Brüsseler Pakt

völkerrechtlicher Vertrag, der am 17. März 1948 unterzeichnet wurde

Der Brüsseler Pakt (französisch Traité entre la Belgique, la France, le Luxembourg, les Pays-Bas et le Royaume-Uni de Grande-Bretagne et de l'Irlande du Nord, dt. auch Westpakt, Vertrag über die Westeuropäische Union) war ein völkerrechtlicher Vertrag, der am 17. März 1948 von Belgien, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland in der belgischen Hauptstadt Brüssel unterzeichnet wurde.[1]

Der Pakt stellt eine Erweiterung des Dünkirchener Vertrages aus dem Jahr 1947 dar. Aus ihm ging 1954 die Westeuropäische Union (WEU) hervor und 2009 die Beistandsklausel in Art. 42 Abs. 7 des EU-Vertrags.[2]

Der Brüsseler Pakt war einerseits Grundlage einer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenarbeit der Vertragsstaaten zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg (Art. I bis III),[3] andererseits militärischer Beistandspakt für den Fall, dass eine der Vertragsparteien das Ziel eines Angriffs in Europa werden sollte. Alle im Bündnisfall getroffenen Maßnahmen sollten unverzüglich dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mitgeteilt und wieder eingestellt werden, sobald der Sicherheitsrat die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Anders als die kollektive Selbstverteidigung nach außen gem. Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen sollten Streitigkeiten unter den Vertragsstaaten nur durch friedliche Mittel beigelegt werden (Art. IV und VIII).[4]

Bedeutung

Bearbeiten

Nach der Truman-Doktrin von März 1947 und unter dem Eindruck des kommunistischen Umsturzes im Februar 1948 in der Tschechoslowakei setzte sich vor allem in Großbritannien die Überzeugung durch, dass das Muster des bilateralen Dünkirchener Vertrages, der seine schmale Basis in einem Sicherungsvertrag gegen Deutschland hatte, der weiteren Entwicklung des Kalten Krieges nicht mehr entsprach.[5] War doch weniger eine Aggression Deutschlands zu erwarten, als vielmehr eine Konfrontation des Westens mit der Sowjetunion auf deutschem Boden, der durch den Eisernen Vorhang geteilt war.

Am 17. März 1948 unterzeichnen daher Großbritannien und Frankreich zusammen mit den Benelux-Staaten den Brüsseler Pakt zur Gründung der Westunion, der nicht mehr allein auf Deutschland, sondern auf jeglichen bewaffneten Angriff in Europa auf eines seiner Mitglieder abzielte.[6]

Mit der Unterzeichnung der Verträge zur Gründung der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) im April 1948, der Nordatlantikpaktorganisation (NATO) im April 1949, des Europarates im Mai 1949 und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im April 1951 verlor der Brüsseler Pakt an Bedeutung.

Geltung für die Bundesrepublik Deutschland

Bearbeiten

Das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und die Westpolitik Konrad Adenauers führten 1954 zu einer Erweiterung des Brüsseler Pakts zur Westeuropäischen Union (WEU), in der auch eine deutsche Beteiligung möglich war.

Mit Gesetz vom 24. März 1955 stimmte der Deutsche Bundestag dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag zu, der im Bundesgesetzblatt unter der Bezeichnung Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit und über kollektive Selbstverteidigung verkündet wurde.[7] Am 6. Mai 1955 trat der Vertrag zusammen mit dem Nordatlantikvertrag und dem Aufenthaltsvertrag in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft.[8] Der Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit und über kollektive Selbstverteidigung trat für die Bundesrepublik Deutschland mit Ablauf des 30. Juni 2011 außer Kraft.[9]

Zeitliche Einordnung in den Prozess der Europäischen Einigung

Bearbeiten

Literatur

Bearbeiten
  • Bert Zeeman: Der Brüsseler Pakt und die Diskussion um einen westdeutschen Militärbeitrag. In: Ludolf Herbst, Werner Bührer, Hanno Sowade (Hrsg.): Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 1990, S. 399–425.
  • Erwin A. Schmidl: Von Dünkirchen nach Brüssel. Die Entstehung von NATO und WEU. Militärwissenschaftliches Büro des Bundesministeriums für Landesverteidigung (BMLV), 1998. Volltext online.
  • Johannes Varwick: Sicherheit und Integration in Europa. Zur Renaissance der Westeuropäischen Union. Springer Fachmedien, Wiesbaden 1998.
  • Alexander Witulski: Ist die Europäische Union auf dem Weg zu einer Verteidigungsunion? Zur Schaffung autonomer europäischer militärischer Handlungsfähigkeit durch die sukzessive Entwicklung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik im Rahmen der GASP. Wissenschaftsverlag Mainz, Aachen 2002. Zugl.: Marburg, Univ.-Diss. 2002.

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Der Westpakt (17. März 1948). Die Friedens-Warte 1948, S. 172–178.
  2. EU-Bündnisfall: Rechtliche Grundlagen und praktische Auswirkungen. Europäisches Parlament, 20. Januar 2016.
  3. vgl. Johannes Schregle: Der Brüsseler Pakt — sozialpolitisch gesehen. Sozialer Fortschritt 1954, S. 247–249.
  4. Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit und über kollektive Selbstverteidigung (Brüsseler Vertrag; Vertrag über die Westeuropäische Union) vom 17. März 1948. politische-union.de, abgerufen am 25. September 2022.
  5. Jochen Stöckmann: Schritt zum Kalten Krieg. Deutschlandfunk, 4. März 2007.
  6. Die Westunion. CVCE, abgerufen am 26. September 2022.
  7. Gesetz betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag vom 24. März 1955, BGBl. II S. 256
  8. Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Brüsseler Vertrags und des Nordatlantikvertrags für die Bundesrepublik Deutschland sowie über das Inkrafttreten des Vertrags über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 9. Mai 1955, BGBl. II S. 630
  9. Bekanntmachung über das Außerkrafttreten des Brüsseler Vertrags und der weiteren hierzu unterzeichneten Protokolle vom 13. Juni 2013, BGBl. II S. 1086