Work Text:
Eine halbe Stunde vor ihrem eigentlichen Feierabend hat Leo begonnen, seine Sachen zu packen. Adam hat ihn dabei über den Rand seines Monitors beobachtet und sich in eine Zeit zurück gesehnt, in der er Leo hätte fragen können, warum er früher Schluss macht.
Braucht Caro Hilfe? Will er noch zu seiner Mutter? Gönnt er sich eine halbe Stunde, um die Einkaufenden am Freitagnachmittag zu umgehen?
Verdient hätte er alles. Sie alle haben ein prall gefülltes Überstundenkonto, das sie viel zu selten abbauen, aber bei Leo ist es noch schlimmer.
Vor allem in den letzten Wochen hat er mehr Zeit im Büro verbracht als zwingend notwendig.
Aber die Zeit, in der Adam fragen konnte, ist vorbei. Das hat er selbst gründlich ruiniert mit seinem penetranten Schweigen, geboren aus der Angst, Leo noch weiter in sein persönliches Drama mit hinein zu reißen. Jetzt kann er nur zusehen, wie Leo seine Waffe leert und sichert und sie zusammen mit dem Schulterholster im Safe verschließt.
Was ungewöhnlich ist, denkt Adam mit einem Stirnrunzeln. Wie sie alle hat auch Leo zuhause einen Waffenschrank, in dem er seine Dienstwaffe aufbewahrt. Vor allem am Wochenende ergibt es Sinn, weil er sonst erst nochmal herkommen müsste, bevor er zu einem Tatort fährt.
Vielleicht hätte es Adams erste Warnung sein sollen, dass Leo seine Waffe hier weg sperrt.
Die zweite, dass Leo fast schon zitternd hinter seinem Schreibtisch stehen bleibt und tief durchatmet, bevor er sämtliche Hosen- und Manteltaschen abklopft, um zu überprüfen, ob er auch alles wichtige dabei hat.
Mit einer Grimasse löst er noch seine Handschellen vom Gürtel und verstaut sie in seinem Rollcontainer.
Adam ist so kurz davor zu fragen, was Leo vor hat, als Pias Stimme hinter ihm ertönt.
“Jetzt mach schon, Leo,” fordert sie ihn auf und Adam kann das Grinsen in ihrer Stimme hören. “Es ist super unhöflich, zum ersten Date zu spät zu kommen.”
Date. Leo hat ein Date.
Adam kann hören, wie ihm das Blut durch die Ohren rauscht.
Leo hat ein Date.
Das Rauschen ist so laut, dass er nicht einmal hört, ob die Kolleginnen Leo liebevoll triezen. Er sieht nur, dass Leos Lippen sich zu einem unsicheren Lächeln verziehen und seine Wangen sich röten.
Leo hebt seine Hand, winkt kurz in die Runde. Sein Blick flackert zu Adam, als er etwas sagt, das vermutlich “Bis Montag!” ist, aber Adam ist noch immer taub.
Sein Herzschlag dröhnt viel zu laut. Er bekommt keine Luft mehr. Eifersucht schnürt ihm die Kehle zu.
“Hab viel Spaß!” ruft Pia Leo hinterher, der schon halb aus der Tür ist. “Und falls wir morgen eine Leiche reinbekommen, geh ruhig mal nicht an dein Handy. Wir kümmern uns drum,” fügt sie noch hinzu und Leo nickt ihr dankend zu.
“Ja, Hölzer,” schließt Esther sich an. “Gönn dir auch mal ein bisschen Spaß!”
Adam will viele Dinge sagen, angefangen davon, dass er sich für Leo freut, aber die Worte kommen ihm nicht über die Lippen. Er schafft es nicht einmal zu nicken oder Leo sonst irgendwie zu signalisieren, dass er ihm einen guten Feierabend und ein schönes Wochenende wünscht.
Er ist wie paralysiert. Und die Starre löst sich auch nicht.
Seit zwanzig Minuten sitzt er nun schon in seinem Auto und versucht das Zittern in seinen Fingern soweit unter Kontrolle zu bekommen, dass er den Schlüssel in die Zündung stecken und den Motor starten kann, aber es gelingt ihm nicht. Wut, Verzweiflung und brennende Eifersucht ringen ihn nieder, bis er das Gefühl hat, nicht mehr atmen zu können.
Eigentlich wusste er, dass es irgendwann so weit kommen musste. Darauf vorbereitet war er trotzdem nicht.
Nicht so schnell.
Er will sich für Leo freuen, ganz ehrlich, aber er kann es einfach nicht. Der rationale Teil, der weiß, dass er selbst nicht gut genug ist für seinen Partner, dass er ihn eh nur wieder in die Scheiße reitet, ist deutlich dem Teil unterlegen, der Leo für sich will.
Was macht es schon, dass er möchte, dass Leo glücklich ist? Dass er sich mehr als alles wünscht, dass Leo einen solchen Partner bekommt, der ihm immer alles geben kann, was er sich wünscht, was er verdient hat.
Nein, der selbstsüchtige Teil von Adam will am liebsten zurück ins Büro und Pia fragen, was sie weiß. Will alles über die Person herausfinden, mit der Leo sich trifft, vielleicht auch das Restaurant stürmen, in dem sie zu Abend essen, damit er-
Ja, damit er Leo nicht gehen lassen muss.
Adam ist klar, was dieses Date bedeutet: Leo macht einen Schritt nach vorn, einen Schritt auf seinem eigenen Weg, weil er Adams Spuren nicht mehr folgen will.
Es ist richtig so, besser für Leo, weil Adam ja doch nicht der Mann sein kann, den Leo verdient, aber es ist hart.
Tränen steigen in seinen Augen auf, als er einsehen muss, dass er Leo verloren hat.
Bis jetzt hatte sich ein kleiner Funken Hoffnung in seiner Brust bewahrt, dass Leo vielleicht doch noch entscheidet, Adam zu vergeben. Einen Grund dafür hat er ihm nicht gegeben, aber selbstsüchtig, wie Adam ist, hat er trotzdem darauf vertraut, dass genug Zeit ausreichen würde, damit Leo ihm vergibt.
Adam hat schon so viel Scheiße gebaut und trotzdem hat Leo ihn immer wieder zurück genommen. Einsehen, dass es diesmal nicht so sein wird, das wollte Adam nicht.
Aber jetzt muss er es und ihm bleibt nichts anderes übrig, als die Augen zu schließen und seinen Kopf für einen Moment gegen die Kopfstütze zu legen.
Leo verdient das , erinnert er sich in Gedanken und zwingt sich, einen tiefen Atemzug zu nehmen. Leo soll glücklich sein und geliebt werden .
Seine Hände zittern noch immer, als er die Augen wieder öffnet und endlich den Schlüssel in die Zündung steckt, aber es reicht aus, um nach Hause zu fahren. Er startet den Motor, legt den Gang ein, gibt Gas; die Bewegungen sind automatisiert und langsam rollt er an.
Die Parklücke, die für Leo reserviert ist, ist leer und ein Schrei bildet sich in Adams Kehle.
“Nein,” weißt er sich selbst an. “Du freust dich für ihn.”
Er hört die Worte im Inneren des Wagens widerhallen, aber sie klingen seltsam verzerrt. Ein bisschen so, als hätte Adam nicht selbst gesprochen, obwohl er weiß, dass er es war.
Saarbrücken fliegt ungesehen an ihm vorbei. Der Weg zurück zum Haus ist ihm so vertraut, dass er nicht darauf achtet. Das einzige, was seine Augen suchen, ist Leos Auto, aber — und es ist besser so, weil er nicht in Versuchung kommen kann, auszusteigen und Leo zu folgen — es taucht nirgendwo auf.
Als er vor dem Betonklotz steht, in der er die schlimmste Zeit seines Lebens verbracht hat, treten ihm wieder die Tränen in die Augen.
Es ist vorbei. Und das einzige, was er jetzt noch tun kann, ist sich zu bemühen, endlich wieder ein besserer Kollege für Leo zu sein. Mit schweren Herzen lehnt er sich über den Sitz und kramt eine Visitenkarte aus dem Handschuhfach, die man ihm in die Hand gedrückt hat, nachdem Adam seine Waffe und den Dienstausweis zurückbekommen hat.
“Praxis Dr. Samuel," ertönt eine betont freundliche Stimme, kurz nachdem Adam die Nummer gewählt hat. “Wie kann ich Ihnen helfen?”
Adam räuspert sich. “Schürk, Adam. Ich würde gerne einen Termin vereinbaren.”
***
Adam macht in dieser Nacht kein Auge zu. Er liegt in seinem Bett und starrt die Decke an.
Er denkt an Leo.
Fast schon ist es ein bisschen absurd. Früher, da hätte er sonst etwas darum gegeben, im Bett liegen zu dürfen, ohne Angst haben zu müssen, dass sein Vater gleich kommt und ihn in den Schrank sperrt. An die Decke zu schauen hat ihm ein seltsames Gefühl der Sicherheit gegeben, weil sie bedeutete, dass er wenigstens nicht im Schrank war.
Jetzt aber treibt sie ihn in den Wahnsinn. Wie alles andere hier ist sie aus grauem Beton und eignet sich hervorragend als Leinwand für den Film, der sich in seinem Kopf abspielt.
Leo und ein fremder Mann, wie sie sich in irgendeiner Nische in einem schwach beleuchteten Restaurant gegenübersitzen. Sie lächeln, Leo erzählt und hat Spaß, gestikuliert wild, weil er so im Thema steckt.
Der Fremde kommentiert es und Leo wirft den Kopf in den Nacken und lacht.
Adam, dem stillen Zuschauer, wird schlecht.
Die Szene wechselt sich. Beleuchtet von den Lichtern der umliegenden Häuser drückt sich Leo zusammen mit einer hübschen Frau durch die Menschenmengen am Sankt Johanner Markt, die ihren Freitagabend auswärts verbringen. Sie taumeln über das unebene Kopfsteinpflaster, halten sich aneinander fest, bis sie zum Saarufer gelangen.
Es ist Dezember, aber trotzdem ist es in Adams Horrorvorstellung hier schön und angenehm warm. Leos Begleitung trägt ein buntes Kleid, das mit jedem Schritt um ihre Beine tänzelt und sie zum Straucheln bringt.
Leo fängt sie auf, nimmt seine Hand. Sie küssen sich.
Mit einem Ruck setzt Adam sich in seinem Bett auf und schwingt die Beine über den Rand der Matratze. Er muss aufstehen, sich bewegen, irgendwas machen, damit er nicht wahnsinnig wird. Wenn er weiter darüber nachdenkt, ob Leos Date gut lief — oder läuft , auch wenn es schon bald zwei Uhr morgens ist — dann kann er bald für nichts mehr garantieren.
Es bedarf all seiner Willenskraft, um nicht die Autoschlüssel vom Schlüsselbrett neben der Tür zu nehmen und in seinen Wagen zu steigen. Bis zu Leos Wohnung ist es nicht weit, er könnte nachsehen, ob sein Partner schon wieder zuhause ist.
Ob noch Licht in den Fenstern brennt, die Nachttischlampe im Schlafzimmer.
Aber Adam schafft es, sich stattdessen eine Jogginghose über zu streifen und sich auf den Weg zur Garage zu machen. Er verspricht seiner Mutter jetzt schon seit Wochen, dass er die Umzugskartons endlich mal durchsieht und entweder ausgepackt oder die Sachen entsorgt, die er nicht mehr will.
Er ist eh wach. Warum sollte er das nicht jetzt tun?
Zwei Kartons hat er entrümpelt, als sein Handy klingelt. Noch nie war Adam so froh, die Nummer der Dienststelle auf seinem Handy zu sehen.
“Haben Sie Herrn Hölzer schon erreicht?” rutscht es ihm heraus, nachdem der Kollege von der Leitstelle die Adresse des Leichenfundortes durchgegeben hat.
“Nein,” kommt die Antwort zurück. “Frau Heinrich habe ich allerdings erreicht und sie meinte, sie kümmert sich um Herrn Hölzer,” fügt er noch hinzu.
Adam nickt. Dann sagt er “Danke,” weil ihm zu spät bewusst wird, dass der Kollege ihn nicht sehen kann. “In zwanzig Minuten bin ich da.”
Während er zurück ins Haus geht, ringt er mit sich selbst. Er will Leo anrufen, ihm mitteilen, dass sie eine Leiche haben. Adam ist sich sicher, dass Leo wie immer sofort alles stehen und liegen lassen würde, wenn er erfährt, dass Arbeit auf sie wartet.
Es wäre so leicht, ihn von seinem Date fort zu reißen, aus dessen Bett und Armen.
Adam legt sein Handy weg und greift nach frischen Klamotten aus dem Regal.
Er hat kein Recht darauf, sich in Leos Angelegenheiten einzumischen. Das hat er verspielt. Und Pia hat recht, wenn sie sagt, dass sie das auch ohne Leo schaffen, der ruhig mal ein bisschen Privatleben genießen soll.
Die Wut in seinem Bauch köchelt weiter, als er nach draußen geht und in sein Auto steigt. Aber wenigstens hat er jetzt etwas, um sich abzulenken.
***
Die Leiche ist so übel zugerichtet, dass Henny nicht sagen kann, was passiert ist. Sie muss das Blut erstmal abwaschen, bevor sie sich festlegen will, aber lange sei er noch nicht tot.
“Höchstens vier Stunden,” meint sie. “Aber vermutlich weniger.”
“Also kurz nach Mitternacht verstorben,” schlussfolgert Esther. “Dann haben sie ihn aber schnell gefunden.”
Henny zuckt mit den Schultern. “Ein Partygänger war nochmal mit dem Hund draußen, bevor er ins Bett wollte,” informiert sie sie. “Musste erstmal ins Krankenhaus gebracht werden, weil der Schock so groß war.”
Esther nickt und macht einen Schritt zurück, um sich umzusehen. “Weißt du schon, ob das hier der Tatort war?”
Die Kollegen von der Spurensicherung sind schon fleißig dabei, das Umfeld abzusuchen und alles einzupacken, was ihnen bei der Lösung des Falls behilflich sein könnte. Ihre weißen Anzüge leuchten förmlich in der Dunkelheit und plötzlich fröstelt Adam.
Er zieht seine Jacke enger um seinen Körper und schaut wieder zu ihrer Gerichtsmedizinerin.
“Nein,” entscheidet sie mit einem Seufzen. “Ich denke nicht. Der Boden ist zwar stark aufgeweicht und hat sicher einiges von dem Blut aufgesogen, das unser Opfer verloren hat, aber trotzdem ist es noch zu wenig.”
“Gut,” mein Esther und richtet sich auf. “Dann helfen wir den Kollegen von der Spusi mal und schauen uns um. Wir können ja sonst noch nichts machen.”
Pia nickt und Adam ist schon auf halbem Weg durch das Waldstück. Nach Spuren suchen ist allemal besser, als sich im Bett hin und her zu werfen.
***
Der Samstag verläuft ereignislos. Sie verbringen Stunden im Waldstück, bis sie entscheiden, dass sie nichts mehr finden und mit ihrem Rumgetrampel eher Spuren kaputt machen, als sie zu sichern. Es hat in den letzten Wochen fast dauerhaft genieselt und der Boden ist so feucht, dass ihre Abdrücke noch eine Weile bleiben werden.
Abdrücke vom möglichen Täter wurden zum Glück schon gesichert.
Pia und Esther beschließen, nochmal nach Hause zu fahren, zu duschen und zu frühstücken, bevor sie ins Präsidium kommen um zu arbeiten, aber Adam macht sich sofort auf den Weg.
Was will er denn auch zuhause?
Als er das Büro betritt, verhöhnt ihn Leos perfekt aufgeräumter Schreibtisch geradezu und am liebsten würde er wieder umdrehen und gehen. Da die Alternative aber graue Betonwände sind, zwingt er sich, einen Schritt in den Raum zu machen und Leos Kaffee neben der Tastatur zu platzieren.
Es ist acht Uhr. Sicher hat Leo mittlerweile auf sein Handy geschaut und mitbekommen, dass sie einen neuen Fall haben. Da muss einerseits der verpasste Anruf von der Leitstelle sein, aber auch eine Nachricht, die Pia geschickt hat mit dem Hinweis, dass er sich nicht beeilen muss, weil sie sowieso gerade nichts tun können, außer zu warten.
Aber er kennt Leo. Der würde sich nie vor der Arbeit drücken.
Adam verteilt auch noch die anderen To-go-Becher, die er für die Kolleginnen mitgebracht hat — als Begründung dafür, dass er Leo Kaffee geholt hat — bevor er sich streckt und in seinen Schreibtischstuhl sinken lässt. E-Mails sind kaum welche reingekommen, seit er gestern Feierabend gemacht hat, aber dafür kann er sich schon mal durch die Vermisstendatenbank scrollen.
Nicht, dass er erwartet, einen Treffer zu landen. Sie haben ja nicht einmal ein gutes Foto von seinem Gesicht oder einen Ausweis gefunden, aber vielleicht kann er es mit Hilfe von Hennys Größen- und Altersangaben versuchen einzugrenzen.
Hauptsache, er wirkt beschäftigt, wenn die anderen kommen.
Pia ist die erste, die mit einer Bäckertüte das Büro betritt. Sie bedankt sich für den Kaffee, hält Adam ein Croissant hin, bevor auch sie sich hinter ihren Laptop klemmt. Esther kommt kurz nach ihr und hält inne, als sie den Becher auf ihrem Schreibtisch sieht.
“Ist Leo doch da?”
“Ne,” meint Pia sofort und krümelt beim Sprechen über ihre Tastatur. “Ich hab ihm auch gesagt, dass er nicht kommen soll. Wir warten ja eh erstmal.”
Esther nickt und wendet sich an Adam. “Dann ist der von dir?” fragt sie und deutet mit dem Kinn auf ihren Kaffee. “Danke.”
Adam winkt ihre Worte ab. Ist ja eigentlich auch egal.
Stattdessen wartet er auf Informationen: Entweder zu ihrer Leiche, oder zu Leo.
Als Pia ihn am späten Nachmittag überredet, nach Hause zu gehen, ist Leo immer noch nicht aufgetaucht. Der Kaffee ist längst kalt und Adam nimmt ihn wieder mit. Als er das Gebräu den Abfluss hinab gießt, wird ihm schlecht.
***
Sonntag bringt er keinen Kaffee mit. Er ist sich zwar sicher, dass Leo heute da sein wird, aber nochmal will er sich die Blöße nicht geben. Vor allem, falls Leo schon früher angefangen hat, um sich einen Überblick zu verschaffen und vielleicht schon bei seiner zweiten Tasse Kaffee ist.
So viel sollte er davon ja auch nicht trinken. Ist ja ungesund.
Aber Adam ist wieder der Erste im Büro. Esther und Pia kommen irgendwann dazu, wirken deutlich ausgeschlafener als er.
Als Leo bis zehn Uhr nicht auftaucht, entschuldigt Adam sich, um Rauchen zu gehen. Statt wie üblich die Treppe hoch zum Dach zu nehmen, geht er stattdessen runter zu den Parkplätzen.
Leos Stellplatz ist noch immer leer.
Bittere Galle steigt in Adam auf.
Ja, er hat sich eingeredet, dass er sich für Leo freuen will. Dass er sich wünscht, dass das Date gut läuft und Leo mal ein bisschen rauskommt und etwas anderes sieht als nur ihr Büro, aber das war Freitagabend. Jetzt ist es fast schon Sonntagmittag und er taucht immer noch nicht im Büro auf?
So gut wollte er dann auch nicht, dass es läuft.
Grimmig kehrt Adam ins Büro zurück. Die Frage an Pia, ob sie von Leo gehört hat, verkneift er sich. Seit dem Fall Schneider ist sie zwar höflich und nett zu ihm, geht ihm aber wann immer möglich aus dem Weg.
Auch wenn das nichts mit dem Fall zu tun hat, sondern viel mehr mit der Tatsache, wie Leo sich ihm gegenüber danach verhalten hat. Pia hält sich geschickt aus ihren Querelen heraus und Adam kann das respektieren, auch wenn ihm die Fragen unter den Nägeln brennen.
Morgen , sagt er sich. Morgen wird Leo schon wieder da sein. Dass er mal am Wochenende blau macht und Überstunden abarbeitet, das geht schon in Ordnung. Das findet Adam an sich sogar gut, vor allem wenn Leo sich während dieser Zeit auch ein bisschen erholen kann, aber zum Dienstbeginn am Montag wird er sicher wieder zurückkommen.
Immerhin ist ihr Teamleiter nichts, wenn nicht pflichtbewusst und korrekt.
***
Müdigkeit und die Vorfreude, Leo wiederzusehen, halten sich am Montag die Waage, als Adam ins Präsidium fährt. Wenn er alles zusammenzählt, dann ist er am Wochenende auf etwa sechs Stunden Schlaf gekommen, was an sich nicht schlecht ist. Trotzdem fühlt er sich, als würde er durch Schlamm waten.
Das einzige, was ihn davon abhält, am Steuer einzuschlafen und den Wagen in den nächsten Graben zu fahren, ist das Wissen, dass er heute mehr über Leos Date erfahren wird. Sicher haben sich die Kolleginnen schon hundert Fragen ausgedacht, mit denen sie Leo löchern wollen, wenn sie eine kurze Pause von ihrer Arbeit machen.
Adam wird seine Fragen nicht stellen können, aber zumindest ist er dann besser informiert und muss nicht mehr im Trüben fischen.
Und wer weiß , flüstert eine garstige, leise Stimme in seinem Kopf, vielleicht hat Leo sich am Wochenende auch nur versteckt, weil das Date absolut furchtbar war .
Esther ruft Adam und Pia zur Teambesprechung zusammen, als Leo nach über einer Stunde immer noch nicht aufgetaucht ist. Sein Platz am Tisch gegenüber von Adam bleibt während der ganzen Diskussion leer und auf Adams Magen legt sich ein schwerer Stein.
Wo ist Leo? Das hier sieht ihm gar nicht ähnlich. Wenn er aus irgendeinem Grund zu spät kommt, dann sagt er immer Bescheid.
Aber vielleicht hat er Pia und Esther eine Nachricht geschrieben und nur Adam nicht informiert. Zumindest wirken die beiden relativ entspannt.
Trotzdem kann Adam nicht verhindern, dass er sich Sorgen macht. Nach der Teambesprechung geht er als erstes rauchen. Wieder macht er sich dafür auf den Weg zum Parkdeck, in der Hoffnung, dass Leos Auto mittlerweile da steht und er ihn einfach nur noch nicht gesehen hat.
Vielleicht wurde er im Präsidium aufgehalten, musste irgendwo aushelfen oder hoch zur Dienststellenleitung. Er ist ihr Teamleiter, es kann also schon mal vorkommen
Aber Leos Parkplatz ist noch immer vollkommen verwaist.
Unruhe breitet sich in Adams Brust aus. Dass er nicht hier ist, fühlt sich nicht richtig an.
Leider bekommt er keine Zeit, um länger darüber nachzudenken, was mit Leo los sein könnte. Esther steht plötzlich hinter Adam und bedeutet ihm, ihr zu folgen.
“Der, der die Leiche gefunden hat, ist wieder vernehmungsfähig,” informiert sie ihn. “Wir fahren hin. Und danach zu Henny.”
Adam kann nicht anders als nicken und sich auf ihren Beifahrersitz fallen lassen.
Wo ist Leo?
Er ist fast versucht, Esther zu fragen, ob sie etwas weiß, aber er traut sich nicht. Vermutlich würde sie ihm eh keine vernünftige Antwort geben und nur darüber scherzen, dass Adam nicht damit leben kann, dass Leo scheinbar mit ihm abgeschlossen hat.
Sie würde damit nicht einmal falsch liegen, aber das weiß sie sicher sowieso.
Der Mann im Krankenhaus ist zwar wieder stabil, aber immer noch vollkommen neben der Spur. Seine Aussage bringt sie nicht weiter: Er wollte nur nochmal mit dem Hund eine kurze Runde laufen, bevor er ins Bett geht, damit er nicht in einer Stunde schon wieder geweckt wird. Nachts lässt er ihn immer frei laufen und als er nicht zurückgekommen ist-
“Ich dachte, da hat vielleicht jemand Lebensmittel entsorgt,” schluchzt er und sein ganzer Körper zittert. “Und dann sowas.”
Sonst kann er keine hilfreichen Aussagen machen. Er war noch zu angetrunken — und high — um seine Umgebung vollständig wahrzunehmen. Eigentlich wollte er eh nur ins Bett und hat nicht darauf geachtet, ob etwas anders war als sonst.
Adam ist am Ende sowieso nur noch mit einem halben Ohr dabei. Eigentlich will er nur noch raus, damit er wieder Empfang hat und nachsehen kann, ob Leo sich mittlerweile gemeldet hat. Wenn schon nicht bei ihm, dann vielleicht im Gruppenchat des Teams.
Aber da ist keine Nachricht von Leo. Auch Pia scheint noch immer alleine zu sein, als sie kurz mit ihr telefonieren, während sie auf dem Weg in die Gerichtsmedizin sind.
Langsam beginnt Adam sich Sorgen zu machen. Und zwar nicht nur, weil Leos Date vielleicht ein bisschen zu gut gelaufen sein könnte, sondern weil Leo nicht einfach mal so blau macht.
Bei Henny findet er ein klein wenig Ablenkung und sei es nur deshalb, weil ihr Toter wirklich furchtbar zugerichtet ist. Sein gesamter Körper ist mit Schnitten überzogen, einer tiefer als der andere, ohne wirklich zu verletzen.
“Alle vor seinem Tod," bestätigt Henny ihren Verdacht leise und Adam muss einen Schritt zurück machen. “Aber der ging dann wenigstens ziemlich schnell,” fügt sie hindurch und deutet auf einen langen Schnitt entlang der Kehle.
“Sonst irgendwas?” fragt Esther nach einem Moment der Stille. Auch sie sieht so aus, als würde sie die Pathologie am liebsten so schnell wie möglich verlassen.
Henny schüttelt den Kopf. “Ich hab ein paar Spuren des Hundes gefunden, der die Leiche entdeckt hat, aber das war ja zu erwarten. Ich schau mir die Schnitte nochmal genauer an,” fügt sie noch hinzu, “aber bisher kann ich kein Muster erkennen. Ich denke es war Folter.”
Adam schluckt und nickt. “Danke,” sagt er verhalten und ist schon dabei, auf dem Absatz Kehrt zu machen, als Henny sie aufhält.
“Aber ich habe ein Tattoo gefunden,” lässt sie Esther und ihn wissen. “Hab ich Pia gerade schon gemailt. Vielleicht hilft es euch ja bei der Identifizierung.”
***
Pia ist gerade dabei, Bilder an ihre Pinnwand zu heften, als Adam und Esther eintreffen. Adam stürzt sich fast schon dankbar darauf, weil er sich sonst damit befassen müsste, dass Leos Schreibtisch noch immer unberührt ist.
Das Tattoo hat ihnen tatsächlich geholfen. Ihr Toter, Elias Petzold, musste eine zweijährige Strafe wegen Diebstahl absitzen und das Tattoo ist in ihrer Datenbank.
Selbst mit den Schnitten im Gesicht der Leiche können sie ihn ziemlich sicher dem Bild auf seinem Ausweis zuordnen.
Pia und Esther bieten sich an, später bei seinem Arbeitgeber vorbei zu fahren. Soweit sie sehen können, ist das die einzige Verbindung, die er hier in der Stadt hat; seine Eltern leben in Thüringen, und sie haben die Kollegen schon informiert, damit sie mit der Seelsorge die Todesnachricht überbringen.
Adam bleibt dankend zurück im Präsidium. Er hat die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, dass Leo doch noch kommt, auch wenn es mittlerweile fast schon absurd wäre.
Vielleicht wollte er nur ausschlafen , versucht Adam sich zu beruhigen. Immerhin ist er oft genug schon vor ihrem offiziellen Dienstbeginn hier. Ein Vormittag wird schon nicht schaden.
Es ist schon weit nach Mittag, als Adam nochmal loszieht, um nach Leos Auto zu schauen. Er verflucht, dass er den Parkplatz nicht von ihrem Büro aus sehen kann, weil es dann viel leichter wäre, ein Auge darauf zu haben.
Bei seiner letzten Zigarette — als die beiden noch da waren — haben Pia und Esther ihn schon gefragt, ob alles in Ordnung ist. Er raucht zwar viel, aber nicht so viel, dass er alle halbe Stunde das Büro verlassen muss.
Er schafft es gerade mal bis runter zum Foyer, als der Kollege von der Anmeldung ihn ruft. “Hey Schürk!” Er winkt Adam zu sich rüber an den Empfangstresen, damit er nicht weiter so brüllen muss. “Sag mal, ist Hölzer da? Der hier will zu ihm.”
Der hier ist ein Mann um die Dreißig. Er ist auf eine unaufdringliche Art und Weise attraktiv, mit schlankem Körperbau, durchschnittlicher Größe und dunklen Locken. Seine Augen sind ebenso dunkel und starren Adam unter einer breiten Brille etwas verunsichert an.
“Hi,” meint er und hebt eine Hand, um zu winken. Es wird fast schon eingeschüchtert, aber Adam muss ihm zugutehalten, dass er nicht schreiend wegrennt; schon an guten Tagen guckt er nicht unbedingt freundlich und heute ist ganz bestimmt kein guter Tag.
Adam nickt ihm zu und sieht ihn abwartend an. Die Frage, ob Leo hier ist, beantwortet er bewusst nicht.
Mit einem Seufzen hält er Adam einen Beutel entgegen. “Hier, das ist für Leo,” meint er und wartet offensichtlich darauf, dass Adam ihn annimmt. “Ich verstehe zwar nicht ganz, warum er nicht mit mir sprechen will, aber ich kann’s respektieren. Ich wollte auch nur den Pullover zurückbringen, den er Freitag bei mir vergessen hat.”
Adams Herz setzt einen Schlag aus. Selbst wenn er wollte, könnte er sich nicht bewegen und den scheiß Beutel annehmen. “Freitag?”
“Ja, wir haben-” Der junge Mann räuspert sich und schaut sich im Foyer um. “Äh, wir haben uns Freitag getroffen.”
Leo Date. Der Typ ist Leos Date .
In Adams Kopf beginnt es wieder zu rauschen, Blut pocht hinter seiner Schläfe. Wut breitet sich in seinem Magen aus, dicht gefolgt von Eifersucht und dem Wunsch, dem Typen eine rein zu hauen.
Oder sich selbst. Vermutlich hätte er es mehr verdient.
Erst dann wird Adam bewusst, was der Typ gesagt hat. “Sie haben seitdem nichts mehr von ihm gehört?”
“Nein,” meint er und schaut beschämt zu Boden. “Wir waren noch bei mir und ich dachte es lief echt gut-”
Den Rest hört Adam schon nicht mehr, weil er die Treppe nach oben stürzt, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.
Egal wie schlecht ein Date läuft, Leo wäre viel zu nett, um einen Typen einfach zu ghosten. Wenn er nicht ganz höflich irgendeinen Mist schreibt, der so klingt, als würde der Fehler bei ihm liegen, dann ist er sicher einer von diesen Menschen, die sich noch durch drei weitere Dates quälen, um den anderen nicht zu verletzen.
Panisch platzt er in ihr Büro. Sein Herz hämmert gegen seine Rippen. “Heinrich!” brüllt er in Pias Richtung und macht ein paar lange Schritte auf sie zu und reißt an ihrem Drehstuhl. “Wo ist Leo?”
Pia zuckt mit den Schultern und wendet sich wieder ihrem Laptop zu. “Krank oder macht blau.”
“Und er hat sich nicht bei euch gemeldet?”
“Adam, jetzt lass ihn doch mal,” meint sie und seufzt, als wäre es zu viel verlangt, einfach mal die Fresse auf zu machen. “Vielleicht ist er einfach noch mit seinem Date-”
“Fuck!” flucht Adam, weil er mehr nicht hören muss.
Mit drei Schritten ist er an seinem Schreibtisch. Leo hat er auf Speeddial, also ertönt ziemlich sofort ein dumpfes Tuten.
Bis es abbricht.
Adam wählt Leos Nummer erneut und beginnt, die Länge ihres Büros auf und ab zu laufen. “Geh ran, Leo,“ fleht er. “ Bitte .”
Tränen brennen in seinen Augen, als auch beim dritten Versuch der Anruf abgebrochen wird. Es wirkt nicht, als würde Leo ihn wegdrücken, sondern eher, als wäre sein Handy aus.
Leos Handy ist nie aus.
Mit zitternden Fingern fährt er sich durch die Haare und versucht zu denken. Wo könnte Leo sein? Welche Erklärung gibt es, bei der das alles hier Sinn ergibt?
“Adam!” ruft Pia seinen Namen. Sie rüttelt an seiner Schulter, als würde sie das schon eine ganze Weile versuchen und erst jetzt zu ihm durchdringen. “Was ist denn los?”
“Leos Date steht unten im Foyer und hat seit Freitag nichts mehr von ihm gehört,” erklärt er atemlos. Die Angst sitzt ihm förmlich in der Kehle und verhindert, dass die Worte klar klingen.
“Baumann,” wendet er sich an Esther und greift schon nach seinem Telefon auf dem Schreibtisch. “Schick eine Streife zu Leos Wohnung,” weist er sie an. “Die sollen nachsehen, ob er daheim ist.”
“Du hast doch-”
“Mach!” unterbricht er sie ungehalten.
“Schürk!” brüllt sie zurück. “Vielleicht ist er krank.”
Adam entfährt ein ungehaltenes Schnauben. “Und sagt nicht Bescheid? Leo ?” Das muss doch selbst den beiden Spanisch vorkommen.
Statt sich weiter mit den Kolleginnen rumzuärgern, ruft er unten beim Empfang an. “Der, der nach Leo gefragt hat,” fragt er, sobald sein Anruf entgegen genommen wurde, “ist der noch da?”
“Ja?”
“Bring ihn hoch,” blafft er den Kollegen sofort an. “In einen der Verhörräume.”
Der Hörer seines Telefons rutscht von der Anlage, so ruckartig legt er auf. Vermutlich sollte er ihn richten, damit er keine Anrufe verpasst, aber er kann sich nicht dazu überwinden.
Leo zu finden ist erstmal wichtiger.
“Baumann, wie sieht’s mit der Streife aus?” faucht er sie über die Schulter hinweg an.
“Ist unterwegs,” informiert sie ihn zurückhaltend und Adam dreht sich zu ihr um.
Esther und Pia stehen neben ihrem Schreibtisch, ihre Schultern streifen sich und sie sehen Adam besorgt und fragend an. “Aber du willst doch jetzt nicht ernsthaft Leos Date vernehmen?”
Die Wut, die sich aus Sorge um Leo in seinem Bauch sammelt, bricht aus. “Sag mal, checkst du’s nicht?” brüllt er heiser. “Mit Leo stimmt irgendwas nicht.”
Esther hat wenigstens den Anstand, die Stirn zu runzeln. Trotzdem widerspricht sie Adam. “Nur weil er einmal nicht zur Arbeit erscheint?” wirft sie ein und spielt mit ihrem Handy. “Vielleicht hat er sich Freitag etwas eingefangen und liegt einfach noch flach.”
Adam kann das ungläubige Schnauben nicht unterdrücken, das in ihm hochkommt. “Und schreibt nicht mal eine Nachricht? Ihr habt ja wohl den Arsch offen,” faucht er und ist schon dabei, aus dem Büro zu stürmen, als eine Hand an der Schulter ihn zurückreißt.
“Hey!” Pias Finger pressen sich in seinen Pullover und ihre besorgt dreinblickenden Augen schaffen es tatsächlich, dass Adam sich ein klein bisschen beruhigt.
“Pia?” fragt er leise. “Kannst du bitte Leos Handy orten?”
Entschuldigend schüttelt sie den Kopf. “Dazu bräuchte ich einen Beschluss, das weißt du doch,” erinnert sie Adam. “Und den bekommen wir nicht, weil deine Sorge um Leo nicht ausreicht.”
Adam will protestieren. Wie können sie immer noch glauben, dass mit Leo alles in Ordnung ist? Sie kennen Leo vielleicht nicht so gut wie er, aber selbst sie müssen doch einsehen, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt.
Letztes Jahr ist Leo mit Fieber ins Büro gekommen und hat sich gezwungen, ein paar Stunden zu arbeiten, bevor er sich von Adam hat nach Hause fahren lassen. Wenn es mal fünf Minuten später wird, dann ruft er immer an oder schreibt zumindest eine Nachricht.
Wann hat Leo das letzte Mal wirklich darauf bestanden, ein freies Wochenende zu nehmen, wenn sie einen neuen Fall reinbekommen?
Zu Adams — oder zu Pias — Glück, klopft es in diesem Moment und eine Kollegin steckt den Kopf herein. “Der junge Mann sitzt in der zwei,” informiert sie Adam, bevor sie sich ganz schnell wieder verzieht, als könnte sie die angespannte Stimmung im Raum fühlen.
Adam stürmt ihr hinterher. Er ist sich nicht sicher, ob er das “Danke.” wirklich nuschelt, oder nur denkt, aber es ist ihm egal, ob sie ihn für unfreundlich halten. Das tun sie vermutlich sowieso schon und gerade kann er sowieso an nichts anderes denken außer Leo.
Diesmal ist es Esther, die ihn am Ärmel packt und zurückhält, kurz bevor er in den Verhörraum hineinplatzen kann. “Was hast du vor?” will sie wissen und bedenkt ihn mit einem Blick, der schon so manchen Verdächtigen zu einem Geständnis bewegt hat.
Adam versucht sich an ihr vorbei zu schieben. Ihr Blick interessiert ihn nicht im Geringsten. “Den Typen befragen. Was denn sonst?”
Esther macht sich vor der Tür breit und schnaubt. “Ganz sicher nicht.”
“Aus dem Weg, Baumann,” knurrt Adam.
“Wenn du denkst, ich lass dich da rein gehen-”
“Aus dem Weg ,” wiederholt er drohend. Wenn sie ihn jetzt nicht gleich da rein lässt, dann kann er bald für nichts mehr garantieren.
Merken die denn nicht, dass sie Leo nur schaden, wenn sie ihn aufhalten?
“Nein,” erwidert Esther bestimmt und verschränkt die Arme vor der Brust. “Du bist nicht in der Verfassung, irgendjemanden zu befragen und schon gar nicht den Mann, der da drinnen sitzt.”
Adam will protestieren, aber sie hält die Hand hoch und stoppt ihn, bevor er auch nur ein einziges Wort hervorpressen kann. “Entweder du schaust zu, oder du gehst nach Hause,” entscheidet sie bestimmt.
“Baumann-”
“Esther hat Recht, Adam,” mischt Pia sich jetzt auch ein und benutzt diese Stimme, die für die wirklich schlimmen Fälle reserviert ist, die sie versucht zu beruhigen oder zu trösten. “So wie du drauf bist, machst du dem doch nur Angst.”
Adams Schultern sacken herab. Vermutlich hat sie recht.
“Komm,” meint sie und lächelt ihn verhalten an. “Wir gehen zurück ins Büro und warten darauf, dass die Streife sich zurückmeldet. Und du kannst Caro anrufen!” schlägt sie vor. “Sicher weiß die, wo Leo ist und alles stellt sich als falscher Alarm raus.”
Nur widerwillig lässt Adam sich von ihr zurück zu ihrem Büro führen. Der rationale Teil, der nur noch im Hintergrund arbeitet, weiß, dass sie recht hat, dass sie mit ihrer Strategie vermutlich erfolgreicher sind, als Adam es gewesen wäre.
Es gibt einen Grund, warum sie nicht ermitteln dürfen, wenn sie persönlich involviert sind.
Trotzdem schaltet Adam die Übertragung aus dem Verhörraum an, sobald er wieder im Büro ist. Er lässt sich auf seinen Stuhl fallen und greift nach einem Stift, um seine Finger irgendwie zu beschäftigen.
Gerade jetzt würde er zur Beruhigung gerne rauchen gehen. Aber er muss hier bleiben und sehen, was der Typ sagt und vor allem wie er es sagt.
Auf dem Bildschirm sieht er, wie Esther gerade den Raum betritt. Sie lächelt und bedeutet dem Mann, der bis zu diesem Moment noch unsicher auf und ab getigert ist, sich zu setzen.
“Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten", eröffnet sie das Gespräch. “Ich hoffe, Sie haben einen Moment Zeit?”
Der Mann nickt und lässt sich auf den Stuhl ihr gegenüber sinken, bevor er sich neugierig umsieht.
Adam würde am liebsten aufspringen und in den Verhörraum rennen. Das dauert ihm alles viel zu lange. “Hat die Streife sich schon zurückgemeldet?” fragt er an Pia gewandt, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
“Nein,” flüstert sie und rollt ihren Stuhl neben seinen, um Esther ebenfall zusehen zu können.
“Danke,” meint diese gerade. “Dürfte ich nach Ihrem Namen fragen? Ging ja alles gerade ein bisschen schnell.”
Leos Date lächelt unsicher und räuspert sich. “Jakob Liebler,” stellt er sich vor.
“Esther Baumann, freut mich,” meint Esther und stützt die Unterarme auf dem Tisch ab. “Sie waren also Freitagabend mit Leo unterwegs, richtig?”
Liebler versteift sich. “Warum? Ich wüsste nicht-” Mit einem Mal weiten sich seine Augen, als ihm die Tragweite der Situation bewusst zu werden scheint. “Ist Leo irgendwas passiert?”
Esther lächelt ihn beruhigend an. “Das versuchen wir gerade herauszufinden. Würden Sie mir bitte erzählen, wie der Abend verlaufen ist?”
Unruhig greift Liebler nach dem Pullover, den er vor sich abgelegt hat. “Wir haben uns am Markt getroffen,” beginnt er zu erzählen. “Leo meinte Anfang der Woche, dass er es noch nicht geschafft hat, auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Ich dachte, das wäre ganz unverfänglich?” Er lächelt Esther unsicher an. “Also habe ich vorgeschlagen, dass wir uns den zusammen ansehen und wenn’s gut läuft, danach noch etwas essen gehen können.”
Esther nickt und lächelt. “Und lief es gut?”
“Ich denke schon?” Liebler fragt mehr, als dass er eine eindeutige Antwort gibt. “Auf jeden Fall war es Leo, der vorgeschlagen hat, dass wir noch essen gehen.”
Adams Herz macht einen Satz und er kann nicht länger still sitzen. Er springt auf und beginnt hinter seinem Schreibtisch auf und ab zu gehen.
“Klingt doch gut,” kommentiert Esther und Adam will am liebsten aus der Haut fahren, weil sie einfach nicht zu Potte kommt. “Wo waren Sie denn?”
Lieblers Antwort geht in Adams genervtem Stöhnen unter. Wo die beiden waren, ist doch völlig irrelevant , will er schreien. Viel wichtiger ist zu wissen, wann sie sich getrennt haben und ob Liebler weiß, wo Leo danach hingegangen ist.
“Adam,” ruft Pia ihn vorsichtig. “Du weißt, dass es besser ist, wenn Esther ihn den Abend im Detail wiedergeben lässt, solange er noch ruhig ist. Dann haben wir eine bessere Baseline, falls wir nochmal mit ihm sprechen müssen.”
Ja, Adam weiß das. Trotzdem gefällt es ihm ganz und gar nicht.
“Die Streife?” fragt er stattdessen, um sich abzulenken.
Pia will schon den Kopf schütteln, als ihr Handy klingelt und sie sich aufsetzt. "Heinrich," meldet sie sich am Telefon, und Adams Herz rast.
Bitte lass Leo zuhause sein , fleht Adam stumm. Lass es irgendeinen Grund geben, der ihn dort hält und der nicht das Ende der Welt bedeutet .
Pia nickt, ihr Blick huscht zu Adam. “Okay, danke,” erwidert sie, auf was immer die Person am anderen Ende gesagt hat. “Versuchen Sie es bitte noch ein paar Mal? Und fragen Sie auch mal bei den Nachbarn rum, bitte.”
Leo .
“Er ist nicht-” Angst schnürt Adam die Kehle zu.
Pia schüttelt den Kopf.
Bevor Adam sich versieht, ist er draußen im Gang. Seine langen Beine überwinden den Flur, der zu den Verhörräumen findet, so schnell wie noch nie. Ohne anzuklopfen stürmt er in die Zwei und stürzt sich praktisch auf Jakob Liebler.
“Wo ist Leo?” verlangt er und baut sich bedrohlich vor ihm auf.
Liebler sinkt tiefer in seinen Stuhl und sieht hilfesuchend zu Esther. Sie ist aufgesprungen und hat sich hinter Adam positioniert, als würde sie sich bereit machen, einen physischen Angriff zu verhindern.
“Wo ist Leo?” wiederholt er dunkel, als er nicht sofort eine Antwort bekommt.
“Ich weiß es nicht,” jammert Liebler. “Wir waren noch bei mir und Leo wollte nicht über Nacht bleiben, also hat er sich verabschiedet-”
“Wann?” unterbricht Adam ihn ungehalten. “Wann ist er losgefahren?”
Liebler zuckt ob seiner Lautstärke zusammen. “Das muss so gegen Mitternacht gewesen sein?” vermutet er. “Wir so gegen elf unter der Dusche und Leo hat noch gemeint, dass es eigentlich zu spät ist und dass er hofft, dass sich meine Nachbarn nicht beschweren. Es war ein bisschen schrullig, aber ich fand’s niedlich- Bitte,” wendet er sich flehend an Esther. “Was ist mit Leo?”
“Wo warst du danach?” fährt Adam ihn an, gibt Esther keine Chance, die Situation zu erklären. So viele Gefühle wirbeln durch seinen Körper, Adam kann sie nicht alle benennen. Sie sorgen dafür, dass er wahnsinnig wird, dass das Blut heiß durch seine Adern rauscht und er das Bedürfnis hat, sich zu bewegen.
Es ist zu eng hier, der Raum zu klein. Die Wände drängen immer näher und er kann nicht-
Mit einem zitternden Atemzug versucht er, sich auf das Gefühl der Sorge zu konzentrieren. Seine eigenen Verfehlungen sind unwichtig; sie wissen nicht, ob es Leo gut geht und das hat Vorrang vor allem, was er sich ausmalt.
“Ich bin zurück ins Bett,” erwidert Liebler vorsichtig. “Ich hab’ dann noch ein bisschen auf meinem Handy rumgespielt und darauf gewartet, dass Leo schreibt, dass er zuhause angekommen ist. Aber gegen eins muss ich eingeschlafen sein.”
Adam versucht, die Wut runter zu schlucken, die sich auf seine Stimmbänder legt. “Kann das jemand bezeugen?”
“Adam,” rügt Esther ihn leise. “Herr Liebler braucht kein Alibi.”
“Leo ist nicht zuhause,” informiert er sie scharf. “Also braucht er sehr wohl ein scheiß Alibi. Also,” knurrt er und wendet sich Leos Date wieder zu. “Kann das jemand bezeugen?”
“Ich- Ich war alleine zuhause,” stammelt Liebler. “Vielleicht haben die Nachbarn die Dusche gehört, aber-”
“Du bleibst hier,” fährt Adam ihn an und hebt drohend einen Finger. “Bis wir herausgefunden haben, wo Leo ist.”
Esther protestiert hinter ihm, aber Adam hört es nicht, will es nicht hören. Stattdessen hastet er aus dem Vernehmungsraum.
Pia steht davor und es fehlt nicht viel, bevor er sie über den Haufen rennt.
“Hast du Caro angerufen?” fragt er sie, bevor sie auch nur ein Wort sagen kann. Nebenbei zieht er schon sein Handy aus der Hosentasche, damit er sich selbst bei Leos Schwester melden kann, falls Pia noch nicht so weit war. “Wir brauchen Funkzellenabfragen,” fährt er fort. “Sowohl für Leos Handy, als auch für Liebler. Wir-”
“Adam!” unterbricht sie ihn und stellt sich ihm mitten im Gang in den Weg, bevor er es zurück zum Büro schafft. “So geht das nicht.”
Wut brodelt in ihm. “Leo ist verschwunden, Pia. Wir können nicht-”
“Genau. Wir können nicht nach ihm suchen,” meint sie eindringlich. “Mal ganz abgesehen davon, dass Leo gar nicht offiziell vermisst wird, ist das nicht unsere Abteilung und sie würden uns auch nie im Fall unseres Kollegen ermitteln lassen.”
Adams Herz setzt einen Schlag aus. “Das ist jetzt nicht dein scheiß Ernst, oder?” rutscht es ihm heraus, bevor er sich zurückhalten kann. “Leo ist verschwunden .”
Eigentlich mag Adam Pia. Sie kommen normalerweise gut miteinander aus, sind sogar so etwas wie Freunde geworden in der Zeit, bevor Adam alles ruiniert hat, aber gerade kann er sie nur fassungslos anstarren.
Wie kann sie so- So- Rational sein?
Ihr liegt doch auch etwas an Leo. Macht sie sich etwa keine Sorgen?
Ohne auf ihre Antwort zu warten, drückt Adam sich an ihr vorbei und geht zurück in ihr Büro. Er knallt die Tür hinter ihm so laut zu, wie er nur kann.
Plötzlich kann er sich nicht mehr bewegen.
Leo ist verschwunden. Die Realität dessen wird ihm mit einem Schlag bewusst. Leo ist weg, ihm ist möglicherweise etwas zugestoßen und es gibt nichts, was Adam tun kann.
Er steht einfach nur hier rum und ist nutzlos.
Schuldgefühle wellen in ihm auf. Was, wenn er sich in den letzten Monaten — Jahren, eigentlich — nicht wie ein kompletter Arsch aufgeführt hätte? Wäre Leo dann Freitagnacht noch unterwegs gewesen?
Vielleicht hätten sie auch einfach in Leos Wohnung gesessen, einen schlechten Film geschaut und Pizza vom Türken gegessen. Adam wäre auf der Couch eingeschlafen — nicht, weil er müde ist, sondern weil er nicht gehen will — und Leo hätte nie einen Grund gehabt, um diese Uhrzeit nicht bei sich im eigenen Bett zu liegen.
Alles wäre gut.
Wieder kann Adam nicht verhindern, dass Tränen in seinen Augen brennen. Er will schreien, aber er weiß, dass das nichts bringt.
Schreien hat ihm noch nie weitergeholfen. Nicht als Kind, nicht, als er aus der Stadt geflohen ist und schon gar nicht, wenn es um Leo geht.
Stattdessen zwingt er sich, sich auf seinen Schreibtischstuhl zu setzen und stellt den Feed aus dem Verhörraum stumm. Er muss nicht hören, wie Liebler weiter davon erzählt, was er und Leo doch für einen tollen Abend hatten. Leo ist mehr damit geholfen, dass Adam nach dem Hörer seines Telefons greift und sich an die Arbeit macht.
***
“Geh nach Hause, Adam,” bittet Pia ihn jetzt schon zum fünften Mal und unterdrückt ein Gähnen. “Um die Uhrzeit machen wir eh keine Fortschritte mehr.”
Draußen ist es schon seit Stunden dunkel. Esther ist vor einer Weile gegangen, weil sie meinte, dass sie es sonst nicht mehr schafft, heil nach Hause zu kommen. Pia sieht so aus, als würde sie ihr am liebsten folgen, und Adam-
Adam weiß, dass es nichts bringt, wenn er hier noch weiter rumsitzt und auf den Bildschirm vor sich starrt, aber er kann sich auch nicht dazu überwinden, aufzustehen.
Was soll er denn machen, wenn er zu Hause ist? Leo wird vermisst und da soll er still sitzen?
“Adam!”
“Was?” faucht er ungehalten zurück.
“Du musst schlafen,” erinnert Pia ihn und er kann hören, wie die Rollen ihres Bürostuhls über den Teppichboden schaben. “Wenn du hier gleich umfällst, dann hilfst du niemandem. Weder Leo, noch unserem Opfer.”
Ihr Opfer, richtig. Nachdem er bei Leo nicht weitergekommen ist und nur das Telefon angestarrt hat, in der Hoffnung, dass es klingelt und ihm jemand sagt, dass Leo einfach nur irgendwo einen freien Tag genossen hat, hat er sich ihrem Opfer zugewandt.
Nicht, dass er da großartige Fortschritte zu verzeichnen hätte, aber immerhin hat es ihm einen Grund geliefert, um weit nach Dienstschluss noch im Büro zu sein.
“Und du?” will er von Pia wissen. “Du bist doch auch noch hier.”
Pia hat es geschafft, sich neben ihn zu rollen und sie bedenkt Adam mit einem müden Blick. “Ich bin nur noch hier, um aufzupassen, dass du keine Dummheiten machst.”
Die Worte treffen Adam härter, als er zugeben will. Etwas ähnliches hat Leo vor ein paar Monaten erst zu ihm gesagt, hat sich nebenbei auf dem Schlafsofa im Wohnzimmer eingerichtet und was hat Adam gemacht?
Vermutlich die größte Dummheit seines Lebens begangen.
Der Selbsthass frisst sich durch seinen Körper. Auch wenn er noch nicht weiß warum, ist Adam sicher, dass das alles hier seine Schuld ist. Wenn auch vielleicht nicht direkt, dann auf jeden Fall, weil er Leo von sich gestoßen hat und sein Partner schon seit Wochen nicht mehr mit ihm spricht.
Adam hätte es verhindern können. Er hätte nur das Maul aufmachen müssen.
“Geh nach Hause,” murmelt er vor sich hin und blättert eine Seite weiter in der Akte der Gefängnispsychologin, die ihr Opfer während seiner Haftstrafe betreut hat. Viel hat er dadurch noch nicht gelernt, aber es hält Adam davon ab, schon wieder nach dem Telefon zu greifen.
Die Funkzellenabfrage für Leos Handy ist durch und er kann nichts tun, außer auf das Ergebnis zu warten. Eine offizielle Vermisstenanzeige für Leo liegt vor, aber Liebler mussten sie wieder gehen lassen. Sie können ihm nicht nachweisen, dass er etwas mit Leos Verschwinden zu tun hat und Nachbarn haben tatsächlich gegen elf die Dusche gehört.
Der Teil seiner Geschichte stimmt also. Adam will sich nicht ausmalen, was sonst noch wahr ist.
Das Gespräch, das Esther mit Liebler geführt hat, wurde aufgezeichnet, so wie sie es bei jedem Zeugen tun, den sie hier befragen. Das Videomaterial kommt später zu den Akten, weil ja alles genau dokumentiert werden muss, aber momentan läuft das Video wieder und wieder auf Adams Bildschirm ab.
Lieblers Worte haben sich längst in sein Gehirn gebrannt. Selbst wenn er das Video stoppt und das Fenster endlich schließt, würden sie vermutlich noch immer in seinem Kopf widerhallen.
“Ich gehe nicht, bevor ich nicht weiß, dass du zuhause bist,” versucht Pia es erneut und stößt mit ihrem Schuh gegen Adams. “Sonst kann ich nämlich nicht ruhig schlafen und dann muss Esther sich morgen um gleich zwei Fälle kümmern.”
Technisch gesehen ist Leo natürlich nicht ihr Fall, aber die Kolleg:innen von der Vermisstenstelle haben ihnen erlaubt, beratend zur Seite zu stehen. Oder vielmehr hat sich keiner von ihnen getraut, sich Adam in den Weg zu stellen, der schon alle möglichen Anordnungen ausgegeben hatte: Da ist die Funkzellenabfrage für Leos Handy, Spürhunde vor seiner und Lieblers Wohnung, eine Aufstellung aller Fälle, mit denen Leo in den letzten zehn Jahren zu tun hatte, die dazu geführt haben könnten, dass ihm jetzt etwas zustößt.
Die Fahndung nach seinem Wagen.
“Ich geh gleich,” versichert Adam Pia und blättert unsehend weiter. “Kannst ruhig schon fahren.”
Er hat nicht vor, zu gehen, aber das weiß sie scheinbar auch. Sie verschränkt die Arme vor der Brust und sieht ihn abwartend an.
“Pia,” meint er seufzend und schlägt die Akte zu. “Ich kann nicht nach Hause. Was will ich denn da?”
“Schlafen,” gibt sie sofort zurück. “Ich würde wetten, dass du seit Freitag noch weniger Schlaf bekommen hast als Esther und ich.”
Vermutlich hat sie recht, aber Adam traut sich nicht, das zuzugeben. Also zuckt er nur mit den Schultern.
“Siehst du? Und jetzt ab nach Hause,” drängt sie ihn. “Versuch zumindest für ein paar Stunden die Augen zu zu machen, damit dein Kopf morgen wieder klarer ist.”
“Ich werde nicht schlafen können,” behauptet er. “Da kann ich auch hier bleiben und mich nachher für eine Weile auf die Couch legen.”
Mit einem Seufzen steht Pia auf und greift nach Adams Ärmel. “Nein,” entscheidet sie. “Du gehst ins Bett und versuchst es da. Und morgen früh duschst du, bevor du herkommst.”
Adam sieht sie sprachlos an. Dann gibt er nach.
In ein paar Stunden ist der neue Tag sowieso angebrochen, da kann er auch wieder herkommen.
***
In dem Moment, als Adam über die Türschwelle des Bunkers tritt, wird ihm bewusst, dass er etwas sehr Wichtiges übersehen hat: Onkel Boris.
Am liebsten will er sich in den Arsch treten, weil er so dumm war und in seiner blanken Panik nicht früher daran gedacht hat.
Onkel Boris weiß, dass Leo von dem Geld aus dem Banküberfall weiß. Er geht vielleicht sogar davon aus, dass Leo ihm sagen kann, wo Adam es aufbewahrt. Mindestens ist ihm aber klar, dass Adam alles tun würde, um Leo zu beschützen oder zurückzubekommen und dass Leo damit das perfekte Druckmittel ist.
“Scheiße,” flucht er leise vor sich hin und möchte am liebsten auf dem Absatz kehrt machen, aber er kann nicht.
Pia steht direkt hinter ihm und drängt sie beide durch die Tür. Sie hat darauf bestanden, dass sie Adam nach Hause fährt und auf seiner Couch übernachtet, damit er mindestens ein paar Stunden lang versucht zu schlafen. Adam hat protestiert, musste aber irgendwann einsehen, dass es keinen Sinn ergibt. Pia macht, was sie will und gerade will sie sich um Adam kümmern.
Irgendwie kann er es ihr auch nicht absprechen. Sie sieht selbst ziemlich mitgenommen aus und fummelt ständig an ihrem Handy herum, überprüft, ob sie Nachrichten bekommen hat und ob der Ton noch auf voller Lautstärke ist. Auch sie macht sich Sorgen um Leo, nur weiß sie, sie besser zu beherrschen.
Adam selbst ist kurz davor, irgendwas in die Luft zu jagen, um ein bisschen der ruhelosen Energie loszuwerden.
“Was ist los?” will sie sofort wissen und lässt einen kleinen Rucksack auf den Boden fallen. “Ist alles in Ordnung?”
Nichts ist in Ordnung, aber das weiß sie ja selbst. Also schüttelt Adam nur den Kopf.
Boris ist noch hinter Schloss und Riegel. Adam hat dafür gesorgt, dass er informiert wird, sobald sein Onkel wieder auf freiem Fuß ist, damit er vorgewarnt ist, falls er noch einen Versuch macht, an das Geld zu kommen. Aber das bedeutet nicht, dass er nicht wieder einen Komplizen hat, der ihm von draußen aus hilft.
Ein Komplize, der Leo entführt hat.
Dummerweise kann Adam im Moment auch damit nichts anfangen. Die Besuchszeiten in der JVA sind schon längst vorbei und selbst als Kommissar kommt er da jetzt nicht rein, um mit Boris zu sprechen, weil kein Verdacht gegen ihn vorliegt. Außer ihrem Team weiß niemand von dem Geld und auch nicht davon, dass Boris versuchen könnte, es von Adam zu erpressen.
Nein, er muss da morgen alleine hin, am besten privat. Wenn er in offizieller Kapazität auftaucht, dann wird es für Esther und Pia auch gefährlich und das haben sie nicht verdient. Am Ende werden sie noch offiziell von Leos Fall abgezogen oder sogar disziplinarisch belangt.
Vor allem können sie es sich nicht leisten. Wenn Adam etwas passiert, dann sind sie diejenigen, die Leo finden müssen. Ihnen traut er eher zu, die Sache ernst zu nehmen, als den Kolleg:innen von der Vermisstenstelle.
Um sich nichts anmerken zu lassen, geht Adam und holt das Bettzeug, das seine Mutter im Flurschrank aufbewahrt. Oben, auf der anderen fein säuberlich gefalteten Bettwäsche liegt die mit dem Tigermotiv.
Adam greift nach der nächstbesten und versucht das Brennen in seinen Augen zu ignorieren.
Pia bedankt sich mit einem Nicken und sieht Adam abwartend an. “Geh schlafen,” fordert sie ihn nach einer Weile auf, in der sie sich stumm im Wohnzimmer gegenübergestanden haben. “Versuch es zumindest.”
Adam nuschelt ein “Nacht,” bevor er sich in sein Zimmer verzieht.
In dieser Nacht kommen ihm die Wände noch enger vor als sonst. Sie legen sich schwer um ihn, pressen die Luft aus seinen Lungen, während er sich aus den Klamotten schält, die er jetzt schon viel zu lange trägt. Es kostet Adam alle Kraft, die er noch hat, sie zu Boden fallen zu lassen und mit dem Fuß zur Seite zu schieben, bevor er nackt und frierend unter seine Decke kriecht.
Leo- Der Gedanke an seinen Partner überwältigt ihn fast sofort. Sein Kopf spult ab, was er über Freitagabend weiß, was er zu wissen glaubt, stürzt sich in ein Szenario nach dem anderen, bis Adam schwindelig wird.
Liebler meinte, sie haben sich gegen fünf getroffen. Sind vom Riesenrad zum Sankt Johanner Markt geschlendert, haben sich über ihren Tag unterhalten. Dann immer weiter in Richtung Bahnhof, bis Leo vorgeschlagen hat, dass sie den Weg wieder zurückgehen und noch zusammen etwas essen.
Sie waren beim Vietnamesen. Adam weiß was Leo gegessen hat, dass er lieber auf Alkohol verzichtet hat, weil er noch fahren musste.
Dass Leo zusammen mit Liebler nach Hause gefahren ist, lässt noch immer bittere Galle in ihm aufsteigen, bis er sich im Bett aufsetzen muss, um schlucken zu können.
Adam zwingt sich, die nächsten Momente von Leos Abend methodisch durchzugehen, auch wenn es ihm nicht dabei hilft, seinen Partner zu finden: Liebler hat Tee gekocht für sie beide — Leo hatte ihm lachend gesagt, dass er tagsüber schon viel zu viel Kaffee hatte — bevor sie es sich auf der Couch gemütlich gemacht haben.
Irgendwann hat Liebler Leo geküsst. Leo hat es zugelassen.
Ruckartig schwingt Adam die Beine über die Bettkante. Er stützt seine Unterarme auf seine Oberschenkel und lässt den Kopf hängen. Er muss sich zwingen, zu atmen, seinen Herzschlag zu beruhigen und die Übelkeit niederzukämpfen.
Es ist seine Schuld.
Adam ist nicht dumm. Er weiß, dass Leo- Dass er das hätte haben können; den Spaziergang über den Weihnachtsmarkt, essen gehen, zaghafte Küsse auf der Couch. Er hätte nur danach greifen müssen, hätte Leo nur an sich heranlassen müssen, dann wäre das alles nicht passiert.
Dann läge Pia jetzt nicht auf dem furchtbaren Schlafsofa im Wohnzimmer, sondern Leo neben Adam hier in seinem Bett.
Er hätte nur mutig sein müssen, ehrlich . Dann hätte er bekommen, was er sich schon so lange wünscht.
Mit einem Seufzen streift er sich Klamotten über. Falls Pia noch wach ist — oder Adams Mutter — will er ihr nicht zumuten, dass er nackt durch das Haus geistert, auch wenn die Kälte des Betons verdient hätte.
Wenigstens in seine Fußsohlen brennt sie sich auf dem Weg ins Bad.
Das Wasser, dass er sich händeweise ins Gesicht schöpft ist kalt. Er lässt es über seine Unterarme laufen, bis sich Gänsehaut bildet und nimmt bewusst einen tiefen Atemzug nach dem anderen. Ein und aus, bis er nicht mehr da Gefühl hat, sich jeden moment übergeben zu müssen.
Er kann nicht hier bleiben. Er muss raus. Hier drinnen wird er noch verrückt.
Adam schleicht sich zurück in sein Zimmer, um Pia nicht aufzuwecken, nimmt unterwegs Jacke und ihre Autoschlüssel mit. Er zieht sich an und öffnet das Fenster und in wenigen Minuten ist er auf dem Weg zu Leos Wohnung.
Ein bisschen tut es ihm leid, dass er Pia im Bunker zurücklässt, aber sie kann sich am Morgen ein Taxi nehmen. Oder sie kann Adams Mutter fragen, ob sie sie auf dem Weg zum Yoga im Präsidium absetzt.
An der Dienststelle tauscht er Pias Wagen gegen seinen. Im Handschuhfach liegt ein Ersatzschlüssel zu Leos Wohnung, ein Überbleibsel aus besseren Zeiten, in denen er manchmal eingekauft und für Leo gekocht hat, wenn er nachmittags noch länger in der Teamleiterbesprechung festsaß.
Den ganzen Weg zu Leos Wohnung brennt er förmlich ein Loch in Adams Jackentasche.
Obwohl Leos Stellplatz frei ist, stellt Adam seinen Wagen an der Straße ab. Anders würde es sich zu real anfühlen, aber das hier ist ihm vertraut, ebenso wie der Weg durch den kleinen Vorgarten.
Eine seltsame Welle der Erleichterung überkommt ihn, als der Schlüssel problemlos ins Schloss gleitet und die Tür sich mit einem Klicken öffnet.
Leos Nachbarn haben ihn seit Freitagmorgen nicht mehr gesehen. Frau Brenner unten aus der Erdgeschosswohnung meinte, er sei wie jeden Morgen laufen gewesen und dann pünktlich in sein Auto gestiegen, um ins Büro zu fahren. Abends hat sie ihn nicht gesehen, aber das kommt schon mal vor, wenn Leo lange arbeitet. Nach zehn macht sie immer ihre Hörgeräte aus, da bekommt sie nicht mit, wer kommt und geht.
Jetzt betritt Adam Leos Küche und sein Blick wird sofort von dem Schneidebrettchen angezogen, das neben der Spüle steht. Leo hat noch gefrühstückt, bevor er ins Präsidium gefahren ist.
So wie jeden Morgen. Nur hat er abends nicht mehr aufgewaschen und das Brettchen ist noch da, wo Leo es zurückgelassen hat.
Adam hängt seine Jacke über die Rückenlehne des Küchenstuhls, krempelt seine Ärmel hoch und greift nach dem Schwamm.
Das Brettchen und ein einzelnes Messer sind viel zu schnell gespült. Selbst nach dem Abtrocknen und Wegräumen sind keine fünf Minuten vergangen und die Unruhe bekommt ihre Chance, sich weiter in Adam auszubreiten. Nicht einmal Leos Dschungel an Pflanzen kann er versorgen, weil die Erde in allen Töpfen noch feucht genug ist und er auf keinen Fall riskieren will, zu viel zu gießen.
Leo hat sich erst im Sommer darüber beschwert, dass Caro das immer macht, wenn er mal nicht da ist. Und dann kommt er zurück und mindestens eine Pflanze ist dabei an Wurzelfäule zu sterben.
Unentschlossen bleibt Adam vor Leos Schlafzimmertür stehen. Er weiß, dass er nicht hier sein sollte. Es gibt keinen Grund für ihn, um nach der Türklinke zu greifen. Die Kolleg:innen von der Vermisstenstelle waren schon hier, haben sich umgesehen und ein verschwitztes T-Shirt von Leo mitgenommen, damit die Hunde seine Spur aufnehmen können.
Erst recht sollte er sich nicht auf die Kante der Matratze setzen.
Leo schläft immer auf der Seite, die dem Fenster näher ist. Er mag die frische Luft, selbst im Winter steht es immer auf Kippe, auch wenn Leo dann manchmal mit zwei Decken schlafen muss.
Adam weiß das, weil er Leo kennt. Trotz allem weiß er von seinen kleinen und großen Eigenheiten, auch wenn er diese hier nicht mehr sehen kann. Das Bett ist perfekt gemacht, die zweite Decke am Fußende zusammengeschlagen, für den Fall, dass Leo sie braucht.
Vorsichtig lässt er sich auf die Matratze sinken. Er wird die Bettwäsche wieder gerade ziehen müssen, bevor er geht, denkt er sich, bevor sein Kopf auf das zweite Kissen fällt.
Adam streckt die Hand nach Leos Kissen aus, bildet sich ein, eine Rest Wärme seines Körpers zu fühlen.
Dann gibt er dem Brennen in seinen Augen nach.
***
Zehn Minuten bevor die Insassen der JVA Lerchesflur ihr Frühstück beendet, steht Adam draußen vor dem Tor. Länger hat er es nicht mehr ausgehalten.
Ein paar Minuten hat er in Leos Bett tatsächlich geschlafen, bevor die Albträume ihn auch dort gefunden haben. Dann hat er wieder angefangen, sich durch die Wohnung zu schleichen und sich Leo zurück zu wünschen.
Die Dame am Eingang zeigt sich genervt, dass er schon so früh da ist und verlangt, Boris zu sprechen. Seinen Dienstausweis hat Adam im Auto gelassen; er ist privat hier und nicht beruflich.
Zumindest so lange nicht, bis er nicht mehr weiterkommt.
Seine Jacke hat er im Auto gelassen, seine Waffe ist noch im Waffenschrank im Haus, weil er sich sonst an Pia hätte vorbeischleichen müssen. Sein Handy liegt im Handschuhfach und er kann einfach durch den Metalldetektor hindurchgehen, ohne aufgehalten zu werden.
“Herr Barns wird in ein paar Minuten hier sein,” wird er informiert und gebeten, sich an einer der Besuchertische zu setzen.
Mit jeder Sekunde, die sich der Zeiger auf der Uhr bewegt, wird Adam unruhiger. Nicht zu wissen, was mit Leo ist, macht ihn krank. Leo könnte sonst wo sein, ohne Wasser, ohne Essen, ohne Wärme, während Adam hier sitzt und wartet.
Er hat keine Zeit zu warten.
“Adam!” ruft Onkel Boris fast schon erfreut aus, als er ihn sieht. “Wie schön-”
“Wo ist er?” geht Adam dazwischen und springt von seinem Stuhl auf, der laut über den harten Boden scharrt. “Was hast du mit ihm gemacht?”
Boris sieht ihn ehrlich verwirrt an. “Wovon sprichst du?”
Wieder muss Adam Übelkeit niederkämpfen. Je länger Boris leugnet, etwas mit Leos Verschwinden zu tun zu haben-
“Du weißt ganz genau, wovon ich rede,” fährt er ihn an. “Wer hat Leo und was willst im Austausch für ihn? Das Geld?”
Boris Augen weiten sich und er bleibt unentschlossen neben dem kleinen Tischchen stehen, an dem sie sich eigentlich gegenüber sitzen sollten. “Leo ist verschwunden?” fragt er leise und fast meint Adam, Sorgen in seiner Stimme zu hören. “Adam, ich-”
“Hör auf mit dem Bullshit, okay?” brüllt Adam und macht einen Schritt auf ihn zu. Seine Stimme klingt abgehackt, atemlos, aber er kämpft sich durch die Worte. “Ich hab genug von deinen Spielchen und vagen Andeutungen. Sag mir wo Leo ist und ich besorge dein Geld.”
Langsam hebt Boris seine Hand und richtet die Brille auf seiner Nase. “Du missverstehst mich, Adam,” erklärt er leise. “Ich habe nichts mit Leos Verschwinden zu tun.”
“Fick dich,” keucht Adam und unterdrückt ein Schluchzen. Sein ganzer Körper ist angespannt, von seinen Zehen bis die Spitzen seiner Haare.
Das hier, das geht zu weit. Das kann er nichtmal Boris verzeihen.
“Ich dachte immer, mieser als die Drecksau, das geht nicht,” sagt er leise und fast schon bedrohlich, sein Blick fest auf Boris Gesicht gerichtet. “Aber du schaffst es echt, noch eine Schippe drauf zu legen. Dein Komplize, wer ist das?” verlangt er. “Diese Frau aus der Heimatschenke, Manuela Baron? Oder wieder irgendwer anders?”
“Dass Leo verschwunden ist, das tut mir sehr leid, Adam,” versucht Boris ihn zu beschwichtigen, “aber du musst mir glauben-”
Adam verliert die Nerven.
“Einen Scheiß muss ich!” brüllt er, und stürzt sich auf Boris. Er stößt ihn, folgt, als er ein paar Schritte nach hinten taumelt, greift nach dem Kragen der Trainingsjacke. “Du sagst mir jetzt, wo Leo ist, oder wer es weiß,” raunt Adam und wehrt sich gegen den Griff des Vollzugsbeamten, der versucht, sie zu trennen. “Wenn nicht sorge ich dafür, dass du hier nie wieder rauskommst, sondern im Knast verreckst.”
“Jetzt glaub mir doch, Junge,” fleht sein Onkel. “Ich würde Leo nie etwas antun. Ich weiß doch, wie viel er dir bedeutet.” Er lächelt, als er das letzte Bisschen sagt und Adam überkommt der Drang, seine Hände um Boris Kehle zu legen und zuzudrücken.
“Das wirst du bereuen,” brüllt er, und stößt seinen Onkel von sich. Boris taumelt und kann sich nur knapp abfangen, bevor er zu Boden geht. “Ich schwöre dir, dass-”
“Hey!” ruft der Vollziehungsbeamte und reißt Adam an seiner Jacke zurück. “Das reicht. Ich denke, Sie gehen jetzt besser.”
Bevor Adam widersprechen kann, ballt sich die Faust des Beamten in seine Jacke. Adams Kraft verlässt ihn und ihm bleibt nichts weiter übrig, als sie aus dem Raum schieben zu lassen.
“Adam!” ruft Boris ihm hinterher, seine Stimme leise, weil der Raum nicht dafür gedacht ist, Gespräche über mehr als ein paar Meter zu tragen. “Ich weiß nicht, wo Leo ist, aber ich höre mich hier drinnen um. Vielleicht hat ja jemand was gehört. Dann gebe ich dir sofort Bescheid,” verspricht er.
Und dann, als ob das alles nicht schlimm genug wäre, fügt er noch hinzu: “Ich hoffe, dass du ihn findest.”
***
“Adam!” ruft Pia aus, sobald er das Büro betritt. “Wo warst du?”
Sie klingt verärgert, aber Adam kann es ihr nicht verdenken. Immerhin hat Adam sie einfach ohne Auto stehen lassen und sich nachts aus dem Haus geschlichen. Dabei hat sie doch extra auf dem Schlafsofa übernachtet, um ein Auge auf ihn zu werfen.
“JVA,” gibt er kurz angebunden zurück und lässt sich hinter seinen Schreibtisch fallen. Auf dem liegen keine neuen Akten und egoistisch erlaubt Adam sich einen Moment, um seine Augen zu schließen.
“Was?” fragt Pia überrascht und schiebt sich zwischen Adams Stuhl und Schreibtisch.
“Ich war bei Barns,” erklärt Adam, weil er ihr eine Antwort schuldig ist. “Hab ihn gefragt, ob er weiß, wo Leo ist.”
Ihre Augen weiten sich überrascht, bevor sie nachdenklich beginnt zu brummen. “Du denkst, er hat die Entführung arrangiert, um an das Geld zu kommen?”
Adam nickt und lässt sich erschöpft auf seinen Stuhl fallen.
“Und?” drängt sie ihn. “Was hat er gesagt?”
“Er behauptet, nichts damit zu tun zu haben,” gibt Adam weiter. Seine Fingernägel graben sich in seine Handinnenflächen, so sehr versucht er sich zu beherrschen, um nicht auch Pia anschreien, oder wieder zu heulen. “Ist nicht mal darauf eingegangen, dass ich gesagt habe, ich würde ihm das Geld besorgen, wenn er es mir verrät.”
“Scheiße.”
“Ja,” stimmt er ihr zu. “Ist die Funkzellenabfrage mittlerweile da?”
“Ist heute früh gekommen,” bestätigt Pia und rollt mit viel Schwung zu ihrem Arbeitsplatz zurück. “Leos Handy hat den Bereich um Lieblers Wohnung verlassen und wurde dann abgestellt,” fasst sie für Adam zusammen, bevor sie ihm gleich zwei Akten in die Hand drückt.
Adam schlägt beide auf und wundert sich über den zweiten Namen, den er dort liest.
“Liebler hat uns gestattet, seine Daten auszuwerten,” erklärt sie auf Adams sichtliche Verwirrung hin. “Sein Handy war die ganze Nacht im Bereich seiner Wohnung, auch zu den Zeitpunkten, als er Leo Nachrichten geschrieben hat.”
Um sich für den schönen Abend zu bedanken und zu fragen, ob sie sich am nächsten Wochenende wieder treffen wollen, erinnert Adam sich. Und später, ob Leo gut zuhause angekommen ist.
Wieder stehen sie in einer Sackgasse. Dass Leo nicht zu Hause angekommen ist, das wussten sie vorher auch schon. Jetzt haben sie nur die Bestätigung und wieder keinen Ansatz, wie es weitergehen könnte.
Esther platzt in ihr Büro, das Gesicht kreidebleich, die Haare stehen ihr wie wild vom Kopf ab, als wäre sie sich einmal zu viel mit den Händen hindurch gefahren. “Sie haben Leos Auto gefunden,” informiert sie Adam und Pia, bevor sie auf dem Absatz kehrt macht, und wieder nach draußen verschwindet.
Adam und Pia greifen im selben Moment nach ihren Jacken und Mützen und folgen ihr nach draußen.
***
Adams Knie sind kurz davor nachzugeben. Sein Kopf schwimmt. Immer wieder schließt sich eine kalte Faust um sein Herz und drückt zu, bis er denkt: Das war's jetzt .
Vermutlich sollte er aufhören, Leos Wagen anzustarren und sich lieber abwenden.
Der Peugeot, der Leos alten ersetzt hat und über den er sich im Sommer noch so gefreut hat, wir gerade auf den Abschleppwagen der Kriminaltechnik geladen. Auch ohne deren Expertise kann Adam sich denken, was passiert ist. Die Kratzer im Lack sprechen eine deutliche Sprache.
Jemand hat Leo von der Straße abgedrängt, ist immer wieder gegen den linken Kotflügel gefahren, bis Leo nicht mehr gegenhalten konnte. Er ist von der Straße abgekommen, in den Graben gerutscht, gegen einen Baum geprallt. Der Airbag hat sich geöffnet, und Leos Aufprall abgefangen.
Da ist Blut auf dem weißen Material. Die Blutgruppe stimmt mit Leos überein.
Die Kollegen von der Spurensicherung haben Schleifspuren im Dreck neben der Fahrertür gefunden, die zu einem zweiten Satz Reifenspuren führen. Leo muss also in ein anderes Fahrzeug gezogen worden sein und von hier fortgeschafft.
Vielleicht war er bewusstlos, konnte sich nicht mehr wehren.
“Ein Glück, dass es seit Donnerstag nicht mehr geregnet hat,” meint eine junge Frau mit freundlichen Augen in Richtung ihres Teams, als sie in ihrem weißen Ganzkörperanzug an ihnen vorbei läuft und eine Kiste mit Umgebungsmaterial zum Bus schleppt. “Wir können sicher von allem Proben und Abdrücke nehmen. Sicher finden wir den Herrn Hölzer ganz schnell.”
Adam hofft es.
***
“Was?” Esthers entsetzter Aufschrei reißt Adam aus seinem Halbschlaf.
Es ist schon wieder so spät, aber heute ist keiner von ihnen nach Hause gegangen. Sie haben sich so weit wie möglich mit dem Fall Elias Petzold beschäftigt, um die Zeit zu überbrücken, bis das Labor sich mit den Ergebnissen von Leos Wagen meldet.
“Ich geb’s weiter,” meint Esther, schon halb in fassungslosen Gedanken versunken.
“Was?” faucht Adam sie ungeduldig an. Er muss wissen, was passiert ist.
Esther sieht ihn überrascht an, als hätte sie vergessen, dass er auch noch da ist. “In den Fußspuren des vermeintlichen Täters,” beginnt sie langsam zu berichten, als könne sie selbst nicht glauben, was sie gerade gehört hat, “hat die KTU Blut gefunden.”
“Leo?” haucht Adam entsetzt. Das Blut auf dem Airbag war nicht genug, als dass er fürchten muss, dass Leo nicht mehr am Leben ist, aber Esthers Gesichtsausdruck-
Ihm wird schwindelig und er muss sich setzen.
“Nein,” beeilt Esther sich ihnen zu versichern. “Das Blut stammt von Elias Petzold, unserem Opfer von Freitagnacht.”
Stille breitet sich in ihrem Büro aus. Sie ist fast ohrenbetäubend laut.
Pia ist die Erste, die sich rührt. Sie schiebt die beiden Tafeln zusammen, die vor der rückwärtigen Wand stehen und deutet aufgeregt erst auf die, die sie für Elias Petzold angelegt haben, und dann auf Leos.
“Petzold hat noch gearbeitet,” meint sie und deutet auf den ersten Zeitstrahl. “Er wollte nur kurz rausgehen und den Müll wegbringen und ist dann nicht wieder zurückgekommen. Die Bar, in der er arbeitet, liegt genau im Bereich der Funkzelle, in der Leos Handy das letzte Mal aktiv war.” Sie deutet auf die Karte, die an Leos Tafel hängt, bevor sie Adam und Esther abwartend ansieht.
Adam versucht, dieselbe Verbindung zu ziehen wie sie, aber es gelingt ihm nicht.
“Leute,” beschwört sie sie. “Was ist, wenn Leo Zeuge von Elias Petzolds Tod geworden ist? Und der Täter ihn sich darum geschnappt hat?”
Adam schüttelt den Kopf. “Aber das ergibt doch keinen Sinn,” behauptet er und weiß nicht, ob er die Worte wirklich aussprechen will. “Leo Auto wurde doch an einer ganz anderen Stelle gefunden.”
Jede Variante hiervon ist scheiße.
Falls Leo Zeuge an einem Mord geworden ist, dann wird der Täter sicher dafür gesorgt haben, dass Leo nichts mehr sagen kann. Allein bei der Vorstellung dreht sich Adam der Magen um, und er zieht seinen Papierkorb näher zu sich.
Ist Leo von der Straße abgedrängt worden, weil er jemand auf ihn abgesehen hat- Die Chancen, dass er noch lebt, stehen nicht gut, aber sie sind besser als die Alternative.
Neben ihm erhebt sich Esther aus ihrem Schreibtischstuhl. “Nein,” meint sie. “Pia könnte recht haben. Die KTU meinte, die Blessuren am Auto passen nicht.”
“Passen nicht zu was?”
“Dem vermeintlichen Unfallhergang,” erklärt sie. “Es scheint fast so, als hätte das jemand so präpariert. Die Wucht, mit der Leo auf den Baum geprallt sein müsste- Sie passt nicht zu dem Schaden am Motorraum.”
Adam sieht sie sprachlos an.
“Und was heißt das jetzt?”
Keiner kann es ihm sagen.
***
Eine Stunde und vier Zigaretten später klingelt Esthers Handy erneut. Diesmal stellt sie das Labor gleich auf Lautsprecher, damit Adam und Pia mithören können.
“Wir haben ein Match für die Fingerabdrücke an der Fahrertür,” verkündet eine heisere Stimme am anderen Ende der Leitung. “Also die, die nicht von Herrn Hölzer stammen.”
“Und?” leitet Adam sie zur Eile an. “Von wem sind sie?”
“Clemens Lausch,” antwortet der Kollege.
Den Rest hört Adam nicht mehr, zu beschäftigt damit, das Gesagte zu begreifen.
Er erinnert sich an Clemens Lausch, den Sohn des Lehrers, des Psychopathen, der beinahe seinen Vater getötet hätte. Der Sohn des Mannes, den Leo erschießen musste, weil Adam Scheiße gebaut hat.
“Fuck,” flüstert er und vergräbt das Gesicht in den Händen.
Es ist schlimmer als er dachte.
***
Was sie über Clemens Lausch wissen, passt auf eine DIN A4 Seite.
Nach dem Tod seines Vaters und des Skandals, der darauf folgte, hat Frau Lausch ihren Sohn genommen und ist nach Brandenburg gezogen. Dort hat er sein Abitur beendet, mittelmäßig abgeschlossen und ein Studium begonnen.
Im Saarland scheint er keine Verbindungen mehr zu haben, außer mögliche alte Freunde und Bekannte, aber um die abzutelefonieren ist es jetzt schon zu spät.
Wieder einmal stehen sie vor dem Nichts und Leo läuft die Zeit davon, so er denn doch welche hat.
“Was wissen wir noch?” fragt Pia von ihrem Platz auf der Couch aus, wo sie mit geschlossenen Augen fläzt, einen Arm über ihre Augen gelegt. “Irgendwas?”
“Er war ruhig, in unser Opfer verliebt,” erinnert Adam sich, denkt an die Unterhaltung zurück, die in ihm selbst so viele Erinnerungen geweckt hat.
Esther setzt sich auf und streckt sich. “War da nicht noch diese Sache mit den Tierschützern?” fragt sie in die Runde. “Die, die er angegriffen hat.”
“Stimmt,” brummt Pia. “Das war krass.”
Das alles bringt sie nicht weiter. Nur, weil sie wissen, dass Clemens Lausch Leo hat — oder es zumindest vermuten — wissen sie noch immer nicht, wo er sich befindet.
“Was ist mit Lauschs Handy?” fragt er nach einem Moment der Stille. “Haben wir die Nummer?”
“Ja,” meint Pia. “Aber ist aus. Orten können wir vergessen.”
Ruckartig setzt Adam sich auf. “Und die Mutter?” fragt er, als ihm plötzlich eine Idee kommt.
“Wieso das denn?”
***
Adam war noch nie in seinem Leben so dankbar für die dummen Gedanken, die manchmal durch sein Hirn schießen, wie in dem Moment, als sie vor dem Haus der Familie Lausch vorfahren und Licht im Wohnzimmer brennt.
Josephine Lausch war nicht begeistert, dass sie mitten in der Nacht angerufen haben, aber sie war nett genug, um nachzusehen, ob die Schlüssel zu ihrem alten Haus noch im Schlüsselkasten hängen oder nicht.
Sie hat nach dem Vorfall versucht, das Haus zu verkaufen, aber es hat nicht funktioniert. Alle wussten, was ihr Mann getan hatte und der Verlust wäre zu groß gewesen. Die Maklerin meinte damals, dass sie — wenn sie es sich leisten kann — lieber ein paar Jahre wartet, bevor sie noch einen Versuch startet.
Seitdem war sie nie wieder in Saarbrücken, aber der Schlüssel ist verschwunden.
Clemens muss ihn genommen haben, als er letzte Woche zum Abendessen bei ihr war.
Die Haustür ist nur angelehnt, Verstärkung auf dem Weg.
Adam signalisiert den Kolleginnen, dass sie hintenrum gehen sollen. Wenn er sich recht erinnert, dann gab es auch eine Terrasse, von da aus müssten sie auch ins Haus gelangen und vielleicht kann er Clemens so lange genug ablenken, dass sie Leo unbeschadet weg schaffen können.
Clemens lächelt Adam an, als er mit erhobener Waffe vorsichtig die Tür zum Wohnzimmer aufstößt.
“Da sind Sie ja endlich,” meint er und wirkt fast schon erleichtert. “Ich hab mich schon gefragt, ob ich’s noch deutlicher machen muss, bis Sie mich finden.”
Adams Herz stockt, bevor es panisch weiter rast.
Clemens steht in der Mitte des Raums, halb erleuchtet von einer Stehlampe, in der Ecke hinter dem Sofa steht. Viele Möbel sind nicht mehr da, aber auf dem Sofa liegen benutzte Bettwäsche und ein geschmolzener Kühlpack.
Und davor kniet Leo, die Hände auf dem Rücken gefesselt, der Kopf gesenkt. Ein alter Lappen steckt zwischen seinen Lippen, der provisorische Knebel notdürftig am Hinterkopf befestigt.
Leo rührt sich nicht, weil Clemens eine Waffe an seine Schläfe hält.
“Leo,” haucht Adam und beobachtet, wie sich die Schultern seines Partners anspannen.
Fast schon panisch richtet Adam seine eigene Waffe auf Clemens. “Waffe runter,” fordert er ihn auf, aber Clemens sieht ihn nur ruhig an.
“Nein,” antwortet er und lächelt wieder. “Und was machen Sie jetzt? Immerhin schießen sie ja sonst auch erst und stellen hinterher die Fragen.”
“Geht es darum?” will Adam wissen und versucht verzweifelt, seine Stimme davon abzuhalten, zu brechen. “Um deinen Vater.”
Clemens seufzt, als sei er geplagt von der Last der Welt. Sein Waffenarm zittert nicht einmal, als hätte er das hier schon tausendmal getan. “Das ist eine komplizierte Frage, Herr Hauptkommissar Schürk,” meint er. “Ja und nein. Vielleicht. Unter anderem.”
“Was soll das heißen?” verlangt Adam und schickt ein Stoßgebet gen Himmel, dass Pia und Esther es schaffen, sich von hinten an ihn ran zu schleichen. Er traut sich nicht zur Terrassentür zu schauen, für den Fall, dass Clemens dann etwas bemerkt und dann nicht mehr so geduldig wartet, kann nicht riskieren, dass er unruhig wird.
Er kann Leo nicht riskieren.
Aber scheinbar ist es dafür sowieso schon zu spät.
Seine Worte scheinen etwas ausgelöst zu haben in Clemens. Als hätte Adam einen Schalter umgelegt, wandelt sich seine Miene von ruhig und fast schon freundlich in eine abstoßende Grimasse aus Abscheu und gefletschten Zähnen. “Sie haben mein Leben ruiniert!” brüllt er und Adam ist so überrascht, dass er zusammenzuckt.
“Clemens,” versucht Adam es so ruhig wie möglich, “was dein Vater getan hat-”
“Hätte nie jemand erfahren müssen!” unterbricht er ihn kreischend. Sein Gesicht ist puterrot und verzogen, aus seinen Mundwinkeln tropfen Spuckefäden. “Wenn Sie ihn nicht erschossen hätten, wäre es niemals rausgekommen,” schreit er. “Meine Mutter müsste sich nicht jeden Abend betrinken, um damit klarzukommen, dass sich niemand traut, mit ihr zu sprechen. Die Frau eines Psychopaths, hah. Haben Sie eine Ahnung, was das mit einem macht?”
Ja, will Adam sagen. Er weiß wie das ist, wenn man der Sohn eines Psychopathen ist. Wenn man in den eigenen vier Wänden gefangen ist, in seinem Kopf, weil zu viel zu früh kaputt gemacht wurde, als dass es noch heilen könnte.
Adams Blick huscht zu Leo. Nein, es ist noch nicht zu spät, entscheidet er. Er wird in Therapie gehen, so wie er es schon seit Jahren tun sollte. Er wird an sich arbeiten und sei es nur, weil er ein besserer Partner sein will für Leo.
Weil Leo alles verdient.
“Nein,”antwortet er leise und versucht, entschuldigend zu klingen. “Aber Clemens, das hier ist doch auch keine Lösung.”
Mit einem Schlag ist Clemens wieder die Ruhe in Person. Seine roten, feuchten Wangen sind das einzige, was noch auf seinen kurzen Wutausbruch hindeutet. “Nein, vermutlich ist es das nicht,” gibt er zu. “Aber ich will Genugtuung.”
Ruckartig presst er die Mündung der Waffe fester gegen Leos Schläfe. Adams Puls beschleunigt sich, als Leo vor Schmerz aufstöhnt.
Er kann nicht schießen. Wenn Clemens Finger am Abzug sich versteift-
Nein, Adam muss warten.
Seine Handflächen werden feucht, als weitere langsame Sekunden vergehen. Er weiß nicht, was er sagen soll, was er sagen kann , um Clemens zu beruhigen, aber es spielt auch keine Rolle.
“Ich will, dass es ihnen genauso beschissen geht wie mir,” fährt Clemens unbeirrt fort. “Dass sie jeden Tag ihres Lebens hinterfragen, daran zweifeln, ob sie nichts übersehen haben.” Er lacht auf. “Sich wundern, ob Sie etwas hätten verändern können, wenn Sie nur nicht so mit sich selbst beschäftigt gewesen wären.”
“Clemens,” fleht Adam ihn leise an. “Bitte leg die Waffe weg. Ich will dich nicht verletzen müssen.”
“Mich verletzten?” ruft er aus und wieder lacht Clemens. “Herr Schürk, was denken Sie, warum wir hier sind? Glauben Sie, ich bin so blöd und denke, dass ich hier raus komme? Nein,” meint er und grinst, die Augen weit. “Entweder Sie erschießen mich, oder ich tus.”
Für einen Moment spannt sich alles in Adam an. Darum geht es hier? Was ist mit diesem Jungen passiert?
Adam lässt die Waffe sinken. All seine Instinkte schreien ihn an, dass das, was er hier gerade tut, eine Dummheit ist. Er braucht seine Waffe nicht, um sich zu schützen, sondern Leo. Der ist es, dem Clemens Lausch einen Lauf an den Kopf hält.
Aber er tut es trotzdem.
Mit einem leisen Schaben gleitet sie zurück in sein Holster und Adam hebt die Hände.
“Ich werde dich nicht verletzen, Clemens,” sagt er langsam. “Und ich hoffe, dass du einsiehst, dass du es auch nicht tun musst.”
Adam möchte am liebsten weinen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung an der Terrassentür wahrnimmt. Esther und Pia haben es geschafft, einen zweiten Weg ins Haus zu finden.
Und ganz schwach kann Adam schon die Sirenen hören.
Es ist fast vorbei. Er muss Clemens nur noch dazu bringen, die Waffe nicht länger auf Leo zu richten.
“Leo trifft keine Schuld,” erklärt er und macht einen Schritt auf Clemens zu. Er versucht seinen Blick zu lenken, sodass er die Kolleginnen nicht sehen kann, während sie vorsichtig die Tür öffnen. “Dass dein Vater sterben musste, das habe allein ich zu verantworten.”
Mit gebeugtem Kopf sieht Leo zu ihm auf. Er wirkt irritiert, überrascht und so, als würde er Adam in Gedanken anschreien.
Adam kann sich vorstellen, was er ihm gerne sagen würde. Dass er bloß keine Dummheiten machen soll. Dass er lieber wieder seine Waffe in die Hand nimmt, um sich zu verteidigen.
Dass das hier ganz und gar nicht so läuft, wie sie es mal irgendwann gelernt haben.
Halt still, will Adam ihm in Gedanken antworten. Ich hab einen Plan, auch wenn der dir ganz sicher nicht gefallen wird .
Adam macht noch einen Schritt auf Clemens zu. “Wir waren rechtzeitig im Wald, wir hätten deinen Vater verhaften können, ohne ihn zu töten,” gesteht er, “aber ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe gezögert und um ein anderes Leben zu schützen-”
Adam zuckt mit den Schultern, als wäre das alles ganz normal.
Als hätte Leo nicht monatelang ausgesehen wie ein Gespenst, mit tiefen Augenringen und der Last der Welt auf seinen Schultern.
Auf einmal geht alles ganz schnell. Esther schiebt sich hinter Clemens, gibt Adam ein Zeichen. Adam springt-
Ein Schuss.
Ein zweiter und dritter Schuss fallen.
Adam schlägt schmerzhaft auf dem Boden auf, Leo stöhnt gequält.
Dann: Stille.
Ein Schrei löst sich, zeitversetzt und Adam kann wieder atmen. Er richtet sich auf, rollt sich von Leo und beginnt damit, ihn zu untersuchen.
“Alles in Ordnung?” fragt er gehetzt, klopft Leo Körper ab. “Bist zu verletzt?” Bis ihm einfällt, dass Leo geknebelt ist und gar nicht antworten kann.
Hinter sich hört er, wie Pia und Esther Clemens am Boden halten und ihm Handschellen anlegen. Draußen ertönen schrill die Sirenen, aber Adam hat nur Augen für Leo.
Er hat ihn zurück. Alles wird gut.
Mit fahrigen Bewegungen löst er den Knebel. “Ich hab leider kein Messer dabei,” meint er entschuldigend und tippt gegen den Kabelbinder, der Leos Handgelenke fixiert. “Aber die Sanitäter können sicher helfen. "Kannst du stehen?”
“Ja,” krächzt Leo, seine Stimme rau und trocken. “Hilfst du mir raus?”
Fünf Minuten später schließen sich die rückwärtigen Türen des Rettungswagens hinter Leo und Adam kann endlich aufatmen.
Es ist geschafft.
***
Adam hält es bis zum frühen Nachmittag aus, bevor er ins Krankenhaus fährt.
Leo ist in Ordnung, das haben die Sanitäter noch vor Ort entschieden. Er hat nur ein paar kleinere Blessuren und ist dehydriert, aber nach zwei Nächten sollte er wieder fit genug sein, um nach Hause entlassen zu werden.
Ihm sind die Tränen gekommen vor Erleichterung. Ihm war es sogar egal, dass es Esther aufgefallen ist und hat mit leisem Dank ein Taschentuch entgegengenommen.
Jetzt steht er vor Leos Zimmer, eine Topfpflanze in der Hand und versucht, seinen Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen.
Er hat keine Ahnung, ob Leo ihn sehen will.
Adam klopft und wartet angespannt auf das leise “Herein!” bevor er die Türklinke nach unten drückt.
Leo sitzt im Bett, wirkt entspannt und fast zufrieden. Adam will schon lächeln, als ihm bewusst wird, warum Leo so glücklich wirkt: Jakob Liebler sitzt auf einem der unbequemen Plastikstühle neben seinem Bett, löffelt lachend Pudding aus einem Plastikbecher und grinst über beide Ohren in Adams Richtung.
Der Anblick schmerzt Adam mehr, als jede Verletzung es je könnte.
“Adam!” ruft Leo überrascht aus, als er sich ihm zuwendet.
“Hey,” grüßt er verhalten zurück und macht einen unsicheren Schritt auf Leo zu. “Wie geht es dir.”
Leo lächelt ihn an, wie er ihn schon seit Wochen nicht mehr angelächelt hat. “Wird schon. Sie behalten mich noch eine Nacht hier, dann eine Woche zuhause und ein Termin beim Psychologen und dann geh ich euch wieder auf die Nerven,” verspricht er.
Adams Kehle schnürt sich zu. Er kann es kaum erwarten. “Wir haben dich schon vermisst,” sagt er und hofft, dass er unverfänglich genug klingt.
Ich hab dich vermisst .
Er macht noch einen Schritt auf das Krankenbett zu und hebt die Pflanze an, die er mitgebracht hat. “Hier,” meint er und schaut sich nach einem Platz um, auf dem er sie platzieren kann. “Ich dachte, dass du dich so ein bisschen mehr wie zuhause fühlst. Weil- Ja. Hier fehlt das Grün.”
Leo legt den Kopf schief, lächelt vorsichtig.
Adam lächelt zurück.
Mit einem Räuspern steht Liebler auf. “So,” meint er und klopft Leo auf die Schulter. “Ich mach dann mal los. Du schreibst?”
Leo nickt. “Mache ich. Und es tut mir-”
“Wenn du dich nochmal dafür entschuldigst, entführt worden zu sein,” unterbricht Liebler ihn umgehend, “dann bitte ich die Schwestern mit der großen Nadel anzukommen.”
“Das ist gemein,” behauptet Leo, aber er lächelt. “Aber danke, dass du vorbeigekommen bist.”
“Klar.” Liebler hebt zum Abschied noch einmal die Hand, nickt Adam zu und dann ist er durch die Tür verschwunden.
“Ich sollte-” Ungeschickt überwindet Adam die Distanz zu dem kleinen Tischchen neben Leos Bett und platziert die Pflanze darauf. “Hier. Ich geh auch gleich wieder. Wollte nur schauen, wie’s dir geht,” erklärt er und macht einen hastigen Blick zurück.
“Adam?” fragt Leo, bevor Adam die Flucht ergreifen kann.
“Ja?”
“Setz dich.”
Ohne zu zögern rückt Adam den Stuhl zurecht und lässt sich fallen.
Die Stille zwischen ihnen ist unangenehm. Es gibt hundert Dinge, die Adam sagen will, noch mehr Fragen, die ihn quälen, aber er traut sich nicht zu sprechen. Und Leo starrt ihn einfach nur an, mustert ihn, bis Adam sich vorkommt, wie ein Insekt unter dem Mikroskop.
“Er scheint nett zu sein,” meint er irgendwann, einfach nur, um die Stille zu füllen. “Liebler, meine ich.”
“Jakob?” fragt Leo mit einem Lächeln und einem Blick zur Tür. “Ist er. Aber ich glaube, er hat erstmal genug von meinem Drama.”
Damit verdoppeln sich die Fragen in Adams Kopf gleich noch einmal. Wie kann jemand jemals genug von Leo haben? Vor allem wegen etwas, das gerade einmal ein paar Tage angedauert hat.
Aber statt zu fragen, lehnt Adam sich vor und beginnt mit etwas Unverfänglichen. “Was ist denn eigentlich passiert?”
Leo zuckt mit den Schultern. “Clemens hat mich vor Jakobs Wohnung abgefangen,” erklärt er. “Er muss mir den ganzen Abend gefolgt sein und ich hab’s nicht gemerkt. Er hat mich niedergeschlagen, mich in mein Auto gesetzt und dann in Lauschs Haus gebracht.”
“Also hattest du keinen Unfall?” fragt Adam und will erleichtert aufatmen.
Kein Unfall ist gut. Auch wenn das mit der Entführung nicht optimal ist, ist es immer noch besser als Folgeschäden, die auftreten, weil jetzt etwas übersehen wurde.
“Nein, wieso?” Leos Stirn legt sich in Falten und Adam muss schlucken. Er hatte irgendwie gehofft, dass Pia und Esther Leo heute Vormittag schon alles erzählt haben, während er noch ein paar Dinge erledigt hat.
“Wir haben deinen Wagen gefunden,” beginnt er vorsichtig. “Sah so aus, als hätte man dich von der Straße gedrängt. Ist ein Totalschaden, sorry.”
Mit einem genervten Stöhnen lässt Leo sich tiefer in die Kissen sinken und schließt für einen Moment die Augen. “Zahlt die Versicherung, wenn der durch die Söhne von Psychopathen verursacht wurde?” fragt er und ein zaghaftes Lächeln breitet sich auf seinen Lippen aus.
Adam kann gar nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. “Keine Ahnung.” Er lässt seinen Blick einmal über Leo wandern, von Kopf und Fuß. “Und sonst?”
“Ich hab ‘ne riesige Beule am Hinterkopf,” gesteht Leo und zieht eine Grimasse, “aber zum Glück keine Gehirnerschütterung. Meine Schulter hat sich wegen der Fesseln entzündet, aber das wird wieder.”
“Er hat also nicht-”
“Nein,” unterbindet Leo die Frage sofort. “Er hat mit dreimal am Tag Essen und Wasser hingestellt. Hat mich sogar ins Bad gehen lassen, dabei allerdings die ganze Zeit mit der Waffe auf mich gezielt und meine rechte Hand an meiner Jeans festgebunden.” Er lacht auf. “Weißt du, wie seltsam das ist?”
Leos kurzes Lachen fährt ihm durch Mark und Bein. Es ist, als ob die Sonne aufgeht, der Frühling beginnt, die Welt wieder an ihren Platz rutscht.
“Ich bin froh, dass du wieder da bist,” rutscht es ihm heraus, bevor er sich zurückhalten kann.
“Ich auch.” Leos Finger zucken, einmal. Dann ein zweites Mal, bevor sie nach Adams Hand greifen, die auf der Bettkante ruht. “Danke, dass du mich gefunden hast.”
Adam richtet sich überrascht auf. Er will schon protestieren, als Leo ihn mit einem Blick zum Schweigen bringt.
“Pia hat erzählt, dass es deine Idee war, seine Mutter anzurufen,” erklärt er und seine Finger, die über Adams Handrücken streichen, senden Stromstöße durch Adams Körper. “Und dass du von Anfang an darauf bestanden hast, dass irgendwas passiert sein muss.”
Adam zuckt mit den Schultern, versucht sich nicht unter Leos Blick zu winden. “Du sagst immer Bescheid, wenn was ist,” erklärt er. “Es war ungewöhnlich.”
“Trotzdem,” beharrt Leo mit einem Lächeln. “Danke.”
“Gerne.”
Wieder senkt sich Stille über sie beide. Adam fühlt sich, als würde er einen Marathon laufen, so schnell rast sein Herz, angetrieben von Leos Blicken und den federleichten Berührungen seiner Finger. Gleichzeitig breitet sich Ruhe in ihm aus, wie ein See, dessen Oberfläche sich nach einem Sturm erst immer langsamer kräuselt und dann ganz spiegelglatt daliegt.
“Adam-”
“Leo-”
Sie sprechen gleichzeitig, stoppen sich beide im selben Moment und lächeln.
“Du zuerst,” meint Leo und legt den Kopf schief, als würde er sich darauf vorbereiten, Adam zuzuhören.
“Wegen der letzten Monate-” Adam kämpft gegen den Frosch an, der sich plötzlich in seinem Hals ausbreitet. Er kann Leo nicht direkt ansehen, also schaut er auf ihre verschränkten Hände. “Es tut mir leid. Ich hab Mist gebaut. Eigentlich ist das noch kein Begriff dafür. Aber ich arbeite dran.”
Als er aufsieht, erkennt er die Überraschung, die Leo deutlich ins Gesicht geschrieben steht. Adam kann es verstehen; reden war noch nie seine Stärke.
Mit einem tiefen Atemzug stählt er sich für das, was noch kommt.
“Ich hab Donnerstag einen Termin,” informiert er Leo. “Bei einem Therapeuten. Esther hat recht, es wird Zeit, dass ich daran arbeite.”
“Adam.”
“Nein, bitte. Lass mich ausreden,” fleht er und drückt Leos Hand. Er muss das jetzt alles loswerden, weil er es sonst vielleicht nie sagt.
Dabei ist es so wichtig, dass Leo das alles weiß.
“Und ich war heute morgen bei den Kollegen vom Raub,” fährt er fort, versucht zu ignorieren, dass Leos Augen sich immer weiter weiten. “Ich hab das Geld abgegeben. Ich gebe zu, dass ich nicht ganz ehrlich war und gesagt habe, dass ich es beim Ausmisten in einem Karton in der Garage gefunden habe, aber ich hoffe, dass sie damit zumindest euch in Ruhe lassen. Meine Mutter weiß Bescheid,” versichert er ihm. “Sie wird meinen Aussage bestätigen.”
“Warum?”
“Ich hab sie darum gebeten,” meint Adam. “Sie will auch-”
“Nein, Adam,” unterbricht Leo ihn. Seine Finger schließen sich fester um Adams Hand. “Warum machst du das alles plötzlich?”
Vollkommen perplex kann Adam für einen Moment nichts tun, außer Leo an zu starren.
Weiß er es denn nicht? Ist das nicht total klar und offensichtlich?
“Wegen dir,” sagt er nach ein paar Sekunden, in denen die Uhr an der Wand unerbittlich weiter tickt.
“Wann immer ich einen Fehler mache,” fährt er fort, als das Bedürfnis, sich zu erklären, ihn überwältigt, “bist du es, der es ausbaden muss. Ich will das nicht mehr für dich. Du hast etwas besseres verdient.” Adam zögert einen Moment, bevor er seinen Stolz runterschluckt und weiter spricht. “Und jetzt, wo du mit Jakob zusammen bist, will ich nicht, dass du die halbe Zeit noch wegen meinen Problem unter Strom stehst.”
“Ich bin nicht mit Jakob zusammen,” platzt Leo hervor, seine einzige Reaktion auf Adams Redeschwall.
“Was?”
“Ich bin nicht mit ihm zusammen,” wiederholt er und setzt sich in seinem Bett auf. “Wir haben uns unterhalten und entschieden, dass es nicht passt. Freitag war zwar nett, aber es würde nie funktionieren. Jakob will nicht in Saarbrücken bleiben und ich-” Leo zuckt mit den Schultern. “Naja, mein ganzes Leben ist hier, mein Job, meine Familie.” Er zögert, bevor er hinzufügt: “Du.”
Adams Herz setzt einen Schlag aus, bevor es doppelt so schnell weiter schlägt. “Leo,” krächzt er.
Er hat das nicht verdient. Leo sollte ihm nicht vergeben, nicht schon wieder, nicht so leicht. Aber Adam ist selbstsüchtig und gierig. Er will es mit beiden Händen packen und nie wieder loslassen.
Er will Leo nie wieder loslassen.
“Sorry, ich-”
“Ich liebe dich,” unterbricht er, was zweifellos eine Entschuldigung geworden wäre. “Ich liebe dich.”
Leo starrt ihn sprachlos an. Der Zeiger der Uhr tickt. Dann führt er Adams Hand zu seinen Lippen und platziert einen vorsichtigen Kuss auf den Knöcheln.
“Legst du dich ein bisschen zu mir?” fragt Leo vorsichtig und rückt im Krankenbett zur Seite. “Ich glaube, hier ist es bequemer als in diesem Plastikstuhl.”
***
Eine halbe Stunde vor Dienstschluss beginnt Leo, seine Sachen zu packen. Er sortiert gewissenhaft seine Akten, platziert sie auf den richtigen Stapeln und überprüft zweimal, ob er seinen Monitor und Laptop ausgeschaltet hat.
Auf der anderen Seite des Schreibtisches tut Adam es ihm gleich, auch wenn er dabei längst nicht so gewissenhaft ist.
Sie haben am Morgen einen Fall abgeschlossen — den ersten, seit Leo nach seiner Entführung durch Clemens Lausch wieder im Dienst ist — und in den letzten Tagen genug Überstunden angesammelt, um früher Schluss zu machen.
“Hast du den Einkaufszettel?” fragt Leo, während er seine Taschen abklopft, die Stirn gerunzelt.
Adam hält die Haftnotiz hoch, die er sich vor einer Stunde von Leos Schreibtisch geklaut hat, weil ihm noch ein paar Sachen eingefallen sind, die sie für ihr Wochenende auf der Couch brauchen. “Jup. Kann losgehen.”
Leo grinst ihn über den Schreibtisch hinweg an und Adam kann nicht anders, als ihn einen Moment lang anzustarren.
Wie kann es sein, dass sich in so wenigen Wochen so vieles geändert hat? Dass er mit Leo Feierabend macht, sie zusammen nach Hause fahren.
Dass er Leos Hand halten und neben ihm einschlafen darf.
Adam kann es immer noch nicht fassen und es kostet ihn einiges an Kraft, das Bedürfnis zu unterdrücken, sich zu kneifen.
Pia, die sich an ihm vorbei zur Türe schiebt, reißt ihn zurück in die Realität. “Wenn ihr hier weiter so rumsteht, dann schafft ihr es sicher nicht mehr einzukaufen, bevor die Heuschrecken kommen,” kommentiert sie mit einem Zwinkern. Sie knufft Leo in die Schulter, hält Adam ihre Faust hin. “Und stellt euch mal vor, wie lange ihr dann an der Kasse stehen müsst.”
Mit einem Grinsen folgt Adam ihr, packt Leo am Jackenärmel und zieht ihn hinter sich her. Esther folgt ihnen, tippt dabei noch irgendwas auf ihrem Handy, bevor sie die Bürotür abschließt.
Zu viert machen sie sich auf den Weg zum Parkdeck. Adam weicht Leo nicht von der Seite, streift bei jedem Schritt seine Schulter, während er zuhört, wie die Mädels von ihren Wochenendplänen berichten.
Er fühlt sich wie auf Wolken, als er an seinem Wagen vorbei geht und sich schließlich auf Leos Beifahrersitz fallen lässt. Noch besser ist es aber, als Leo seine Hand auf Adams Oberschenkel ablegt und sich für einen kurzen Kuss über die Mittelkonsole zu ihm lehnt.
“Alles klar?” fragt er so nah, dass sein warmer Atem über Adams Haut streift.
“Alles perfekt,” antwortet er und überwindet die wenigen Zentimeter, die sie voneinander trennen.
Wie sollte es das auch nicht sein?