Corallicolidae

monotypische Familie der Ordnung Corallicolida (Klasse Conoidasida)

Corallicolida (früher provisorisch auch Apicomplexan-Related Lineage V (ARL-V) oder Genotype-N genannt[3]) ist eine Gruppe (Ordnung) einzelliger Eukaryoten (Mikroeukaryoten bzw. Protisten), die zum Phylum (Stamm) Apicomplexa gehört. Die Gruppe besteht monotypisch nur aus der Familie Corallicolidae.[2] Der Wortstamm bedeutet „Korallenbewohner“, was auf ihre weitgehend symbiotische Beziehung zu Korallen hindeutet.[4] Mit Stand 2019 war jedoch nicht bekannt, ob diese Beziehung für den Korallenwirt eher schädlich ist (Parasitismus) oder nicht (Kommensalismus).[4] Auch wenn Funktion der Corallicoliden innerhalb des Korallenmikrobioms noch nicht vollständig verstanden ist, nehmen sie offenbar eine für den Korallenwirt lebenswichtige Rolle ein. Die damals neu entdeckten Corallicolida wurden in einer von Kwong et al. im April 2019 veröffentlichten Metastudie mit hoher Prävalenz (über 80 % der Proben, 70 % der Gattungen) in allen Hauptgruppen der Korallen gefunden. Sie waren nach den Dinoflagellaten aus der Gruppe Symbiodiniaceae die zweithäufigsten korallenassoziierten Mikroeukaryoten („Korallen-Mitbewohner“), was sie zu zentralen Mitgliedern des Korallenmikrobioms macht.[4][5]

Corallicolidae

REM-Aufnahme von Anthozoaphila gnarlus

Systematik
ohne Rang: Alveolata
ohne Rang: Apicomplexa
ohne Rang: Conoidasida
ohne Rang: Kokzidien (Coccidia)[1]
ohne Rang: Corallicolida
Familie: Corallicolidae
Wissenschaftlicher Name ohne Rang
Corallicolida
Kwong et al., 2020[2]
Wissenschaftlicher Name der Familie
Corallicolidae
Kwong et al., 2020[2]
Phylogenie der Apicomplexa und ihrer nahen Verwandten mit Darstellung der mutmaßlichen phylogenetischen Position der Corallicolida, sowie ihres Apicoplasten

Corallicolida wurden im Mikrobiom einer breiten Palette von riffbildenden Korallen, sowie Schwarzen Korallen (Antipatharia), Steinkorallen (Scleractinia) und Weichkorallen (Alcyonacea) gefunden, darunter die prominenten Fächerkorallen (Gorgonien, englisch Fan Corals), Pilzkorallen (Fungiidae) und Seeanemonen (Actiniaria).[5]

Die Corallicolida gehören zu den Apicomplexa, einer großen Gruppe von Protisten, die fast alle parasitär leben. Sie sind gekennzeichnet durch das Vorhandensein eines Apicoplast genannten komplexen Plastiden und den vorn befindlichen namensgebenden apikalen Komplex, mit dem sie in die Zellen ihres Wirts eindringen. Zu den bekanntesten Vertretern der Apicomplexa zählen die Gattungen Plasmodium mit den Malaria-Erregern und Toxoplasma mit dem Toxoplasmose-Erreger.

Merkmale

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Die Corallicolida leben in den Zellen der Mesenterialfilamente von Korallen.[4]

Obwohl sie aussehen wie die Parasiten aus ihrer Conoidasida-Verwandtschaft und auch keine Photosynthese betreiben, verfügen sie interessanterweise trotzdem über ein Chlorophyll-Biosynthesesystem, d. h. sie produzieren Chlorophyll. Welche Rolle dieses Chlorophyll bei den Corallicolida spielt, konnte bis um 2020 noch nicht geklärt werden. Jedenfalls wirft dessen Vorkommen dort eine ganze Reihe völlig neuer biochemischer Fragen auf.[4][5]

Systematik

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Die Gruppe der Corallicolida gehört zum Phylum (Stamm) Apicomplexa und ist eng mit den Kokzidien verwandt. Zusätzlich zu drei als monotypisch beschriebenen Gattungen (mit also drei Arten) wurden noch verschiedene Sequenzen aus Umwelt-DNA (englisch environmental DNA, eDNA) gemeldet. Die Zugriffsnummern stammen, wo nicht anders angegeben, vom National Center for Biotechnology Information (NCBI): Entrez Record: Nucleotide.

Corallicolida Kwong et al., 2020: Corallicolidae Kwong et al., 2020[2][6] [ehem. Gemmocystidae Upton & Peters, 1986, erweitert[7]]

  • Anthozoaphila Kwong et al. 2020
    • Anthozoaphila gnarlus [Apicomplexa sp. WKwo-2020a] (MW192642,[8] MW192641, MW192640, MW192639,[8] MW192638)
      – Wirt: Madracis mirabilis aus der Gattung Madracis aus der Steinkorallen-Familie Pocilloporidae (japanisch エダサンゴ edasango, englisch eda coral).
  • Gemmocystis Upton & Peters, 1986
    • Gemmocystis cylindrus [Apicomplexa sp. type N clone N66][9]
      – Wirt: Dendrogyra cylindrus aus der Gattung Dendrogyra (Säulenkoralle) aus der Steinkorallen-Familie Meandrinidae.
      Gemmocystis wurde zuvor in der Ordnung Agamococcidiorida Levine, 1979[10] [syn. Histogregarida Cavalier-Smith, 2014[7]], Familie Gemmocystidae Upton & Peters, 1986 geführt, zusammen mit der Familie Rhytidocystidae Levine, 1979. Aufgrund der Symbiose an Mesenterialfilamenten von Korallen und morphologischen Ähnlichkeiten wurde die Gattung hierher verschoben.[2]

Forschungsgeschichte

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Der erste Organismus des Phylums Apicomplexa, der mit Korallen in Verbindung gebracht wurde, war Gemmocystis cylindrus, 1986 von Upton & Peters erstbeschrieben. Im Jahr 2019 zeigte eine Studie, dass diese Umwelt-DNAs in den Zellen der Mesenterialfilamente (japanisch サンゴの隔膜糸 sango no kakumaku ito, englisch mesenterial filaments) als Endosymbionten leben, wovon sich die Bezeichnung der Ordnung Corallicolida ableitet.[4]

Nach einer im Mai/Juni 2024 von Anthony M. Bonacolta et al. veröffentlichten Studie bilden die Corallicolida zusammen mit den per DNA-Sequenzierung bei Knochenfischen identifizierten und englisch als Ichthyocolids bezeichneten Gruppe eine Schwesterklade der [Kokzidien#Eimeriorina|Eimeriorina]]; beide Gruppen gehören damit zu den Kokzidien.[1]

Die Farbwechselnde Gorgonie als Corallicolida-Wirt

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Im Jahr 2024 veröffentlichten Anthony M. Bonacolta et al. eine Studie, in der sie die mikrobielle Gemeinschaft der Farbwechselnden Gorgonie (Paramuricea clavata) untersuchten, die sich aus einem bakteriellen und mikroeukaryotischen Teil zusammensetzt. Es zeigte sich, dass die Zusammensetzung der mit P. clavata assoziierten Mikroeukryoten signifikant stark mit thermischem Stress korreliert war. Syndiniales aus der Dino-Group I Clade 1 waren deutlich in thermisch resistenten Korallen vertreten, während die Corallicolida ebenso klar in thermisch anfälligen Korallen überwogen. Eine Erklärung für diese Beobachtung könnte nach Vorschlag der Autoren sein, dass die Sterblichkeit der Farbwechselnden Gorgonie nach Hitzestress mit zusätzlichem Stress durch einen Übergang vom Kommensalismus zum Parasitismus bei den Corallicolida erhöht wird. Die Ergebnisse zeigen jedenfalls, dass für das Verständnis der Reaktion von Korallen auf Hitzestress im Rahmen der Erhaltungsbemühungen und der Erforschung von korallenassoziierten Protisten neben den Dinoflagellaten (Syndiniales) auch Corallicolida (Apicomplexa) beachtet werden müssen.[8]

Bedeutung

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Die Apicomplexa entwickelten sich aus freilebenden phototrophen Vorfahren; unklar bleib bisher wie der Übergang zum Parasitismus genau erfolgte. Ein möglicher Hinweis liegt in Korallenriffen, denn DNA-Untersuchungen von dortigen Umweltproben haben mehrere Linien von nicht offiziell beschrieben (kultivierten), sich basal verzweigenden Apicomplexa aufgedeckt. Die meisten Apicomplexa haben Relikte von Plastiden behalten (Apicoplasten), und zwei photosynthetisch aktive Colpodellales (syn. Chromerida), nämlich Chromera velia[9] (Alge des Jahres 2020) und Vitrella brassicaformis, beide aus Korallenriffen isoliert, sind die nächsten freilebenden Verwandten der parasitären Apicomplexa. Die Gruppe der Chlorophyll produzierenden Corallicolida könnte weiter dabei helfen, Licht in das Dunkel dieser Evolutionsgeschichte zu bringen.[4]

Siehe auch

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Weiterführende Literatur

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Einzelnachweise

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  1. a b Anthony M. Bonacolta, Joana Krause-Massaguer, Nico J. Smit, Paul C. Sikkel, Javier del Campo: A new and widespread group of fish apicomplexan parasites. In: Current Biology, Band 34, Nr. 12, 17. Juni 2024, S. 2748-2755.e3; doi:10.1016/j.cub.2024.04.084, Epub 30. Mai 2024 (englisch). Dazu:
  2. a b c d e f g h Waldan K. Kwong, Nicholas A. T. Irwin, Varsha Mathur, Ina Na, Noriko Okamoto, Mark J. A. Vermeij, Patrick J. Keeling: Taxonomy of the Apicomplexan Symbionts of Coral, including Corallicolida ord. nov., Reassignment of the Genus Gemmocystis, and Description of New Species Corallicola aquarius gen. nov. sp. nov. and Anthozoaphila gnarlus gen. nov. sp. nov. In: Journal of Eukaryotic Microbiology, Band 68, Nr. 4, Juli/August 2021, S. e12852; doi:10.1111/jeu.12852, Epub 25. März 2021 (englisch).
  3. Harald Gruber-Vodicka, Henry Berndt, Igor Duarte: Symbiosis: Aquatic apicomplexans shedding light on disguised associations. In: Current Biology, Band 34, Nr. 12, 17. Juni 2024, S.&nvsp;R576-R578; doi:10.1016/j.cub.2024.05.003 (englisch).
  4. a b c d e f g h Waldan K. Kwong, Javier del Campo, Varsha Mathur, Mark J. A. Vermeij, Patrick J. Keeling: A widespread coral-infecting apicomplexan with chlorophyll biosynthesis genes. In: Nature. 568. Jahrgang, Nr. 7750, 3. April 2019, ISSN 1476-4687, S. 103–107, doi:10.1038/s41586-019-1072-z (englisch).
  5. a b c Luc De Roy: Eerste organisme ontdekt met chlorofyl-genen dat niet aan fotosynthese doet (Erster Organismus mit Chlorophyllgenen entdeckt, der keine Photosynthese betreibt). Auf: VRT NWS (vrt.be) vom 1. April 2019 (niederländisch)
  6. NCBI Taxonomy Browser: Corallicolidae. Details: Corallicolidae Kwong et al. … (family).
  7. a b Taxon: Order Histogregarida Cavalier-Smith, 2014 (protozoan). The Taxonomicon. Universal Taxonomic Services, Zwaag, Niederlande (taxonomy.nl). Stand: 1. Februar 2024.
  8. a b c d e f g Anthony M. Bonacolta, Jordi Miravall, Daniel Gómez-Gras, Jean-Baptiste Ledoux, Paula López-Sendino, Joaquim Garrabou, Ramon Massana, Javier del Campo: Differential apicomplexan presence predicts thermal stress mortality in the Mediterranean coral Paramuricea clavata. In: Environmental Microbiology, Band 26, Nr. 1, Januar 2024, S. e16548; doi:10.1111/1462-2920.16548, PMID 38072822, ResearchGate:376399835, Epub 10. Dezember 2023 (englisch). Siehe insbes. Graphical Abstract. Dazu:
  9. a b Jan Šlapeta, Marjorie C. Linares: Combined Amplicon Pyrosequencing Assays Reveal Presence of the Apicomplexan “type-N” (cf. Gemmocystis cylindrus) and Chromera velia on the Great Barrier Reef, Australia. In: PLoS One, Band 8, Nr. 9, 30. September 2013, S. e76095; doi:10.1371/journal.pone.0076095, PMC 03786883 (freier Volltext), PMID 24098768 (englisch).
  10. NCBI Taxonomy Browser: Agamococcidiorida, Details: Agamococcidiorida (order). Dazu:
  11. NCBI Taxonomy Browser. Corallicolida sp. WKK-2018b (species).
  12. a b Samuel A. Vohsen, Kaitlin E. Anderson, Andrea M. Gade, Harald R. Gruber-Vodicka, Richard P. Dannenberg, Eslam O. Osman, Nicole Dubilier, Charles R. Fisher, Iliana B. Baums: Deep-sea corals provide new insight into the ecology, evolution, and the ro​le of plastids in widespread apicomplexan symbionts of anthozoans. In: Microbiome, Band 8, Nr. 1, 12. März 2020, S. 34; doi:10.1186/s40168-020-00798-w, PMC 7068898 (freier Volltext), PMID 32164774 (englisch). Dazu:
  13. N. L. Kirk, D. J. Thornhill, D. W. Kemp, W. K. Fitt, S. R. Santos: Ubiquitous associations and a peak fall prevalence between apicomplexan symbionts and reef corals in Florida and the Bahamas. In: Coral Reefs, Band 32, 26. April 2013, S.&nbsP;847–858; doi:10.1007/s00338-013-1038-9, Academia:20378205 (englisch); siehe insbes. Fig. 1. Dazu: