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Herbstdämmerung

Summary:

Ein Morgen im Herbst 1945: „Schlafen ohne Angst, und morgens von dir geweckt werden.“

Notes:

(Ein Outtake aus Herbstzeitlosen.)

Work Text:

~~~

Otto erwachte langsam und stückweise, immer wieder unter die Oberfläche des Schlafes zurücksinkend wie in weiche Wellen, und erst allmählich für länger auftauchend.

Den langen, traumhaften Prozess hindurch war er sich bewusst, dass Martin bei ihm war; spürte seinen warmen Atem, der sachte über seinen Nacken blies, hörte seine vom Schlaf noch heisere Stimme, die leise einen Kosenamen murmelte, fühlte seine Fingerspitzen auf seiner Haut. Er erwachte schließlich vollends in dem Bewusstsein, von Martins warmem Körper halb umgeben zu sein, und wandte noch schlaftrunken den Kopf, direkt in einen geruhsamen Kuss.

Als sich ihre Lippen voneinander lösten, lächelte Otto verschlafen in Martins Gesicht, das sich aus nächster Nähe über ihn neigte. Er lag auf der Seite, Martin dicht hinter ihm angeschmiegt; das Bett war nicht schmal, aber sie neigten aus Gewohnheit und dem instinktiven Wunsch nach Nähe nicht dazu, viel Abstand zu halten.

Durch das Fenster drang verhaltener Vogelgesang und kaum eine Ahnung von Frühmorgenlicht: ein zartes Pfirsichrosa, das sich durch die kahlen Zweige vor dem Fenster stahl wie ein Dieb in zu auffälliger Kleidung. Der Herbst, der sich monatelang nasskalt und mürrisch gegeben hatte, schien in seinen letzten Tagen noch rasch ein wenig schwaches Sonnenlicht und Farbe nachschieben zu wollen, eine nachträgliche Entschuldigung für einen rauen Anfang.

„Wie spät ist es denn“, nuschelte Otto.

„Kurz vor sieben, glaube ich“, gab Martin leise Antwort. Otto stöhnte bewusst übertrieben auf und stieß ihm einen Ellenbogen nach hinten in die Rippen. „Also noch finsterste Nacht. Warum zum Teufel bist du denn wach, du Untier?“

Martin biss ihn sanft in den Nacken. „Deine Schuld. So wie du dich im Schlaf an einem windest und dabei noch höchst verführerisches Gemurmel von dir gibst, würde auch der Papst aufwachen, das kannst du mir glauben.“

„Ist überhaupt nicht wahr!“, lachte Otto und kaschierte die Hitze, die ihm ins Gesicht stieg, indem er noch einmal mit dem Ellenbogen nachhalf.

„Und ob.“ Martin fing den Arm auf und strich mit den Fingern sachte den Oberarm entlang, folgte den Linien des Bizeps, schmiegte die Handfläche um die Rundung der Schulter und fuhr dann sein empfindliches Schlüsselbein entlang. Den anderen Arm schob er unter Ottos Hals durch und legte ihn quer um seine Brust, um ihn noch näher an sich zu ziehen; seine Fingerspitzen spielten wie zufällig an seiner Brustwarze. Die zarten Berührungen weckten einen sanften Schauder, der über Ottos empfindliche Haut rollte, sodass er sich unwillkürlich etwas in Martins Armen wand. Martin gab einen befriedigten Laut von sich, als Ottos Brustwarzen sich unter seinen Fingern aufrichteten. Er rollte leicht mit den Hüften nach vorne, sodass Otto spüren konnte, wie hart er war. Otto versuchte instinktiv, seine Beine zu öffnen, doch Martin murmelte einen leisen Protest und unterbrach die Bewegung mit einer Hand auf Ottos Hüfte. „Bleib erstmal so, ja?“

Anstatt mehr zu fordern, verteilte er Küsse auf Ottos Nacken, fuhr die leichten Erhebungen seiner Halswirbel mit feuchten Lippen nach, küsste sich seinen Hals entlang zum Ohrläppchen, fing seinen Mund auf, als Otto erneut den Kopf drehte: seitliche, offene, speichelwarme Küsse waren es, ein bedächtiges Spiel vertrauter Zungen.

Die ganze Zeit hielten Martins Hände nie inne; er erkundete Ottos Haut, soweit seine Finger reichen konnten, ohne den engen Körperkontakt aufzugeben, seine Arme eng um Otto geschlungen, seine Schenkel dicht an Ottos gepresst, sein Bein zwischen Ottos Beinen. Er zog Kreise um Ottos Hüftknochen, fuhr die Narbe auf seinem Bauch nach, dann seinen Nabel; er zeichnete den Schwung seiner Rippen so aufmerksam nach, als wollte er später jede Linie malen. Er pflückte an seinen Brustwarzen, rollte sie sanft zwischen Fingern und Daumen und antwortete auf Ottos leise Laute der Erregung mit gemurmelten Zureden. Er umfasste Ottos Hals, während er ihn langsam und innig küsste.

Otto spürte, wie er unter den aufmerksamen, unendlich zärtlichen Liebkosungen dahinschmolz. Sie waren beide hart, aber es war beinahe nebensächlich; Otto empfand das begehrliche Pochen seines Glieds wie eine sinnliche, aber nicht dringliche Ablenkung, auf die er sich noch nicht einlassen wollte. Martin zog seine Fingerspitzen so sachte über seine Haut, als lese er Ottos Körper in Blindenschrift, um ihm genau das geben zu können, wonach er verlangte.

Otto sog die Berührungen, das Streicheln ohne Eile, in sich auf wie ein Schwamm. Bevor sie hier eingezogen waren, hatten sie sich kaum je Zeit lassen können. Auf dem Dachboden, ja: aber da waren die Bomben gewesen, und das Wissen um ein ganzes Gebäude voll Menschen unter ihnen, die ständige Notwendigkeit des Versteckens, des Leiseseins. So oft waren sie in chaotischen, gestohlenen Momenten zusammengekommen, in Begegnungen, bei denen es galt jede Sekunde zu nutzen: hastige Küsse, hastiges Fummeln, ein Aneinanderklammern, ein kurzes, wildes Verschmelzen, dann das schnelle Anziehen, Haare und Kleidung richten, sich jede Sehnsucht oder Befriedigung aus dem Gesicht wischen, bevor sie sich wieder nach außen hin wie befreundete Kollegen geben mussten.

Sich Zeit zu lassen, in ihrem eigenen Bett, in Laken, die sie nicht vor misstrauischen Augen unbefleckt lassen mussten: das war immer noch neu und stieg Otto zu Kopf wie süßer Wein. Er bewegte sich langsam, wie traumverloren, schmiegte sich in die warme Ganzkörperumarmung, bog sich den suchenden Fingern entgegen. Leise, lustvolle Laute stiegen aus seiner Kehle, die er freilassen konnte, anstatt sich auf die Lippen zu beißen; er hörte, wie Martins Atem als Reaktion darauf schwerer wurde, seine eigene Erregung sich hörbar machte. Otto gab die Liebkosungen zurück, wo er konnte. Er fasste nach hinten und streichelte Martins Schenkel, seine Hüfte, die empfindliche Kniekehle; er zog Martins Arme um sich wie einen Mantel und strich an ihnen entlang, liebkoste die gewandten Finger, die wiederum ihn liebkosten.

Zeit wurde flüssig wie Honig, verlor ihre Bedeutung. Das roségoldene Herbstlicht glitt unaufdringlich in das Zimmer und umschmeichelte ihre entblößte Haut. Alles war Küssen, Hände, Nervenenden, die unter den zartesten Berührungen vibrierten. Fast unmerklich stieg der Druck der Lust und machte ihre Bewegungen allmählich drängender. Otto wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Martin heiser fragte, die Lippen an Ottos Ohr: „Wie willst du es?“

Otto wandte den Kopf, begegnete zum dutzendsten Mal seinen weichen Lippen, küsste, küsste, vergaß fast die Frage darüber. Erst als Martin in den Kuss stöhnte, ein etwas gebrochener Laut, und sein Becken sich nach vorne presste, fiel sie ihm wieder ein.

„Fick mich“, murmelte er gegen Martins Lippen, nahm dem Wort etwas von seiner Rohheit mit seinem zärtlichen, leise flehenden Ton. „Aber mach weiter langsam, ja? Als hätten wir alle Zeit der Welt.“ Er fing Martins stockenden Atem auf und gab ihn mit seinem eigenen zurück.

Martin löste sich kaum von ihm, als er im Nachttisch nach der Salbe fummelte. Dann lagen sie wieder hautnah aneinander gepresst, Martins Finger an ihm, dann in ihm, nicht mehr als eine natürliche Fortsetzung ihres langsamen, verlangenden Sich-umeinander-Schlingens. Er gab sich Martins behutsamen Händen hin, winkelte ein Bein an und seufzte befriedigt auf, als Martin endlich in ihn eindrang. Sein Körper war so willig und bereit, dass er kaum Widerstand bot; er nahm Martin mit einem Einatmen in sich auf, durchdrungen von dem reinen Gefühl der Freude, seinen Körper mit ihm teilen zu können.

Sie wiegten sich gegeneinander, im selben gemäßigten Rhythmus wie vorhin, ein sachtes Vor und Zurück. Martin löste sich kaum aus ihm, kreiste nur leicht seine Hüften und half mit langsamen, kaum merklichen Stößen nach, von denen jeder Otto fast quälerisch gut an seiner empfindlichsten Stelle traf. Er stöhnte heiser und bald schon in einem durch, die Laute rollten unaufhaltsam von seinen Lippen, und Martin presste seinen Mund gegen seinen Nacken und sagte rau und atemlos: „Ich wollte dich schon immer so hören können. Hör ja nicht auf.“

Er hörte nicht auf; er hätte es nicht können. Mehrere Male glitt er auf seinen Höhepunkt zu, und mehrere Mal nahm Martin sein Tempo zurück, als könnte er es spüren, brachte Otto sanft wieder zurück in das wiegende Kreisen und Reiben, bis das Verlangen erneut stieg und stieg. Seine Hand lag um Ottos Glied, warm und fest, bewegte sich aber kaum; nur sein Daumen liebkoste zart seine Eichel, wieder und wieder, ein aufreizend langsamer Kreis. Otto konnte fühlen, wie er dort tropfte, unaufhaltsam, bis Martins Hand um ihn warm und schlüpfrig wurde.

Martins Atem wurde stockend, ging heftiger, auch wenn sein Tempo nicht zunahm. Otto drehte den Kopf zu ihm, küsste ihn mit offenem Mund und offenen Augen, während er spürte, wie der Höhepunkt auf ihn zukam, unaufhaltsam diesmal, ein langsames, stetiges Beben. Immer noch war Martin tief in ihm, er fühlte die winzigen Vorstöße, die feurigen Liebkosungen überempfindlicher Nerven. Der Orgasmus kam nicht wie eine plötzliche Explosion wie sonst, sondern als steigende Reihe von Wellen, eine intensiver als die andere, dunkel und lustvoll; er löste sich auf unter den fast überwältigenden Schüben, zuckte und wand sich unkontrolliert in Martins Armen, hörte dessen Stöhnen, als er sich wieder und wieder um ihn verengte, und spürte den warmen Erguss, den bebenden Körper, der ihn immer noch umgab wie eine zweite Haut.

Nur langsam trieb er wieder an die Oberfläche des Bewusstseins. Sie waren schweißdurchnässt und klebrig von Samen, und er hatte keine Lust, das zu ändern. Er streckte eine Hand nach hinten und legte sie auf Martins Hüfte, als dieser sich zu lösen versuchte. „Bleib noch ein bisschen“, flüsterte er; er wollte es nicht aufgeben, das zeitlose, vertraute Gefühl des Vereintseins. Martin gab einen leise zustimmenden Laut von sich, aber nach ein paar Minuten hatte er keinen Halt mehr. Otto konnte ein bedauerndes Murmeln nicht unterdrücken, als er aus ihm glitt, die plötzliche Leere wie immer etwas unangenehm; aber dann waren Martins Finger da, fest und haltgebend; sie beruhigten den zuckenden Muskel, bis er sich entspannte.

Die Laken würden sie wieder mal früher als erwartet waschen müssen. Otto grinste träge und rollte sich dann in Martins Armen herum, bis sie Nase an Nasenspitze lagen. Martin blinzelte ihn an, entspannte Befriedigung in seinen graublauen Augen, das Haar wirr und feucht von Schweiß. Otto strich es ihm zärtlich aus der Stirn. „So kannst du mich ruhig jeden Morgen wecken.“

Martin reckte sich nach vorne und küsste ihn. „Das lässt sich einrichten.“

Sie lagen im zerwühlten Bett, Arme und Beine umeinander geschlungen. Die Luft im Zimmer war kühl, aber ihnen war warm; ihre Körper glühten noch nach. Das weiche Herbstlicht im Raum nahm zu, der Morgen schritt allmählich voran. Sie kümmerten sich nicht darum. Sie hatten keine Eile, dem Tag zu begegnen. Es galt, den Morgen frei von Angst zu genießen; diesen wie jeden kommenden Morgen, stets der erste von vielen.