartwin Rohde: Entheogene Blätter. Eigene Webseite, 2007, abgerufen am 10. Juni 2018 (Online-Zeitschrift).
- Silvio A. Rhode: Entheogene Pflanzen in Religion und Ritual. In: Pharmakeia.com. Eigene Webseite, Bremen, 2008, abgerufen am 10. Juni 2018 (weiterführende wissenschaftliche Informationen über rituellen und religiösen Entheogen-Gebrauch).
- Datenbank-Eintrag: Category:Entheogens. In: Lycaeum Entheogen Database. Leda version 1.4.3, 12. Juli 2014, abgerufen am 10. Juni 2018 (englisch, 250 Artikel zu einzelnen Entheogenen).
- HanfBlatt: Interview mit Jonathan Ott. In: joergo.de. Jörg Auf dem Hövel (Hrsg.), 1. August 2000, abgerufen am 10. Juni 2018.
- PSI TV: Interview mit Jonathan Ott auf der Buchmesse Frankfurt am Main 2005, Transkription. In: Psychedelic Television. Eigener Blog, 28. August 2006, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 15. September 2007; abgerufen am 10. Juni 2018 (Jonathan Ott zu entheogenen Drogen).