Work Text:
Schon den gesamten Tag hatten die Wolken tief und grau am Himmel gehangen, hatten Regen angekündigt, der jetzt, ausgerechnet jetzt, wenn Adam zu Fuß von seiner Therapiesitzung nachhause ging, beschlossen hatte doch noch zu fallen.
Und das nicht nur in einem vernünftigen Nieselregen oder Landregen, nein, es kamen ganze Kübel voll Wasser auf einmal runter.
Typisch.
Adam zog, vollkommen automatisch, nicht weil er dachte, dass das irgendwie helfen würde, seine Schultern bis zu seinen Ohren nach oben und beschleunigte seine Schritte.
Eigentlich wollte er einfach so schnell wie möglich nachhause, Regen hin oder her, viel nasser konnte er ohnehin nicht mehr werden, doch als dann ein grelle Blitz über die Stadt zuckte, dicht gefolgt von einem lauten Knall, der ihn zusammenzucken ließ, beschloss er, sich lieber doch irgendwo unterzustellen. Nicht weil er Angst hatte, Gewitter machten ihm normalerweise nichts aus, aber Leo würde ihn als verrückt und lebensmüde schimpfen, wenn er bei diesem Wetter einfach weiter ging, also bog Adam links vom Gehweg ab, als er ein großes Vordach vor einem der Gebäude erspähte. Er wusste nicht, was es für ein Gebäude war, doch es war ziemlich auffällig designt und als er näher kam, konnte er eine ganze Wand mit Aushängen erkennen, die in ihren Titeln alle das Wort Gott beinhalteten und mit einem Symbol versehen waren, das ein Kreuz als Zentrum hatte.
Na super, Adam musste natürlich ausgerechnet einen religiösen Verein erwischen. Bestimmt auch noch einen, der etwas gegen Homosexuelle hatte.
Adam wollte schon wieder kehrt machen, als der nächste Blitz über den Himmel schoss und der Donner grummelte.
Mit ein paar letzten langen Schritten entging Adam dem Regen und schüttelte sich das Regenwasser aus den Haaren. Da das nicht viel zu bringen schien, kämmte er sich die Haare mit den Fingern aus dem Gesicht.
"Scheiß Wetter", grummelte er und sah sich um. Die Plakate am Anschlagbrett neben der Tür informierten über Versammlungen, gemeinsame Gebete, Mutter-Kind-Kreise und Bibelunterricht für Kinder ab dem Grundschulalter, um sie 'auf den richtigen Weg zu führen'.
Adam lief es kalt den Rücken runter.
"Scheiß Verein", grummelte er und zog seine Packung Zigaretten aus der Hosentasche - klatschnass und nur noch für die Mülltonne zu gebrauchen.
"Scheiße."
Frustriert stopfte er sie zurück und schlang dann seine Arme um seinen Körper, während er missmutig in den Regen hinaus starrte.
Hoffentlich hörte dieses scheiß Gewitter bald auf. Adam wollte nachhause, zu Leo und es sich für den Rest des Tages in seinen Armen bequem machen. Die Therapiesitzung war wieder einmal anstrengend gewesen und hatte Adams Nerven blank gelegt und es gab kein Mittel, das besser half, dass Adam sich wieder besser fühlte, als Leo.
Eine Berührung knapp über seinem linken Fußgelenk holte ihn aus seinen Gedanken und er sah verwundert an sich hinunter. Neben seinem Fuß stand eine schwarze Katze und sah ihn aus großen, goldgelben Augen an. Sie war dreckig, abgemagert und hatte ein verletztes Ohr.
"Na, du?", sagte Adam und die Katze stieß ihr kleines Köpfchen mit Kraft gegen sein Bein - die gleiche Berührung wie zuvor. "Hey, hey! Was wird denn das?" Adam ging langsam in die Hocke ohne den Blick von dem Tier abzuwenden. Die Katze wich ein Stück zurück, beobachtete aber jede seiner Bewegungen ganz genau.
"Ich tu dir nichts", sagte Adam und hielt ihr seine offene Hand entgegen.
Die Katze fauchte ihn an und Adam ließ seine Hand sinken. Der böse Blick, mit dem ihn die Katze bedachte, blieb trotzdem.
"Tut mir leid, dass ich einfach in deinen Unterstand eingedrungen bin. Aber ich mag Regen auch nicht so…"
Die Katze legte ihren Kopf schief.
"Ich bin weg, sobald es aufhört zu regnen, ok? Meinst du, wir halten das so lange zusammen hier drunter aus?"
Er bekam ein piepsiges Miauen zur Antwort.
"Gut, danke."
Adam blieb in seiner hockenden Position und hörte dem Regen zu, der über ihnen auf das Vordach prasselte.
Ein lauter Knall ließ ihn kurz darauf zusammenzucken.
"Scheiß Gewitter."
Nur aus dem Augenwinkel registrierte Adam die Bewegung des schwarz-weißen Fellknäuels, das sich bei dem plötzlichen Donner neben ihm zusammengekauert hatte und sich jetzt langsam immer weiter in seine Richtung schob.
Adam blieb so sitzen wie er war, tat so, als würde er die Katze nicht bemerken, und wartete ab, wie weit sie sich von sich aus ihm nähern würde.
Beim nächsten Donnergrollen machte die Katze einen Satz und presste sich ganz dicht an Adams Bein.
"Du bist auch nicht ganz normal, oder?", fragte Adam schmunzelnd und präsentierte der Katze erneut seine Hand, die kurz beschnuppert und dann offensichtlich als nicht gefährlich bewertet wurde, denn die Katze rieb ihren Kopf an seinen Fingern.
"Ich bin Adam. Freut mich, dich kennenzulernen", sagte Adam, als er anfing, die Katze hinter den Ohren zu kraulen.
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Gute zehn Minuten verbrachten sie so da, bis das Gewitter und auch der Regen sich verzogen hatten.
„Das war's dann wohl...“ Nur widerwillig ließ Adam von der Katze ab und richtete sich auf. Seine Gelenke protestierten schmerzhaft und sein linkes Bein kribbelte unangenehm, als sich der reguläre Blutfluss wieder einstellte.
„Miau.“
Adam sah zu der Katze hinunter, die zu ihm aufsah, der Blick genauso traurig, wie Adam sich fühlte. „Danke für deine Gesellschaft, aber ich muss jetzt weiter. Leo wartet auf mich.“
„Miau.“
„Tut mir wirklich leid.“ Adam beugte sich noch einmal zu der Katze hinunter und tätschelte ihr den Kopf. „Vielleicht sieht man sich nochmal.“
„Miau.“
Adam fiel es schwer, sich loszureißen und die Katze hinter sich zurück zu lassen. Aber was sollte er tun? Mitnehmen konnte er sie ja schlecht, auch wenn er das gerne wollte. Aber es war nicht seine Katze. Sie hatte sicher ihren Besitzer, jemanden, der sich genauso um sie sorgte und auf ihre Rückkehr wartete, wie Leo gerade auf ihn wartete.
Nur mit Mühe schaffte Adam es, sich nicht noch einmal zu der Katze umzusehen, während er zurück zum Gehweg und dann die Straße hinunter ging.
In fünf Minuten würde er endlich zuhause sein und sich in Leos Arme fallen lassen können, obwohl, das musste er überrascht feststellen, das Bedürfnis danach gar nicht mehr so groß war, wie vor dem Gewitter. Die Gesellschaft der Katze hatte ihm überraschend gutgetan, was anderes konnte es nicht gewesen sein.
„Miau.“
Adam blieb stehen.
„Miau.“
Das bildete er sich doch jetzt nur ein, oder?
„Miau.“
Adam drehte sich um und dort, keine zwei Meter hinter ihm, stand die Katze und sah ihn aus ihren goldgelben Augen an.
„Dein Ernst?“
„Miau.“
Adam schüttelte den Kopf. Er konnte nicht glauben, dass die Katze ihm gefolgt war und ihm offenbar bis zu seiner Wohnung folgen würde. „Das erklärst dann aber du Leo. Der mag das nämlich nicht sonderlich, wenn ich Dreck in unsere Wohnung schleppe.“
„Miau.“
„Ja, tut mir leid, aber du musst schon zugeben, dass du ein bisschen dreckig bist. Und du kannst deine Schuhe nicht draußen im Flur ausziehen, so wie ich das gleich machen muss.“
Die Katze legte ihren Kopf schief, als würde sie über Adams Worte nachdenken, dann mauzte sie und stapfte an Adam vorbei, den Schwanz erhoben.
Adam sah ihr einen Moment verwundert nach, dann eilte er ihr mit großen Schritten hinterher. „Hey, du weißt doch gar nicht, wo's lang geht.“
Die Katze blieb stehen und rollte ihre Schwanzspitze von rechts nach links und zurück, während sie wartete, dass Adam wieder vor ging.
Adam schüttelte schmunzelnd den Kopf und nahm ein wenig das Tempo raus, damit es dem Tier leichter fiel, ihm zu folgen.
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Der Weg dauerte mit der Katze im Schlepptau eine gefühlte Ewigkeit, da sie ständig stehenblieb und sich ganz genau umsah, ob nicht doch irgendwo eine Gefahr lauerte, doch schließlich hatten sie es geschafft. Adam schloss die Haustür auf und trottete die Stufen bis in den zweiten Stock hinauf. Die nassen Klamotten zogen schwer an seinem Körper und ihm war mittlerweile ziemlich kalt.
Als er oben vor ihrer Wohnungstür angekommen waren, blieb die Katze hinter ihm stehen und sah Adam abwartend an.
„Miau?“
„Ja, das ist zuhause. Hier bist du sicher.“
Adam schob den Schlüssel ins Schloss und kaum hatte er dir Tür aufgeschoben kam auch schon Leo den Wohnungsflur auf ihn zu geeilt.
„Adam, wo warst du so lang? Ich hab mir schon Sorgen gemacht!“
Adam lächelte. „Tut mir leid, ich hab mich bei dem Regenguss lieber untergestellt.“
„Ja, das dachte ich mir, aber der war vor einer Viertelstunde vorbei. Was hast du so lang gemacht?“
„Einen neuen Freund gefunden“, sagte Adam und trat einen Schritt zur Seite.
Leo starrte, blinzelte und schluckte dann. "Was… Eh… Was ist das?"
"Klein und dreckig ist das."
"Das seh ich…"
"Und vermutlich hungrig. Wir haben nicht zufällig Katzenfutter da?"
"Adam, was...?"
"Ja, dacht ich mir schon. Da muss ich wohl gleich nochmal los und was holen."
"Was? Du willst doch nicht allen ernstes das Ding mit in die Wohnung nehmen?!"
"Im Hausflur is sie ja jetzt schonmal."
"Adam."
"Willst du, dass ich sie wieder wegschicke?"
"Ja. Nein. Mensch, Adam. Wo hast du die überhaupt aufgelesen?"
"Sie saß schon unter dem Unterstand und war so nett, mir auch ein Plätzchen zu geben."
"Und dann hast du einfach beschlossen, sie aus Dank mit nachhause zu nehmen?"
"Nee, sie ist mir einfach gefolgt. Hab sie gefragt, ob sie nicht lieber in ihr eigenes Zuhause will, aber sie hat mich nur angeguckt, als wär ich bekloppt."
Ein Lachen zog an Leos Mundwinkeln. Ein Lachen, das er eindeutig versuchte zu unterdrücken. "Da hat sie ja jetzt nicht ganz Unrecht."
"Na, danke. Hab dich auch lieb."
"Mauz!"
"Ja, und dich auch. Also, wie siehts jetzt aus? Lässt du uns rein oder müssen wir die Nacht unter dem Unterstand verbringen?"
"Hm… Was war denn das für ein Unterstand?" Leo tat, als müsste er ernsthaft darüber nachdenken, doch seine Mundwinkel zuckten verdächtig.
"Es war das Vordach eines Versammlungshauses einer religiösen Gruppe, deren Namen ich noch nie gehört habe. Bitte schick uns da nicht hin zurück. Das war gruselig."
"Hmm… Na gut. Da wollen wir mal nicht so sein. Ihr dürft reinkommen." Leo machte einen Schritt zur Seite und machte eine einladende Geste.
"Mauz?"
"Ist schon ok. Leo tut dir nichts." Adam streifte seine Schuhe von den Füßen und betrat die Wohnung. "Na, komm."
Die Katze setzte sich langsam in Bewegung, setzte geduckt eine Pfote vor die nächste und ließ Leo nicht aus ihren goldenen Augen. Als sie an ihm vorbei war, flitzte sie durch den Flur und geradewegs ins Wohnzimmer.
Leo sah ihr verdutzt hinterher, bevor er sich Adam zuwandte, der die Wohnungstür hinter sich ins Schloss drückte. "Hat sie Angst vor mir?"
Adam zuckte die Schultern. "Ich hab ihr nichts Böses über dich erzählt. Nur dass du keinen Dreck in unserer Wohnung magst."
"Ich bin auch nicht sonderlich begeistert, Klein&Dreckig in unserer Wohnung zu haben."
"Das kommt sicher noch", meinte Adam zuversichtlich. "Ich geh mir grad was trockenes anziehen und dann fahr ich einkaufen. Überleg mal, ob wir noch was brauchen." Er verschwand ins Bad, entledigte sich seiner nassen Sachen und schlüpfte in seine Trainingshose, in der er sich abends gerne auf die Couch fläzte und in ein T-Shirt, das über dem Handtuchtrockner hing und sich als eines von Leo herausstellte, da es Adam an den Schultern deutlich zu weit war. Aber wen störte das schon? Adam ganz sicher nicht. Und auch Leo hatte noch nie etwas dagegen gesagt, wenn Adam seine Sachen trug.
"Soll ich nicht lieber einkaufen gehn und du bleibst bei der Katze?", fragte Leo, der immer noch im Flur stand, wie bestellt und nicht abgeholt zwischen Wohnungstür und Wohnzimmer, dem er immer wieder verstohlene Blicke zuwarf.
"Angst, mit ihr allein zu sein?" Adam konnte sich nicht hindern zu grinsen.
Leos Stirn runzelte sich auf diese süße Art und Weise, die zeigte, dass er besorgt war. "Sie ist dir hierher gefolgt, nicht mir."
"Na und? Es ist unsere Wohnung", erwiderte Adam immer noch amüsiert. "Und außerdem, was soll sie dir tun? Außer dich kratzen und beißen?"
"Adam…"
"Keine Sorge, das wird sie schon nicht tun, wenn du ihr nicht zu nah kommst."
"Okay, dann tu ich einfach so, als wär sie gar nicht da", sagte Leo mit zweifelnd erhobener Augenbraue. Es war eindeutig, dass er das nicht ernst meinte, aber genau das war es, was Leo tun musste.
"Genau das." Adam drückte Leo einen Schmatzer auf die Wange. "Lass dich durch sie einfach nicht stören."
"Leichter gesagt, als getan", murmelte Leo. "Sollten wir sie nicht zumindest ein bisschen abtrocknen oder so?"
Adam gluckste. "Du hast keine Ahnung von Katzen, oder?"
„Mach dich nur über mich lustig…"
"Ich bin in einer halben Stunde wieder da, Schmollnase. Meinst du, du schaffst das bis dahin?" Adam zog seine Lieblingseinkaufstasche vom Garderobenhaken neben der Tür und drückte den Türgriff runter.
"Bist du dir wirklich sicher, dass ich nicht lieber gehen soll?" Leo sah ihn hoffnungsvoll an.
"Kennst du dich mit Katzenfutter aus?", erwiderte Adam und die Hoffnung tropfte augenblicklich von Leos Gesicht. "Dacht ich mir", grinste Adam und öffnete die Wohnungstür. "Nur eine halbe Stunde, Tiger, das schaffst du. Schickst du mir unsere Einkaufsliste aufs Handy?" Adam wartete gar nicht erst auf eine Antwort, schlüpfte durch die Tür und eilte die Treppen hinunter.
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Als Adam eine Stunde später voll beladen wieder nachhause kam, wurde er nicht, wie fast erwartet, von einem besorgt dreinblickenden Leo bereits an der Wohnungstür begrüßt. Leo war besser darin geworden, mit seiner Sorge um Adam, wurde nicht gleich nervös, wenn Adam sich mal etwas verspätete, aber dass er sich sofort von seiner Unversehrtheit überzeugen musste, das war etwas, an dem er noch arbeitete. Adam fand es zwar nicht so schlimm, wenn Leo ihn einmal von Kopf bis Fuß musterte und ihn fragte, ob alles ok war, es war schon irgendwie süß, aber Leo hatte recht: es war ein Zwang, den er in ihrer Jugend entwickelt hatte, aus der Machtlosigkeit, in der er damals gegenüber Adams Leid gewesen war, und da musste Leo raus kommen, aus dieser Zwanghaftigkeit. Erst dann durfte er aus purer Liebe nachfragen. Und das gerne und so oft wie er wollte.
Etwas verwundert über Leos fehlende Begrüßung, schleppte Adam seinen Einkauf in die Küche, wo er sein Eis in das Gefrierfach packte und Leos Grünzeug in den Kühlschrank. Dann packte er nur noch das Katzenfutter aus, das er gekauft hatte, und füllte eine kleine Schale mit Brekkies, eine andere mit ein bisschen Nassfutter.
Er nahm die Schalen und ging zum Wohnzimmer, dessen Tür jetzt geschlossen war. Hatte Leo die Katze eingesperrt, damit sie nicht durch die Wohnung tigern konnte? Und wo hatte Leo sich verkrochen?
Adam schob die Tür auf und blieb wie angewurzelt keinen Meter ins Wohnzimmer rein stehen.
Zwei Paar Augen starrten ihn von unten hinauf an; ein gold-gelbes, ein grün-blaues.
Adam spürte eine Augenbraue immer weiter nach oben wandern, während er das Bild vor sich betrachtete: mitten im Raum, auf dem Boden zwischen Fernseher und Couchtisch lag Leo auf dem Rücken, Kopf zu Adams Füßen. Auf seiner Brust saß die Katze, immer noch dreckig, aber trockener, und machte den Eindruck, als fände sie Leos Brust recht bequem.
"Miau", sagte sie und legte den Kopf schief, ohne die Augen von Adam abzuwenden.
"Hilfe", sagte Leo verlegen lächelnd.
"Moment." Adam klemmte sich die eine Schüssel zwischen Arm und Bauch und fischte sein Handy aus der Hosentasche. Mit gekonnten Bewegungen öffnete er die Kamera und machte gleich mehrere Fotos.
"Hey!"
"Miau!"
"Fresse jetzt. Das muss dokumentiert werden."
"Wehe du zeigst das auch nur irgendjemandem", warnte Leo grummelnd.
"Keine Chance. Saarbrücker Kriminalhauptkommissar von ausgehungertem Streuner überwältigt. Das nenn ich mal ne Meldung."
"Du bist bescheuert."
"Miau", pflichtete die Katze Leo bei.
"Verräter", zischte Adam sie an, konnte aber nicht verhindern, dass ein Lachen aus ihm herausblubberte. "Scheiße, ihr seht so süß aus."
"Schön. Würdest du mir jetzt trotzdem mal helfen? Der Boden ist nicht so bequem."
"Soll ich dich fragen, wie du da überhaupt hingekommen bist oder lieber nicht?"
Leo verdrehte die Augen. "Hilf mir einfach, ok?"
"Was ist denn das Problem? Es ist eine Katze. Sie ist klein. Nimm sie einfach hoch und setz sie neben dich."
"Ach, nee. Glaubst du echt, darauf wäre ich noch nicht gekommen?", erwiderte Leo augenrollend. "Dann pass mal auf."
Leo hob seine Hände und näherte sie langsam der Katze auf seiner Brust. Sie blieb vollkommen ruhig, ließ sich kurz am Kopf kraulen und Leo konnte sogar seine Hände um sie legen. Doch sobald Leo sie anhob, krallte sie sich mit einem Fauchen in Leos T-Shirt und zog und zerrte panisch daran, bis Leo sie wieder absetzte. Dann fiel sämtliche Anspannung von ihr ab und sie sah Adam an, als wäre nichts gewesen. Wie süß war das denn bitte?
"Erkennst du mein Problem jetzt?", wollte Leo wissen, der der ganzen Situation offensichtlich nicht so viel abgewinnen konnte wie Adam.
"Ja, ich verstehe, was du meinst." Adam konnte sich kaum ein Lachen verkneifen.
"Lachst du etwa?"
"Was? Ich? Niemals."
"Adam, hör auf zu lachen und hilf mir. Sonst schläfst du heute Nacht auf der Couch. Oder eine Woche lang. Oder-"
"Okay, okay", beeilte Adam sich einzulenken, bevor Leos Strafe noch größer werden würde, und ging neben Leo auf die Knie. "Dann lass uns mal schaun, wie wir dich retten können."
Adam stellte die Schüsseln mit dem Katzenfutter neben sich auf den Boden und wollte selbst einen Versuch starten, die Katze von Leo runter zu heben. Doch die Katze warf ihm nur einen kurzen Blick zu, duckte sich unter Adams Händen weg und hüpfte leichtfüßig und mit einem leisen Mauzen von Leo herunter und betrachtete und beschnupperte das Futter ganz genau, bevor sie sie sich an dem Nassfutter bediente.
"Okay, das war einfacher als erwartet."
"Danke." Leo setzte sich auf, wobei er sich die Brust rieb, da wo die Katze vermutlich ein bisschen seiner Haut aufgekratzt hatte. "Und jetzt? Was machen wir mit ihr?"
Adam zuckte die Schultern. "Keine Ahnung."
Sie sahen ihr eine Weile schweigend beim Essen zu, dann sagte Leo: "Heute Nacht darf sie hier bleiben. Morgen bringen wir sie ins Tierheim."
Adams Herz sank ein Stück. "Ins Tierheim? Muss das sein?"
"Da ist sie am besten aufgehoben, meinst du nicht? Und wenn jemand sie vermisst, sucht die Person sie da am ehesten."
Leo hatte recht, natürlich hatte er das, aber irgendwie gefiel Adam die Vorstellung nicht, die Kleine in einem Tierheim abzugeben. Sie dort allein und ihrem Schicksal zu überlassen.
"Hey, Schatz…" Leo lehnte sich in seine Seite und schlang seine Arme um ihn. "Du weißt, dass wir sie nicht einfach behalten können. Sie gehört sicher jemandem und wird schon vermisst."
"Ja. Aber was, wenn nicht?" Adam musste um einen Kloß im Hals herum schlucken. "Guck sie dir doch an. Sie ist komplett verwahrlost und viel zu dünn. Und ihr linkes Ohr ist eingerissen und sieht nicht richtig verheilt aus."
Leo zog ihn etwas fester in seine Arme und drückte ihm einen Kuss auf die Schulter. "Ok. Dann gehen wir morgen früh zuallererst mit ihr zum Tierarzt und danach sehn wir weiter. Ok?"
"Ok."
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Die halbe Nacht lag Adam wach und lauschte, ob er irgendetwas verdächtiges aus dem Wohnzimmer hören konnte, wo sie die Katze nach einem entspannten Abend vor dem Fernseher, wo sie sich irgendwann neben ihnen auf der Couch zusammengerollt hatte, zurückgelassen hatten.
Am liebsten hätte Adam sie mit ins Schlafzimmer genommen, doch Leo hatte Recht: ein Haustier gehörte nicht ins Bett, aber vor allem kein fremdes, von dem man nicht wusste, wo es sich vorher rumgetrieben hatte.
Also musste Adam die Ohren spitzen und sich hart zusammenreißen, nicht alle halbe Stunde aufzustehen, um nach dem kleinen Fellknäuel zu sehen.
Er schaffte es, nur zwei Mal aufzustehen und ins Wohnzimmer zu lugen, wo die Katze immer noch oder schon wieder auf dem Kissen auf der Couch lag, das sie sich am Abend ausgesucht hatte, bevor ihn die Müdigkeit doch noch übermannte.
Am nächsten Morgen wurden sie viel zu früh von einem jämmerlichen Mauzen geweckt, das Adam sofort, mit wild pochendem Herz, aufrecht im Bett sitzen ließ. "Ist schon ok, Adam." Leos Hand fand ihren Weg auf Adams Rücken, während er sich deutlich langsamer in eine aufrechte Position hievte. "Das ist nur Klein&Dreckig." Er stupste Adams Schulter mit der Nasenspitze an und drückte ihm dann einen Kuss darauf. "Es ist alles gut."
"Fuck", stieß Adam aus, als sein Herzschlag sich langsam beruhigte und sein Kopf das ständige Mauzen, das von vor ihrer Schlafzimmertür herrührte, als Katzengeschrei identifiziert hatte. Katzengeschrei von ihrem kleinen Gast, das so jämmerlich klang, dass Adam sich sofort aus dem Bett schob und auf wackeligen Beinen zur Tür schwankte. Leo ließ sich wieder zurück aufs Bett fallen.
Adam hatte die Tür kaum geöffnet, als auch schon ein schwarzer Schatten hereingeflogen kam, an ihm vorbei peste und mit einem Satz auf dem Bett landete. Keine Sekunde später saß die Katze auf Leos Brust und sah Adam aus großen Augen und mit schräg gelegtem Kopf an.
"Nicht schon wieder", stöhnte Leo und blieb wie eine erlegte Beute regungslos liegen.
"Mauz."
"Einen guten Morgen dir auch", nuschelte Adam und musste erstmal ausgiebig gähnen, bevor er sich zurück Richtung Bett bewegte, mit dem vagen Plan, Leo aus seiner Lage zu befreien.
Die Katze behielt Adam die ganze Zeit im Auge und mauzte, als Adam sich zu ihnen auf die Bettkante setzte.
"Na du?" Er hielt der Katze die Hand hin, damit sie sie sah und hoffentlich verstand, dass er ihr nichts tun würde.
Sie streckte ihren Kopf vor und schnupperte an Adams Fingern, dann leckte sie mit ihrer rauen Zunge darüber.
"Ich scheine gut zu schmecken."
"Und ich scheine bequem zu sein", erwiderte Leo, als die Katze sich auf Leos Brust zusammenrollte und ihr Köpfchen an Adams Hand schmiegte.
"Sie mag uns."
"Scheint so", stimmte Leo, nicht wirklich begeistert klingend zu und Adam konnte nichts gegen das Gefühl der Enttäuschung tun, das ihm das Lächeln vom Gesicht tropfen ließ
"Du magst sie nicht."
"Adam…" Leo legte Adam eine Hand auf den Oberschenkel, eine Berührung, die Adam schon immer fast augenblicklich beruhigt hatte. Und auch jetzt diente sie ihrem Zweck, dass Adam sich nicht gleich in seinen negativen Gedanken verlor. Leo kannte ihn einfach zu gut. "Hey… Sie ist eine vollkommen fremde Katze, über deren Herkunft wir absolut nichts wissen. Und wir haben noch nichts dafür getan, dass die Besitzer sie wiederfinden können."
"Verstehe. Du willst keine emotionale Bindung zu ihr aufbauen, weil wir sie ja eh wieder abgeben müssen."
"Ja."
"Aber was ist, wenn nicht? Wenn sich die Besitzer nicht melden? Was ist dann?"
"Du möchtest sie behalten?"
Adam zuckte mit den Schultern und kraulte die Katze weiter hinter den Ohren, was sie zu genießen schien, denn sie schnurrte leise. "Besser als Tierheim. Da wird sie nur eingesperrt und keiner kümmert sich um sie."
Leo drückte seinen Oberschenkel und streichelte dann darüber. "Na gut. Wir gehen heute erstmal mit ihr zum Tierarzt. Die können uns sicher sagen, was man in einer solchen Situation macht. Und dann schaun wir, wie es weitergeht."
Adam nickte und stieß ein Seufzen aus. "Ich hoffe, sie ist gesund."
"Ist sie bestimmt, so munter wie sie ist." Die Zuversicht in Leos Stimme linderte Adams Sorge ein bisschen. Trotzdem beobachtete er jede ihrer Bewegungen ganz genau, nachdem er sie vorsichtig von Leos Brust gehoben und zurück ins Wohnzimmer gebracht hatte, das sie, zum Glück, nicht auseinandergenommen hatte. Für die kleine Pfütze neben der Balkontür, konnten sie sie schlecht verantwortlich machen. Irgendwohin hatte sie schließlich machen müssen.
Wenn sie die Katze wieder mit nachhause bringen durften - und Adam wollte lieber nicht darüber nachdenken, was war wenn nicht - sollten sie auf dem Rückweg dringend ein Katzenklo besorgen. Der Rest würde auch noch später gehen, genug Katzenfutter hatte Adam jedenfalls gekauft.
Während Adam auf der Couch saß und 'Tierärzte in Saarbrücken' im Internet suchte, erkundete die Katze das Wohnzimmer, als hätte sie nicht in der Nacht alle Zeit der Welt dazu gehabt. Sie beschnupperte die Ecken, kletterte ins unterste Fach des Regals, in dem die Spielzeugsammlung von Leos Nichte Mia untergebracht war, und verschwand für eine ganze Weile unter der Couch. Doch bei all diesen Aktionen zeigte die Katze keinerlei Anzeichen dafür, dass sie verletzt war (außer am Ohr) oder dass es ihr nicht gut ging.
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Um kurz vor neun machten Adam und Leo sich mit der Katze auf den Weg zum Tierarzt, der zwar nicht, wie erhofft, direkt um die Ecke lag, aber wenigstens auch an einem Freitag Vormittag geöffnet hatte, und nicht nur am Nachmittag,
Hatte Adam geglaubt, es wäre das schwerste gewesen, die Katze in den großen Karton zu locken, den Leo aus dem Keller geholt und mit großen Luftlöchern versehen hatte, dann hatte er nicht an die Autofahrt gedacht.
Er saß mit dem Karton auf dem Schoß auf dem Beifahrersitz und spürte immer wieder Leos besorgte Blicke auf sich, während er der jammervoll miauenden Katze beruhigend zuredete. Oder es zumindest versuchte, er hatte leider nicht den Eindruck, dass es half.
Wenn Adam nicht befürchtete, dass die Katze ausbüxen würde, würde er am liebsten den Karton auf machen und ihr seine Hand hinhalten, in der Hoffnung, dass sie dadurch sehen konnte, dass alles in Ordnung war, dass nichts passieren würde, egal wie fremd die Geräusche des Autos waren oder wie beunruhigend das Ruckeln und die Kurven sich anfühlten. Aber eine panisch durchs Auto springende Katze war keine Option.
So konnte Adam nur einen Finger durch eines der Luftlöcher stecken und froh sein, dass Leo sich bereit erklärt hatte zu fahren. Adams Fahrstil hätte die kleine Katze sicher noch mehr durchdrehen lassen, geschweige denn, dass Adam bei diesem jämmerlichen Mauzen so ruhig hätte bleiben können, wie Leo es tat. Dieser Mann hatte wirklich Nerven aus Stahl.
"Alles ok bei ihr?", fragte Leo, als schon eine Weile kein Laut mehr aus dem Karton gekommen war. Im Grunde war es nur eine halbe Minute, aber wenn vorher alle 5-10 Sekunden ein Miau erklungen war, fühlten sich 30 Sekunden ohne wie eine Ewigkeit an.
Adam zuckte mit einer Schulter. "Ich glaub, sie hat sich in eine Ecke zurückgezogen." Jedenfalls war die Ecke, die auf Adams rechtem Knie stand, merklich schwerer geworden und sein rechter Zeigefinger, der in einem der Luftlöcher steckte, streifte hin und wieder ein wenig des verfilzten Fells.
"Meinst du, Katzen wird schlecht beim Autofahren?", wunderte Leo sich, während er dem Navi in die nächste Seitenstraße folgte. "Ich hab mal gelesen, dass das bei Hunden passiert. Deshalb sitzen manche vorne, mit dem Kopf aus dem Fenster."
"Ich hab keine Ahnung", antwortete Adam. "Ich glaub, es sind mehr die ungewohnten Geräusche und Bewegungen. Dass sie nicht sehen kann, wo sie ist, macht es vermutlich auch nicht besser."
"Da hast du vermutlich recht. Gut, dass wir gleich da sind."
Das Navi zeigte eine verbleibende Fahrzeit von einer Minute an und Adam merkte, wie ein Teil der Anspannung von ihm abfiel. Der Großteil blieb aber, denn er wusste nicht, was beim Tierarzt rauskommen würde. Und was er dazu meinte, ob sie die Katze behalten durften, bis sich der Besitzer gemeldet hatte, oder ob sie sie in ein Tierheim bringen mussten.
"Wir sind da", sagte Leo leise, als er vor der Praxis hielt und Adam eine Hand auf den Arm legte. "Geh schon mal rein. Ich komm nach, wenn ich einen Parkplatz gefunden habe." Die Tierarztpraxis lag in einem Wohngebiet und Parkplätze gab es dementsprechend wenige.
"Beeil dich." Das 'Ich will das nicht allein machen.' blieb unausgesprochen, doch Leo verstand ihn auch so, drückte seinen Arm und lächelte ihm aufmunternd zu.
"Ich bin sofort bei euch."
Adam holte einmal tief Luft und stieß sie dann langsam wieder aus, während er nach dem Türgriff tastete. "Ok." Er stieß die Tür auf und kletterte etwas ungelenk mit dem Karton fest im Arm aus dem Auto.
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Adam setzte den Karton vorsichtig auf dem Teppich im Wohnzimmer ab und setzte sich im Schneidersitz davor, bevor er langsam den Deckel aufklappte.
"Na, du?"
Klein&Dreckig sah ihn aus großen, goldgelben Augen an. Sie saß ganz in eine Ecke gekauert da, wie beim Tierarzt auch schon, und sah wie der Inbegriff des Elends aus.
"Alles ist gut. Wir sind wieder zuhause."
'Zuhause. Wer weiß wie lang', dachte Adam traurig, schüttelte diesen Gedanken aber rasch wieder ab, um sich um ihren kleinen Gast zu kümmern, der nach der Odyssee beim Tierarzt jetzt so verängstigt schien, dass er nicht einmal mehr den Karton verlassen wollte.
Adam konnte es der Katze nicht wirklich verübeln: der Tierarzt war zwar sehr nett gewesen und war vorsichtig mit Klein&Dreckig umgegangen, doch konnten die ganzen Untersuchungen und Spritzen nicht angenehm gewesen sein. Aber immerhin war das Urteil insgesamt positiv gewesen. Klein&Dreckig war gesund, wenn auch unterernährt, hatte keine Parasiten, sollte aber trotzdem zur Vorsicht eine Wurmkur kriegen. Das Fell sah schon etwas besser aus, nachdem die Tierarzthelferin sie eine ganze Weile gekämmt hatte, etwas das Adam und Leo so lange weitermachen sollten, bis sämtliche verfilzten und dreckigen Stellen weg waren. Die Wunde am Ohr benötigte auch eine regelmäßige Reinigung und Behandlung mit Salbe. Abgesehen davon, war Klein&Dreckig kerngesund.
Selbst Leo hatte bei dieser Nachricht gelächelt, aber Adam war sich nicht sicher, ob Leo nicht einfach nur deshalb lächelte, weil Adam sich so freute. Das sähe ihm nämlich sehr ähnlich. Sie hatten nie darüber geredet, ob sie sich vielleicht einmal ein Haustier zulegen wollten, aber Leo schien nicht sonderlich angetan von der Vorstellung.
Wenigstens hatte er sich dazu bereit erklärt, ein Katzenklo und einen kleinen Kratzbaum kaufen zu gehen, sodass Adam mit der Katze zuhause bleiben konnte.
Mit einer Katze, die sich nicht einmal mit einem leckeren Snack aus dem Karton locken lassen wollte.
"Na gut. Ich lass dich mal ein bisschen allein", sagte Adam und ging in die Küche, wo er sich einen von Leos Jogurts mopste. Er behauptete zwar vehement, dass das Zeug nicht schmeckte, aber es stimmte nicht. Das Zeug schmeckte gut und Adam wusste, dass Leo wusste, dass Adam das Zeug mochte, und gleich zwei Becher mehr kaufte, als er eigentlich brauchte. Das nahm Adam zwar ein bisschen den Spaß am Klauen, aber es ließ Adam Leo nur noch mehr lieben.
Nachdem Adam den Jogurt aufgegessen und die Spuren seines 'Diebstahls' beseitigt hatte, indem er den Müll nach unten gebracht hatte, wagte er einen Blick ins Wohnzimmer, wo der Karton leer war, doch Klein&Dreckig war nirgends zu sehen. Nicht vor der Balkontür, um raus zu sehen, nicht auf dem Kissen auf der Couch, auch nicht im Regal bei Mias Spielen.
Unter der Couch wurde Adam fündig. Klein&Dreckig kauerte in der hintersten Ecke und sah Adam mit verängstigt geweiteten Augen an.
"Du vertraust mir nicht mehr, oder? Kann ich verstehen. Das war nicht schön beim Tierarzt, aber es musste sein. Wir mussten doch wissen, ob du gesund bist und was wir machen müssen, damit dein Ohr wieder heilt."
Die Katze starrte Adam an, bewegte sich aber kein Stück.
"Na gut, dann lass ich dich wieder in Ruhe."
Adam hievte sich vom Boden hoch und kehrte zurück in die Küche, wo er sein Handy zückte und eine Recherche über Hauskatzen startete.
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Klein&Dreckig kam erst aus ihrem Versteck hervor, als Leo und Adam es sich am Abend auf der Couch bequem gemacht hatten.
Nachdem Leo von seiner Einkaufstour zurück gewesen war, hatten sie gemeinsam ihre Wohnung katzenfreundlicher und vor allem -sicherer gemacht. Adam hatte ein paar gute Tipps im Internet gefunden, die sie gemeinsam umgesetzt hatten. Sie hatten das Katzenklo im Flur in einer ruhigen Ecke eingerichtet und dann den Kratzbaum aufgebaut, was eine gute Stunde gedauert hatte, denn es war ein fast Zimmer hohes Ungetüm in anthrazit, viel größer als Adam sich für eine Übergangslösung vorgestellt hatte, mit mehreren Plattformen, einer Höhle und einer Hängematte. Adam war sich ziemlich sicher, dass er ziemlich blöd geguckt hatte, als Leo den riesigen Karton in die Wohnung geschleppt hatte. Leos Wangen hatten sich dezent rot gefärbt, während er nur mit den Schultern gezuckt und gesagt hatte, dass der gut in die Ecke im Wohnzimmer passen würde.
Jetzt stand der Kratzbaum in der Ecke, wo er tatsächlich gut hin passte, als hätte der Platz, mit dem Leo und Adam nie gewusst hatten, was sie damit anfangen sollten, nur auf ihn gewartet, und Adam fühlte sich irgendwie rundum zufrieden und entspannt, während er an Leo gekuschelt beobachtete, wie ihr kleiner Gast sich an den Kratzbaum heran schlich und ihn nach einem argwöhnischen Blick vorsichtig erkundete, alles beschnupperte, in alle Ecken lugte, jede Plattform auf ihre Aussicht testete und sich dann wie ein nasser Mehlsack in die Hängematte fallen ließ, sodass ihre dürren Beinchen in alle erdenklichen Richtungen aus dieser Hängematte hervorlugten.
Von Leo kam ein Lachen. "Die ist wie du."
"Wie ich?", erwiderte Adam nur gespielt empört, denn der Gedanke war ihm auch schon gekommen.
"Ja, wie du. Ein mini Du."
"Ein mini Ich, ist klar." Adam konnte ein Lachen nicht unterdrücken, das noch lauter wurde, als aus der Hängematte ein schwarzer Kopf auftauchte und ein Paar goldgelbe Augen ihn verwirrt ansahen.
"Ich sag doch: ein mini Du", lachte Leo und zog Adam noch etwas fester in seine Umarmung. Dagegen hatte Adam wirklich nichts einzuwenden.
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Es war faszinierend, wie schnell sie sich an ihren kleinen Gast gewöhnt hatten - und wie gut es Klein&Dreckig bei ihnen zu gefallen schien. Den Besuch beim Tierarzt hatte die Katze ihnen schon am nächsten Morgen verziehen, was sie dadurch festgestellt hatten, dass Klein&Dreckig sich am frühen Morgen in ihr Schlafzimmer geschlichen hatte (einer von ihnen musste wohl die Tür nicht richtig zu gemacht haben) und es sich wieder auf Leos Brust bequem gemacht hatte. Leo war wieder nicht begeistert gewesen, doch nach einer Woche, in der die Katze das jeden Morgen gemacht hatte, schien Leo es akzeptiert zu haben und begrüßte Klein&Dreckig mit einem Lächeln und kraulte sie sogar hinter den Ohren.
Obwohl die Katze es liebte, den größten Teil des Tages auf dem Kratzbaum rum zu turnen und in der Hängematte zu schlafen oder auf der Fensterbank zwischen Leos Blumen zu sitzen und rauszugucken, hatte sie sich irgendwie Leos und Adams Leben angepasst. Nach ihrem morgendlichen Ritual um Bett, frühstückten sie gemeinsam in der Küche, Leo und Adam am Tisch, Klein&Dreckig an ihrem Fressplatz neben der Tür. Wenn Leo die Blumen goss, guckte Klein&Dreckig aufmerksam zu und schlug mit einer Pfote nach dem Wasser. Wenn sie von der Arbeit nachhause kamen, gab sie Adam eine Kopfnuss gegen das Bein, bevor sie sich durch ihre Beine schlängelte und sie leise maunzend begrüßte. Und abends legte sie sich für eine Weile auf Adams Schoß, sodass sie quasi zu dritt auf der Couch kuschelten, während der Fernseher lief, sie lasen oder sich einfach nur unterhielten.
Es war schön. Einfach nur schön und Adam fühlte sich, das erste Mal in seinem Leben, rundum zufrieden. Er hatte Leo, den er liebte und der ihn wundersamer Weise ebenfalls liebte. Er machte eine Therapie, die ihm half mit seiner Vergangenheit abzuschließen, seine Traumata zu verarbeiten, die Gegenwart so anzunehmen, wie sie war, mit allem guten und schlechten, und vor allem zu glauben, dass er das Gute verdiente. Er mochte seinen Job, kam gut mit den Kollegen klar und freute sich jedes mal, wenn seine Abteilung mal mit Leos Team zusammenarbeitete. Doch am meisten freute er sich jeden Abend darauf, nachhause zu kommen, zu Leo - aber jetzt eben auch, wenn Leo wegen eines Falls mal nicht zuhause war oder nachhause kam. Jetzt war da trotzdem jemand, der auf ihn wartete, der Zeit mit ihm verbrachte und ihn auf andere Gedanken brachte, wenn er Leo doch mal zu sehr vermisste.
Klein&Dreckig war in nur so kurzer Zeit ein so wichtiger Bestandteil von Adams Leben (und auch Leos, auch wenn er das nie zugeben würde) geworden, dass Adam sich nicht vorstellen konnte und wollte, was war, wenn sich doch noch Klein&Dreckigs Besitzer meldete.
Allein daran zu denken, brach Adam schon das Herz.
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Doch die Zeit verging, ohne dass sich jemand wegen Klein&Dreckig meldete. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen ein Monat, dann zwei, dann drei.
Und Adam begann zu hoffen. Zu hoffen, dass das kleine schwarze Fellknäuel bei ihnen bleiben durfte.
Nach den anfänglichen Schwierigkeiten, die Leo mit ihrem kleinen Gast gehabt hatte, war Adam mittlerweile davon überzeugt, dass auch Leo das Herz brechen würde, wenn sie Klein&Dreckig doch noch abgeben müssten. Allein die Art und Weise, wie Leo bereits anfing zu grinsen, wenn Klein&Dreckig morgens die Tür zum Schlafzimmer aufschob, im Wissen, dass sie es sich nur einen Augenblick später auf seiner Brust bequem machen würde, sprach bände. Ganz zu schweigen von den zig Fotos auf Leos Handy, die er jedem zeigte, der auch nur interessiert wirkte. Oder dass er bei jedem Einkauf eine Kleinigkeit für Klein&Dreckig mitbringen musste und schon beinahe eifersüchtig drein guckte, wenn Klein&Dreckig sich für Adams Schoß als abendliches Kissen entschied. Wobei Adam bei letzterem Szenario nicht zu 100% sicher war, auf wen genau Leo eifersüchtig war, denn Adam wusste, wie sehr Leo es liebte, auf seinem Schoß zu sitzen…
Leo war in den letzten Monaten zu einem richtigen Katzen-Papa mutiert und Adam liebte ihn dafür nur umso mehr. Zumal er jetzt deutlich zufriedener wirkte und sich auch einmal mit einem Lächeln auf dem Gesicht von Klein&Dreckig dazu überreden ließ, die Hausarbeit einmal Hausarbeit sein zu lassen und auf später zu verschieben und dafür mit ihr zu spielen oder zu kuscheln, je nachdem wozu Klein&Dreckig gerade aufgelegt war. Sie schaffte es auch, dass Leo einfach mal sitzen blieb, wenn Adam ihn mal nach etwas fragte, und nicht gleich aufsprang, um, beispielsweise, eine neue Packung Zahnpasta aus dem Vorratsschrank zu holen, die sie frühestens in drei Tagen brauchen würden. Nein, jetzt blieb Leo einfach sitzen, streichelte weiter durch Klein&Dreckigs Fell während er Adam entschuldigend anlächelte und ihn bat selbst gucken zu gehen oder ihn später noch einmal darauf anzusprechen.
Leo wirkte viel ausgeglichener, viel entspannter, und Adam konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt diesen verkniffenen Ausdruck auf Leos Gesicht gesehen hatte, der Anzeichen dafür war, dass Leo sich stresste, weil er es wieder allen recht machen wollte, niemanden enttäuschen wollte.
Adam war sich sicher, dass das vor allem mit der Ruhe zu tun hatte, die Klein&Dreckig ihnen aufzwang wenn sie zuhause waren, aber auch mit der Tatsache, dass Leo seine Familie jetzt, seit die Katze bei ihnen wohnte, viel öfter sah als früher, denn auch den Rest der Hölzers hatte Klein&Dreckig in kürzester Zeit um den Finger oder besser gesagt die Pfote gewickelt. Caro hatte ihren Bruder zwar mit dem größten Fragezeichen über dem Kopf angeguckt, als Leo ihr eröffnet hatte, dass sie, momentan, eine kleine Katze als Untermieter hatten, doch hatte es nur das freudige Quieken ihrer Tochter benötigt, das wie Wasser aus einer Fontaine aus ihr heraus gesprudelt war, während sie mit Klein&Dreckig spielte, dass Caros Verwunderung vergessen und auch sie selbst hin und weg gewesen war.
Klein&Dreckigs größter Fan war aber ganz eindeutig Babsi. Sie kam viel häufiger unter den fadenscheinigsten Ausreden bei ihnen vorbei. „Ich hatte noch Kuchen übrig und dachte, ich bring ihn euch eben. Ihr könnt es ja vertragen.“ oder: „Ich war grad in der Gegend. Bei meiner Freundin Elisa. Erinnerst du dich an Elisa? Die ist ja so eine nette.“
Ein anderes Mal war sie mit den Worten: „Adam, ich krieg das Marmeladenglas nicht auf. Kannst du bitte.“ in ihre Wohnung getreten, hatte Adam ein Marmeladenglas in die Hand gedrückt und zielstrebig ins Wohnzimmer gerauscht, wo sie kurz darauf Klein&Dreckig mit Leckerlis fütterte.
Diese Besuche waren an und für sich nicht sonderlich schlimm, Adam mochte Babsi und sie blieb nie lang, doch musste Adam zugeben, dass er schon das ein oder andere Mal den Gedanken gehabt hatte, die Tür einfach mal nicht zu öffnen. Doch wenn er sah, wie sich Leos Blick selbst an einem schlechten Tag aufhellte, wenn er seiner Mutter dabei zusah, wie sie mit kindlicher Freude mit Klein&Dreckig auf dem Boden in ihrem Wohnzimmer spielte, konnte Adam ja schlecht etwas dagegen haben. Zumal es schon lustig war, wie diese frisch-gebackene Rentnerin sich auf dem Boden rumkugelte und später um eine helfende Hand bitten musste, weil sie allein nicht wieder hoch kam.
Also, ja, für Leo ertrug Adam tapfer jeden einzelnen Besuch seiner ‚Schwiegermama‘, wie sie sich gern selbst nannte, obwohl Adam und Leo nicht verheiratet waren, egal wie unpassend der Moment war, in der sie die Klingel betätigte.
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"Morgen ist es soweit."
"Hm?", kam es müde von Leo. Sie hatten es sich auf der Couch bequem gemacht. Leo hatte sich an Adams Seite geschmiegt, den Kopf auf Adams Schulter abgelegt, während Klein&Dreckig sich auf Adams Schoß zusammengerollt hatte und leise vor sich hin schnurrte.
Es war perfekt so.
"Ich hab gesagt: Morgen ist es soweit."
"Hm?", kam es noch einmal von Leo und er hob seinen Kopf von Adams Schulter. "Was?"
Adam musste lachen. "Du bist ganz zerknautscht." Er hob seine Hand an Leos Wange und strich ihm über den roten, faltigen Abdruck dort. Adam liebte diesen Anblick: Leo in seiner ganzen verschlafenen Pracht, mit dem Kissenabdruck auf der Wange, den kleinen, verquollenen Äuglein und den Haaren, die ihm wie wild vom Kopf ab standen. Gut, seine Haare waren noch recht un-verwuschelt, aber das machte den Anblick, der sich Adam bot, nicht weniger liebenswürdig.
"Was ist soweit?", fragte Leo und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken.
"Morgen sind wir endlich eine Familie."
"Eine…", setzte Leo an, brach dann aber ab und sah Adam verwirrt an. "Hä?"
"Eine Familie", wiederholte Adam und ließ seine Finger durch Klein&Dreckigs weiches Fell wandern. Die Katze drehte sich etwas weiter auf den Rücken und präsentierte Adam vertrauensvoll ihren Bauch. Adam lächelte, während er Klein&Dreckigs Bauch kraulte. Etwas, das sie genauso sehr liebte wie Leo es tat.
Als Adam wieder auf blickte, sah er in ein Paar blaugrüne Augen, die in Tränen schwammen, doch das Lächeln, das diese Tränen begleitete, beruhigte Adam sofort. Normalerweise war es kein gutes Zeichen, wenn Leo den Tränen nah war, denn er weinte vor allem wenn er wütend oder enttäuscht war. Erst in den letzten zwei Jahren, seit sie sich ausgesprochen und schließlich zusammengekommen waren, hatte Adam hin und wieder beobachten können, dass Leo auch weinte, wenn er besonders gerührt oder glücklich war. Und das war ein noch viel schönerer Anblick als ein verschlafener Leo.
"Eine Familie, sagst du?"
Adam nickte. "Morgen sind die 6 Monate um. Dann gehört Klein&Dreckig rein rechtlich zu uns. Aber nur, wenn du das auch willst", fügte Adam rasch an. Er wollte Leo nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Das war noch nie gut gegangen.
Doch das Lächeln auf Leos Gesicht wurde nur noch breiter. "Eine Familie mit dir und Klein&Dreckig? Und ob ich das will."
„Sicher?“, musste Adam sich vergewissern, denn er hatte das Gefühl, dass hier gerade etwas ganz monumentales passierte. Etwas, dass sich verdammt danach anfühlte, als würden sie einen Pakt fürs Leben schließen. Als hätte Adam Leo gefragt, ob sie nicht heiraten sollten. Und wenn das nie für Adam in Frage kam, das Heiraten, so hatte er doch nichts gegen die Vorstellung, für den Rest seines Lebens mit Leo zusammen zu sein. Mit Leo und Klein&Dreckig. Als ihre ganz eigene, kleine, besondere Familie.
Leo nickte. „Ich bin mir sicher. Zu 100 Prozent. Dich und Klein&Dreckig, lass ich nie wieder gehen. Weil ich euch so verdammt liebe. Dich und dein mini-Du.“
„Miau!“
„Ok, dich und unser Mini-Du“, verbesserte Leo lachend und tätschelte Klein&Dreckigs kleines Köpfchen.“
Adam wurde es ganz warm ums Herz und er konnte nicht anders, als sich vor zu beugen und Leo eine Kuss auf die Lippen zu drücken, der den Kuss mit so viel Liebe erwiderte, dass Adam vor Glückseligkeit platzen konnte.
Er hatte nie gedacht, dass er einmal eine Familie haben würde, hatte sich nie vorstellen können, sich jemals auf dieses Konzept einlassen zu können, doch am Ende war es so einfach gewesen. Es hatte nur ein scheiß Sommergewitter und eine zufällige Begegnung gebraucht.