Work Text:
Irgendwie schien Bob diese Art von Verletzungen schon immer förmlich anzuziehen. Mal wieder hatte er bei der Überführung eines Verdächtigen einen ordentlichen Schlag auf den Kopf abbekommen. So ordentlich, dass die Sanitäter sofort darauf bestanden hatten, dass er die Nacht im Krankenhaus verbrachte. Er musste außerdem eine ganze Reihe von neurologischen Tests über sich ergehen lassen, bevor er am frühen Nachmittag des nächsten Tages mit der Diagnose einer mittelschweren Gehirnerschütterung und einem ganzen Arsenal an Schmerzmitteln im Gepäck wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Das medizinische Personal hatte gesagt, dass er im Großen und Ganzen eigentlich nochmal mit einem blauen Auge davongekommen war – im übertragenen so wie im wörtlichen Sinne.
Und Peter holte ihn natürlich vom Krankenhaus ab. Und sofort war da dieses Ziehen in seiner Brust, als er Bob im Abholbereich des Krankenhauses auf einer der weißen Plastikbänke erblickte. Er saß dort ein wenig zusammengesunken und schien beinahe in der Lederjacke zu versinken, die normalerweise cool und oversized an ihm aussah. Seine Haare waren zerzaust und er sah müde und irgendwie zerknittert aus – soweit man das von einem Menschen sagen konnte – und erst als Bob den MG entdeckte verzog sich der angespannte Ausdruck auf seinem Gesicht zu einem kleinen, mühseligen Lächeln.
Wie immer, wenn es Bob nicht sonderlich gut ging, tat er so, als sei die ganze Sache eigentlich halb so schlimm. Peter konnte er damit allerdings längst nicht mehr hinters Licht führen. Er merkte sofort, wie Bob immer wieder lange und kontrolliert durch seine Nase einatmete und die Luft anschließend vorsichtig durch den Mund wieder hinauspustete. Außerdem entging ihm nicht, wie Bob seine Augen immer wieder für ein paar Sekunden schloss und jedes Mal zusammenzuckte, wenn auf der Straße jemand hupte oder das Geschrei von spielenden Kindern bis in den Innenraum des MGs hineindrang.
Peter fuhr extra vorsichtig, versuchte jede Kurve so sanft wie möglich zu nehmen und die Schlaglöcher oder sonstige Hindernisse, die auf den Straßen von LA nicht unbedingt eine Seltenheit darstellten, so gut wie möglich zu umfahren. Als sie schließlich die Treppe zu ihrem gemeinsamen Apartment mit Justus erklommen, blieb Peter die ganze Zeit einen halben Schritt hinter Bob, für den Fall, dass dessen Beine unter ihm nachgeben sollte.
In der Wohnung angekommen schleppte Bob sich zuerst in die Küche, füllte sich ein Glas mit Wasser und ließ sich dann langsam und mit extremer Vorsicht auf einen der Küchenstühle sinken.
Peter begann währenddessen damit, sich einen Kaffee zuzubereiten. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er versuchte, auf Bob aufzupassen oder ihn übermäßig zu bemuttern – er wusste immerhin ganz genau, wie sehr Bob das nervte. Aber gleichzeitig fühlte Peter sich alles andere als wohl damit, ihn jetzt sofort allein zu lassen. Immerhin war es sogar ärztliche Anweisung gewesen, dass jemand ihn in den nächsten vierundzwanzig Stunden im Auge behalten sollte. Auch wenn es einiges an Nachfragen gebraucht hatte, bis Bob das schließlich widerwillig zugegeben hatte.
Jedenfalls maß Peter das Pulver für seinen Espresso-Shot heute besonders gewissenhaft ab, wischte jeden einzelnen Krümel vom Rand des Siebträgers und platzierte diesen anschließend vorsichtig in der Maschine. Währenddessen beobachtete er Bob aus dem Augenwinkel, der sich offensichtlich stark bemühte, sich einigermaßen zusammenzureißen. Doch Peter kannte ihn zu gut, um nicht aus jedem seiner kalkulierten Atemzüge die Anspannung in seinem gesamten Körper herauszulesen.
Dann bemerkte Peter plötzlich, wie Bob sich in seinem Stuhl aufrichtete. Seine Bewegungen waren fahrig, beinahe ein bisschen abgehakt und Peter hielt prompt in seinem eigenen Handgriff inne, die Kaffeetasse, die er gerade vom Regal genommen hatte, unter dem Filter zu platzieren.
„Ich geh mal kurz ins Wohnzimmer“, murmelte Bob schließlich in die Stille hinein und stemmte sich dann mit beiden Händen an der Tischplatte hoch. Er tat einen langsamen Schritt, dann zwei, drei und als Peter gerade schon dachte, dass er sich vermutlich wirklich ein bisschen entspannen sollte, knickten Bobs Knie unter ihm ein.
“Hey, hey, ich hab dich“, sagte Peter sofort und stellte in einer souveränen Bewegung seine leere Kaffeetasse auf der Küchentheke ab, während seine andere Hand ihren Weg blitzschnell um Bobs Taille fand – und zwar gerade noch rechtzeitig. Peter adjustierte seinen Griff ein wenig, fasste Bob noch etwas enger um den Oberkörper und bückte sich leicht, um seine andere Hand unter Bobs Knie zu schieben. Im nächsten Moment hatte er ihn bereits vorsichtig hochgehoben.
„Peter, wa-“, setzte Bob sofort an, um sich zu beschweren, doch er konnte seinen Satz nicht beenden, ohne seine Augen schmerzerfüllt zuzukneifen. Peter erwiderte nichts. Stattdessen legte er den Weg zu Bobs Zimmer so schnell und schaukel-frei wie möglich zurück und setzte seinen Freund dort vorsichtig auf seinem Bett ab. Noch einmal gab Bob ein Geräusch von sich, das andeutete, wie mies es ihm gerade wirklich ging und das sofort stechend in Peters Magengegend ankam.
„Ich hol dir ‘ne Schmerztablette und ein Glas Wasser“, sagte Peter in einem Ton, der keinerlei Wiederrede duldete. Mittlerweile hatte Bob sich allerdings ohnehin bereits vorsichtig in die Kissen sinken lassen und die Handfläche seiner rechten Hand schützend über die Augen gelegt. Als Peter keine zwei Minuten später zurück in Bobs Zimmer trat, war dieser bereits eingeschlafen.
Vorsichtig stellte Peter das Glas sowie die versprochene, kleine Tablette auf dem Nachttisch ab, trat auf Zehenspitzen in Richtung der Fenster und zog so vorsichtig wie möglich die Vorhänge zu. Aus Erfahrung wusste Peter bereits, dass Bob besonders lichtempfindlich war, wenn er Kopfschmerzen hatte – egal, ob diese nun durch eine seiner Migräneattacken oder einen Schlag gegen den Kopf ausgelöst worden waren.
Noch einmal checkte er seine mentale Liste an Dingen, die Bob benötigen könnte, wenn er plötzlich aufwachen sollte: einen leeren Plastikeimer neben dem Bett, seine Schlafmaske auf dem Nachttisch, eine zusätzliche Decke, falls ihm kalt werden sollte und Ohrenstöpsel, falls selbst der sanfte Straßenlärm, der durch die Fensterscheiben drang, ihm zu viel werden sollten.
Alles war an Ort und Stelle, genauso, wie Peter es vorbereitet hatte, bevor er zum Krankenhaus aufgebrochen war.
Kurz überlegte er, ob er jetzt eine Grenze überschreiten würde, wenn er einen vorsichtigen Kuss auf Bobs Haaransatz platzieren würde. Das Bedürfnis, ihm irgendeine Art der Zärtlichkeit entgegenzubringen war unglaublich hoch, doch irgendetwas in ihm hielt Peter schließlich doch zurück. Stattdessen warf er bloß einen weiteren, nachdenklichen Blick in Bobs Richtung und zog dann die Zimmertür vorsichtig hinter sich zu.
Und dann Peter stand plötzlich allein im Flur und auf einmal kam ihm die Wohnung unerträglich still vor.
Erst als Justus etwas später in die Küche trat, fiel Peter auf, dass er noch immer bewegungslos gegen Theke gelehnt war und der Uhr, die über ihrem Esstisch hing, dabei zusah, wie sie langsam weitertickte. Schätzungsweise stand er hier bereits seit einer geschlagenen Stunde und der Kaffee in seiner Tasse war mittlerweile kalt geworden.
„Hallo, Peter“, lächelte Justus ihm zu und ließ seinen Uni-Rucksack in der Ecke des Raumes auf den Boden sinken. Peter musste heftig blinzeln, bis er sich schließlich wieder aus seiner Starre löste.
„Hey“, gab er leise zurück und streckte seinen Nacken ein paar Mal nach rechts und links. „Ich hab gar nicht gehört, dass du nach Hause gekommen bist.“
„Das dachte ich mir bereits, nachdem du nicht auf mein ‚Hallo‘ aus dem Flur reagiert hast“, stellte Justus klar und öffnete die Kühlschranktür, um skeptisch den Inhalt darin zu begutachten. Oder besser gesagt den fehlenden Inhalt, da sie allesamt in der letzten Woche zu beschäftigt mit ihrem Fall gewesen waren, um wirklich einkaufen zu gehen.
Peter kratzte sich am Hinterkopf. „Oh, sorry. Ich bin glaub ich von gestern noch immer ein bisschen neben der Spur.“
Justus nickte verständnisvoll. „Das ist ja auch nicht verwunderlich. Das gestern hätte auch wirklich anders ausgehen können, wenn Bob nicht so geistesgegenwärtig reagiert hätte.“
Peter presste seine Lippen aufeinander. Irgendwie hatte Justus natürlich recht mit dem, was er sagte. Gleichzeitig lag ihm die ganze Sache noch immer ein wenig schief im Magen. War es denn wirklich notwendig, dass sie alle – und insbesondere Bob – ständig ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, nur, um irgendwelche zwielichtigen Kleinkriminellen hinter Gitter zu bringen? Sollten genau solche Aufgaben nicht eigentlich von der Polizei übernommen werden?
„Was ist los, Zweiter?“, unterbrach Justus erneut seine Gedanken. Anscheinend hatte er in der hintersten Ecke des Kühlschranks doch noch einen Kirschjoghurt aufgetrieben, dessen Aludeckel er nun vorsichtig abzog und sich selbst mitsamt dem Becher am Küchentisch platzierte.
Etwas trotzig verschränkte Peter seine Arme vor der Brust. „Ich weiß auch nicht. Ich mein, ich hab ja sowieso immer wieder gewisse Zweifel daran, ob das, was wir machen, wirklich so besonders zielführend ist. Oder uns in unserem Leben weiterbringt. Aber das gestern war mir wirklich wieder etwas zu knapp für meinen Geschmack.“
Nachdenklich runzelte Justus die Stirn.
„Was war an der Situation gestern so anders für dich? Also zum Beispiel im Vergleich zu dem Fall vor zwei Monaten, wo du beinahe von diesem Baugerüst gestürzt bist. Objektiv gesehen war das doch eine gefährlichere Situation, oder sieht du das anders?“
Da war eben ich in Gefahr, nicht Bob, dachte Peter. Anstatt das allerdings laut auszusprechen, zuckte er stattdessen mit den Achseln.
„Keine Ahnung, da hab ich in dem Moment irgendwie nicht so viel drüber nachgedacht“, murmelte er. „Gestern hatte ich aber einfach verdammt Angst, dass was schief gehen könnte. Und dann war Bob-“ Peter Stimme brach mitten im Satz ab. Einige Sekunden blickte Justus ihn weiterhin aufmerksam an, doch die Worte wollten einfach nicht aus ihm herauskommen.
„Er war wirklich lange ohnmächtig, nicht wahr?“, fragte Justus schließlich und legte seinen Löffel nun doch wieder auf dem Tisch ab, ohne seinen Joghurt angerührt zu haben. „Ich weiß, ich war da gerade in einem anderen Teil des Gebäudes, aber ich kann mir vorstellen, dass diese Situation sich wirklich extrem furchteinflößend angefühlt hat.“
Peter zuckte die Achseln.
„Ja, das auch. Aber ich hab auch einfach das Gefühl, dass ich es schwieriger ertragen kann, wenn ihm etwas zustößt, seit –“ Peter stockte erneut und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Für einen Moment hatte er vergessen, dass sie Justus eigentlich noch gar nichts von ihrem Arrangement der letzten Wochen erzählt hatten. Er schüttelte sachte seinen Kopf. „Äh, nicht so wichtig.“
Justus lächelte milde. „Ich weiß schon, worauf du hinauswillst, Pete. Ich bin immerhin nicht umsonst Detektiv. Und so subtil, wie ihr denkt, seid ihr ehrlich gesagt auch nicht.“
„Oh“, sagte Peter und sofort spürte er, wie ihm jegliches Blut in die Ohrenspitzen schoss. Aber gut, immerhin konnte er nun mit Justus mehr oder weniger offen über seine Sorgen sprechen. Er zuckte mit den Schultern. „Naja, wie auch immer. Bob hasst es eben auch, wenn man sich Sorgen um ihn macht. Aber das tue ich halt trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen.“
„Ich weiß“, nickte Justus. „Aber bloß, weil er vielleicht schwer damit umgehen kann, wenn wir oder generell jemand Sorge um ihn hat und sich um ihn kümmern möchte, wenn es ihm schlechtgeht, heißt das nicht, dass wir es nicht trotzdem tun sollten.“
Einen Moment lang breitete sich Stille in der Küche aus. Schließlich seufzte Peter leise.
„Was, wenn er dann denkt, dass ich ihn irgendwie als schwach betrachte? Ich glaub nicht, dass das besonders hilfreich wäre.“
Justus legte seinen Kopf schief. „Das wird er nicht. Außerdem geht es hier ohnehin nicht um Schwäche. Es geht darum, dass du dich um jemanden sorgst, den du liebst. Und jeder braucht mal jemanden, der ihn auffängt – auch Bob.“
Peter schluckte. Liebe. Er war sich nicht sicher, ob er dieses Wort selbst in den Mund genommen hätte, aber jetzt, wo Justus es ausgesprochen hatte, fühlte es sich gar nicht so besonders abwegig an. Oh Mann.
„Ich sollte mit ihm reden, oder?“
Justus grinste, ein bisschen entschuldigend, aber auch irgendwie tröstend. „Wahrscheinlich ja.“
Ein leises „Herein“ ertönte, als Peter zwei Stunden später an die Tür zu Bobs Zimmer klopfte. Vorsichtig öffnete er sie, schlüpfte hinein und zog sie anschließend wieder sanft hinter sich ins Schloss. Der Raum war noch immer vollständig abgedunkelt bis auf einen schmalen Spalt an Licht, der zwischen dem Vorhang und dem Fensterbrett hindurchblitzte. Vorsichtig ließ Peter sich an den Rand von Bobs Bett sinken, bedacht darauf, die Matratze nicht allzu sehr durchzuschütteln, während sich seine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten. Bob lag auf dem Bauch, sein Gesicht in Peters Richtung gewandt und seine Augen waren zumindest minimal geöffnet.
„Wie fühlst du dich?”
“Ungefähr so, als hätte ich den schlimmsten Kater meines gesamten Lebens“, stöhnte Bob und drehte sein Gesicht nun doch wieder vollständig ins Kissen, sodass ihn das Licht, das durch das Fenster in den Raum fiel, nicht mehr blendete. „Und als wäre mir anschließend noch eine LKW über den Kopf gefahren.“
Peter schmunzelte und legte seine Hand vorsichtig auf Bobs oberen Rücken und begann damit, dort in kleinen, kreisförmigen Bewegungen die angespannten Muskeln zu massieren. Sofort ließ sich Bob noch etwas flacher in die Kissen sinken und gab ein zufriedenes Seufzen von sich. Angestrengt überlegte Peter, wie er diese Unterhaltung beginnen wollte. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass er sich das auch hätte überlegen können, bevor er Bobs Zimmer betreten hatte. Aber dafür war es nun ohnehin bereits zu spät.
„Es war ja schon ein bisschen heiß, wie du dich so selbstbewusst zwischen mich und diesen Kerl gestern gestellt hast“, murmelte Peter schließlich leise. Sofort fragte er sich, welcher Teil seines Verstandes das um Himmels willen als angemessenen Conversation Starter betrachtet hatte. Naja. Immerhin drehte Bob nun seinen Kopf wieder etwas weiter in seine Richtung und öffnete ein Auge.
„Ja?“
Peter nickte. “Ja, schon. Heiß, aber auch wirklich unglaublich dumm. Du weißt schon, dass es nicht besonders gut ist, wenn man ständig einen Schlag auf den Kopf abbekommt, oder?“
Etwas kraftlos und eine Spur trotzig zuckte Bob mit den Schultern. Großartig, das war also schon Mal ein grandioser Start.
„Just würde sagen, dass ist das Berufsrisiko.“
Unvermeidlich verzogen sich Peters Lippen trotz allem zu einem kleinen Schmunzeln. Bob hatte Recht, Justus Jonas würde genau das sagen. Peter schluckte und zögerte einen Moment, bevor er weitersprach.
„Ich will nur, dass du auch auf dich selbst aufpasst, weißt du? Du kannst dich nicht immer märtyrerisch für uns opfern, okay?“
Wieder zuckte Bob trotzig mit den Schultern.
„Genau das Gleiche könnte ich auch zu dir sagen.“
Peter biss sich auf die Lippe. Er wusste, dass Bob irgendwie recht hatte. Auch wenn Peter weniger dazu neigte, aus einem Showdown mit offensichtlichen Verletzungen hervorzugehen, bedeutete das nicht, dass er sich nicht manchmal selbst waghalsig verhielt. Und trotzdem… er bekam einfach das Bild nicht mehr aus dem Kopf, wie Bob nach hinten gestolpert war und er ihn gerade noch aufgefangen hatte, bevor sein Kopf mit voller Wucht auf dem Boden aufgeschlagen wäre. Die Art und Weise, wie sich seine Augen in ihren Höhlen nach hinten verdreht hatte und einen unendlich scheinenden Zeitraum dort geblieben waren. Peter begann sofort zu frösteln, wenn er daran zurückdachte.
„Ja, okay“, gab er schließlich leise zu. „Aber das hier war eben was anderes.“
Bob hob eine Augenbraue.
„Warum war es was anderes?“
„Weil ich…“ Peter zögerte. Er wollte jetzt keinen Rückzieher mehr machen, dafür war er schon viel zu weit gekommen. Also zwang er sich, weiterzusprechen: „Weil ich mich einfach unglaublich schwertue, mit sowas klarzukommen, seitdem… Also seit wir…“
Sie hatten bis jetzt nicht wirklich darüber geredet, was in den letzten paar Wochen zwischen ihnen angefangen hatte und eigentlich fand Peter es auch etwas unfair, Bobs vulnerable Position ausnutzen, um ihn zum Reden zu bringen. Andererseits war er sich nicht ganz sicher, ob das hier vielleicht die einzige Chance war, die er in nächster Zeit bekommen würde, um überhaupt irgendwas anzusprechen, dass ihn gerade beschäftigte. Denn Bob war, wie sich in den letzten Wochen herausgestellt hatte, wirklich ganz formidabel darin, sich jeglichem ernsten Gespräch mit einer mehr oder weniger fadenscheinigen Ausrede zu entziehen. Manchmal war ein Essay plötzlich besonders dringend fällig und im nächsten Moment musste er ein essenziell wichtiges Telefonat mit Jelena entgegennehmen, obwohl er am Morgen noch erzählt hatte, dass diese am Abend einen Auftritt mit dem Symphonie-Orchester hatte, in dem sie seit neuestem spielte.
Und jetzt war er nun Mal ans Bett gefesselt und hätte keine Möglichkeit zu entkommen.
Oh Mann, ein bisschen gemein war es ja schon irgendwie.
„Bob?“, fragte Peter leise, nachdem seine Gedanken einmal bis nach Rocky Beach und wieder zurückgerast waren.
„Hm?“
Peter holte tief Luft. „Was ist das zwischen uns?“
„Was meinst du?“
„Du weißt ganz genau, was ich meine.“
Bob schwieg. Und Peters Herz schlug ihm bis zum Hals. Dann drehte Bob sich langsam auf den Rücken, verzog dabei mal wieder schmerzerfüllt sein Gesicht und sofort war Peters schlechtes Gewissen vollends zurück. Doch dann rutschte Bob auf seiner Matratze etwas weiter in Richtung Wand, schlug die Bettdecke zurück und klopfte sanft auf die freie Stelle neben sich. Sobald Peter sich neben ihn gelegt hatte, fand Bobs Kopf seinen Weg automatisch auf Peters Brust, auf diese Stelle direkt unter seinem Schlüsselbein, in die er sich immer perfekt einzufügen schien.
„Ich weiß auch nicht, Pete. Es ging alles irgendwie so schnell“, sagte Bob dann leise und Peter hatte das Gefühl, dass ihm das Sprechen leichter fiel, wenn er ihm dabei nicht direkt in die Augen sehen musste. „Und ich bin bekanntlich nicht besonders gut darin, über meine Gefühle zu sprechen, wenn es um sowas geht.“
Innerlich gab Peter ihm Recht. Immerhin hatte Bob ihnen auch nicht von seinen Realisationen über seine Sexualität erzählt, bis eines Morgens plötzlich ein Mann an ihrem gemeinsamen Frühstückstisch gesessen hatte. Aber aussprechen tat er das nicht, dafür war dieses kleine Fenster zu fragil. Stattdessen sagte er: „Ich weiß, dass dir sowas schwerfällt, glaub mir. Aber du tust mir damit weh, wenn du das so totschweigst.“
Sofort spürte Peter, wie Bob sich in seinen Armen verkrampfte. Das war nicht seine Intention gewesen, aber irgendwie waren die Worte einfach aus ihm herausgestolpert. Aber auch, wenn es vielleicht etwas hart klang, war es eben auch wahr. Es tat ihm weh, wenn Bob bei Tageslicht und unter Menschen so tat, als ob da nichts zwischen ihnen wäre. Es tat ihm weh, wenn er morgens aufwachte, nur um festzustellen, dass Bob sich irgendwann während der Nacht wieder in sein eigenes Bett verzogen hatte. Und ehrlich gesagt hatte es ihm auch schon die ganzen letzten Jahre wehgetan, wenn sie mal wieder nach irgendeiner College-Party betrunken miteinander im Bett gelandet waren und am nächsten Tag so getan hatten, als wäre rein gar nichts gewesen – als ob Bob ihm nicht zehn Stunden zuvor in die Halsbeuge gestöhnt und an den Haaren gezogen und ihm Dinge ins Ohr geflüstert hätte, von denen er ansonsten nicht einmal zu träumen gewagt hätte.
„Ich weiß“, sagte Bob schließlich so leise, dass es wenig mehr als ein Flüstern war. „Es tut mir leid, dass ich dir wehtue, Pete. Das will ich nicht. Das wollte ich nie.“
Peters Herz zog sich zusammen. Er war sich nicht ganz sicher, was das dahinterliegende Gefühl war. Irgendwie war er noch immer angespannt und unsicher, aber gleichzeitig schien sich der Knoten in seiner Brust immerhin ein wenig gelockert zu haben. Dass Bob anerkannte, dass ihm diese ganze Sache auch nicht leichtfiel und dass er ihm nicht absichtlich wehtat, bedeutete viel. Auch wenn Peter klar war, dass er das hier nicht ewig durchziehen konnte, wenn sie nicht bald etwas ändern würden.
„Ich weiß“, sagte Peter und strich Bob vorsichtig durch die Haare. Dieser ließ ihn gewähren. „Aber ich weiß auch nicht so richtig, wie ich dir dabei helfen kann, wenn du mir nicht sagst, was genau das Problem ist, weißt du?“
Peter spürte, wie Bob nickte. Auf seine Frage antwortete er nicht sofort, aber Peter wusste, dass Bob gerade nachdachte. Er suchte nach der richtigen Formulierung, nach einer Antwort, die all die komplexen Emotionen in einer kurzen Aussage zusammenfassen konnte. Peter wusste zwar, dass das kaum möglich war, aber ließ ihm trotzdem die Zeit, die er brauchte.
Einige Sekunden später bewegte sich Bob minimal. „Ich hab einfach Angst, irgendwie.“
Peter runzelte die Stirn. „Davor, was unser Umfeld sagen würde?“
Bob verzog seinen Mund zu einem leicht gequälten Lächeln. „Nein. Eigentlich eher vor mir selbst.“
„Vor dir selbst?“
„Liz hat immer gesagt, dass ich bindungsphobisch bin“, sagte Bob und Peter spürte, wie er mit den Schultern zuckte. „Und vielleicht hatte sie da auch gar nicht so unrecht. Pete, ich bin wirklich vor jeder Beziehung weggerannt, in dem Moment, in dem es mir zu ernst geworden ist. Was, wenn ich das bei dir auch mache?“
Bestimmt schüttelte Peter den Kopf. Allein die Vorstellung kam ihm absurd vor. „Das wirst du nicht.“
Bob stieß einen Schwall an Luft aus. „Das kann du gar nicht wissen.“
„Stimmt, wissen kann ich das nicht.“ Peter verdrehte leicht seine Augen. „Aber Bob, ich vertraue dir.“
Aus dem Augenwinkel konnte Peter sehen, wie Bob seine Nase rümpfte. „Miese Entscheidung, ehrlich gesagt. Ich vertrau mir nicht mal selbst.“
Peter grinste vorsichtig. „Darum geht’s ja gerade. Es ist auch okay, mal nicht alles unter Kontrolle zu haben. Dafür bin ich ja auch da, okay? Und alle anderen Leute um dich herum auch.“
„Du sagst das so, als wäre es furchtbar einfach.“
„Vielleicht ist es das ja auch irgendwie. Du musst dich bloß trauen, auch mal die Kontrolle abzugeben.“ Peter versuchte, seine Stimme leicht und ruhig zu halten. Noch immer hatte er Angst, dass Bob sonst wie ein scheues Reh davonlaufen würde. Oder naja, sich zumindest wieder soweit verschließen würde, dass dieses ganze Gespräch keinerlei überdauernde Auswirkungen haben würde.
Bob seufzte. „Du machst mich verrückt, hab ich dir das schonmal gesagt?“
„Das ein oder andere Mal, ja“, grinste Peter und erntete sich damit prompt ein Zwicken genau in die Mitte seiner Brust. „Aber ganz im Ernst, Bob, ich bin hier für dich. Und ich bleibe hier. Also, wenn du das auch willst natürlich. Glaubst du mir das?“
Ein kleines Schnauben kam aus Bobs Nase, eine Mischung aus einem Lachen und einem Schluchzen. Peter war sich nicht ganz sicher, ob das gut oder schlecht war.
„Natürlich glaub ich dir das, du Idiot. Das ist ja irgendwie Teil des Problems.“
Peter dachte einen Moment lang nach. Wie konnte er am besten rüberbringen, was er gerade dachte?
„Kannst du mir vielleicht versprechen, dass du zumindest versuchst, dich auf Gespräche mit mir einzulassen?“, fragte Peter schließlich vorsichtig. „Wir müssen auch nicht alles auf einmal besprechen, okay? Wir machen das einfach Schritt für Schritt, Tag für Tag.“
Bobs Stimme klang noch immer ein bisschen nass, als er schließlich murmelte: „Natürlich verspreche ich dir das. Ich weiß nicht, ob dir das klar ist, aber ich würde dir so ziemlich alles versprechen, wenn du mich darum bittest.“
Und in diesem Moment war das genug für Peter. Mehr als genug, ehrlich gesagt. Er zog Bob noch etwas näher an sich heran, fuhr ihm vorsichtig durch die blonden Haare und presste seine Lippen nun schließlich doch sanft auf seinen Haaransatz.
„Ich hab dich, okay?“, sagte Peter leise. „Du musst mich nur lassen.“