Benutzerin:Motmel/Streit um musikalische Autorschaft
Zur Zeit gibt es Krieg. Was ist Krieg? Was Streit? Der am 24. Februar 2022 von Putin begonnene Krieg gegen die Ukraine kann nicht nur „Streit“ genannt werden, denn es geht um Leben, Sterben und Macht. Beim Streiten dagegen gehört Vertragen dazu. Auch erbittertes Streiten hat Vertragen als Ziel. Eigentlich. Oder? Krieg aber hört erst auf, wenn einer ihn gewinnt. Sagt Putin, koste es, was es wolle.
Im Streit um das Cembalokonzert in g-Moll geht es um die Autorschaft, weil die bisherige be-stritten wird. Mit anderem Wort: sie ist seitdem strittig. Zu mindestens für die Partei A, die 2009 wie von einem bewiesenen Faktum schreibt, der Komponist sei Johann Gotthilf Jänichen.[1] Warum? Weil eine erst 1997 gefundene Handschrift desselben Stücks Wilhelmines Namen nicht trägt. D. h., diese Handschrift hat drei verschiedene unbekannte Schreiber und blieb zunächst anonym. Mit späterer Schrift wurden zwei verschiedene Komponistennamen darauf notiert: Erst „Foerster“, dieser wurde durchgestrichen und später mit anderer Schrift „Jaenichen“ notiert, dem die neue Autorschaft ohne wirkliche Beweise zuerkannt wird. Dabei werden die Umstände der Quellenüberlieferung ignoriert.
Bevor diese beschrieben werden, muss auf die Besonderheit des Fundes hingewiesen werden: Es handelt sich nicht nur um die einzige vollständige Abschrift des Konzertes, dessen Solostimme bei seiner ersten Katalogisierung 1890 in der HAB Wolfenbüttel fehlte, sondern es dürfte sich zudem um ein frühes Beispiel innerhalb der Geschichte des originalen Klavierkonzerts handeln, das nicht erst aus einem Violinkonzert entwickelt wurde,[2] wie von Johann Sebastian Bach, dem „Schöpfer des Klavierkonzertes“.
- Umstände der Überlieferung
- Auf dieser erst 1997 gefundenen vollständigen Handschrift stand offenbar zunächst nur eine Ordnungsnummer: 7. g [G?] am rechten oberen Rand des Umschlags. Dieser Umschlag besteht aus bunt marmoriertem, so genannten Vorsatzpapier, das am Bayreuther Hof häufig verwendet wurde.[3] Dahinein ist die Cembalostimme gebunden und sind die Streicherstimmen eingelegt. Wahrscheinlich später kam das Titelschild darauf mit anderer Numerierung. Die ursprüngliche Ordnungsnummer „7“ war offensichtlich vorher da, wurde aber auf dem Titelschild nicht übernommen: No.1 [!]/ CONCERTO / à / Cembalo Concertato / 2 Violini / Viola et / Basso / del Sig. Foerster, letzterer ein Musikername, der im Umkreis des Weimarer Hofs bekannt ist, wurde durchgestrichen, dafür mit wieder anderer Schrift „Jaenichen“ gesetzt (also nochmal später). Ein typischer Fall von Unklarheit eines Manuskriptes „ohne Absender“, d.h. keine sichere Autorenangabe.
Das neugefundene, vollständige Stimmen-Manuskript stammt aus der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek Weimar; laut Katalogisierung aber nicht aus dem Besitz der Herzogin Anna Amalia, sondern von einer Sammlung aus Altenburg (Thüringen), wie heute vermerkt ist. Beim unglücklichen Brand der HAAB 2004 in Weimar verbrannte es, vier Jahre nach seiner Veröffentlichung[4] unter Wilhelmines Namen. Von den Noten von vor dem Brand existiert nur noch eine Fotokopie.
Man spielte das Konzert seit sechzig Jahren nach der Wolfenbütteler Quelle,[5] indem man die fehlende Solostimme dazu erfand.
Was aber führte zum Streit? Grenzverletzung? Oder etwa, dass das Konzert wieder vollständig war? Oder die „Gewissheit“, dass Jänichen der Komponmist sei? Jaenichen, der auch im Breitkopfkatalog 1763 als Autor angegeben ist? In diesem Incipit-Katalog werden unter Zweifelhafte Zuschreibungen von Breitkopf selbst dessen Unsicherheiten in punkto Autorenangabe begründet.
Kann Wissenschaft streiten? Beim Recherchieren fand sich: „Ein Argument wird untergraben, indem Wahrheit an sich in Frage gestellt wird“. „Wahrheit an sich“? Wilhelmines Autorschaft am Cembalokonzert war seit 1890 aktenkundig und unangefochten, denn sie war nicht nur zugeschrieben, sondern war (samt Bindung in Bayreuther Papier) Abschrift des Hofkopisten; dass die Solostimme bei der Katalogisierung fehlte, ist nichts Ungewöhnliches bei Aufführungsmaterial aus mehreren Stimmen. Wilhelmines Autorschaft leuchtet ein, auch weil vom Bayreuther Hofkopisten „Bayreuth copist 34“[6] als „di Wilhelmine“ autorisiert und aufbewahrt in der HAB Wolfenbüttel, einer ursprünglich herzoglich-familiären Bibliothek, denn die Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel, war Wilhelmines Schwester.
In der neuen Quelle Weimar zeigt sich ein auffälliger schriftlicher Zusatz Ende des ersten Satzes: „Si sona capriccio“ (hier spiele man ein Capriccio). Capriccii waren damals kühne Einzelstücke. Hier an der Stelle ist eine improvisierte Verlängerung des Satzes gemeint, die ihm kurz vor Schluss eine besondere Wirkung verleihen soll, (Später „Cadenza“ bezeichnet). Der Begriff „Capriccio“ weist auf ein Berliner Konzert im Jahr 1728 anlässlich des Besuches Augusts des Starken aus Dresden, als Wilhelmine zwei berühmte Geiger, Pietro Locatelli und Johann Gottlieb Graun, bei einem Hofkonzert am Cembalo begleitete. Dabei dürfte sie speziell die Locatellischen Capricci op. III (Konzertkadenzen) kennengelernt haben, die er damals auf seiner Reise nach Amsterdam in Veröffentlichungsabsicht mit sich führte. Nirgends sonst ist dieser frühe Terminus für eine „cadenza“ bei einem Tastenkonzert zu lesen als in unserem Cembalokonzert in g-Moll.[7] Und noch was: Quelle Weimar wurde im Laufe der Zeit innerhalb verschiedener Sammlungen registriert (s. o.): Bayreuth, Eisenach (?),[8] zum Schluss Weimar in der Sammlung der Weimarer Großherzogin Maria Pawlowna. Die zusätzlich im zweiten Satz ausnotierte Kadenz in unserem Konzert könnte von der Hand Philipp Emanuel Bachs stammen. Könnte. Ein Auflösungszeihen, das nicht zu P. E. Bachs Handschrift passt, müsste jemand anderes gesetzt haben, nämlich der Schreiber der übrigen Cembalonoten, zu dem es passt. Es handelt sich um eine Variante: statt Ton „es“ alternativ ein „e“ – beides passt. Klingt doch passend?
Noch weitere Wahrscheinlichkeiten: Quelle Wolfenbüttel aus Besitz Philippine Charlottes (die zuerst bekannte) ist möglicherweise zusammen mit Wilhelmines Oper L'Huomo (Bayreuther Papier im Vorsatz) bei der zweiten Hochzeit des Markgrafen Friedrich in Wolfenbüttel 1759 an seinen jetzigen Ort gekommen. Das Material dürfte vom Bayreuther Kopisten als gekürzte Fassung des Konzerts für ein Liebhaberensemble geschrieben sein. So eins, wie Tischbein beim herzoglichen Familienbild in Wolfenbüttel 1762 gemalt hat (bei der Hochzeit 1759 war 7-jähriger Krieg und wohl keine Gelegenheit zu diesem Bild). All das sagt hier die Partei B.
Was ist Wahrheit an sich? Wird sie unwahrer, wenn sie strittig ist? mal abgesehen von den Argumenten der Parteien A und B: warum überhaupt streiten? Wo kein Autograph ist, kann man alles in Frage stellen, strittig machen, wenn man will. Will. Wenn die Fakten der Gegenseite nicht genügen, dann könnte ja der Streit behoben sein, indem alles beim Alten bleibt. Oder: Da die Argumente der Partei A, die aufgrund von Ignoranz der Fakten der Partei B ungenügend sind, könnte der Streit auch wegen Sinnlosigkeit eingestellt werden. Wird er vermutlich aber nicht, das wäre Gesichtsverlust.
Man kanns nicht mehr hören (lesen)! Immer und ewig über Wilhelmines Cembalokonzert. Ja das ist Gesichtsverlust (für wen?). Aber nur bei einem Streit. Lächerlich, niemand stirbt.
Oder doch? Wilhelmines Kreativität. Die stirbt in diesem Streit. Typisch Frau, denn „man kann Wilhelmine nicht Komponistin“ nennen.[9]
Fakten
Bearbeiten° Wilhelmines persönliche Notenbibliothek wurde beim Bayreuther Schlossbrand 1753 dürch den Sänger Stefano Leonardo (Stefanino) gerettet, das schreibt W. ihrem Bruder in Berlin.[10] Trotzdem liest man, ihre Noten seien 1753 verbrannt.[11] So wurde nie geforscht, wohin ihre Noten gekommen sind (mehrmalige Anfragen in München, Ansbach, Bamberge usw. brachten keine Ergebnisse).
- Die ihr zugeschriebenen Kompositionen werden ihr immer wieder mit fadenscheinigen Argumenten aberkannt: Cembalokonzert: „di Wilhelmine“ (MS vom Bayreuther Hofkopisten) sei von „fremdem Schreiber“ (nicht nachweisbar, auch fehlt für so eine Behauptung die nötige Schriftprobe), Wilhelmines Briefstelle: „mon coup d'essai“ von 1734 wird weggelassen, obwohl seit Schiedermair bekannt! Flötensonate: Nikolaus Delius (Flötist)-Beweise werden ignoriert bzw. ad absurdum geführt, Oper Argenore habe sie nicht alleine geschrieben (ebenfalls keine Schriftprobe), Cavatinen nur „angeblich“ von ihr usw., dabei fällt ein Wilhelmine-feindlicher Ton auf und in mehreren Rundfunkinterviews mit Henze-Döhring deren wiederkehrende Aussage, Wilhelmine sei „keine Komponistin“ gewesen.[12]
Bayreuther Hofkopist
BearbeitenEinzeldokumente
Bearbeiten- ↑ Markgräfin Wilhelmine und die Bayreuther Hofmusik, S.
- ↑ oder Konzert mit anderem Malodieinstrument
- ↑ Beispiele in Unibibliothek Bayreuth (Bibliothek des Historischen Vereins), Stadtarchiv Bayreuth (Flotow-Sammlung) und Staatsarchiv Bamberg (GAB).
- ↑ Wilhelmine von Bayreuth: CONCERTO in g für Cembalo obligato und Streicher. Furore-Edition 2526, (Irene Hegen 2000).
- ↑ Stimmen-Manuskript in der HAB Wolfenbüttel mit Autorisierung „di Wilhelmine“ eines Bayreuther Hofkopisten.
- ↑ laut RISM
- ↑ Als Phil. Em. Bach seines Vaters d-moll Konzert BWV 1052 1734 als Tastenkonzert bearbeitete, schrieb er im dritten Satz unter der Fermate (Anweisung für die improvisierte Solokadenz) Cadenza al'arbitrio (nach Belieben, dieser Ausdruck ist zwar auch ungewohnt, aber auch in Einzelfällen bei anderen Komponisten nachweisbar.(War es eine Violinfassung des Konzerts? Für Franz Benda? Wurde die Klavier-Fassung woanders aus des Vaters Noten gespielt?) In der Quellenbeschreibung dieses Konzertes steht, das dessen Klavierstimme wesentlich später geschrieben wurde. Was war überhaupt die Motivation, 1734 ein so tolles Konzert des Vaters, das sehr wahrscheinlich ursprünglich für Violine gesetzt war, für Solocembalo zu bearbeiten?
- ↑ Beim Herzog Ernst August von Weimar, der 1734 die Bayreuther Prinzessin heiratete und der 1741 die Herrschaft über Eisenach erhielt
- ↑ Interview Partei A
- ↑ Volz: Briefe II, S.
- ↑ Müller-Lindenberg 2004
- ↑ Delius wird, S. Henze-Döhring 2009, nicht anerkannt, Opernpartiturautograph habe auch Seiten mit „anderer Schrift“ (nicht nachweisbar) usw., siehe Opernzeitschrift usw.