Von 1663 bis 1680 war Peter Lambeck Präfekt der Bibliothek. Ein seit 1663 geplanter Neubau, nicht zuletzt für Repräsentationszwecke, musste 1683 vorerst endgültig aufgegeben werden, als die teuren Schäden der Zweiten Türkenbelagerung behoben werden mussten. Die Bibliothek verblieb also in den dürftigen Räumen des Harrachschen Hauses, gegen Ende des 17. Jahrhunderts zählte sie bereits 100.000 Bände. Lambeck hatte guten Kontakt zum Kaiser Leopol I., so sprach er jährlich etwa 10 Mal vor, erhielt rund 80 Briefe von Leopold und begleitete ihn als Gelehrter auf Reisen. Lambeck erreichte ab 1664 ein Jahresbudget von 1000 Gulden, das die Stadt Wien aus den von der jüdischen Bevölkerung erhobenen Toleranzgeldern bezahlte.
1.13 Zu den wichtigsten Erwerbungen zählte die Bibliothek der Ambraser Kunst- und Wunderkammer, die Leopold I. 1665 mit dem Erlöschen der tirolischen Linie der Habsburger erbte. Die Verlagerung der habsburgischen Kunstsammlung aus Innsbruck ins Schloß Ambras hatte Erzherzog Ferdinand (1547-1595) veranlaßt. Mit seiner Gemahlin, Philippine Welser (um 1530-1580), widmete er sich ihrer Erweiterung. Nach den Aufzeichnungen Lambecks zählte auch die Büchersammlung des kaiserlichen Rates Dr. Caspar Panza zu den in Ambras vorgefundenen Beständen. Lambeck sollte die Hss. und von den gedruckten Büchern alle in der kaiserlichen Bibliothek nicht vorhandenen nach Wien bringen lassen, insgesamt 2058 Bde (583 Hss., 1489 Druckwerke). Damit wurde ein Großteil des ältesten habsburgischen Bücherbesitzes in der Hofbibliothek in Wien zusammengeführt, darunter die berühmtesten deutschen literarischen Manuskripte des Spätmittelalters, die Wenzelsbibel (Cod. 2759-2765) und der Livius-Codex (Cod. 15) des 5. Jhs. Das im Auftrag Maximilians I. entstandene Ambraser Heldenbuch (Cod. ser. nov. 2663) und weitere 180 Hss., die der Ambraser Schloßhauptmann Lambeck vorenthielt, gelangten allerdings erst 1806 nach Wien in die kunsthistorischen Sammlungen des Kaiserhauses. Es dauerte noch 120 Jahre, bis sie von der Nationalbibliothek übernommen werden konnten (1936). Lambecks Versuch, die aus einigen Humanistenbibliotheken vorhandenen Corvinen mit weiteren wertvollen Stücken aus der berühmten Bibliothek des Matthias Corvinus zu erwerben, scheiterte. Hingegen gelang es ihm, seine eigene Bibliothek aus Hamburg (ca. 3000 Bde) auf Kosten des Hofes nach Wien transportieren und 1667 für 2300 Gulden von der Hofbibliothek ankaufen zu lassen. Weitere bedeutende Erwerbungen stellten die Handschriftensammlung des venezianischen Senators Sebastiano Erizzo (1525-1585) und die Bibliothek des Marquese Cabrega (†) erste Hälfte des 17. Jhs) mit spanischen Hss. und Drucken dar (1674). Hinzu kamen an Einzelwerken u. a. die 1514 bis 1517 gedruckte Complutenser Polyglottenbibel (1675) und - 1677 als Geschenk des Herzogs Johann Georg zu Sachsen-Eisenach - die mexikanische Bilderhandschrift (Cod. mex. 1). Die Erwerbung neuerer Literatur erfolgte bereits gegen Tausch von Dubletten und durch gezielten Ankauf nach kaiserlicher Genehmigung.
1.14 Die Bibliothek diente vorwiegend repräsentativen Zwecken. Sie wurde vom Kaiser mit seinen Gästen (gelegentlich auch mit seinem Hund, der zwei Codices zerriß), von Hofangehörigen und ausländischen Standespersonen besichtigt. In den Jahren 1662 bis 1676 betreute Lambeck über tausend Haupt-Besuchungen, das ergibt etwa 70 Besucher pro Jahr. Der Kreis der Leser, die ihren Bestand benützten bzw. ausliehen, dürfte sich auf wenige bekannte Gelehrte beschränkt haben. Dem zeitgenössischen Bemühen um die Dokumentation der angelegten Sammlungen in gedruckten Verzeichnissen tsprechend plante auch Lambeck eine umfassende Publikation über die kaiserliche Bibliothek. Sie sollte sowohl die Geschichte der Hofbibliothek, Vorschläge für ihre Ausgestaltung und Systematisierung als auch eine erste Beschreibung ihrer Bestände (Hss., Drucke, Münzen, Antiquitäten) bzw. deren Einordnung in eine Literaturgeschichte darstellen. Von den in 25 Bdn konzipierten Commentariorum de Augustissima Bibliotheca Caesarea Vindobonensi erschienen 8 Bücher (1665-1679), die vorwiegend der Geschichte der Hofbibliothek und den griechischen Hss. gewidmet waren. Von wissenschaftshistorischer Bedeutung ist die Beschreibung einiger deutscher mittelalterlicher Hss. Das monumentale Projekt, der einzige gedruckte Katalog, der alle Sammlungen der kaiserlichen Bibliothek umfassen sollte, blieb jedoch ein Torso.
1.15 In die Amtszeit von Lambecks Nachfolger Daniel Nessel (1680-1700) fiel die Belagerung Wiens im Türkenkrieg (1683). Die Bestände der Bibliothek blieben davon unbehelligt. Der 1682 bereits begonnene Neubau der Reitschule, der im ersten Stock die kaiserliche Bibliothek aufnehmen sollte, konnte jedoch nicht vollendet werden. Die ca. 8000 Bde der 1701 in Prag erworbenen Bibiothek des Grafen Kinsky (wahrscheinlich Franz Ulrich, 1634-1699) machten die Raumfrage zum akuten Problem. Die Bücher mußten gegen jährliche Zinszahlungen im Kinskyschen Haus in Wien untergebracht werden. Johann Benedikt Gentilotti von Engelsbrunn (Leiter der Bibliothek 1705-1723) hatte darüber hinaus wieder mit der unregelmäßigen Auszahlung der Lohngelder und Dotationen zu kämpfen. Trotzdem konnte 1720 im Auftrag Karls VI. die in Holland aus dem Nachlaß angebotene Bibliothek des Freiherrn Georg Wilhelm von Hohendorf (um 1670-1719), Generaladjutant Eugens von Savoyen, für 60.000 Gulden erworben werden. Sie enthielt ca. 7000 Druckwerke und 250 Hss. - u. a. besonders reichhaltige Beispiele niederländischer und französischer Buchmalerei des Spätmittelalters, Gebetbücher des 15. Jhs mit italienischen und französischen Miniaturen, eine venezianische Pergamentinkunabel des Breviarium Romanum (1481) mit Miniaturen aus der Mantegna-Schule, zahlreiche Drucke griechischer und römischer Klassiker von Aldus Manutius und mehrere Bücher mit Jean-Grolier-Einbänden. Die Hohendorfsche Bibliothek, ebenso die 1725 für 8000 Dukaten gekaufte Bibliothek des in Wien verstorbenen Präsidenten des Spanischen Rates, Erzbischof Antonio Folch de Cordona (1657-1724), konnten zunächst nicht in den Räumen der Hofbibliothek aufgestellt werden.
„Es sei zum Nutzen, Glück und Gedeih! Die kaiserliche Bibliothek von Wien, die von dem glorwürdigen römischen Kaiser Maximilian I. zum Teil zwar aus dem Bücherbestand seiner Vorfahren, zum Teil aber aus eigenem Vermögen und aus dem heiligen Fiskus (Staatskassa) etwa um das Jahr 1514 christlicher Zeitrechnung gegründet worden war, dann aber nicht nur durch die Umsicht und auf Kosten der nachfolgenden Kaiser, wurden auch durch einen großen Teil der Bücher des durchlauchtigsten Königs von Ungarn, Matthias Corvinus, und durch die hervorragenden Bibliotheken hochberühmter Männer, so da heißen Conrad Celtis, Johannes Cuspinian, Johannes Faber, Johann Dernschwamm, Wolfgang Lazius, Johannes Sambucus, Augerius Busbecq, Reichard Strein, Hugo Blotius, Tycho Brahe, Sebastian Tengnagel und Philipp Eduard Fugger, sowie verschiedene andere Zugänge von höchstem Wert derart bereichert wurde, dass sie derzeit aus mindestens 80.000 erlesensten Manuskripten ebenso wie gedruckten Bänden aus jeglichem natur- und geisteswissenschaftlichem Studienbereich bestehend, keiner Bibliothek auf der ganzen Welt sowohl was die Zahl und hervorragende Qualität der Bücher, als auch was die Mannigfaltigkeit der Sprache betrifft, nachsteht, hat unser hochheiliger Römischer Kaiser und Herr, der erhabene Leopold I. […] durch persönliches Handschreiben – auf dass sie nicht durch Moder und Schmutz zugrunde gehe, bevor sie in ein neues und zweckmässiges Gebäude übertragen würde – in einen solchen Zustand bringen lassen, dass sie […] der Nachwelt in vielseitiger und geradezu unglaublicher Nützlichkeit dienen kann. Im Jahre 1663 christlicher Zeitrechnung.“
Barock
BearbeitenKaiser Karl VI. ließ 1722 gemäß den Bauplänen von Leopold I. an die Hofburg ein Gebäude für die Hofbibliothek bauen. Die nach Plänen von Johann Bernhard Fischer von Erlach von seinem Sohn, Joseph Emanuel Fischer von Erlach in den Jahren 1723 – 1726 errichtete Bibliothek beherbergte in ihrem Prunksaal bis ins 19. Jahrhundert die Exponate der Hofbibliothek. Wertvollste damalige Ergänzung war die Büchersammlung von Prinz Eugen von Savoyen, deren 15.000 Bände wertvolle Bücher aus dem französischen und italienischen Raum umfassen. Der Saal der Hofbibliothek ist heute der Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, in dem etwa 200.000 Bücher ausgestellt sind.
Während der Aufklärung regte sich auch erstmals lautstark Kritik daran, dass die Hofbibliothek hauptsächlich der Repräsentation und nicht so sehr der Wissensvermittlung diente. Gerard van Swieten, Leibarzt Maria Theresias, und dessen Sohn Gottfried van Swieten ergänzten die Sammlung um zahlreiche naturwissenschaftliche Werke. Damit wurde die Hofbibliothek auch für die wissenschaftliche Arbeit interessant. Ein besonderer Erfolg war eine Einführung Gottfried van Swietens, der Zettelkatalog. Damit konnte der Bestandsindex der Bibliothek aktuell gehalten werden.
Österreichisches Kaiserreich
BearbeitenNach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches wurde die Hofbibliothek neu organisiert. Unter dem Custos Paul Strattmann erhielt die Hofbibliothek zum ersten Mal ein Programm, das ihren Auftrag beschrieb:
„Die kaiserliche Hofbibliothek stellt sich unter einem dreifachen Gesichtspuncte dar. Sie ist die Bibliothek für die gebildete Classe der Hauptstadt. Dies erfordert von ihr die merkwürdigsten Werke des Unterrichts. Sie ist die Nationalbibliothek des österreichischen Kaiserthums. Der Einheimische wie der Fremde erwarten, bei ihr die gesuchtesten literarischen Seltenheiten anzutreffen. Sie ist endlich die Bibliothek des Kaiserhofes, von dem sie ihre Benennung hat. Damit ist typographische Pracht verbunden.“
Die Sammlungspolitik der Hofbibliothek löste sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zusehends von den Ansprüchen der Repräsentation und legte ihr Augenmerk auf wissenschaftliche Werke. Die multinationale Verfassung des österreichischen Kaiserreichs brachte es mit sich, dass in der Hofbibliothek nicht nur deutschsprachige Bücher gesammelt wurden, sondern auch Bücher des slawischen und ungarischen Sprachraums. Wesentliche Teile der ungarischen Sammlung wanderten jedoch nach dem Österreichisch-Ungarischen Ausgleich nach Budapest. Während der Märzrevolution von 1848 waren die Bestände der Hofbibliothek in großer Gefahr, als die Hofburg, in der die Hofbibliothek untergebracht ist, nach dem Beschuss von Wien brannte. Eine bedeutende Ergänzung der Bestände der Hofbibliothek stellt die Papyrussammlung dar, die auf die Erwerbungen des Wiener Antiquitätenhändlers Theodor Graf zurückgeht.
Erste Republik und Deutsches Reich
BearbeitenNach der Ausrufung der Republik Österreich wurde die Hofbibliothek 1920 in Nationalbibliothek umbenannt. Die Sammlungspolitik der Zwischenkriegszeit konzentrierte sich auf die „nationale Literatur jener deutschen Stämme, die jetzt unter fremdnationale Herrschaft gekommen sind“, so der damalige Direktor der Bibliothek Josef Donabaum.
Während der NS-Zeit wurden unter der Leitung des damaligen Generaldirektors Paul Heigl hunderttausende Schriften, die „arisiert“ wurden, hier untergebracht oder die Bibliothek diente für die großteils wertlosen, aber beschlagnahmten Werke als Durchgangslager in deutsche Bibliotheken. Die Bibliothek bereicherte ihren Bestand mit mehreren hunderten von wertvollen Büchern und Werken aus ehemaligem jüdischem Besitz. Nach dem Krieg verweigerte die Bibliothek kategorisch die Rückgabe an die Besitzer beziehungsweise die rechtmäßigen Erben. Eine Aufarbeitung ließ lange auf sich warten, zum Teil auch weil viele Mitarbeiter, die Mitglieder der NSDAP gewesen waren, nahtlos nach dem Krieg weiter arbeiten durften. Im Jahr 2005 behandelte die Ausstellung Geraubte Bücher diesen dunklen Fleck in der Geschichte des Hauses.
Zweite Republik
BearbeitenNach 1945 – nach Umbenennung der Einrichtung in Österreichische Nationalbibliothek – wurden kleine Teile wieder rückerstattet, der Großteil blieb jedoch in den Sammlungen. Es wurde ein Augenmerk der Sammlungstätigkeit wieder in kleinen Schritten auf Mittel- und Osteuropa gerichtet.
1966 wurden große Teile der Sammlungen vom Gebäude am Josefsplatz in Räumlichkeiten der Neuen Burg am Heldenplatz übersiedelt, wobei dort auch neue Lesesäle eingerichtet wurden. 1992 wurde auf Grund des gestiegenen Platzbedarfes der Tiefspeicher unterhalb des Heldenplatzes eröffnet, wo auf vier Ebenen rund 4 Millionen Werke Platz finden. Zugleich wurden auch weitere Bereiche als Lesesäle eingerichtet, so dass Besuchern heute drei Ebenen zur Verfügung stehen (zwei Etagen des Hauptlesesaales und der Zeitschriftenlesesaal). Die Österreichische Nationalbibliothek hielt dem bei ihr erstmals verwendeten Zettelkatalog lange die Treue. Seit 1995 ist der Bestand der Bibliothek elektronisch durchsuchbar, seit 1998 auch online.
Erst ab dem Jahr 2003 wurde damit begonnen, das noch vorhandene NS-Raubgut zu restituieren, wo noch Besitzer oder deren Erben auffindbar waren.[2] Seit Dezember 2003 konnten insgesamt 43.580 Objekte (Bücher, Fotos, Negative, Autografen, Handschriften, Karten und Musikalien) an die rechtmäßigen ErbInnen restituiert. Mehr als 8000 Objekte, für die die Provenienzforschung der Bibliothek keine Hinweise auf Vorbesitzer fand, wurden im Juni 2010 an den Österreichischen Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus symbolisch übergeben und rückgekauft.[3][4]
Vollrechtsfähige wissenschaftliche Anstalt
BearbeitenMit dem 1. Jänner 2002 wurde die Nationalbibliothek in die Vollrechtsfähigkeit entlassen. Dies brachte der Einrichtung die volle Verfügungsgewalt in Budget- und Personalfragen. Die Nationalbibliothek erhält dabei als Bundesmuseum vom Bund ein gewisses Jahresbudget zur Verfügung gestellt, zusätzliche Geldmittel müssen durch Sponsoring, Reproduktionsservices und die Vermietung von Räumlichkeiten lukriert werden. Organisatorisch besitzt die Nationalbibliothek eine Generaldirektion und ist in drei Hauptabteilungen (Personal und Verrechnung, Bestandsaufbau und Bearbeitung sowie Benützung und Information) sowie die einzelnen Sammlungen gegliedert. Aktuell steht der Nationalbibliothek Johanna Rachinger vor. Sie ist einem Kuratorium verantwortlich, dem quartalsweise Bericht erstattet werden muss.
1723 | Die Barocke Welt im Großen Saal
Der entscheidende Einschnitt in der Geschichte der Hofbibliothek fällt ins 18. Jahrhundert. Kaiser Karl VI. (1685 - 1740) veranlasste 1722 den Bau einer Bibliothek am heutigen Josefsplatz – damals hieß er Tummelplatz, weil sich hier die Reitpferde des Hofes tummelten – und er verwirklichte damit nach der Beendigung des Spanischen Erbfolgekrieges und der Türkenkriege ein Bauvorhaben, das bereits sein Vater Leopold I. geplant hatte. Nach den Plänen Johann Bernhard Fischer von Erlachs wurde die Bibliothek von seinem Sohn, Joseph Emanuel Fischer von Erlach in den Jahren 1723 – 1726 errichtet. Bis 1730 zogen sich noch die Ausstattungsarbeiten und vor allem die Freskenmalereien im Prunksaal hin, ehe die Hofbibliothek in diesem imperialen barocken Saal ihre wirkliche und erste Heimstatt fand.
Der Prunksaal nimmt die ganze Front des Josefsplatzes ein und misst in der Länge 77,7 m, in der Breite 14,2 m und in der Höhe 19,6 m.
Die Gesamtlänge der langgestreckten, von einem querovalen Kuppelraum unterbrochenen Galerie Zwei Langhäuser und ein zentraler Mittelrisalit mit einer Kuppelbekrönung, die eine Höhe von 29,2m erreicht, geben dem Raum eine dreiteilige Struktur, die sich auch im Bildprogramm ausdrückt. Im heutigen Eingangsflügel behandeln die von Daniel Gran gemalten Fresken Themen der Welt und des Krieges, während im hinteren, an die Hofburg angrenzenden Flügel mit dem ursprünglichen Zugang für den Kaiser und den Hof allegorische Darstellungen des Himmels und des Friedens dargestellt sind. In der Kuppel selbst sind die Apotheose Karls VI. und die allegorische Geschichte der Erbauung der Bibliothek dargestellt.
Von 1730 bis ins 19. Jahrhundert beherbergte der Bibliothekssaal mit seinen Seitenkabinetten sämtliche Handschriften, Inkunabeln, Druckschriften, Landkarten, Globen, Musikhandschriften, Notendrucke, Autographen, Handzeichnungen und Druckgrafiken der Hofbibliothek.
PRINZ EUGEN Zu den wertvollsten Beständen gehört die Bibliothek des Prinzen Eugen von Savoyen mit etwa 15.000 Bänden, die nach seinem Tod 1737 gekauft und im Mitteloval des Saales aufgestellt wurde. Prinz Eugen, der große Feldherr des österreichischen Heldenzeitalters, war einer der bedeutendsten Büchersammler seiner Zeit und hatte in wenigen Jahren auf Kunstauktionen und durch private Vermittler in ganz Europa wertvollste Bücher und Handschriften vor allem aus dem französischen und italienischen Raum kaufen lassen. Im Prunksaal befinden sich heute die Druckwerke seiner Bibliothek, eingebunden in rotes, gelbes und blaues Maroquinleder und versehen mit einem Supralibros, das das Wappen des Prinzen Eugen zeigt.
Insgesamt werden im Saal etwa 200.000 Bücher, datierend vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, aufbewahrt. Die ideengeschichtliche und wenn man so will auch die kulturpolitische Funktion der Hofbibliothek wird besonders deutlich, wenn man in den zeitgenössischen Reiseberichten blättert. Zumeist sieht man hier die Außenfassade des Gebäudes abgebildet und im Text ist die Rede von der Figur des Kaisers im Zentrum des Saales und von den wunderbaren Fresken Daniel Grans. Wir erfahren auch, dass die Bibliothek vormittags von 8 bis 12 Uhr geöffnet war, man in einem Nebenzimmer lesen konnte und allerhöchste Besucher durch den Großen Saal geführt wurden. In erster Linie ist also die Hofbibliothek des 18. Jahrhunderts ein Ort, den durchreisende Gelehrte und Diplomaten besuchten, ein Schauraum im Dienste der kaiserlichen Repräsentation.
Die barocke Bibliothek (1722-1745)
1.16 1722 nahmen die seit dem Regierungsantritt Karls VI. (1711) bestehenden Pläne für den Umbau des unvollendeten Reitschulgebäudes Gestalt an. Beschlossen wurde die Umgestaltung zur genugsamben Verwahrung für die Bibliothec (Hofkammerreferat 24. 2. 1722, Hofkammerarchiv, Fasc. Hofbibl. fol. 200). Die Finanzierung erfolgte vor allem aus den Einnahmen einer neuen Steuer auf Zeitungen und Kalender (Zeitungs-Arrha). Ein großzügiges Darlehen des Kartäuserklosters in Prag für den Bau der Hofbibliothek und der Karlskirche schuf die finanziellen Voraussetzungen für den Baubeginn im selben Jahr. Das Gebäude mit dem barocken Bibliothekssaal im ersten Stock nach dem Entwurf von Johann Bernhard Fischer von Erlach (1665-1723) entstand bis 1726 unter der Aufsicht seines Sohnes Josef Emanuel (1693-1742) zwischen der alten Hofburgkapelle und dem Augustinerkloster. Daniel Gran vollendete 1730 Fresken mit allegorisch-mythologischen Darstellungen im Kuppelraum im Sinne einer Apotheose Karls VI. und der Wissenschaften. In seiner großzügigen und künstlerisch hervorragenden Anlage und Ausführung beeinflußte der Wiener Bibliotheksbau in der Folgezeit zahlreiche Bauprojekte für Barockbibliotheken im süddeutschen und österreichischen Raum. Neben der repräsentativen Wirkung war der Saal auf die Aufnahme von etwa 190.000 Bdn ausgerichtet - mehr als das Doppelte des damaligen Umfangs der Sammlungen.
1.17 Während der Bauperiode wurde das Amt des Präfekten zunächst zwei Jahre gemeinsam vom kaiserlichen Arzt Pius Nikolaus Garelli (1670-1739) und von Allesandro Riccardi (†1725), Fiskaladvokat des Spanischen Rates, ausgeübt. Sie legten dem Kaiser einen Reformentwurf vor, der bereits die Finanzierung der Bibliothek aus Abgaben der Länder und die Zeitungs- und Kalendersteuer auch nach Bauabschluß als permanente Einkünfte vorsah. Um die Instandhaltung der Bibliothek und die bibliothekseigene Forschung garantieren zu können, sahen Garelli und Riccardi einen Personalplan vor, der neben 2 Präfekten 2 Kustoden, 4 Schreiber, einen ihnen übergeordneten Korrektor und 3 Bibliotheksdiener einschloß. Sie sollten täglich, außer an Sonn- und Feiertagen, von 8 bis 12 Uhr ihren Arbeiten nachgehen. Ein Licht auf die praktischen Arbeitsbedingungen wirft der Vorbehalt, diese Bestimmungen in der Bibliothek nicht durchführen zu können, solange man nicht auch zur Winterszeit hineingehen, und fremde Leuhte hineinlassen könne (Referat 24. 4. 1723, Beilage S. 214, in Stummvoll, s. u. 4.2).
1.18 Nach Riccardis Tod (seine Büchersammlung kaufte die Hofbibliothek für 4028 Gulden) wirkte Garelli allein bis 1739. Ihm oblag die Transferierung der Bestände in den neuen Saal, wo sie zunächst, dem bereits von Lambeck entworfenen Ordnungssystem folgend, systematisch aufgestellt wurden. Materienkataloge zu den medizinischen, theologischen, juridischen, mathematischen, philosophischen, historischen und kirchenpolemischen Werken mit Indizes und eingetragenen Kastensignaturen entsprachen dieser Aufstellung und dienten lange Zeit als Ersatz für einen Realkatalog. In teilweiser Neukatalogisierung wurden nach 1727 auch die bis dahin getrennten Erwerbungsgruppen, die altkaiserliche Bibliothek, die Bibliotheken Hohendorfs, Riccardis und Folch de Cordonas, in einem alphabetischen Index zusammengefaßt. Trotz der lateinischen Bibliotheksordnung Karls VI. (1726) zur allgemeinen Nutzung seiner Bibliothek (usum communem facit) kann von einem geordneten und für die Allgemeinheit offenstehenden Bibliotheksbetrieb wohl noch längere Zeit nicht die Rede sein. Die Freskenmalerei im Kuppelraum wurde erst 1730 abgeschlossen. Wenige Jahre später folgte die umfangreichste Erwerbung in der Geschichte der Bibliothek.
1.19 1738 verkaufte Viktoria von Sachsen-Hildburghausen, Nichte und Erbin des kaiserlichen Generalfeldmarschalls Eugen von Savoyen (1663-1736), dem Kaiser die Bücher- und Kupferstichsammlung des Prinzen. Der Preis der auf etwa 150.000 Gulden geschätzten Bibliothek sollte in einer jährlich auszubezahlenden Rente von 10.000 Gulden bestehen. Die Erbin verstarb noch im selben Jahr. Die Bibliotheca Eugeniana war in wenigen Jahren durch gezielte Ankäufe im Auftrag Eugens entstanden und im Wiener Winterpalais in der Himmelpfortgasse untergebracht. Neben den persönlichen Interessen und Beziehungen des Prinzen zu zeitgenössischen Gelehrten (nach Leibniz' Wissenschaftssystem wurde die Bibliothek geordnet) spiegelt sie das von der Geschichte über die Naturwissenschaften bis zu den Dichtern der Antike reichende universale Spektrum der Wissensgebiete einer Fürstenbibliothek wider, die sich durch zahllose bibliophile Ausgaben besonders auszeichnet. Die einheitlich in Maroquin-Leder gebundenen Bücher tragen das Wappen ihres Besitzers in Goldpressung auf der Vorder- und Rückseite. Drei Einbandfarben unterscheiden die Wissensgebiete voneinander (Geschichte und Literatur rot, Theologie und Recht blau, Naturwissenschaften gelb). Die ca. 15.000 Druckschriftenbände wurden nahezu geschlossen im Mitteloval des Prunksaals aufgestellt. Ferner kamen 287 Hss., 290 Kassetten Kupferstiche und 215 klassische Porträts aus dem Besitz des Prinzen an die Hofbibliothek. Zu den wertvollsten Objekten der Eugeniana zählte die als Tabula Peutingeriana bekannte römische Straßenkarte, der Atlas Blaeu mit den von Laurens van der Hem in Auftrag gegebenen Illustrationen des 17. Jhs und künstlerische Prachthandschriften, wie Le Livre du coeur d'amours esprit du Roi René (Cod. 2597), Le roman de la rose von Guillaume de Lorris und Jean de Meung (Cod. 2568) und die Bible moralisée (Cod. 1179) mit 2000 Bildmedaillons.
Ausbau zur wissenschaftlichen Universalbibliothek (1745-1803)
1.20 1739 starb Garelli - er vermachte der Hofbibliothek alle ihr noch fehlenden Bücher seiner ca. 13.000 Bde umfassenden Sammlung, ca. 2000 Werke in 3600 Bdn. Den Rest wies Maria Theresia der Theresianischen Ritterakademie zu. 1745 bestellte Maria Theresia den niederländischen Mediziner Gerard van Swieten (1700-1772) zu ihrem Leibarzt und zugleich zum Präfekten der Bibliothek. In dieser Funktion folgte ihm 1777 sein Sohn Gottfried nach. Die in der italienisch-katholischen Tradition des Wiener Hofes stehende Bibliothek wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jhs unter dem Einfluß von Vater und Sohn van Swieten nachhaltig vom aufklärerischen Ideen- und Gedankengut westeuropäischer Ausrichtung geprägt. Gerard van Swieten verschob bei den Ankäufen das Schwergewicht auf naturwissenschaftliche Publikationen. Buchhändler aus Leiden, Paris und Venedig lieferten die neueste wissenschaftliche Literatur. Mit gezielten Käufen auf internationalen Auktionen sollten Bestandslücken aufgefüllt werden. Der Catalogus librorum novorum (Cod. Ser. nov. 2143) und ein Kassabuch aus der Amtszeit van Swietens dokumentieren sein Bemühen, über die Sammlung von Raritäten hinaus kontinuierlich aktuelle Werke aus allen Wissensgebieten zu kaufen und so die materiellen Grundlagen für eine modernere Bibliothek zu schaffen.
1.21 Gerard van Swieten übte ab 1759 auch das Amt des Vorsitzenden der Zensurkommission aus, wodurch er in die Entscheidung über das Verbot von Büchern eingebunden war und diese im Sinne der aufklärerischen Ideen (gegen die Jesuiten der Wiener Universität) zu beeinflussen suchte. Die von Zeitgenossen behauptete Verbrennung von Büchern der Geheimwissenschaften an der Hofbibliothek wurde bereits 1781 vom Sohn mit Hinweis auf die nach wie vor vorhandene große Menge dieser Schriften zurückgewiesen. Van Swieten selbst und Beamte der Hofbibliothek arbeiteten als Zensoren, wie der Codex 11.934 (Supplementband zum Verzeichnis verbotener Bücher) mit Kommentaren über die begutachteten Werke zeigt - einige davon wurden für die Bibliothek gekauft. Bedeutenden Zuwachs brachten mehrere unter van Swieten in die Hofbibliothek inkorporierte Bibliotheken. Neben der Büchersammlung aus der Grazer Familie der Grafen Starhemberg mit zahlreichen Werken zur Reformationsgeschichte (1749) kamen aus Graz auch 800 Bde (einschließlich 61 Hss., 9 Inkunabeln) der 1758 aufgelösten Schloßbibliothek aus der steirischen Linie der Habsburger. Den Rest der in Wien bereits vorhandenen Bücher erhielt das Kloster Rein. 1756 folgten auf Beschluß des Universitätskonsistoriums die Bestände der alten Wiener Universitätsbibliothek, die aus Platz- und Personalmangel nicht mehr fachgerecht aufbewahrt und benützt werden konnten. Van Swieten übernahm 2787 Bde, darunter 1037 Hss. und 364 Inkunabeln und Frühdrucke, zu denen die berühmte Bibliothek des Johannes Fabri (s. o. 1.3), Hss. des Alexander Brassicanus und einige Corvinen zählten. Auf Veranlassung Maria Theresias gelangten in den nächsten Jahren auch die Privatbibliothek Karls VI. (reg. 1711-1740) und 1765 rund 1500 Bde aus dem Besitz Franz' I. Stephan (reg. 1745-1765) in die Hofbibliothek. 1769 wurden in Hamburg 76 Bde des Atlas Stosch mit 10.000 Ansichten und Landkarten gekauft.
1.22 Die mehrere tausend Bände umfassende Privatbibliothek des älteren van Swieten - vor allem medizinische, chirurgische und physikalische Werke - ließ der Nachfolger Adam Franz Kollár (Präfekt 1772-1777) 1773 um 16.000 Gulden kaufen. Bei der Aufhebung des Jesuitenordens im selben Jahr konnte er anhand der Kataloge Bestände aus den ehemaligen Prager und Innsbrucker Jesuitenbibliotheken übernehmen, die der kaiserlichen Sammlung fehlten. Dafür wurden Dubletten an die neue Wiener Universitätsbibliothek abgegeben. Der Zuwachs von 70 Hss. aus den Kollegien in Wien und Wiener Neustadt sowie die Finanzierung des Ankaufs von 300 orientalischen Hss. aus dem Nachlaß von Josef Freiherr von Schwachheim erfolgten im Zusammenhang mit diesen Bestandsverschiebungen.
1.23 In die Amtszeit Gottfried van Swietens (1777-1803) fielen die wertvollen Erwerbungen im Zuge der josephinischen Klosteraufhebungen, die sich bis 1787 insgesamt auf etwa 300 Hss., 3000 Drucke (vorwiegend des 15. Jhs) und mehr als 5000 Diplomata beliefen. Die Auswahl traf van Swieten anhand der ihm von der Hofkanzlei zugesandten Verzeichnisse. Aufgrund dieses Vorwahlrechts aus den Beständen von mehr als 700 aufgehobenen Klöstern konnten besonders die theologischen und historischen Sammlungen unentgeltlich vervollständigt werden. Besondere Erwähnung verdient das Ältere Gebetbuch Kaiser Maximilians I. (Cod. 1907) aus dem Frauenkloster Hall in Tirol; andere wertvolle Stücke stammen u. a. aus dem Kloster Mondsee, den Kartausen Aggsbach, Gaming und Mauerbach sowie dem Wiener Chorherrenstift St. Dorothea. Die 1779 erworbene Sammlung Fernberg thielt 591 Bde, vorwiegend seltene Austriaca und Reformschriften des 16. und 17. Jhs. Sie wurde mit den im nächsten Jahr gekauften 800 Bdn juristischer Dissertationen aus dem Besitz des Rechtsgelehrten Heinrich Christian Freiherr von Senkenberg (1704-1768) zunächst im Mezzanin des Bibliotheksgebäudes verwahrt und erst um 1840 bearbeitet. Bedeutenden Zuwachs brachte die alte Wiener Stadtbibliothek, die 1780 auf Empfehlung der Hofkanzlei um 6000 Gulden gekauft wurde. Sie enthielt 76 Hss. und 3905 Druckschriften (351 Inkunabeln) in 5037 Bdn, die der eingeklebte gedruckte Provenienzvermerk Stadt Wienerische ehemalige Bibliothek kennzeichnet. In Brüssel ließ van Swieten 160 Werke, vorwiegend zur niederländischen Geschichte, um 2123 Gulden aus niederländischen Jesuitenklöstern sowie 70 Drucke aus der Bibliothek des Herzogs Karl von Lothringen (1712-1780) ersteigern. Aus dem Nachlaß von Xystus Schier (1728-1772), Historiker und Bibliothekar des Wiener Augustinerklosters, wurden Hss. und einige Inkunabeln aus Lemberg erworben (1781).
1.24 1783 erstand die Hofbibliothek mit einem von van Swieten organisierten Sonderetat etwa 600 Werke der in Paris zur Versteigerung ausgeschriebenen Bibliothek des Louis-César La Baume, Duc de la Vallière (1708-1780), für 5060 Dukaten, darunter die Erstausgabe des Catholicon (Mainz 1460) und zahlreiche andere Inkunabeln. Graf Samuel Teleki schenkte Josef II. 1786 das nur in zwei Exemplaren erhaltene Werk Michael Servets, Christianismi Restitutio (1553). Naturgeschichtliche Publikationen und Reisebeschreibungen wurden 1786 aus der Sammlung des Grafen Camus de Limare ersteigert, 26 Hss. kamen aus der bei den Dominikanern eingestellten Bibliothek des Grafen Johann Joachim von Windhag (1600-1678), die damals der Universitätsbibliothek einverleibt wurde. Laut dem Bericht van Swietens über den für die Hofbibliothek so besonders ertragreichen Zeitraum von 1765 bis 1787 betrafen die außerordentlichen Erwerbungen sowie die durch ihren ordentlichen Fonds erhaltenen Zuwächse 21.000 gedruckte Bücher, 780 Hss., 9500 Kupferstiche bzw. Handzeichnungen und 5089 Diplomata. Nach dem Tod Josefs II. (1790) - im letzten Jahrzehnt der Amtszeit des jüngeren van Swieten - kamen die Privatbibliothek des Kaisers hinzu, 6 Inkunabeldrucke auf Pergament aus der Bibliotheca Marciana in Venedig, arabische und türkische Hss., die Josef Freiherr von Hammer-Purgstall in Ägypten erworben hatte, sowie die sogenannte Foscarinische Sammlung (handschriftliche Chroniken, genealogische Werke und Gesandtschaftsberichte) des Dogen Marco Foscarini (1696-1763) aus der italienischen Hofkanzlei.
1.25 Als Folge der umfangreichen Neuzugänge stellte sich die Aufgabe ihrer Bearbeitung und Katalogisierung. In Ermangelung eines aktualisierten Gesamtverzeichnisses aller Druckwerke waren in den letzten Jahren der Amtszeit Gerard van Swietens (1766 bis 1772) die vorhandenen Teilverzeichnisse in ein Universalrepertorium umgeschrieben worden. Es tstand ein als Provisorium gedachter Alphabetischer Katalog in 17 Bdn (Cod. ser. nov. 2117-2133 ff.), der jedoch bis ins 19. Jh ergänzt und benützt wurde. Als Grundlage für einen umfassenden Systematischen Katalog veranlaßte Gottfried van Swieten 1780 die Beschreibung der Bücher auf Zetteln. Bereits 1781 waren 300.000 Zettel im Großformat in 205 Kapseln erstellt - ihre systematische Verarbeitung wurde nicht weiterverfolgt. Das josefinische Katalogprojekt ist jedoch von bibliothekshistorischer Bedeutung, weil es den wahrscheinlich ältesten Zettelkatalog der Welt tstehen ließ. Neben der Erweiterung und Erschließung der Bestände traten im letzten Drittel des 18. Jhs Organisation und Dotation der Bibliothek in den Vordergrund. Die später eingerichteten Spezialsammlungen um einzelne Bestandsgruppen sind in van Swietens Plänen bereits in ihren Konturen zu erkennen. Die aus den aufgehobenen Klosterbibliotheken beträchtlich vermehrten Inkunabeln (ca. 6000) sollten in einem Typographischen Kabinett zusammengefaßt werden. Etwa 250.000 Stiche der Kupferstichsammlung wurden nach Porträts und historischen Schulen geordnet und dem Beamten Adam Bartsch 1791 zur besonderen Betreuung zugeteilt. Ein Beamter widmete sich der Verzeichnung der Karten und Atlanten, der Musiker Carl Leopold Röllig bearbeitete die Musikalien. Den Personalstand und die Gehälter regelte seit 1774 ein amtlicher Status, der 1787 für einen Präfekten, einen Direktor, 2 Kustoden, 5 Scriptoren und 4 Bibliotheksdiener 17.400 Gulden vorsah. Darüber hinaus wurde 1791 die jährliche Dotation auf 6000 Gulden erhöht. Gottfried van Swieten vollendete mit dem Ausbau und der Festigung der inneren Organisationsstruktur der Bibliothek, mit der Thematisierung von Erschließung und Zugänglichkeit der Bestände das von seinem Vater begonnene Reformprojekt: den Wandel der kaiserlichen Büchersammlung zu einer staatlich geführten wissenschaftlichen Bibliothek im Dienste der Allgemeinheit (Petschar, s. u. 4.2).
Die Hofbibliothek in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
1.26 Während der Koalitionskriege ordnete Kaiser Franz 1805 die Verlagerung möglichst vieler Kunstschätze aus der Reichshauptstadt an, um sie vor Beschlagnahme und der drohenden Deportation nach Paris zu schützen. Die wertvollsten Stücke der Hofbibliothek brachte man nach Ungarn. 1809 und 1813 folgten weitere Bergungsaktionen. Die Bestände blieben vor Plünderungen nicht verschont; nach dem Sieg über Napoleon kamen die 1809 abtransportierten Hss., Drucke und Kupferstiche aber aus Paris zurück. Zu Beginn des 19. Jhs erfolgte endlich die Neuordnung des kaiserlichen Patentes von 1624 zur Ablieferung von Freiexemplaren an die Hofbibliothek, das zum Leidwesen vieler Präfekten kaum eingehalten worden war. Zum Nachteil der Finanzlage - bezeugt sind u. a. außerordentliche Zuschüsse für den Ankauf der im Wiener Verlag Degen erschienenen Prachtausgaben - mußten Prachtausgaben gekauft werden. Die nach französischem Vorbild 1808 tworfene Verordnung verpflichtete die Verleger zur Abgabe eines kostenlosen Exemplars aller in den k.k. Staaten neu aufgelegten oder nachgedruckten Werke, Kupferstiche und Landkarten zum Gebrauch der k.k. Hofbibliothek als einer gemeinnützlichen Anstalt (Verordnung vom 9. Juni 1808). Ab 1811 sollten sie an Bücher-Revisionsämter abgeliefert werden, die sie dann an die Palatina weiterleiteten.
1.27 Die Bestimmung der Hofbibliothek als allgemein-öffentlicher Institution und die ihr daraus erwachsenden Aufgaben traten den kaiserlichen Beamten und Behörden nun deutlicher vor Augen. Im Zuge der Verhandlungen über eine Erhöhung der Dotation 1807 begründete der stellvertretende Präfekt Strattmann die Sammlungsschwerpunkte mit drei
Funktionen. der Hofbibliothek: Sie ist die Bibliothek für die gebildetere Classe der Hauptstadt. Diese fordert von ihr die merkwürdigsten Werke des Unterrichts. Sie ist die Nazionalbibliothek des österreichischen Kaiserthums. Der Einheimische wie der Fremde erwartet bey ihr die gesuchtesten literarischen Seltenheiten anzutreffen. Sie ist endlich die Bibliothek des Kaiserhofes, von denen sie ihre Benennung hier hat. Damit ist typographische Pracht wesentlich verbunden. (HB 898/1807, s. u. 4.1). Die detaillierten Ausführungen für die Finanzierung von 6 Sachgruppen (Unterrichtswerke, Seltenheiten, Prachtwerke, Kupferstiche, Buchbinderarbeiten, Hand- und Hausausgaben) fanden bei der übergeordneten Behörde Verständnis - 1808 setzte sie die Dotation der kaiserlichen Bibliothek in der vorgeschlagenen Höhe (15.000 Gulden jährlich) neu fest.
1.28 Unter den zahlreichen Erwerbungen der ersten Hälfte des 19. Jhs befanden sich ein aus dem Nachlaß ausgewählter Teil der Bibliothek des Gelehrten und Kustos der Hofbibliothek, Michael Denis (1729-1800); der Großteil der Salzburger Dom- und Hofbibliothek (1806) sowie Hss., Inkunabeln und Drucke aus den letzten aufgehobenen Klöstern (1807 Franziskanerkloster Feldsberg, 1813-1815 Wiener Augustinerkloster Sebastian und Rochus); eine von Marquis Rangone geschenkte Handschriftensammlung zur Geschichte des 16. und 17. Jhs (1810); zwei Kisten mit wertvollen, auf Kosten der französischen Regierung gedruckten naturwissenschaftlichen Werken (1814); seltene Drucke aus der 1814 versteigerten Büchersammlung des k.k. Geheimen Rats und Staatsreferendars Freiherr Anton von Spielmann (1738-1813). Zwischen 1816 und 1820 schenkte der k.k. privilegierte Buchdrucker Anton Schmidt (1765-1855) 247 in seiner Offizin gedruckte orientalische Bücher. 1815 und 1827 spendete die Britische und Ausländische Bibelgesellschaft Bibelausgaben in verschiedenen Sprachen. 1827 trafen 38 Bodoni-Drucke aus dem Besitz Marie Louises von Parma (1791-1847) ein. Neben einem Konvolut von Drucken und Hss. in cyrillischer Schrift aus Zara (1827) erhielt die Hofbibliothek 1829 die über den griechischen Aufstand berichtenden Journale und Zeitungen durch die Internuntiatur in Konstantinopel zugesandt. Diese vermittelte zwischen 1827 und 1845 auch den Zugang einer bedeutenden Anzahl von griechischen, türkischen und slawischen Drucken und unter Mitwirkung Hammer-Purgstalls die Erwerbung zahlreicher orientalischer Hss. Durch den in Raten erfolgten Ankauf von Josef von Hammer-Purgstalls (1774-1856) eigener Sammlung von 243 türkischen, arabischen und persischen Hss. und zusätzlichen Erwerbungen aus Ägypten und Ragusa wurde die Orientalia-Sammlung unschätzbar bereichert. 1834 bis 1860 kamen Werke der ostasiatischen Literatur hinzu, vor allem chinesische und japanische Hss. und Drucke, die über Vermittlung des Würzburger Mediziners Philipp Franz von Siebold (1796-1866) angekauft und in einem von Stephan Ladislaus Endlicher angelegten Verzeichnis erfaßt wurden (s. u. 2.135 ff.). Weiters sind eine 1830 erworbene Sammlung medizinischer Dissertationen aus dem Besitz des Grafen Carl von Harrach (1761-1829) zu erwähnen; vorwiegend historische, theologische Schriften und Werke der nordischen Literatur (390 Bde) aus der in Kopenhagen 1831 versteigerten größten Privatbibliothek Dänemarks, jener des dänischen Bischofs Friedrich Münter (1761-1830); mehrere Schenkungen von Parlamentsschriften, Katalogen und kostbaren Drucken durch die Society of Antiquity of London (1833-1835); 1014 Bde des Legats von Ignaz von Reinhart (1782-1843), das sich durch seltene Ausgaben spanischer Cancioneros auszeichnete; sowie 1846 der die Schweiz betreffende Teil der Bibliothek des Historikers Friedrich Hurter (1787-1865).
1.29 Probleme bereiteten weiterhin die Katalogisierung und Unterbringung der ständig anwachsenden Bestände. Neben der Verzeichnung von diversen Teilbeständen (u. a. Viennensia, Hebraica, s. u. 3.4) war unter dem Präfekten Josef Maximilian Graf von Tenczyn-Ossolínsky 1816 mit dem Umschreiben und Ergänzen des Josefinischen Druckschriften-Repertoriums begonnen worden. Der Alphabetische Katalog umfaßte bis 1820 28 Bde. In den folgenden Jahren veranlaßte Präfekt Moriz von Dietrichstein- Proskau-Leslie (1826-1845) eine neuerliche Umschreibung und die Revision des zu klein konzipierten Supplementkataloges, der bis 1906 mit Neuzugängen ergänzt wurde. Die Raumverhältnisse in der Hofburg wurden bereits seit dem Ende des 18. Jhs als nicht mehr ausreichend beklagt. Ossolínsky berichtete 1818, daß das Lesezimmer täglich etwa 80 bis 100 Leser besuchten, von denen jedoch nur 40 Sitzplätze vorfänden, die anderen mußten im Stehen lesen. Hss. und Inkunabeln hatte man auf drei voneinander weit tfernte Räume verteilen müssen, die bereits so dicht angestopft waren, daß keine weiteren Manuskripte Platz fänden (HB 1750/1818). Die bereits um 1820 ins Auge gefaßte Ausdehnung auf Räumlichkeiten des Augustinerklosters und die Aussiedlung des Naturalienkabinetts aus dem linken Gebäudeflügel am Josefsplatz konnte auch Dietrichstein nach jahrzehntelangem Ringen nicht erreichen. Zur Unterbringung einiger vom Zerfall bedrohten Hss., Musikalien und anderen Zimelien mußte er sich zunächst mit dem Aufstellen von 64 Bücherkästen, paarweise mit dem Rücken zueinander, im Prunksaal behelfen (1828). 1829 genehmigte das Obersthofmeisteramt die Vermietung des Augustinersaals an die Hofbibliothek gegen eine jährliche Miete an den Konvent. Die Raumnot war dadurch aber nur wenig gelindert, wie Dietrichsteins zahlreiche und drastisch formulierte Eingaben an die vorgesetzte Behörde in den nächsten Jahren dokumentieren. Selbst die in Aussicht gestellte Reduzierung der Öffnungszeiten und die Androhung, wegen Raummangels den Ankauf neuer Werke gänzlich einstellen zu müssen, brachten nur teilweisen Erfolg. Die Behörde war eher bereit, der befristeten Einschränkung des Bibliotheksbetriebs zuzustimmen als der geforderten Aussiedlung des Naturalienkabinetts. Ein Raum wurde der Bibliothek schließlich abgetreten.
1.30 1841 umfaßte die Hofbibliothek mit allen ihren Sammlungen, wie eine Zählung infolge der Revision ergab, einen Bestand von 234.960 Bdn, der nach Trennung der Adligate auf etwa 302.960 Bde geschätzt wurde. Der Gesamtbestand gliederte sich in die 3 Hauptgruppen Hss., Drucke und Kupferstiche, die bereits in der 1809 erlassenen Instruktion für das sämmtliche Hofbibliotheks-Personale (s. u. 4.1) erwähnt sind. Dietrichstein faßte in Ergänzung dazu die Aufgaben der Bibliothek und ihrer Beamten in einer Neuformulierung der Instruktion (1. 1. 1830) zusammen, die auch die Kompetenzen der 4 Kustoden für diese 3 Hauptgruppen festlegte. Hss. und Inkunabeln fielen dabei gemeinsam in die Verantwortung des zweiten Kustos, Bartholomäus Kopitar (s. u. Handschriften- und Inkunabelsammlung). Ab 1844 stand für die Benützung der Hss. auch ein eigenes Lesezimmer zur Verfügung. Neben der später an die Albertina abgetretenen Kupferstichsammlung sind aber auch die Musikalien als eigener Arbeitsbereich genannt, sie zählten zu den Agenden des ersten Kustos (Ignaz von Mosel). Dietrichstein, der vor seinem Amtsantritt in der Hofbibliothek für die Hofmusik verantwortlich war, ließ die Bestände des Hofmusikarchivs in die Bibliothek überstellen, wo sie der Beamte Anton Schmid mit den vorhandenen Musikalien zusammenfaßte, katalogisierte und so den Grundstock einer selbständigen musikwissenschaftlichen Sammlung der Bibliothek schuf (s. u. Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek). Unter den vielen bedeutenden Musikalien-Erwerbungen der folgenden Jahre sei hier nur die Reinschrift der Partitur von Mozarts Requiem (1838) genannt. Auch die Begründung der Autographensammlung der Palatina gilt als Dietrichsteins Werk. Er bemühte sich bei zahlreichen bekannten Persönlichkeiten - und mit Unterstützung Metternichs bei Reichs- und Provinzialbehörden der Monarchie - um die Abtretung entbehrlicher Autographen. Nach 1833 umfaßte die Sammlung bereits etwa 8000 Stück und wurde fortan laufend vermehrt und katalogisiert.
Die Francisco-Josephinische Ära
1.31 Das Revolutionsjahr 1848 überstand die Hofbibliothek dank des Einsatzes des Bibliothekspersonals unter dem damaligen Skriptor Ernst Birk ohne großen Schaden für die Bestände, obwohl das Dach des Prunksaals und des Augustinersaals während der Beschießung der Innenstadt durch die kaiserlichen Truppen in Flammen aufging (31. Oktober 1848). Eine Auswirkung der Revolution bestand in der Verlängerung der Öffnungszeiten von 2 Uhr nachmittags auf 16 Uhr, im Sommer auf 18 Uhr. Eine weitere betraf die Einforderung der Freiexemplare: nachdem die Revisionsämter aufgelassen worden waren, hatte sich die Bibliothek selbst an säumige Verleger zu wenden. 1856 fand die immer noch akute Raumnot eine zeitweilige Behebung. Die bis dahin als Wagenremise genützten Räume im Erdgeschoß des Bibliotheksgebäudes boten ausreichend Stellfläche zur Bücheraufbewahrung und ermöglichten die Entfernung der in der Mitte des Prunksaales aufgestellten Schränke. Die bereits konkreten Pläne für einen Neubau im Zuge der Verbauung des Glacis-Geländes nach der Schleifung der Stadtmauern (1857) wurden allerdings nicht verwirklicht.
1.32 Auch der Nachfolger Dietrichsteins, Eligius Franz Josef Freiherr Münch von Bellinghausen (1845-1871), widmete sich der seit van Swieten angestrebten und noch immer ausstehenden systematischen Erschließung der Druckschriften. In Hinblick auf eine geplante systematische Aufstellung wurde mit den Vorarbeiten für einen Realkatalog durch Umordnen, Ergänzen und Korrigieren des vorhandenen Zettelkataloges in Verbindung mit dem Bandkatalog begonnen, der dann nach Materien zerteilt werden sollte. Ausgestattet mit einer Sonderdotation, umfaßte das Projekt unter der Leitung des Skriptors Ernst Birk die Revision jedes Katalogzettels, die Bestimmung des wissenschaftlichen Faches für den Realkatalog, die Trennung der Adligate und das Ausscheiden der Dubletten. Es zog sich durch die gesamte Jahrhunderthälfte: 1869 beendete man die Bearbeitung der Adligate, 1871 das Ausscheiden der Dubletten, ab 1875 erfolgte die Neukatalogisierung der Druckwerke vom Erscheinungsjahr 1501 an, wofür Ernst Birk eine Instruktion erstellt hatte (Beschreibvorschrift, HB 44/1847). Die weitere Klassifizierung des bereits nach den 12 Systemklassen der Münchener Hof- und Staatsbibliothek markierten Zettelbestandes wurde schließlich aufgegeben (s. u. 2.5), weil man den einzigen verläßlichen Katalog nicht mehr zerstören wollte. Aus dem von Münch als Realkatalog geplanten Projekt tstand der als Kapselkatalog bezeichnete handschriftliche Nominalkatalog für den Druckschriftenbestand 1501-1929 (s. u. 3.1). Auch der 1886 begonnene Versuch, den Realkatalog völlig neu zu schreiben, mußte als zu zeitraubend wieder aufgegeben werden. Der bis zum Ende des Jahrhunderts verfolgte Plan der systematischen Aufstellung fand mit dem Beschluß, ab November 1899 den Numerus currens einzuführen, sein definitives Ende.
1.33 Zu den Erwerbungen der zweiten Hälfte des 19. Jhs zählen indische und chinesische Werke aus der Orientalia-Sammlung des Forschungsreisenden Eduard Glaser (†1907), eine Sammlung von Flugschriften und Plakaten aus dem Jahre 1848 des Güterdirektors J. W. Dunder (1850), die Autographensammlung Lacroix (1855), ferner einige wertvolle Hss. (1868), Originalskizzen zum Triumphzug Maximilians aus dem Kloster St. Florian (1874), Haydn-, Mozart- und Beethoven-Hss. (1871-1877), zwei Mercator-Globen (1875), die vorwiegend handschriftlichen Nachlässe Ignaz Franz Castellis (1781-1862) und Hammer-Purgstalls aus dem Besitz des Dichters Johann Gabriel Seidl, die Autographensammlung des 1871 verstorbenen Präfekten Münch, 143 Drucke und 9 Hss. aus dem Nachlaß des Romanisten Ferdinand Wolf (1796-1866), die Sinica und Japonica enthaltende Sammlung des österreichischen Konsuls in Shanghai, Josef von Haas (1847- 1896), mehr als 1000 Werke, vorwiegend zur klassischen Philologie, als Geschenk des Präfekten Wilhelm von Hartel (1891-1896) und mehrere tausend Werke mit dem Sammlungsschwerpunkt Geschichte aus dem Nachlaß seines Nachfolgers im Amt, Heinrich von Zeißberg (1839-1899). Ab 1888 wurden auch alle amtlich verbotenen Drucke zur Aufbewahrung abgeliefert. Sie durften aber nicht katalogisiert und der Benützung zugänglich gemacht werden. 1896 folgte ein Konvolut von Flugblättern und Literatur aus den Jahren 1848/1849 aus der aufgelösten Bibliothek des Ministerratspräsidiums.
1.34 Am Ende des 19. Jhs schätzte man den Bestand der Druckschriften auf 600.000, der Hss. auf 23.000 Bde. Ankäufe und Pflichtexemplare hielten einander ungefähr die Waage. Etwa 800 bis 1000 Leser besuchten monatlich den kleinen Lesesaal und konnten dort seit 1892 drei Bücher gleichzeitig bestellen. Der Kreis der entlehnberechtigten Personen und Institutionen wurde zwar erweitert, jedoch nicht auf die Allgemeinheit (z. B. Studenten) ausgedehnt. Die Entlehnung betreffend blieb die ehemals kleine Gruppe der Benützungsprivilegierten aus Hofangehörigen, Beamten und Gelehrten am längsten erhalten. Die zunächst abschlägig beschiedene Teilnahme an einem internationalen Leihverkehr wurde von Präfekt Wilhelm von Hartel revidiert. 1897 konnte der zweite Stock des linken Seitentrakts am Josefsplatz besiedelt werden.
1.35 Rückblickend scheint die Geschichte der Hofbibliothek im 19. Jh jedoch geprägt durch den Kampf um ausreichende Dotationen und Räumlichkeiten mit der vorgesetzten Behörde (Obersthofmeisteramt, Hofärar). Mangelhafte Ausstattung zwang sie mehrmals zur Reduzierung systematischer Einkaufspolitik, zur Ablehnung angebotener Rarissima (zuletzt 1883 am Beispiel der Papyrussammlung Erzherzog Rainer), ja sogar zur Einschränkung der Öffnungszeiten. Wertvollste Bestände mußten durch unzureichende Aufbewahrung gefährdet werden. Langfristige Katalogisierungsprojekte (mit Ausnahme der auf Kosten der Akademie der Wissenschaften publizierten Handschriften-Kataloge) scheiterten immer wieder am Personalmangel. Diese permanente Verstrickung in die Sicherung von finanziell und räumlich ausreichenden Grundbedingungen für den Bibliotheksbetrieb wirkte sich nachteilig auf die nationale und internationale Position der Hofbibliothek aus. Die zeitgenössischen Impulse zu Bibliotheksreformen, die Entwicklung von Modellen zur konsequenten wissenschaftlichen Erschließung von Beständen und damit verbundener Katalogisierungssysteme gingen von anderen Bibliotheken aus - z. B. von der kgl. Bibliothek in Berlin (Titeldrucke und die dafür entwickelten Preußischen Instruktionen, 1898 ff.), von dem mit vorbildlichen gedruckten Katalogen hervortretenden British Museum oder der Wiener Universitätsbibliothek, deren Direktor Ferdinand Grassauer den Plan einer zentralen Katalogisierung und eines Generalkataloges der an österreichischen Bibliotheken vorhandenen Druckschriften entwarf. Er konnte nicht verwirklicht werden, die Kapazitäten der Hofbibliothek waren gebunden. An Grassauers 1898 ediertem Generalkatalog der laufenden periodischen Druckschriften beteiligte sich die Hofbibliothek verspätet durch die Auflistung ihrer Periodika im Anhang. Die von Karl Junker 1899 bis 1903 erstellte nationalbibliographische Verzeichnung des österreichischen Schrifttums erschien ebenfalls nicht in Zusammenarbeit mit der Hofbibliothek, sondern wurde vom Verein der österreichisch-ungarischen Buchhändler herausgegeben.
Von der Hofbibliothek zur Nationalbibliothek
1.36 Neben der Neuordnung der Eigentumsverhältnisse bestimmten die Organisation ihrer Sammlungen und weiterhin die Raumfrage die Periode des Umbaus der Hofbibliothek zur Nationalbibliothek im ersten Viertel des 20. Jhs. Erleichterung brachte die 1905 abgeschlossene Adaptierung des Augustinersaals zum neuen Lesesaal mit 100 Plätzen. Der technisch aufwendige Ausbau der Kellerräume unter dem Prunksaal zu Büchermagazinen stellte jedoch nicht die erwartete langfristige Beseitigung des Magazinraummangels dar. Bereits nach 3 Jahren mußten neue Lösungen gesucht werden. Die 1899 endlich gelungene Eingliederung der Papyrussammlung Erzherzog Rainer (s. u. Papyrussammlung) regte eine grundsätzliche Regelung der während des 19. Jhs um die unterschiedlichen Bestandsgruppen erwachsenen Sammlungen an. Sie sollten nach und nach in eigenen Raumgruppen untergebracht und als administrative Einheiten, als Abtheilungen der Bibliothek, geführt werden. Die von Präfekt Josef von Karabacek (1899-1917) überarbeitete Allgemeine Diensteintheilung der k.k. Hofbibliothek bezog sich 1905 bereits auf die Handschriftensammlung, die Incunabelsammlung, die Papyrussammlung, die Impressensammlung, die geographische Kartensammlung, die Kupferstich- und Portraitsammlung, die Musikaliensammlung sowie die Buchbinderei (HB 1454 und 1486/1905). In Ergänzung zu diesem organisatorischen System der Sammlungen, das erstmals auch eine einheitliche Druckschriftensammlung berücksichtigte, erfolgte die bibliothekswissenschaftliche Betreuung der Bestände durch Beamte, die nach fachwissenschaftlichen Referatsgruppen in ein Referentenschema eingebunden wurden. In modifizierter Form, als Vorschlagsrecht für Ankäufe und Pflicht zur Beschlagwortung, blieb das 1906 eingeführte Referatssystem bis zur Gegenwart bestehen.
1.37 In Zusammenhang mit der Diskussion um die Funktion einer Reichsbibliothek, die sich über den Problemen der Einhebung von Pflichtexemplaren und der Erstellung einer staatlichen Bibliographie tspann, trat der außerordentliche Rechtsstatus der Hofbibliothek in den Vordergrund. Als hofärarische Institution unterstand sie nicht dem Ministerium für Kultus und Unterricht, sondern dem Oberstkämmereramt bzw. dem für Finanzen zuständigen Obersthofmeister und war somit der Staatsgewalt entzogen. Seit 1862 erfolgte die Entschädigung für die abgelieferten Pflichtexemplare aus der kaiserlichen Zivilliste, an der die Kronländer mit aliquoten Anteilen beteiligt waren. Die sich daraus ergebenden Auseinandersetzungen über das Eigentumsrecht an den Sammlungen nach dem Tod Kaiser Franz Josephs (1916) bezogen sich nicht nur auf die habsburgische Privatbibliothek, die Fideikommiß-Bibliothek, sondern auch auf die Hofbibliothek, über die eine Verlassenschaftsabhandlung eingeleitet werden sollte. Das Ende der Monarchie machte diese Auseinandersetzungen gegenstandslos.
1.38 Die Hofbibliothek wurde - provisorisch am 20. Februar 1919, definitiv durch den Beschluß des Kabinettsrates am 18. Juni 1920 - in die Hoheitsverwaltung der Republik Österreich übernommen und dem Unterrichtsamt untergeordnet. Den Rechtsansprüchen der Nachfolgestaaten auf Rückerstattung von Teilbeständen und aus diesen Ländern abgelieferten Pflichtexemplaren wurde durch Hinweis auf den Charakter der Hofbibliothek als Privateigentum und die gesetzliche Regelung zur Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen (3. April 1919) begegnet. Mit Ausnahme der Ablieferung einiger neapolitanischer Hss. an Italien (in Auslegung des Friedens von 1866) konnten die Forderungen abgewiesen werden. Am 6. August 1920 beschloß der Kabinettsrat die Neubenennung der Bibliothek als Nationalbibliothek. Zur möglichst ökonomischen Verwendung der staatlichen Mittel regelte ein Erlaß des Unterrichtsamtes (3. 1. 1920) die Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Wien, im besonderen bei der Beschaffung ausländischer Literatur. Daraus leiteten sich die über ihre nationalen Aufgaben hinausreichenden Sammelrichtlinien der zentralen staatlichen Bibliothek ab: die Pflege der Literaturgebiete geisteswissenschaftlicher Art sollte fortgeführt, von der medizinischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Literatur hingegen vorwiegend Werke zur Geschichte dieser Wissenschaften berücksichtigt werden. Die damals vorgesehene Vereinigung der Zeitungsbestände beider Wiener Bibliotheken an der Nationalbibliothek wurde nicht durchgeführt.
1.39 Kupferstichsammlung und Musiksammlung erhielten neue Räume im Palais Friedrich an der Albrechtsrampe (Albertinaplatz), wohin auch die Papyrussammlung übersiedelte. Noch im selben Jahr erfolgte jedoch die Abtrennung der Kupferstichsammlung von der Bibliothek und ihre Vereinigung mit der ebenfalls in staatliche Verwaltung übergegangenen Kunstsammlung Albertina zu einem selbständigen Institut (Staatliche graphische Sammlung Albertina), das in Zusammenarbeit mit der Nationalbibliothek auch über die weiter in deren Besitz verbleibende Handbibliothek der Kupferstichsammlung verfügte. Es verblieb die Klärung des Schicksals der am 18. Juni 1920 in Staatsbesitz übernommenen k.k. Familien-Fideikommiß-Bibliothek. 1921 wurde ihre Eingliederung in die neu gegründete Porträtsammlung" beschlossen, eine relativ selbständige Abteilung der Nationalbibliothek, der auch das Referat für genealogisch-biographische Literatur der Bibliothek zugedacht war. Hss., Inkunabeln, Papyri und Geographica der Fideikommiß-Bibliothek wurden in die zuständigen Sammlungen der Bibliothek eingegliedert, die Gesamtheit des als Corpus mortuum betrachteten Druckschriftenbestandes blieb jedoch erhalten. Hinzu kam die bisher an der Albertina verwahrte Bildnissammlung Prinz Eugens. Die seit 1908 von der Fideikommiß-Bibliothek eingenommenen Räume im zweiten Stock des Corps de Logis der Neuen Burg blieben Sitz der neuen Abteilung (s. u. Porträtsammlung und Bildarchiv).
1.40 Die Neuordnung der Bestände der Hofbibliothek und der verwandten kaiserlichen Sammlungen schloß die Einrichtung einer Theatersammlung 1922 ab. Sie entstand aus neuerworbenen Theatralica (1905 Bibliothek des Burgtheaters), den Theaterzetteln der Druckschriftensammlung sowie ihrem eigentlichen Grundstock, der 1922 angekauften Theaterbibliothek Hugo Thimigs (1854-1944), und wurde in den ehemaligen Räumen der Kupferstichsammlung am Josefsplatz untergebracht. (Zu den Erwerbungen und der Geschichte der einzelnen Spezialsammlungen für die Zeit nach dem Ende der Monarchie siehe die ihnen im Anschluß an die Darstellung der Druckschriftenbestände gewidmeten Abschnitte.) Die befürchteten Plünderungen bzw. Zwangsverkäufe der Kulturgüter zur Versorgung der hungernden Bevölkerung, dann die drohende Aufteilung des Bestandes auf die Nachfolgestaaten der Monarchie konnten abgewendet werden. Nach der z. T. mit Übersiedelungen von großen Sammlungsbeständen verbundenen organisatorisch-administrativen Umgestaltung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs konnte sich die neue Nationalbibliothek ihren eigentlichen Aufgaben widmen.
1.41 Das Recht auf Pflichtexemplare regelten das am 7. April 1922 beschlossene Bundesgesetz über die Presse und seine Durchführungsbestimmungen. Für den Tausch bestimmte Stücke sollten dazu beitragen, die in den Nachfolgestaaten erschienene deutschsprachige Literatur weitersammeln zu können, da die Dotation für den lückenlosen Ankauf nicht ausreichte. Unter den größeren Erwerbungen dieser Jahre befand sich die Estensische Bibliothek, die Erzherzog Franz Ferdinand (1863-1914) - durch Adoption Erbe des Hauses Modena - zugefallen war. Sie wurde 1915 bei der Fideikommiß-Bibliothek aufgestellt, jedoch bis 1918 nicht ihr zugeordnet. Für die Druckschriftensammlung brachte das Legat Franz Steindachners (1834-1919, Direktor des Naturhistorischen Museums) wertvolle spanische Bestände. Die angespannte finanzielle Situation nach dem Krieg führte zur Abtretung einiger Vereinsbibliotheken an die Nationalbibliothek: dem größten Teil der Bibliothek des Wiener Goethevereins folgten die Büchersammlungen der Numismatischen Gesellschaft und des Vereins für die Geschichte der Stadt Wien. Durch die 1918 vom damaligen Kustos Josef Bick begonnene Verzeichnung der Exlibris in den Beständen der Palatina wurden die Voraussetzungen der Exlibrissammlung im Bereich der Druckschriftensammlung geschaffen. Einige besonders wertvolle Holzschnitt- und Kupferstich-Exlibris mußten zwar 1920 an die Albertina abgegeben werden. Der Ankauf der international bekannten Sammlung Rudolf Benkard 1930 mit 6250 Blättern trug aber zum weiteren Ausbau bei (s. u. 2.325 ff.). Die 1915 zur Dokumentation des Kriegsgeschehens begonnene Kriegssammlung wurde nach Kriegsende aufgelöst und daraus ein Konvolut von mehr als 30.000 Publikationen den Druckschriftenbeständen einverleibt. Die Plakate, Flugblätter und amtlichen Verlautbarungen (ca. 60.000 Stück) stellten eine beträchtliche Erweiterung der seit 1912 in der Druckschriftenabteilung der Benützung zugänglichen Flugblättersammlung dar (s. u. 2.314 ff.).
1.42 Die finanzielle und räumliche Ausstattung der Bibliothek in der Zwischenkriegszeit unter der Leitung Josef Bicks (1923-1938, 1945-1948) war von Sparmaßnahmen geprägt und ließ sogar den Plan entstehen, die Universitätsbibliothek mit der Nationalbibliothek zusammenzulegen. Das Projekt einer Zentralbibliothek in einem Zu- oder Neubau blieb bis zum Ende der dreißiger Jahre mit konkreten Standortvorstellungen lebendig. Verwirklicht wurde jedoch nur ein Umbau der ehemaligen Wagenburg zum Speicher unter dem Prunksaal (1927-1930). 1928 stellte eine englische Gesellschaft der Nationalbibliothek die sogenannte Englische Bibliothek zur Verfügung. Die Sammlung vorwiegend belletristischer Literatur sollte zu einer eigenen Anglo-amerikanischen Abteilung ausgebaut werden, ging jedoch 1938 in den ordentlichen Bestand über. 1929 wurde das von Hugo Steiner gegründete Internationale Esperanto-Museum mit dem Nachlaß von Emil Soffé (1851/1858-1922) der Nationalbibliothek angegliedert. Unter den in den dreißiger Jahren eingegangenen Sammlungen befanden sich der Nachlaß des Germanisten Theodor von Karajan (1810-1873) und die Bibliothek Anton Wesselskys (1867-1944) mit etwa 7000 Werken zur Geschichte, Philosophie und Belletristik. Der 1937 von Josef Bick veranlaßte und 1940 abgeschlossene Kauf des Archivs für deutsche Politik und Kultur aus dem Besitz von Ottomar Schuchardt in Dresden brachte etwa 25.000 Schriften aus dem Zeitraum von 1845 bis 1885 - literarische Dokumente der oppositionellen Kreise Bismarck-Deutschlands zu den Themen Kulturkampf, Soziale Frage, Entwicklung der Parteien, österreichische Nationalitätenprobleme u. a.
1.43 Aus Anlaß des 200. Jahrestages der Vollendung des Bibliotheksgebäudes am Josefsplatz fand 1926 die Tagung des Vereines Deutscher Bibliothekare in Wien statt. Die dabei vorbereitete Mitarbeit am Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken hatte eine weitgehende Umstellung des Bibliotheksbetriebes zur Folge. Zur Katalogisierung nach dem neuen Regelwerk, den Preußischen Instruktionen, nahm eine neue Unterabteilung (die Titelaufnahme) am 2. Jänner 1931 ihren Dienst auf. Die alphabetische Verzeichnung der Druckschriften ab 1501 nach den Beschreibvorschriften der Hofbibliothek wurde mit dem Stichjahr 1929 abgebrochen und für die ab 1930 erschienenen Druckwerke ein neuer Nominalkatalog nach PI angelegt. Daneben führte man die seit 1904 verfolgte und mehrmals unterbrochene maschinenschriftliche Abschrift des handschriftlichen Nominalkataloges zur Erstellung eines Publikumskataloges weiter. Sein Fehlen sollte durch die ab 1931 erscheinenden Bände des Gesamtkataloges kompensiert werden (die Signaturen der Nationalbibliothek wurden in den Druckfahnen der ersten 8 Bde ergänzt; in den bis zur Einstellung des Projektes 1944 gedruckten Bänden zum Buchstaben B sind jeweils sämtliche Werke berücksichtigt). In Ergänzung dazu erschienen die Zuwachsverzeichnisse der an diesem Verbund teilnehmenden Bibliotheken (1923-1927, darunter das Zuwachsverzeichnis der Druckschriften der Nationalbibliothek in Wien). Ein 1931 ediertes österreichisches Gesamtzuwachsverzeichnis faßte die seit 1923 begonnenen, jedoch durch die Mitarbeit am Preußischen Gesamtkatalog überholten Vorarbeiten für einen österreichischen Gesamtkatalog zusammen. Die zentrale Verzeichnung ausländischer Monographien in der dafür an der Nationalbibliothek eingerichteten Büchernachweisstelle blieb erhalten.
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg
1.44 1938 wurde Josef Bick aufgrund seiner Tätigkeit im Bundeskulturrat (1934-1938) während der Dollfuß-Regierung seines Amtes als Leiter der Nationalbibliothek enthoben, als politischer Gefangener kurzzeitig in das Konzentrationslager Dachau bzw. Sachsenhausen eingewiesen und dann zu Hausarrest verurteilt. 1938 bis 1945 stand der Nationalsozialist Paul Heigl der Bibliothek vor. Neben der Bestandsvermehrung durch unterschiedliche Sammlungen, wie die 1941/1942 angekaufte Bibliothek des Politikers Viktor Mataja (1857-1934), das Legat orientalischer Literatur durch Johann Nittmann und die Zuweisung einer großen Menge juristischer Schriften aus der Bibliothek des 1940 aufgelösten österreichischen Justizministeriums, sind vor allem die Konfiskationen von Büchern aus jüdischem oder parteifeindlichem Besitz zu erwähnen. Für die meisten dieser Enteignungen gibt es heute keine Unterlagen mehr, da sie tweder überhaupt nicht aktenkundig wurden oder die Aufzeichnungen in die später verlorene Aktenablage Heigls gerieten. Größtenteils konnten die Bücher jedoch nach dem Krieg wieder zurückgestellt werden. Die Enteignungsaktionen begannen im Frühjahr 1939 und betrafen u. a. die Bibliotheken Kuffner, Valentin Rosenfeld, Rudolf Gutmann und die theatergeschichtliche Sammlung Fritz Brukner. Darüber hinaus wurde die gesamte Bibliothek des Missionshauses St. Gabriel bei Mödling beschlagnahmt. Die Bibliothek des Stiftes Klosterneuburg wurde ebenfalls usurpiert, entging allerdings der Überstellung in die Nationalbibliothek. Es folgten die Sammlungen der tschechischen kulturhistorischen Kommission in der Wiener Komensky-Schule, die Bibliothek von Alfons Rothschild, Stephan Auspitz, Viktor Ephrussi, Heinrich Schnitzler u. a. Die Beamten der Druckschriftensammlung versuchten, die meisten dieser Bibliotheken mit der Begründung Bearbeitung aus Zeitmangel unmöglich vor Zersplitterung und Transferierung an neugegründete Museen zu bewahren. Bei den von Heigl selbst bearbeiteten Beständen gestaltete sich die spätere Rückführung an ihre rechtmäßigen Besitzer schwierig bis undurchführbar.
1.45 Während des Zweiten Weltkrieges lagerten die Prunksaalbestände in sicheren Kellermagazinen. Die Kriegseinwirkungen im Jahre 1945 zerstörten Teile der benachbarten Albertina, ließen jedoch den Gebäudekomplex der Nationalbibliothek unbeschadet. Auch vor den erwarteten Übergriffen seitens der Besatzungsmächte konnten die Bestände - nicht zuletzt dank der Umsicht des interimistischen Leiters Hugo Häusle - bewahrt werden. Weder die Bücher noch das Gebäude erlitten nennenswerten Schaden. 1945 bis 1948 kehrte Josef Bick an die Spitze des Hauses zurück.
Die Österreichische Nationalbibliothek seit 1945
1.46 Am 30. Oktober 1945 wurde die Bibliothek in Österreichische Nationalbibliothek umbenannt. Die Rückstellungen der beschlagnahmten Bibliotheken begannen 1948. Einige der nicht bearbeiteten Sammlungen - darunter jene des Komensky-Vereines mit rund 124.000 Bdn und die des Missionshauses St. Gabriel mit etwa 80.000 Bdn - konnten sofort retourniert werden. 1955 war die Organisation der Rückführungen im wesentlichen abgeschlossen. Nach einer von Josef Stummvoll (Generaldirektor 1949-1967) eingeleiteten Zählung belief sich der Druckschriftenbestand 1948 auf 1,344.199 Bde. In Ergänzung zum normalen Büchereinlauf brachten durch Schenkung oder Kauf gewonnene Sammlungen wertvollen Zuwachs. Aus dem Jahre 1949 ist der etwa 3000 Orientalia und Sinica enthaltende Nachlaß des ehemaligen österreichischen Botschafters in Peking, Arthur von Rosthorn (1862-1945), zu nennen. Zum Legat Bruno Böttchers 1955/1956 zählten 27 Erst- und Frühausgaben von Werken Nestroys, Perinets und Hasenhuts. Umfangreichere Schenkungen kamen von Elisabeth Nicolis-Reska (1955, ca. 1000 Bde Belletristik und Theatergeschichte), Eugen Perugia (1957, etwa 1500 Werke der Romanistik) und der Regierung Mexikos (1961, 3000 in Mexiko erschienene neuere Schriften). Die Universitätsbibliothek Wien überließ zahlreiche Dubletten italienischer Werke des frühen 19. Jhs aus der angekauften Bibliothek Erzherzog Rainers (1827-1913). Die 1963 erworbene Veneziana-Sammlung Kurt Richard Donins (1881-1963) enthielt 1447 Titel aus vier Jahrhunderten, die im Sinne des Schenkers als geschlossene Reihe aufgenommen wurden. Zahlreiche Rara brachte 1964/1965 der Viennensia-Teil (1227 Werke) der Bibliothek Wilhelm Klasterskys (1880-1961). Karl Keck (1895-1992) schenkte der Bibliothek während vieler Jahre mehrere hundert Drucke vorwiegend des 17. und 18. Jhs aus kleinen, z. T. unbekannten österreichischen Offizinen, die er in österreichischen Pfarreien sammelte. Unter den zahllosen Druckschriften-Erwerbungen der letzten Jahrzehnte befanden sich z. B. 2000 Werke aus dem Nachlaß Edwin Rolletts (1888-1964), ca. 6000 Bde - darunter viele bereits nach 1940 konfiszierte und zurückerstattete Bücher - der Theaterbibliothek Heinrich Schnitzlers (1902-1982) und eine in den Jahren 1920 bis 1938 vom Journalisten Paul Frankenstein angelegte Sammlung (Bücher, Zeitungen und Flugschriften) von und über Tomás Garrigue Masaryk aus dem Besitz der Familie Frankenstein (1983).
1.47 Im Bereich der Katalogisierung stellte das für die Benützung des historischen Bestandes besonders schwerwiegende Fehlen eines Publikumskataloges weiterhin eine der dringendsten Aufgaben dar. Der Einsatz von elektrischen Mehrfachschreibmaschinen führte die 1958 wieder aufgenommene Abschreibung des handschriftlichen Kapselkataloges auf Karteikarten 1967 endlich zum Abschluß. Aus den insgesamt 5 Kopien jedes Zettels entstanden der Publikumskatalog für die bis 1929 erschienenen Druckschriften und ein Beamtennominalkatalog. Die restlichen Karten bildeten die Grundlage für die damals begonnene Beschlagwortung dieses Bestandes, den mittlerweile beinahe fertiggestellten Alten Schlagwortkatalog. Kopien der Titelaufnahmen von den Druckschriften ab 1930 waren seit 1935 für den Schlagwortkatalog bearbeitet worden. Ab 1950 wurden die Referenten zur Schlagwortgebung herangezogen. In Verbindung mit der Nominalkatalogisierung erfolgte die Bearbeitung der Pflichtexemplare für die seit 1946 erscheinende Österreichische Bibliographie. Die 1938 sistierte Österreichische Büchernachweisstelle für ausländische Monographien nahm 1950 ihre Tätigkeit wieder auf. Das 1951 beschlossene Projekt eines österreichischen Zentralkataloges für Periodika ab 1945 führte 1961/1962 zur Publikation von Bestandsnachweisen für 30.000 ausländische Periodika in ca. 450 Österreichischen Bibliotheken. Unter dem Titel Zentralkatalog neuerer ausländischer Zeitschriften und Serien in österreichischen Bibliotheken erschienen laufend Nachträge. Eine 1978 erstellte aktualisierte Liste ausländischer Periodika bildete den Grundstock für den 1980 begonnenen Aufbau der an der Bibliothek geführten Österreichischen Zeitschriftendatenbank (ÖZDB, s. u. 3.1). Seit 1992 arbeitet die Österreichische Nationalbibliothek am Österreichischen Bibliothekenverbund mit: im Bereich der Druckschriftensammlung wurde die Katalogisierung auf RAK-WB und RSWK umgestellt und gleichzeitig im gesamten Geschäftsgang das EDV-Bibliothekensystem BIBOS eingeführt.
1.48 Der 1962 bis 1966 durchgeführte Umbau der Räumlichkeiten in der Neuen Burg auf dem Heldenplatz schuf einen großen Lesesaal mit 200 Plätzen, einen Zeitschriftenlesesaal mit 65 Plätzen, Beamtenräume, die Kataloghalle für die Publikumskataloge im Foyer des Haupteinganges am Heldenplatz und ein zweigeschoßiges unterirdisches Bücherdepot. 1979 wurde der Augustiner-Lesesaal, der seit der Eröffnung des Hauptlesesaals den Bibliothekaren als Arbeitsraum gedient hatte, wieder dem Publikum zugänglich gemacht und der Benützung wertvoller Druckschriftenbestände gewidmet. Die das Theater betreffenden Druckschriften der Nationalbibliothek sind nach der Ausgliederung der Theatersammlung 1991 im Lesesaal des Österreichischen Theatermuseums, Palais Lobkowitz, einzusehen. Neben zahlreichen kleineren Sonderlesezimmern und den Lesesälen der Spezialsammlungen bestehen seit dem Frühjahr 1992 weitere Leseplätze für die Benützung von großformatigen Werken und AV-Medien im neugebauten Tiefspeicher unter der Burggartenstraße. Das auf 4 Ebenen unterirdisch angelegte Büchermagazin für über 4 Mio. Bde stellt die größte bauliche Erweiterung der Bibliothek seit dem 18. Jh dar.
1.49 Nach der Gründung des Österreichischen Literaturarchivs (1989) als neuer Sondersammlung für Nachlässe österreichischer Autoren zählt zu den jüngsten Projekten zur Umgestaltung und Erweiterung der Österreichischen Nationalbibliothek auch das den historischen Buchbestand im besonderen betreffende Konzept, eine Sammlung alter und wertvoller Drucke einzurichten. Sie wird sich der Betreuung und wissenschaftlichen Erschließung von Druckschriften aus dem Zeitraum von 1501 bis 1850, Exlibris, Flugblättern, Quodlibetica und bibliophilen Ausgaben widmen
- ↑ Aloys Bergenstamm: Aufschriften in Gruften, Säulen, Grundsteinen und Häusern in Wien. In: Gerhard Fischer (Hrsg.): Denn die Gestalt dieser Welt vergeht, Geschichte der Kirchen … der Stadt Wien, aufgezeichnet von dem Altertumsfreunde Aloys Bergenstamm (1754–1821), daedalus Verlag 1996, ISBN 3-900911-07-X, S 253.
- ↑ Provenienzforschung und Restitution onb.ac.at (Abgerufen am 1. Juni 2010)
- ↑ Restitution wien.orf.at, 1. Juni 2010
- ↑ Österreichische Nationalbibliothek restituiert erbloses NS-Raubgut (pdf; 47 kB), Gedenkfeier – Geraubte Bücher onb.ac.at, 1. Juni 2010; Übereignung an den Nationalfonds nationalfonds.org (Abgerufen am 1. Juni 2010)