Carl Fingerhuth

Schweizer Architekt und Stadtplaner

Carl Jakob Heinrich Fingerhuth (* 14. März 1936 in Zürich; † 15. November 2021 in Zollikon) war ein Schweizer Architekt, Stadtplaner und Publizist. Er war von 1978 bis 1992 Basler Kantonbaumeister.

Pavillon "Wehrhafte Schweiz"

Carl Fingerhuth studierte an der ETH Zürich Architektur.[1] Nach dem Diplom 1960 ging er nach Ägypten, wo er am Schweizerischen Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo arbeitete. Danach war er zwei Jahre in Zürich angestellt, bevor er dort 1964 sein eigenes Büro für Raumplanung und Städtebau eröffnete. Bis zu seiner Wahl zum Kantonsbaumeister von Basel 1978 entwickelte er Projekte in der Schweiz, in Frankreich, Nigeria, Österreich und Spanien, unter anderem 1974–79 die Hauptstadtplanung des nigerianischen Bundesstaates Imo in Owerri.

1979 als Nachfolger des Basler Kantonsbaumeisters Hans Luder (Architekt) gewählt, hatte Fingerhuth wesentlichen Anteil daran, dass die "Staatliche Heimatschutzkommission", die zum Ziel hatte "bestehende Heimatbilder vor frevelnden Eingriffen zu schützen"[2] 1980 in "Stadtbildkommission"[3] umbenannt wurde. In dieser Kommission, weder politisches Gremium noch interne Arbeitsgruppe von Beamten, hatte auch der Denkmalschutz eine Stimme. Sie war, als ehrenamtliches Gremium, eines der Vorbilder für deutsche Gestaltungsbeiräte, hatte jedoch gegenüber der Baubewilligungsbehörde nicht nur eine beratende, sondern auch eine bindende Funktion.

Fingerhuth wurde in zahlreiche nationale[4] und internationale[5], Wettbewerbsjurys geladen. Nach seinem Engagement im politischen Amt nahm er 1992 seine Planungs- und Beratertätigkeit in städtebaulichen Projekten wieder auf und trat, neben seiner Gutachter- und Jurytätigkeit, auch vermehrt als Publizist auf[6], der u. a. die Entwicklung der Schweiz kritisch begleitete.[7] Entscheidenden Einfluss auf den Städtebau im deutschsprachigen Raum hatte er auch durch Vorträge und seine Mitwirkung in Planungs-Gestaltungsbeiräten, u. a. in Salzburg, Mannheim[8], Mainz, Karlsruhe, Kempten[9], Regensburg[10], München, Bremen, Berlin[11] und Halle, in denen er oft den Vorsitz innehatte.[12]

Carl Fingerhut hinterlässt vier Kinder und fünf Enkelkinder.

Lehrtätigkeit

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Fingerhuth war 1981 und 1986 Gastprofessor an der Virginia Polytechnic Institute and State University. Ab 1988 war er für sechs Jahre Lehrbeauftragter an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. In den Jahren 1993 und 1994 war er an der Universität Strassburg, 1995/96 und von 1998 bis 2001 lehrte er als Vertreter der Professur für Entwerfen, Städtebau und Siedlungswesen an der TU Darmstadt (seither dort Honorarprofessor[13]) und 2005 bis 2007 an der Universität Genua. Daneben nahm er Lehraufträge an der ETH Zürich und der Universität Genf wahr.[14] Zwischen 2014 und 2016 hatte er einen Lehrauftrag an der Libera Universita della Santa Maria Assunta (LUMSA) in Rom.

Mitgliedschaften

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Teil der Basler Altstadt, Stand 1986

Als Fingerhuth 1979 zum Kantonsbaumeister von Basel gewählt wurde, war er damit zuständig für die Transformation des Raumes in einer Stadt, die er als zweitausend Jahre altes, dynamisches, komplexes und widersprüchliches Gefüge betrachtete, in dem es bei allen Vorhaben zwischen Erneuerung und Kontinuität abzuwägen gelte. Fingerhuth liess sich auf diesen Prozess ein, führte in Basel die Praxis der Public-private-Partnership ein und verlangte von der öffentlichen Hand wie von privaten Investoren, Verantwortung für das kulturelle Erbe zu übernehmen.[15]

Zwischen 1978 und 1992 verstand er sich als Bauherrenvertreter, dessen Aufgabe auch in der Kultur- und Nachwuchsförderung bestand, indem er offene Bauwettbewerbe ausschrieb bzw. auch bei privaten Bauherren propagierte. Auf diese Weise konnten viele junge Büros früh verantwortliche Projekte erringen.[16]

Exemplarisch für das jahrzehntelange Engagement von Carl Fingerhuth als "Handlungsreisender"[17] in Sachen Architekturkultur und Stadtbaukunst stand am Anfang seiner Tätigkeit als Kantonsbaumeister das innerstädtische Rosshof-Areal[18], und in Folge die Sanierung der Basler Altstadt mit Projekten von Herzog & de Meuron[19], Santiago Calatrava[20], Diener & Diener Architekten[21], Rolf Keller[22], Michael Alder[23], sowie Ueli Marbach und Arthur Rüegg.[24]

Fast ein Vierteljahrhundert nachdem das Buch Bauten für Basel mit der deutlichen, aber kontextuell schonenden Städtebaustrategie des damaligen Kantonsbaumeister Fingerhuth erschienen war, sah er sich gezwungen, das Basler Megaprojekt, den Roche-Turm 1, seiner ehemaligen "Schützlinge" Herzog & de Meuron, als "stadträumlichen Verlust für Basel" zu kritisieren. "Der Rocheturm ist viel zu monumental", sagte er im SRF im Dezember 2012 (s. unter Weblinks) und wetterte im darauffolgenden Januar in der NZZ: "Es handelt sich um die gewalttätigste und respektloseste Architektur, die bis jetzt in der Schweiz gebaut wurde."[25]

Auch nach Bekanntwerden der Planung für den Roche-Turm 2, Ende 2014, blieb er dabei: Die städtebauliche Situation wird noch verschlimmert... Die Stellung eines solchen Akzents so nah an der Altstadt finde ich grundsätzlich falsch. Er schadet dem Stadtbild. Basel verliert damit seine einmalige Identität mit der Pfalz und der Altstadt direkt am Rheinufer. Darin besteht die wesentliche Stärke von Basel.[26]

Anfang 2020 blickt Jaques Herzog zurück: Carl (Fingerhuth) hat grosse Verdienste bei der Förderung der damals jungen Architektengeneration... Wir profitierten insbesondere davon, dass er kleine Wettbewerbe organisierte für Junge. Dafür suchte er neue und ungewohnte Orte. Baulücken und Hinterhöfe etwa...Carl war charismatisch und engagiert.. und erläutert weiter: Ich schätzte stets sein Engagement für die Stadt der tradierten Bauformen und Bautypologien: Randbebauung, Hof, Höhenbeschränkung, Proportionen und Materialisierung... Seine Sicht auf die Stadt der Gegenwart ist aber zu begrenzt – wie man am Beispiel Nauenstrasse erkennen kann – weil sie den grossen Massstab, den Massstabssprung und die Entwicklung in der Vertikalen ausblenden möchte. Er misst Basel noch heute an der Komposition der historischen Stadt mit dem Münsterhügel als alles dominierende Silhouette. Die historische Stadt ist ein Zentrum, aber nicht das alleinige Zentrum. Die heutige Stadt ist voller Widersprüche und Gegensätze. Basel wird zunehmend eine heterotopische und polyzentrische Stadt.[27]

Die Auseinandersetzung um die Roche-Türme, in der Fingerhuth in seinem letzten Lebensjahrzehnt eindeutig Position bezog ("...ist ein Präjudiz für die gesamte Schweizer Baukultur"), und die Intransparenz eines Planungsprozesses für "einen Turm der am Ende jeden Bürger der Stadt betrifft" (Hubertus Adam, Architekturkritiker und Leiter des Schweizerischen Architekturmuseums in Basel) wurde umfänglich durch die Redaktion der Basler TagesWoche dokumentiert[28]

Ende Januar 2020 wurde die Stadtbildkommission als Oberbaubehörde durch den Grossen Rat der Stadt Basel "entmachtet"[29] und Mitte 2020 ging, nach änfänglichen Überlegungen drei weitere, niedrigere Gebäude zu errichten[30], der dritte Roche-Turm in Planung[31]

Filmografie

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  • GP Carl Fingerhuth Stadtplanung und Nachhaltigkeit youtube.com
  • GP Carl Fingerhuth Stadtplanung und Nachhaltigkeit Teil2 youtube.com

Vorträge (Auswahl)

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  • Die Stadt jenseits der Moderne, Aalener Rathaus[32]
  • Stadt sucht Identität : Baukultur jenseits der Moderne, Badische Zeitung[33]

Literatur

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  • Lydia Buchmüller: Fingerhuth, Carl. In: Isabelle Rucki und Dorothee Huber (Hrsg.): Architektenlexikon der Schweiz – 19./20. Jahrhundert. Birkhäuser, Basel 1998, ISBN 3-7643-5261-2, S. 176.
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Einzelnachweise

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  1. nextroom-architektur im netz: Carl Fingerhuth. Abgerufen am 10. September 2020.
  2. Paul Huber: Die Stadtbildkommission, In: Bauten für Basel, Baudepartement Basel-Stadt, Hochbauamt, Wepf & Co, Basel 1988, S. 166
  3. BD-REG 14 Stadtbildkommission., In: Online-Archivkatalog des Staatsarchivs Basel-Stadt, abgerufen: 18. Oktober 2022
  4. Weite statt Architektur, Wettbewerb neues Stadthaus in Kreuzlingen, In: Hochparterre (Zeitschrift und Verlag), 22. Mai 2015, abgerufen: 9. Oktober 2022
  5. The Circle at Zurich Airport, Zürich/Schweiz, Wettbewerbsergebnis des begrenzten offenen Wettbewerbs mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren in 3 Stufen, In: Wettbewerbe Aktuell, 11. Februar 2010, abgerufen: 9. Oktober 2022
  6. Publikationen Carl Fingerhuth, In: Webseite der eigenen Homepage, abgerufen: 11. Oktober 2022
  7. Buchvernissage: "Menschen wie Häuser, Häuser wie Städte, Städte wie die Welt" von Carl Fingerhuth | ArchitekturBasel. 4. September 2019, abgerufen am 10. September 2020 (Schweizer Hochdeutsch).
  8. Abschied von der Architekturjury - Prof. Carl Fingerhuth gibt nach vier Jahren turnusgemäß den Vorsitz des städtischen Gestaltungsbeirates auf., In: Mannheimer Morgen, 25. Juli 2014, abgerufen: 9. Oktober 2022
  9. Podiumsdiskussion zum Gestaltungsbeirat der Stadt Kempten. In: Kreisbote Kempten, 27. Oktober 2017, abgerufen: 9. Oktober 2022
  10. Nicht zu viel Farbe bekennen oder: Pornographische Lärmbelästigung., In: "regensburg-digital", 23. Juli 2009, abgerufen: 9. Oktober 2022
  11. Quartier Heidestraße, Teil 1., In: MoabitOnline, 19. Dezember 2008, abgerufen: 9. Oktober 2022
  12. LudwigsstraßenForum, Stellungnahme des PGB., In: Carl Fingerhuth i. A. der Mitglieder des Planungs- und Gestaltungsbeirates PDF, Zürich, 17. November 2013
  13. Prof. Carl Fingerhuth In: Liste "Honorarprofessoren", Webseite der TU Darmstadt, abgerufen: 11. Oktober 2022
  14. Curriculum Vitae (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive) auf www.fingerhuth.com, abgerufen am 4. Januar 2015
  15. Carl Fingerhuth plante in der Stadt, was ihm am wichtigsten war: die Zusammenarbeit, Nachruf von Anna Schindler in NZZ, 24. November 2021, abgerufen: 12. Oktober 2022.
  16. Shifting paradigms: Basel architectural icons of the 1980s revisited, In: "Architektur Basel", 17. April 2020, abgerufen: 10. Oktober 2022.
  17. Schönheit kann man nicht zählen., Gespräch mit Carl Fingerhuth, In: Mannheimer Morgen, 26. Februar 2011, abgerufen am 10. Oktober 2022.
  18. Carl Fingerhuth: Die Überbauung des Rosshofs. In: "BaslerStadtBuch", Ausgabe: 1988, hrsg: Christoph Merian Stiftung, abgerufen: 10. Oktober 2022.
  19. Herzog & de Meuron, Wohnhaus im Hof, Hebelstrasse Basel, 1984-1988., Foto von Raimund McClain, digitalisiertes Ansichtsexemplar, katalogisiert In: Texas Tech University Library, abgerufen: 12. Oktober 2022.
  20. Tabourettli Theater, Basel, 1987. In: Homepage Santiago Calatrava, abgerufen: 10. Oktober 2022.
  21. Wohnhäuser St. Alban-Tal, 1981–1986., In: Homepage Diener & Diener Architekten, abgerufen: 10. Oktober 2022.
  22. Wohnhaus St. Alban-Rheinweg, 1987, In: "ArchitekturBasel", 4. April 2020, abgerufen: 10. Oktober 2022.
  23. Wohnhaus und Ateliers, St. Alban-Tal, 1987/88 In: "ArchitekturBasel", 25. Januar 2020 und 7. März 2020, abgerufen: 10. Oktober 2022.
  24. Wohn- und Geschäftshaus Spalenvorstadt 11, 1985., In: "Architektur für den Augenblick", Werk, Bauen Wohnen, Heft 1/2, Band 73 (1986), e-Periodica, ETH-Bibliothek Zürich, abgerufen: 10. Oktober 2022.
  25. Bau Eins in Basel., In: Titelheft Bauwelt (Zeitschrift), "Bergland im Höhenrausch", Ausgabe 11, März 2016, abgerufen: 12. Oktober 2022.
  26. Basel wird wie Frankfurt. In: Aargauer Zeitung, 26. Oktober 2014, abgerufen: 12. Oktober 2022.
  27. Jacques Herzog: „Basel riecht weniger, oder?“, In: Architektur Basel, Monatsinterview #4 mit Lukas Gruntz, 1. Februar 2020, abgerufen: 12. Oktober 2022.
  28. Der Turm, der Basels Stadtbild in Schieflage brachte., In: TagesWoche vom 14. September 2015, abgerufen: 18. Oktober 2022.
  29. Kritik an der Zurückstufung der Stadtbildkommission. In: SRF Sendung vom 24. Januar 2020, abgerufen: 18. Oktober 2022.
  30. Denkmalschutz-Debatte: Türme und Trümmer beim Roche-Areal in Basel., In: Baublatt, 8. Juni 2022, abgerufen: 18. Oktober 2022
  31. So sieht der dritte Roche-Turm aus. (Memento des Originals vom 18. Oktober 2022 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/telebasel.ch, In: Telebasel-News-Beitrag vom 14. Oktober 2020, abgerufen: 18. Oktober 2022
  32. International renommierter Architekt und Stadtplaner Prof. Fingerhuth spricht in Aalen „Die Stadt jenseits der Moderne“. Presse-und Informationsamt, Stadt Aalen, abgerufen am 10. September 2020.
  33. "Matinee zur Stadtentwicklung". Abgerufen am 9. Oktober 2022.