Chapter Text
Der Tag fließt mal wieder dahin, aber das ist in Ordnung, weil Percy weiß, dass es solche und solche Tage gibt und er sich nicht darauf verlassen kann, dass nur, weil er seine Arbeit meistens liebt, auch jede Arbeitszeit wie im Flug vergeht. Wie soll sie auch, wenn er sich mit Banalitäten und den irritierendsten Innerweltlichkeiten von Beamt*innen herumschlagen muss, die weitaus älter sind als er und anscheinend nichts Besseres zu tun haben, als sich seitenweise über ärgerliche Alltäglichkeiten zu ergehen. Percy vermisst es, sich um formale Fehler und formelle Kommunikationsdelikte zu kümmern. Nur ein einzelner falsch eingereichter Antrag oder eine weitere Beschwerde der französischen Delegation.
Doch Percy hat kein Glück, er hat noch nicht einmal einen einzelnen Glücksfall, und obwohl er so gern sein Handy aus der Tasche ziehen würde, um wenigstens mit einer erfreulichen Sache an diesem Vormittag konfrontiert zu werden, muss er sich doch auch erzwungenermaßen vor Augen führen, dass nur, weil er Roger einen winzigen, singulären Schritt entgegengekommen ist, das noch lange nicht bedeutet, dass Roger wieder dazu übergegangen ist oder übergehen wird, ihm in unvorhersehbaren, irregulären Abständen Nachrichten zu schicken. Vermutlich muss er sich eher noch mit dem Gedanken anfreunden, dass er derjenige ist, der nun (zumindest vorerst) die Hand nach Roger ausstrecken und Nachrichten an ihn schicken muss, bis Percys wenigstens minimal die Anstrengung, die Roger aufgewandt hat, zurückgegeben hat.
Wenn er nun noch wüsste, was er mit—worüber sie—was angemessen wäre, angesprochen zu werden. Wie hat Roger entschieden, mit welcher Nachricht er ein Gespräch initiieren soll? Hat Roger sich einfach von dem leiten lassen, was ihm in seinem alltäglichen Leben untergekommen ist und ihn an Percy erinnert hat? (Ist es nicht anmaßend? Zu denken, dass irgendetwas Roger aktiv an ihn erinnert hat, sodass er sich berufen gefühlt haben könnte, Percy zu kontaktieren? Ist es nicht vermessen? Zu denken, dass Roger mehr in ihm sieht als nur einen kleinen, rotleuchtenden Briefumschlag, der zwischen dutzenden anderen Briefumschlägen untergeht? Ist es nicht überheblich? Zu denken, dass Roger nur mit ihm schreibt und sonst nicht mit anderen Leuten verkehrt? – Percy hat nie darüber nachgedacht, dass, im Gegensatz zu ihm, Roger mit Sicherheit nicht nur darauf wartet, dass Percy ihn kontaktiert, weil es mit Sicherheit mehr Menschen gibt, die sich von Roger angezogen fühlen. Vielleicht nicht angezogen, aber hingezogen wie magnetisiertes Metall, das gerade so überhalb des Anziehspielraums eines Magneten liegt; kein überraschendes, aufeinanderschnappendes Angezogensein, aber ein stetiges aufeinanderzuwanderndes Hingezogensein.)
Percy kann mit Sicherheit mehr sein als ein roter Umschlag, er kann auch mehr sein als Banalitätsbeschwerdenbewältiger. Er kann geistreich und vielleicht auch witzig sein, hin und wieder kann er ein Gespräch am Leben erhalten, das zum Ende hin im Sand verläuft, aber nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. – Was Percy damit sagen will, ist: Er kann Roger noch einmal schreiben. Es ist in Ordnung, dass er ihm das letzte Mal auch zuerst geschrieben hat, weil Roger Wochen damit zugebracht hat, ihm Fragen zu stellen und seine Meinung einzuholen, und, wenn es jemals eine Etikette gegeben hat, durch die ihre Konversationen geregelt würden, dann hätte Roger sie vermutlich ohnehin bereits gebrochen, und ohne Gesprächsregelrahmen, an dem Percy sich festhalten und entlanghangeln kann, hat er auch keine Chance, sich weiterhin darum zu scheren, was angebracht wäre und was nicht.
Percy seufzt, weil er sich bereits auf halbem Weg zu seiner Tasche befindet und die Beschwerde auf seinem Schreibtisch sich ganz geduldig den Rücken zukehren lässt, als ob sie eine andere Wahl hätte, und weil er sich selbst so ein bisschen eingesteht, dass er Roger schreiben will, dass da eine unüberwindbare Hürde in seinem Inneren überwunden wurde und plötzlich ganz klein und bedeutungslos aussieht, obwohl er von der anderen Seite aus so schrecklich heftig damit gerungen hat.
Roger noch einmal zu schreiben, wird nicht schwerer als das letzte Mal. Vielleicht wird es sogar ein klitzekleines bisschen leichter. (Aber das will er sich nun auch nicht versprechen.)
Als er jedoch das Handy aus seiner Tasche zieht und die Seite aufruft, leuchtet ihm bereits die Benachrichtigung über neuen Input in seinem Postfach entgegen, und einer der roten Briefumschläge befindet sich gleich neben Rogers Namen, ungeöffnet und nur darauf wartend, dass Percy zurückkehrt und einen Blick hineinwirft.
Heilige Scheiße, ich hab ein Eichhörnchen gesehen heute, das aussah wie Du!
Mein Handy hat keine Kamera, aber ich hab Dir hier eine künstlerische (wenn auch freie) Interpretation des Tiers!
[ !B: Eine krude Skizze eines spitznasigen Eichhörnchens mit einer Hornbrille. Offensichtlich angefertigt ohne jegliches künstlerisches Talent. / Ende !B ]
Was, bei Merlin und Morgana, soll das bedeuten?
Percy blinzelt ein paar Mal, aber das Bild verschwindet einfach nicht, und trotz des kleinen Bildschirms kann er ganz genau erkennen, dass das Viech keinerlei Ähnlichkeiten mit ihm hat. Wenn von der Hornbrille abgesehen wird, die es im wahren Leben mit Sicherheit nicht getragen hat.
Mit einem Seufzen, den Kopf in den Nacken gelegt und den Blick gen Decke gerichtet, fragt Percy sich, was genau er sich eigentlich erhofft hat, wenn doch Roger ihm wieder schreiben würde. Vielleicht keine Nachricht, bei der er nicht erkennen kann, ob es sich lediglich um einen Versuch handelt, sich lustig über ihn zu machen, oder doch einfach nur eine reine Information, zu der Percy nicht wirklich etwas zu sagen braucht.
Das nennt sich Geplauder, Percy.
Braucht er etwas sagen? Soll er etwas sagen? Oder wäre es besser, wenn er einfach bei sich bliebe, weil er doch nichts dazu beitragen könnte, vor allem, wenn er sich noch nicht einmal sicher ist, ob er beleidigt sein sollte, weil er das Objekt eines Witzes ist, oder ob er sich für die graphische Darstellung bedanken sollte, auch wenn er so gar nichts mit dem Tier gemein hat.
Sein rechter Fuß tappt immer wieder auf den Boden, während er den Bildschirm davon abhält, dunkel zu werden, weil er sich ja immer noch nicht entschieden hat. Seine linke Hand überdehnt, ballt zur Faust, überdehnt, ballt zur Faust. Der empfindliche Teil zwischen Daumen und Zeigefinger beginnt zu jucken und er beschließt, die Katze zu sein, auch wenn er anschließend nicht mehr ohne Schmerzen laufen können wird.
So geht es nun einfach nicht mehr weiter, denkt Percy, weil er so müde ist, immer der langweilige, langweilige Percy zu sein, der zu einer leeren Wohnung heimkommt, sich allein eine Tasse Tee kocht und seine Gedanken und Meinungen mit niemandem teilen kann. Und vielleicht ist Roger nicht derjenige, mit dem er das erreichen wird, aber Roger kann ihm zumindest als Testsubjekt dienen, um sich in zwischenmenschlicher Kommunikation zu üben und herauszufinden, was er sich eigentlich erhofft. (Vielleicht ist es nie wirklich um seine Mum gegangen.)
Ist das Bebrillte Rote Eichhörnchen nicht vom Aussterben bedroht? Und hättest Du nicht den Naturschutz kontaktieren müssen, um Deine Pflicht als britischer Bürger zu erfüllen?
Ich werde mir das für das nächste Mal im Gedächtnis behalten!
Percy versucht sich nicht allzu lange damit aufzuhalten, dass er sich mit Geplauder auseinandergesetzt und mit ziemlicher Gewissheit versagt hat, weil noch immer die Beschwerde von Millais-Scott auf seinem Schreibtisch darauf wartet, bearbeitet zu werden. (So viele Jahre im Dienste des Ministeriums und Percy muss sich damit herumschlagen, dass allergieauslösende Rasierwasser in Büroräumen verwendet werden. Wenn das keine sinnvolle Verwendung seiner Zeit ist, dann weiß Percy auch nicht weiter.)
Der März ist kalt und nass und uneinladend, was nicht ungewöhnlich für den März im Allgemeinen und für den März in London im Besonderen ist. Aber Percy wünscht sich dennoch ein bisschen weniger Regen und harschen Wind, die seinen Mantel durchnässen und ihn anschließend beinahe erfrieren lassen. Er hat keine Sommerwünsche oder besonders hohe Ansprüche an die Temperatur, nur ein klein wenig die Hoffnung auf ein professionelleres Erscheinungsbild, wenn er zur Arbeit kommt und dort den Großteil seines Tages verbringt. (Und vielleicht auch auf das Ersparnis, sich den ganzen Tag leicht verkühlt zu fühlen, obwohl er einen Wärmezauber spricht und sich, so gut es eben geht, entfeuchtet.)
Seine Hände fassen seinen Regenschirm fester und er ärgert sich zum wiederholten Male darüber, dass er seine Handschuhe daheim vergessen hat, während er die Straße entlanggeht, die ihn bald zum den Café führen wird, in dem er sich mit Penny auf einen Tee und ein Stück Kuchen zu treffen gedenkt. Das einzig Positive daran, im Ministerium zu arbeiten und ein ordentliches Gehalt zu verdienen, ist, dass Percy sich neue, warme Schuhe leisten kann, die nicht nach einem Tritt in eine Pfütze bis auf seine Fersen durchnässt sind und ihn, wenn es ganz besonders schlecht läuft, mit einer Erkältung belohnen. (Er erinnert sich noch zu gut an die abgelegten Schuhe von Bill und Charlie, die schon die ersten Löcher in der Sohle hatten und die ersten Risse dort, wo Bills Zehen auf seine Mittelfußknochen treffen. Er erinnert sich an kalte Füße und nasse Socken und ein generelles Unwohlsein, dass sich nicht verzogen hat, bis er wieder im Gemeinschaftsraum saß und sich am Kaminfeuer aufwärmen konnte. Er erinnert sich an sein erstes Paar neuer Schuhe, die er sich kaum getraute, nach draußen anzuziehen, weil sie so unberührt und makellos in seinen Händen lagen, dass es sich beinahe frevelhaft anfühlte, sie mit Dreck und Spritzwasser in Berührung zu bringen.)
Das Neonschild über dem Café ist ausgefallen und Percy übersieht es beinahe im diesigen, grauen Wetter, während er den Schirm über seinem Kopf dreht, als könnte es den Regen irgendwie besser abhalten.
Die Garderobe gleich neben der Tür ist ein wenig überladen mit Jacken und Mänteln, aber Percy findet noch einen Platz, auf dem die Innenseite seines Mantels sich nicht mit Wasser vollsaugen kann, und er platziert seinen Schirm im Schirmständer, bevor er sich auf die Suche nach Penny macht, die am selben Tisch sitzt, an dem sie bereits das letzte Mal miteinander Tee getrunken haben.
„Percy!“, begrüßt sie ihn mit einem Lächeln, kaum dass er an den Tisch herangetreten ist. „Wie schön, dass Du es einrichten konntest.“
Er nickt ihr zu, bevor er seinen Stuhl zurückzieht und sich auf den Platz ihr gegenüber setzt. Im Gegensatz zu ihm wirkt sie nicht, als wäre sie durch einen halben Sturm gelaufen, um hierherzukommen, aber sie arbeitet auch nicht in Laufweite, sodass es sich kaum rentiert, die wenigen Meter zu flohen, als wäre ihm nicht vollkommen klar, dass er sich mehr Zeit dafür nehmen sollte, zu laufen. (Das viele Arbeiten über einen Tisch gebeugt und das endlose Sitzen und Stehen wird ihm früher oder später den unteren Rücken zerschießen, also kann er zumindest alibimäßig die kleineren Strecken laufen, denkt er.)
„Ich bin erfreut, dass Du Zeit finden konntest“, erwidert Percy, maßgeblich, weil er denkt, dass es sich gehört, aber auch, weil er weiß, dass Penny einen zeitintensiven Beruf hat und in einer Partnerschaft ist und vermutlich (ganz im Gegensatz zu Percy) eine Unmenge an Freund*innen und Bekanntschaften pflegt, die gerne jetzt an Percys Stelle säßen. (So ist es in der Schule bereits gewesen: Penny kam mit Leuten klar, Percy ging mit Leuten schief.) „Auch wenn ich durchaus überrascht bin, dass Du es so schnell einrichten konntest.“
„Es ist ruhig momentan“, stellt Penny mit einem Schulterzucken fest. „Es wird bald wieder hektisch, wenn die ersten Abschlüsse anstehen und sich die Schüler*innen und Studierenden wieder—“ ihre Stimme rutscht in tiefere Register, Sarkasmus prävalent „—besonders gut durchdachte Scherze überlegen, die sie sich einander spielen können. Ich muss die Zeit also noch ein wenig nutzen, bevor die ersten mit Verbrennungen dritten Grades bei uns landen.“
Percy runzelt die Stirn. „Passiert das so häufig?“
„Häufiger als Du denken würdest“, antwortet Penny etwas nichtssagend. „Aber es ist ja nicht nur mein Zeitplan begrenzt. Du bist doch sicherlich auch ausgeplant.“
Er denkt an seinen Terminkalender, der gähnend leere Abende und deprimierend alleinige Wochenenden für ihn bereithält. Er zuckt die Achseln. „Weniger als Du denken würdest.“ Das Einzige, das daheim (oder generell) auf ihn wartet, ist die leise Hoffnung einer Nachricht von Roger, wenn das nicht bereits alles über sein gesamtes Sozialleben aussagt.
„Du weißt, unser Buchclub trifft sich jeden Freitagabend“, erinnert Penny ihn nicht zum ersten Mal. Aus unerfindlichen Gründen preist sie die Gesellschaft tratschender Menschen, die sich Wein um Wein eingießen, bis es Zeit wird, mit ihrem ungelesenen Buch wieder nach Hause zurückzukehren, an wie die Apfeltäschchen, die Olivers Mutter ab und an gemacht hat und die auf ewig in Percys Herz weiterleben werden, weil sie das beste Gebäck waren, das er jemals gegessen hat. (Er schickt eine vage Entschuldigung an seine eigene Mutter, die nicht unbedingt geschmeichelt davon wäre, so etwas zu hören.)
Percy rückt die Serviette auf dem Tisch vor sich zurecht und schindet einen Moment Zeit, indem er so tut, als müsste er in die Karte sehen, als ob er sich nicht sowieso schwarzen Tee bestellen würde, der vielleicht zumindest ein paar seiner Lebensgeister zurückbringen wird.
„Ich denke nicht“, beginnt Percy langsam, bevor er seinen Blick hebt und Penny in die Augen sieht, „dass das unbedingt meine Vorstellung von Unterhaltung ist. Wortwitz nicht beabsichtigt.“ Er weiß nicht, wo diese Worte herkamen, bis ihn die unerwartete Erinnerung an Ginny trifft, die neben ihm auf der Bank in der Küche des Fuchsbaus sitzt und ein Photo von ihm machen möchte, das er zuerst nicht haben wollte, nur um dann doch von sich selbst überwältigt zu sein. Er räuspert sich, um sich von seinem eigenen Gedankengang abzulenken. „Du weißt, ich halte nicht viel von solchen Veranstaltungen.“
„Es ist eine kleine illustre Runde“, versucht Penny es noch einmal, aber irgendetwas in Percys Blick muss ihr gezeigt haben, dass er gerade nicht empfänglich für ihre Argumente ist und sie sich nur den Mund fusselig reden wird, ohne dass sie ihn in irgendeiner Art und Weise von ihrem Anliegen überzeugen wird. Also seufzt sie und wechselt das Thema: „Wie geht es Deiner Mutter?“, nur um in einem ebenso großen Fettnäpfchen zu landen, das Percy ein saures Gefühl in seiner Magengegend gibt.
„Gut, denke ich“, antwortet er also kurz angebunden, was Penny natürlich nur dazu bringt, ihre Augen verdächtigend zusammenzukneifen und ihn mit diesem Blick anzusehen, der ihn früher dazu gebracht hat, Sportwetten mit ihr abzuschließen und in leeren Klassenzimmern zu knutschen. „Ich habe seit kurz vor Valentinstag nicht mehr mit ihr gesprochen, aber zu diesem Zeitpunkt schien es ihr noch ausgesprochen prächtig zu gehen.“
„Das ist Wochen her“, stellt Penny unbeeindruckt fest, kurz bevor ihre Hände sich um ihre Tasse legen, als müsste sie sich davon abhalten, mit den Fingernägeln auf die Tischplatte zu trommeln, um ihm zu zeigen, wie unzufrieden sie mit ihm ist. (Dabei hat sie doch gar kein Recht, unzufrieden mit ihm zu sein, weil er doch zu Weihnachten zuhause war und er sich so viel Mühe gibt, ein guter Sohn zu sein.)
Percy verschränkt die Arme vor der Brust und, nachdem eine Servicekraft vorbeigekommen und seine Bestellung aufgenommen hat, erwidert er: „Ich hatte vor, sie demnächst zu kontaktieren“, auch wenn das nicht unbedingt der vollen Wahrheit entspricht. (Percy möchte zu jedem Zeitpunkt seine Mutter ‚demnächst kontaktieren‘, aber letztendlich setzt er es seltenst um, da ihm immer irgendetwas dazwischen zu kommen scheint, das nicht aufgeschoben werden kann oder das ihn unerwartet so sehr fesselt, dass er einfach vergisst, sie anzurufen, wenn er theoretisch Zeit hätte, weil es keine Arbeit mehr zu erledigen gibt.)
„Wie geht es Deiner Mutter?“, fragt er also zurück, weil er sich nicht mit Penny darüber ergehen möchte, warum das Verhältnis zu seiner Mutter momentan besonders holprig ist, weil sie, wenn sie ihn fragen würde, was er außerhalb des Ministeriums so treibt, er nichts zu antworten wüsste, als dass er mit Penny ab und an einen Tee trinkt, sich sofort dazu veranlasst sähe, darüber zu spekulieren, ob er sich mit seiner Jugendliebe wieder zusammentut, weil es vermutlich keine Rolle spielen würde, dass sie bereits in festen Händen ist und auch nicht gedenkt, etwas daran zu ändern.
Penny wirft ihm noch einen letzten unbeeindruckten Blick zu, bevor sie antwortet: „Nächste Woche wird ihr der Gips abgenommen und sie kann wieder ganz normal arbeiten, was mir ein bisschen meiner Freizeit zurückbringt, auch wenn ich es natürlich genossen habe, wieder mehr Zeit mit ihr zu verbringen.“
„Dass sie sich den Arm nicht von Dir richten lassen wollte“, sagt Percy, ohne auf ihren kleinen Seitenhieb näher einzugehen.
„Sie glaubt daran, dass der Körper darauf ausgelegt ist, seine eigenen Traumata zu verarbeiten“, entgegnet Penny, ohne dass ihre Stimme verraten würde, was sie von dieser Sinneshaltung denkt, „und wenn wir mit Magie eingreifen, um diesen natürlichen Ablauf zu verändern oder aufzuhalten, dann merkt sich der Körper das, aber kann nicht damit umgehen, was auf lange Sicht zu innerer Zerrissenheit führt.“
„Eine sehr kreative Hypothese“, sagt Percy und er meint damit, dass er so viel Humbug noch nie gehört hat, aber auch nicht das medizinische Wissen besitzt, um es ausführlich mit Penny zu debattieren.
Penny nimmt einen Schluck von ihrem Tee und zuckt mit den Schultern, dann stellt sie leise fest: „Sie glaubt daran und es tut ihr gut, einen Gang herunterzuschalten. Ein gebrochener Arm ist im Großen und Ganzen nichts Schlimmes und wenn sie es so will, wer bin ich, sie davon abzuhalten.“
Penny ist weich geworden, fällt Percy auf. Nicht im Sinne von verweichlicht oder weichgekocht, sondern weichherzig wie die gute Hexe in einem Märchen, die in weisem Großmut dem Findelkind dabei hilft, den Weg in die wahre Welt zurückzufinden und sich das Gute im Herz zu bewahren. Penny ist nicht mehr glatte Kanten und rechtwinklige Ecken, die sich glatt und leicht an ihn heranschieben lassen, weil er auch aus nichts Anderem als geraden Linien und harten Spitzen besteht. Und Percy? Percy ist immer noch ein Strohhalm, der knickt und bricht, wenn zu viel Druck darauf verwendet wird, ihn zu biegen.
„Du befürwortest es also für den Placebo-Effekt“, hakt Percy nochmal nach, aber Penny schüttelt den Kopf und/oder zuckt die Achseln, als sie antwortet: „Ich befürworte es, weil es meine Mutter glücklich macht.“
Und das kommt ihm gerade alles zu nah an seine eigene Situation heran, weswegen er mit dem Kommen seines Heißgetränkes die Konversation wieder umlenkt, obwohl er an Pennys Gesichtsausdruck sofort sehen kann, dass sie seine Vermeidungstaktik fünfzig Meter gegen den Wind riechen kann. (Was soll er tun, er kann schließlich auch nicht aus seiner Haut. Nur weil er die Notwendigkeit offener Kommunikation wertschätzen kann und ihr dieselbige versprochen hat, kann er dennoch nicht von einem Moment auf den nächsten in einen anderen Modus Operandi wechseln, der es ihm erlauben würde, alle seine Unsicherheiten und Makel vor ihr auszubreiten, damit sie mit Lupe und Pinzette darin herumwühlen kann, bis ihr die darunterliegenden Verhaltensmuster auffallen, die er so dringend zu verstecken versucht.)
„Hast Du Glinda Goodwills Artikel über die Geschichte der Erforschung der Zusammenhänge von Psychometrie und Empathie gelesen?“, fragt er, nachdem er einen kleinen Schluck seines zu heißen Tees genommen hat.
Penny verdreht die Augen. „Ich verstehe nicht, wie sie Smirthens Hypothese, dass Psychometrie nur eine Wuchsart der Empathie ist, so unreflektiert und unbegründet ablehnen konnte. Die Theorie ist nicht makellos und es bedarf sicherlich noch weiterer Erforschung, aber seine Argumentation ist in sich schlüssig.“
„Es ist, als wollte sie Birtwistle nach dem Mund reden, egal was ihr auf Symposien entgegengebracht wird“, stimmt Percy echauffiert zu. „Natürlich sind Birtwistles und Smirthens Schlammschlachten amüsant zu beobachten, aber letztendlich sind es nur kaum versteckte persönliche Animositäten, die in das Gewand wissenschaftlichen Disputs gekleidet werden.“
Sich auf ihrem Stuhl nach vorne lehnend senkt Penny ihre Stimme zu einer verschwörerischen Lautstärke, bevor sie erwidert: „Hast Du Birtwistles Rezension zu Smirthens letzter Publikation gelesen? Ich kann es natürlich nicht wortwörtlich wiedergeben, aber sagte er nicht: ‚Mit kaum fundierter Argumentation versucht Smirthen einen Zusammenhang herzustellen, der nicht existiert hat und schon durch gesunden Menschenverstand abgelehnt werden muss. Hätte er sich tatsächlich tiefgehender mit der Materie beschäftigt, so wäre ihm schnell aufgefallen, dass ein viel eindeutiger Beweis für seine Hypothese in den Frequenzen liegt, die von Mensch und Ding gleichermaßen ausgestrahlt werden.‘ Ich konnte kaum fassen, dass das tatsächlich durch die Redaktion gegangen ist.“
„Wenn er seine Artikel nur Jasager*innen wie Goodwill vorlegt“, wendet Percy ein und Penny schlägt sich die Hand vor den Mund. (Percy weiß, dass es ist, weil sie versucht, ihr ungebührliches Lachen über seinen Kommentar zu verstecken.) „Wird Deine Arbeit durch persönliche Querelen derartig gestört, solltest Du Dir Gedanken darüber machen, Dein Orchideenfach zu wechseln, statt sie auf dem Rücken aller anderer auszutragen.“
„Aber Percy“, schilt Penny ihn durch ein Lachen hindurch, „woraus soll ich mein Amüsement ziehen, wenn zwischen gut recherchierten Artikel nicht hin und wieder ein Addendum oder eine Notiz steckt, in der irgendein unwichtiger Kauz dafür zur Rechenschaft gezogen wird, dass er sich fremde Lorbeeren an den Hut steckt?“
„Mathis Courtial?“, fragt Percy und Penny nickt verschmitzt. “Wenn der sich auf dem ICMM blicken lässt, wird er auch aus dem Raum gelacht.“
„Wenn Thècle Emmanuelli sich nicht auf ihn stürzt und ihm die Leviten mit der Faust liest“, stimmt Penny zu, während sie ihren Löffel anhebt, um ein wenig in ihrem Tee herumzurühren, obwohl sie weder Zucker noch Milch hinzugefügt hat und er vermutlich auch nicht mehr allzu warm sein dürfte. „Was würde ich nicht dafür geben, bei dieser Begegnung Mäuschen zu spielen.“
„Ich denke“, sagt Percy langsam, bevor er einen weiteren Schluck von seinem Tee nimmt, „dass es weitaus weniger amüsant ist, wenn wahrhaftige Handgreiflichkeiten entstehen, aber ich kann das Gefühl über die Vorstellung nachvollziehen.“
Für einen Moment gibt Penny sich wohl der Vorstellung hin, Emmanuelli und Courtial in einen Faustkampf verwickelt zu sehen (was weniger unwahrscheinlich klingt, wenn man die einen Meter zweiundsiebzig geballte Wut, aus der Emmanuelli zu bestehen scheint, einmal im echten Leben gesehen hat) und Percy nimmt sich dieselbe Zeit, um dem Gefühl, das sich in Pennys Gegenwart immer breitmacht, seinen Raum zu geben.
Es gibt wenige Menschen, mit denen Percy sich treffen und mit denen er Gespräche auf diese Art und Weise führen kann, ohne dass ihm früher oder später diese eindeutigen Blicke zugeworfen werden, die ihn zum Schweigen bringen sollen, weil er den Moment verpasst hat, in dem es höflich gewesen wäre, wieder auf ein persönlicheres Thema zurückzukommen. Penny ist trotz ihres strammen Zeitplans über dieselben Dinge informiert, die auch Percy in seiner freien Zeit konsumiert, und sie hat sich ihre eigenen Gedanken darüber gebildet, von denen sie sich nicht scheut, ihnen Ausdruck zu verleihen. Penny ist informiert und Penny ist charmant und witzig. (Und manchmal, so wie jetzt in dieser Sekunde, wünschte Percy sich, dass er das geringste bisschen romantischer Zuneigung für sie empfinden könnte, das von ihr erwidert wird. Aber er sieht sie nur an und sieht die beste Freundin, die er gehabt haben könnte, wenn er nicht so schrecklich versessen darauf gewesen wäre, das Wort des Ministeriums an oberste Stelle zu setzen und jede vernünftige Stimme zu missachten. Er sieht eine wundervolle Frau, die er in seinem Leben nicht mehr missen möchte, aber keine zärtlichen Gefühle, die sich von platonischer Zuneigung unterscheiden würden.)
Penny ist ein Segen und die unangenehme Erkenntnis, dass er sich selbst so häufig im Weg steht, dass er aus dem Nichts ins Stolpern und Trudeln geraten kann, weil er den Boden unter den Füßen verliert.
Seine Wohnung ist warm, als er zuhause ankommt, weil er vergessen hat, die Heizung runterzudrehen, bevor er losgegangen ist, und ausnahmsweise ist er nicht bös drum, dass seine Rechnung höher ausfallen wird als sonst, weil ihm die Hände beinahe zu Eiszapfen gefroren sind, als er sich auf den Heimweg begeben hat.
Er reißt sich Schal und Mantel herunter und schlüpft aus Schuhen und Pullover, um nicht in der Heizungshitze zu schmelzen, bevor er sich in der Küche ein Glas Wasser holt und sich mit einem Buch auf seine Couch setzt, nur um nach ein paar Minuten immer wieder den Faden zu verlieren, weil er den Überblick über all die Buchstaben und Interpunktionszeichen verliert. Es ist, als ob sie vor seinen Augen tanzen und sich in keine sinnvolle Reihenfolge pressen lassen wollen, um ihm das Leben so schwer wie nur möglich zu machen.
Seine Hand wandert irgendwann in die Tasche, die er nach seiner Rückkehr neben die Couch auf den Boden gestellt hat, und zieht sein Mobiltelephon heraus, um im sanften Beistelltischlampenlicht nach einer neuen Nachricht zu schauen, nur um mit einem leeren Postfach konfrontiert zu werden. (Nicht komplett leer, aber zumindest ohne neue Nachricht von Roger, weil Percy die anderen Gesprächsverläufe gar nicht mehr antippt, weil ja doch nur dieselben Banalitäten und unlauteren Angebote auf ihn warten, die ihn in einen beschämten Jüngling verwandeln, der noch nie Kontakt mit einem anderen lebenden Wesen hatte. Es ist kein angenehmes Gefühl und Percy vermeidet gern Dinge, die sich nicht allzu gut anfühlen.)
Er muss vielleicht seinen eigenen Vorsatz, Roger von sich aus zu kontaktieren, doch weiter in die Realität umsetzen, damit er sich nicht selbst immer wieder vorhalten muss, dass es kein Wunder sei, dass alle Welt den Kontakt zu ihm zu meiden scheint, wenn er doch selbst keinerlei Anstrengungen unternimmt, sich mit ihr gutzustellen.
Seine Finger schweben über der Tastatur, die viel zu klein für seine Daumen ist, aber die er so langsam zu meistern beginnt, seit er mit Roger schreibt, und er überlegt für einen angestrengten Moment, worüber er sich mit Roger unterhalten könnte, bevor er sich an das Gespräch mit Penny zuvor erinnert und in langsamstem Tempo zu schreiben beginnt.
Hast Du schon einmal von der Alkahest-Kontroverse gehört?
Er starrt auf die abgeschickte Nachricht und fragt sich, ob es wohl in Ordnung ist, dass er Penny als Präzedenzfall für seine Gedankenballspiele benutzt, bevor er sich dazu entschließt, dass Penny niemals davon zu erfahren braucht, weswegen es keine Rolle spielt, ob es nun in Ordnung ist oder nicht, weil Roger Penny ja mit Sicherheit nichts davon sagen wird. Wie auch, er wüsste nicht, dass die beiden sich überhaupt kennen.
Sein Blick gleitet zu seinem Buch, das auf seinem Schoß liegt und darauf wartet, endlich von ihm beendet zu werden, und dann zu seinem Esstisch, auf dem sich Rechnungen und Briefe stapeln, weil sie darauf warten, endlich von ihm beglichen und beantwortet zu werden, und schlussendlich zu seinem Kamin, der dekorativ herumsteht und wartet, benutzt zu werden, obwohl das Haus, in dem er wohnt, gar keinen Schornstein hat. Es ist, als ob der Kamin ihm zuflüstern würde, sich endlich bei seiner Mutter zu melden und nach dem rechten zu fragen. (Penny ist in seinem Kopf, es ist ein gänzlich unangenehmer Gedanke, dass sie sich so in ihm festfrisst, dass er ihre Worte nie ganz von sich abzuschütteln vermag.)
Vorsichtig, nichts zu verleeren, setzt Percy sein Glas auf dem Couchtisch ab und er steht auf, um sich zu seinem Kamin zu begeben und seine Mutter anzurufen, deren überraschtes Gesicht in der Glut auftaucht, als hätte sie noch nie erlebt, dass Percy sich von ihr aus außerhalb jeglichen Feiertags bei ihr meldet. (Vielleicht meldet er sich auch immer nur an Feiertagen und wenn es ganz schrecklich brennt, was so gut wie nie vorkommt, weswegen er eigentlich doch nur an Feiertagen bei ihr anruft, um ihr einen schönen Was-auch-immer zu wünschen. Oh, Merlin und Morgana, er ist ein schrecklicher Sohn.)
„Percy, ist alles in Ordnung?“, fragt sie beinahe atemlos und es klingt, als wolle sie im nächsten Moment durch den Kamin heraus zu ihm klettern. „Ist was passiert? Hast Du Dich verletzt?“
„Es ist alles in Ordnung, Mum“, erwidert Percy peinlich berührt, weil er so um die dreißig ist und nicht zwölf, aber seine Mutter das einfach zu vergessen scheint manchmal. „Ich wollte mich nur nach Deinem Befinden erkundigen.“
„Meinem Befinden?“, wiederholt sie wie ein Papagei, während sie die Stirn in Falten legt und ihn mit einem abschätzenden Blick ansieht. „Mir geht es gut, danke der Nachfrage. Aber was ist bei Dir geschehen?“
Er räuspert sich, noch ein wenig peinlicher berührt, und antwortet: „Mir geht es gut, ich wollte mich nur melden, weil es doch schon einiges her ist, dass wir voneinander gehört haben. Ich dachte, das wäre … nett vielleicht.“ (Er fühlt sich wie ein zwölfjähriger Junge.)
Der Gesichtsausdruck seiner Mutter wird ganz weich und sie lächelt ihn zärtlich an, als sie erwidert: „Es ist nett, Percy. Ich freue mich sehr, von Dir zu hören.“
„Ist alles—“ er schluckt, weil Geplauder ihm einfach nicht liegt, und er denkt, dass Roger die Situation vermutlich so viel besser händeln würde – wo auch immer dieser Gedanke nun herkommt „—ist alles in Ordnung? Läuft alles gut?“
„Ach“, seine Mutter seufzt, „George und Ron machen mir ein wenig Sorgen, aber wann machen die beiden mir keine Sorgen, was? Man sollte meinen, dass die beiden ruhiger werden mit dem Alter und nun, da Ron verheiratet ist und Kinder hat, aber manchmal hab ich das Gefühl, es treibt die beiden nur zu noch mehr Schabernack an.“
Percy vergleicht die Mutter, die Heuler an Ron verschickt hat und die in seinem Kopf lebt, wann auch immer er an sie denkt, und die Mutter, die nun mit ihm spricht und ihre ergrauenden Haare in einen lockeren Pferdeschwanz gebunden hat, weil er sie vermutlich aus irgendeiner Putzaktion herausgezogen hat, bei der sie ihre Haare einfach nicht offen gebrauchen konnte, und die mehr zugeneigte Genervtheit mit den Eigenarten ihrer Kinder empfindet als tosende, alles umfassende Wut. Warum ist ihm nicht aufgefallen, dass seine Mutter sich in den letzten zehn Jahren so sehr verändert hat? (Es weckt in ihm den Wunsch, dass auch er das Potenzial zu wachsen hat, das irgendwo tief in ihm schlummert und das er nur wecken muss, damit er auch endlich ein Teil der Bevölkerung wird, die aus ihren Fehlern lernen und sich weiterentwickeln.)
„Ginny will sich einfach nicht von mir unter die Arme greifen lassen. Du kennst sie ja“, fährt seine Mutter unabhängig vom Beginn ihrer Erzählung fort und Percy ist verwirrt.
„Wobei soll sie sich von Dir helfen lassen?“, fragt Percy, während er seine Hände aneinanderreibt, als müsste er noch immer die Kälte von draußen aus ihnen verscheuchen.
„Mit dem Haushalt, mit den Kindern, es ist mir vollkommen egal“, antwortet seine Mutter aufgebracht und er kann sich gut vorstellen, wie sie die Hände über den Kopf wirft, bevor sie die Arme in die Hüften stemmt und entnervt den Kopf schüttelt. „Die Gute ist doch nur allein daheim mit den Kindern, wenn Harry arbeiten muss, und Harry hat seine Elternzeit schon aufgebraucht und kann nicht bei ihr bleiben, was dazu führt, dass sie keinerlei Möglichkeit hat, sich mit einer ihrer Freundinnen zu treffen und für ein Stündchen oder zwei nicht nur Mutter zu sein. Weiß Merlin, was ich nicht alles dafür getan hätte, wenn meine Mutter mir unter die Arme gegriffen hätte mit euch. Aber Ginny möchte nicht annehmen, wofür ich Hand und Fuß gegeben hätte, wenn sich die Wäsche mal wieder gestapelt hat, weil ich nur zwei Hände hatte, um euch am Leben zu halten und mich um den Haushalt zu kümmern.“
Seine Mutter seufzt und Percy wird zum ersten Mal so richtig klar, was seine Mutter opfern musste, um seine Geschwister und ihn großzuziehen, vor allem mit den Mitteln, die ihr und seinem Vater zur Verfügung standen. (Er bemerkt auch, dass er noch nie zuvor ein Gespräch mit seiner Mutter geführt hat, in der sie auch nur vage Andeutungen gemacht hat, dass sie manchmal gerne mehr gewesen wäre als nur eine Mutter, sondern vielleicht auch eine Freundin und eine Gesprächspartnerin und all die anderen Dinge, die die meisten Menschen manchmal für selbstverständlich nehmen.)
„Es ist zum Haare raufen“, sagt seine Mutter schließlich. „Aber von mir lässt sie sich nicht ins Gewissen reden.“
Sie seufzt noch einmal und Percy sagt leise, vielleicht mehr zu sich selbst als zu seiner Mutter: „Vielleicht denkt sie, dass, weil Du es allein geschafft hast, sie es auch allein schaffen muss.“
„Das ist doch Unsinn!“ Sie zieht ihre Augenbrauen zusammen und ihre Mundwinkel unzufrieden nach unten. „Ich bin ihre Mutter und dafür da, um ihr das Leben leichter zu machen, und wenn es nur ist, dass ich ihr einmal in der Woche die Wäsche mache.“
Er will: ‚Sie ist eben eine echte Weasley‘ antworten, aber das fühlt sich zu sehr nach einem peinlich leicht durchschaubaren Versuch, sich selbst in die Gruppe zu inkludieren, an, als dass Percy es tatsächlich über seine Lippen bringen würde, und so entscheidet er sich für die weniger kompromittierende Antwort: „Du kennst Ginny doch“, was vielleicht ein wenig feindseliger klingt, als unbedingt notwendig gewesen wäre.
„Ja“, erwidert seine Mutter, „ja, ich weiß. Manchmal wünschte ich nur eins von euch Kindern würde mehr nach eurem Vater kommen.“
Percy denkt nicht, dass es besonders angebracht wäre, zu erwidern, dass sie alle (vielleicht ihn sogar eingeschlossen) so sehr nach ihrer Mutter kommen, weil sie ein Mensch ist, der es wert ist, nachgeeifert zu werden; und er glaubt auch nicht, dass ihm die Worte wirklich über die Zunge kommen würden, also sagt er stattdessen: „Sie wird irgendwann darauf zurückkommen. Oder auch nicht. Aufzwingen kannst Du Dich ihr nicht.“ Und er fragt sich, seit wann er nicht mehr ganz so sehr mit Irritation auf unvernünftiges Verhalten reagiert. (Vielleicht ist es auch einfach nur, weil er Ginny so gut nachvollziehen kann, weil er auch immer versucht, allein mit seinen Problemen fertig zu werden, bis sie sich so hoch vor ihm auftürmen, dass er beim kleinsten Windhauch unter ihnen begraben wird.)
„Aber was gibt es bei Dir Neues, Schatz?“, fragt Molly und Percy zuckt die Achseln, bevor er antwortet: „Nichts Besonderes. Sie überlegen, mich als nächstes in die Abteilung für Magische Spiele und Sport zu versetzen, aber die Pläne sind noch nicht in greifbare Nähe gerückt, also sitze ich vorerst weiter in der Abteilung für Magische Instandhaltung. Ich bin mir im Unklaren, warum sie mich überhaupt dorthin versetzt haben, nur um dieselbe Arbeit wie zuvor zu erledigen. Da hätten sie mich auch bei den Advokaten für die Zaubererwelt bleiben lassen können.“
„Du arbeitest so viel, Percy“, stellt seine Mutter leise fest, als hätte sie vorher noch nie bemerkt, dass er andauernd die Abteilungen wechselt und die verschiedenste Arbeit erledigt. Vielleicht hat er es nie so deutlich gesagt, vielleicht hat sie nie wirklich zugehört. Vielleicht reden sie auch einfach nur nie außerhalb der großen Feiertage, an denen so viele andere Menschen noch da sind, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die Gespräche ablenken. „Nimmst Du Dir auch genügend Zeit für Dich?“
Er denkt an seine beiden Treffen mit Penny und die Briefe, die sie sich immer wieder schreiben. Er denkt an die zusammenhangslosen und absolut vereinnahmenden Nachrichten, die Roger ihm schreibt, und die ihn immer wieder seinen Blick von seinem Tag abwenden lassen, um sich mit nichts Anderem mehr auseinanderzusetzen als Roger. Er denkt an diese zwei flüchtigen Momente mit Ginny, die ihm so falsch erschienen, kurz nachdem sie passiert waren, und die jetzt wie Anknüpfungspunkte wirken, die er so schmählich in den Wind geworfen hat.
Und das alles zusammen bringt ihn dazu, seiner Mutter ins Gesicht zu sehen und mit vollkommenem Ernst zu antworten: „Ja, Mum, ich nehme mir genügend Zeit für mich“, und er klingt noch nicht einmal sarkastisch dabei.
Nicht, dass ich wüsste. Aber immer her mit der Kontroverse!
Viele Leute gehen davon aus, dass es sich bei Alkahest um das Elixier handelt, aus dem Stein der Weisen gewonnen wird und das somit ewiges Leben schenkt oder zumindest jugendliches Aussehen, aber das stimmt so nicht ganz. Obwohl der Stein der Weisen für seine heilende und verjüngende Wirkung bekannt ist, ist der Stein der Weisen maßgeblich dazu fähig, unedle Metalle in edle zu verwandeln. Nun sollte der Stein der Weisen jedoch, wenn ein Elixier daraus gewonnen wird, dafür nützlich sein, alles aufzulösen, das damit in Berührung kommt – sogar Gold. Du kannst dir vorstellen, dass ein Mittel, das alles auflösen kann, kaum gelagert werden kann. Also wurden die Ansprüche an das Elixier verändert und einem realitätsnäheren Verwendungszweck angepasst, und man wollte nun versuchen, ein Elixier herzustellen, das Stoffverbindungen auflöst und sie in die inhärenten Bestandteile spaltet. Mit den Erkenntnissen der Transmutation der letzten Jahrhunderte und der Erschaffung des Steins der Weisen durch Nicolas Flamell sollte nun angenommen werden, dass Alkahest zum Greifen nahe liegt, aber bisher sind die Bemühungen zum Scheitern verurteilt gewesen. Vor ein paar Jahren hat Mathis Courtial einen Vortrag auf dem International Congress of Magical Manuscripts schließlich einen Vortrag gehalten, auf dem er ein Manuskript vorgestellt hat, das eine authentische Alkahest-Forumlatur aus dem 15. Jahrhundert enthalten soll. Er stellte den gesamten Kodex vor, der weitere magische Texte, Tränke und Tinkturen beinhaltete, und seine Entdeckung war so einzigartig, dass ganze Vorträge und Präsentationen kurzfristig abgesagt wurden, um ihm die Zeit zu geben, den Kodex tiefergehend vorzustellen und den unterschiedlichen Expert*innen anwesend die Möglichkeit zu geben, sich damit zu beschäftigen, Fragen zu stellen und sich ihre eigene Meinung zu bilden. Monate nach der Konferenz gab es immer noch nur ein einziges Thema in Fachkreisen. Das Ende vom Lied war, dass Thècle Emmanuelli den Kodex als gut gemachte Fälschung identifizieren konnte. Sie ist so sehr davon überzeugt, dass Courtial selbst hinter der Fälschung steckt, dass es bereits auf zwei nachfolgenden ICMM zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden kam. Hoffe, dies war zufriedenstellend?
Das ist super abgedreht! Aber da war gar keine Kontroverse!
Noch Jahre später gibt es hin und wieder besonders provokative (oder vielleicht naive) Kongressteilnehmer*innen, die von dem Kodex (oder vielleicht auch seiner Falschheit) gehört haben und bei Gesprächsrunden danach fragen oder Referenzen darauf machen. Unter den alteingesessenen Figuren haben sich harte Lager gebildet, wer auf Courtials und wer auf Emmanuellis Seite steht, es gibt kaum jemanden, der sich nicht zu einem Lager bekennt, und so gab es selbst in Courtials und Emmanuellis Abwesenheit immer wieder hitzige Diskussionen und die ein oder andere Schlägerei, sodass es ein Rundumverbot für Alkahest-Diskussionen während Veranstaltungen gibt. Genug Kontroverse?
Absolut phantastisch!
Gerade, als Percy sich über seinen Schreibtisch beugen und sich einem Schreiben der Abteilung für magische Spiele und Sportarten zuwenden will, das irgendwo auf seinem Schreibtisch begraben worden ist, weil er es vermutlich aufgrund des Briefkopfes für eine Nachfolgeschrift betreffs seiner eventuellen Versetzung gehalten hat, klopft es an seiner Bürotür und er richtet sich in seinem Stuhl auf, um die Person hereinzubitten und sich präsentabel zu geben. Er parallelisiert seine Schuhsohlen mit dem PVC-Boden und atmet noch einmal durch, bevor er „Herein!“ ruft und sieht, wie Oliver Wood das Büro betritt. Ihm bleibt das Herz für einen kleinen Moment stehen.
„Oh“, sagt Oliver und er hält halb im Türrahmen inne. „Ist Imogen nicht hier?“
Oliver ist auf der Suche nach Imogen Harris, natürlich, in deren Büro sitzt Percy momentan ja. Warum sollte Oliver auch gerade ihn aufsuchen? Aus einem nostalgiegetriebenen Bedürfnis an längst vergessene Schulzeiten anzuknüpfen? Aus einem irrationalen, überwältigenden Impuls, neu anzubändeln? Percy bezweifelt, dass Oliver auch nur einen Gedanken an ihn verschwendet hat, seit sie ihren Abschluss gemacht haben. Er denkt ja selbst nie an Oliver. (Gut, manchmal tauchen vielleicht kleine Erinnerungsfetzen irgendwo am Rand seiner Wahrnehmung auf, aber das heißt ja nicht wirklich, dass er an Oliver denkt. Das würde wohl eher beinhalten, lange Zeit bei Oliver zu verweilen und sich vielleicht zu fragen, was aus ihm geworden ist und ob sich immer noch die leichtesten Grübchen in seine Backen graben, wenn er breit und heftig lacht. Es würde vermutlich beinhalten, sich auszumalen, wie sich die ersten Krähenfüße neben seinen Augenwinkeln ausbreiten, und vielleicht auch, sich immer ein bisschen in Gedanken zu verlieren, wenn man ein Photo von ihm im Tagespropheten sieht, auf dem er mit seinen Kamerad*innen einen Pokal hochhält oder bei einem meisterhaft gefangenen Tor durch die Lüfte rast. Und all das tut Percy nicht. Er denkt manchmal im Vorbeigehen an die Zitronenkuchen von Olivers Mutter und die Art und Weise, wie er verschämt gegrinst hat, wenn er sich beim aufgeregt Gestikulieren die Hand wieder einmal an einer Wand angeschlagen hat. Erinnerungsblitze, die ihm nie länger als ein oder zwei Stunden nachhängen. Das ist alles.)
„Ms Harris hat gekündigt“, informiert Percy Oliver pflichtgetreu, als er seine Stimme und seinen Herzschlag wiederfindet. „Ich übernehme ihre Aufgaben, bis ein adäquater Ersatz für sie gefunden wurde.“
Oliver nickt zerstreut und betritt Percys Büro, die Tür hinter sich zuziehend. Seine Finger verschränken sich miteinander vor seinem Körper und er tritt von einem Fuß auf den anderen, als wäre er noch immer ein Junge und wäre vor den Schuldirektor beordert worden wegen eines Lausbubenstreichs.
Bevor Percy sich fragen kann, ob in Oliver vielleicht dasselbe Gefühl aufkommt, bricht ein nervöses Lachen aus Oliver heraus und er stößt aus: „Ich glaube, dass ist das erste Mal seit der Schule, dass wir uns außerhalb einer Ministeriumsfeier sehen.“ Er sieht selbst von seinen Worten überrascht aus, als hätte er nicht damit gerechnet, das Gespräch von seinem eigentlichen Besuchsgrund so schnell auf eine persönliche Angelegenheit zu lenken. Und auch Percy fühlt sich überrumpelt von dem plötzlichen Themenwechsel, sodass sich ihm der Kopf dreht und sein Herz ihm für einen Moment unangenehm gegen den Kehlkopf drückt.
„Und dennoch sind wir unter dem Dach des Ministeriums“, erwidert Percy, bevor er tatsächlich darüber nachdenken kann, was die angemessenste Erwiderung auf Olivers Aussage wäre. Wenn er nämlich statt Flatterigkeit und Verwirrung ein Fünkchen Scharfsinn oder vielleicht Verstand gehabt hätte, dann hätte er mit absoluter Sicherheit etwas Anderes gesagt. (Vielleicht Oh, was für eine Überraschung, Dich hier zu sehen, Oliver, wie ist es Dir in der Zeit ergangen? oder eventuell Ich bin die ganze Zeit hier gewesen, aber vermutlich eher nicht, weil das definitiv implizieren würde, dass er an Oliver gedacht hat – dass sie seit einiger Zeit im selben Gebäude arbeiten, sollte schließlich nicht als Überraschung kommen, da Percy, kaum dass er aus der Schule heraus war, bereits im Ministerium angefangen hatte. Ihm hätte auch kaum entgehen können, als Oliver sich für die Abteilung für magische Spiele und Sportarten beworben hat, weil er zu dem Zeitpunkt eng mit der Personalabteilung zusammengearbeitet hat.)
Oliver lacht wieder nervös auf und tritt von einem Fuß auf den anderen, als wäre er nervös, obwohl es keinerlei Grund für ihn gibt nervös zu sein. Percy ist nicht sein Vorgesetzter, sie arbeiten ja noch nicht einmal in derselben Abteilung (auch wenn Percy vielleicht bald in seiner anfängt) und Oliver ist ja auch generell nicht der Typ für Nervosität, also ist es vermutlich doch nur ein verlegenes Lachen, das er zur Schau stellt, weil er nicht weiß, wie er sich jetzt aus der Affäre ziehen und das Büro verlassen soll, nachdem er die Tür bereits hinter sich ins Schloss gezogen hat. Er sagt: „Du hast recht. Ich meinte auch mehr, na ja, dass wir uns hier noch gar nicht über den Weg gelaufen sind. Und eigentlich sollte das nicht möglich sein. So groß ist das Gebäude nun auch wieder nicht.”
„Wir verkehren kaum in denselben Kreisen”, erwidert Percy und anhand von Olivers zurückweichender Reaktion kann er darauf schließen, dass er gerade etwas furchtbar Falsches gesagt hat, aber kann auch nicht wirklich ausmachen, was es gewesen sein könnte, weswegen er unbeirrt fortfährt: „Und auch auf den Ministeriumsfeiern sind wir uns eher peripher begegnet.”
„Ja, das stimmt schon”, erwidert Oliver und die Art, wie er seinen Mund offenhält, sagt Percy, dass er eigentlich noch gern etwas ergänzen möchte, aber dann schnappt sein Mund doch zu und er verschränkt die Arme hinter seinem Rücken, als müsste er sich seine Worte erst einmal durch den Kopf gehen lassen. (Percy versteht nicht. Oliver ist doch sonst immer so eine Hau-drauf-Person gewesen, der die Aussagen und Fragen aus dem Mund purzeln, bevor sie sich bewusst ist, dass sie sie überhaupt äußern möchte.) Oliver holt sichtbar Luft und fragt dann: „Wie geht es Dir, Perce?”
Und für einen weiteren kleinen Moment stockt Percy der Atem in der Brust, weil er sich kaum mehr daran erinnern kann, wann ihn das letzte Mal ein Mensch außerhalb seiner Familie Perce genannt hat. Es fühlt sich zu intim, zu schuljungenhaft an, als dass Percy sich wirklich wohl damit fühlt. (Aber gleichzeitig erinnert es ihn auch an schlaflose Nächte, in denen er mit Oliver wachgelegen und über anderthalb Meter entfernte Betten Gespräche geflüstert hat, die das ein oder andere Mal ihre Schlafzimmergenossen aufgeweckt haben, sodass sie schleunigst die Hände vor ihre Münder schlagen mussten, um nur ja nicht aufzufliegen. Es durfte schließlich keiner erfahren, dass Regelpädant und Vertrauensschüler in spe Percy Weasley sich nicht an die gegebene Nachtruhe hielt. Es war eine der wenigen Freiheiten, die Percy sich trotz seiner Ambitionen leistete, und dieser simple, unbedeutende Kosename schickt ihn sofort in regnerische Nächte zurück, in denen er ihn viel zu nahe an seinem Ohr hörte, während Olivers warmer Atem in seinen Nacken traf.)
„Es”, Percy schluckt nostalgische Gefühle und schwammige, verklärte Erinnerungsfetzen hinunter und beginnt dann mit festerer Stimme von Neuem: „Es geht mir gut.”
Ein kleines Lächeln breitet sich auf Olivers Lippen aus, Percy möchte es beinahe scheu nennen, wenn es nicht so unfassbar uncharakteristisch für Oliver wäre, und Percy zieht seinen Kopf ein wenig ein, die Schultern in die Nähe seiner Ohren, weil: An sich ist es schließlich keine Lüge. Gut geht es ihm mehr oder minder immer. Manchmal eben ein bisschen besser und manchmal eben ein bisschen schlechter. Und momentan geht es ihm außer der Norm besser, er kann sich nicht daran erinnern, wann er sich das letzte Mal so ausgeruht und unterhalten gefühlt hat. Aber ob es ihm so gesehen und objektiv gut geht, das steht auf einem anderen Blatt. (Einem Blatt, das konstant und immerwährend mit der Rückseite in seine Richtung gehalten wird, sodass er sich einfach nie sicher sein kann, an welchem Punkt seines Lebens er sich gerade eigentlich befinden sollte und an welchem er ist.)
„Das freut mich zu hören”, antwortet Oliver, auch wenn er überhaupt nicht überzeugt dabei aussieht. (Sollte er überzeugt aussehen? Das würde wohl bedeuten, dass Percy nicht überzeugend geklungen oder ausgesehen hat, was weiter implizieren würde, dass Percy selbst nicht überzeugt ist. Dabei hat er doch gerade selbst rationalisiert, dass gut auch nur ein Spektrum ist, auf dem er sich mal mehr und mal weniger befindet. Oliver muss ihn ganz einfach falsch verstanden haben. Percy muss wirklich daran arbeiten, was es bedeutet, Signale zu senden.)
Dann, als Stille sich zwischen ihnen ausbreitet und Percy darüber brütet, ob er sich vielleicht an jemanden wenden sollte betreffs seiner Signallese- und -aussendeschwierigkeiten, wird Percy klar, dass er Oliver überhaupt nicht zurückgefragt hat, wie es ihm geht, und dass seine Mutter fürchterlich enttäuscht mit ihm wäre, wenn sie von seinen Manieren erführe. Also richtet Percy sich in seinem Bürostuhl auf, drückt seine Schultern durch und fragt: „Wie geht es Dir, Oliver?” Und er ist ziemlich sicher, dass seine Stimme nichts Anderes preisgibt als leicht distanzierte Höflichkeit. Wie es unter Kollegen eben so sein sollte.
„Gut, gut”, antwortet Oliver schnell und die Art und Weise, wie die Muskeln seiner Unterarme sich unter seinem Hemd anspannen, deuten darauf hin, dass er seine eigenen Hände hinter seinem Rücken drückt, als müsste er sich selbst ruhig halten. „Die meisten Tage kann ich ohne Stock gehen.” Er holt seine Hände hinter dem Rücken hervor, um eine kleine, aber ausladende Geste zu machen, die wohl seine Fähigkeit, auf eigenen Beinen zu stehen, präsentieren soll. (Percy hat nicht direkt vergessen, dass Oliver während der Schlacht um Hogwarts verletzt wurde und er das professionelle Quidditchspielen an den Nagel hängen musste, als die Verletzung ihm immer mehr und mehr Probleme bereitete, aber er hat auch nicht aktiv daran gedacht, während er Oliver die Zeit über angesehen hat. Es kommt selten vor, dass Oliver mit Gehstock zu einer der Festivitäten kommt, und so, wie er jetzt vor Percy steht, könnte man nicht meinen, dass er an manchen Tagen kaum das Bett verlassen kann.)
Hastig, als würden mit einem Mal all seine Manieren zu ihm zurückkehren, steht Percy halb von seinem Stuhl auf und er deutet auf den simplen Holzstuhl, der vor seinem Schreibtisch steht (für den seltenen Fall, dass sich ein Gast in seine Räumlichkeiten verirren sollte). Er stößt aus: „Willst Du Dich setzen?” Weil es schließlich unfassbar unhöflich ist, sich einfach hinzusetzen, wenn man nicht dazu aufgefordert wird, und Percy vor lauter geistiger Umnachtung (und Oh, Merlin und Morgana, das ist Oliver Wood) nicht daran gedacht hat, es ihm anzubieten.
„Oh, nein, nein, keine Umstände.” Oliver verlagert sein Gewicht wieder auf den anderen Fuß. „Ich wollte Dich nicht zu lange belästigen.” Dieser Satz lässt vollkommen außer Acht, dass Oliver gar nicht erst gekommen ist, um Percy zu belästigen oder überhaupt seine Zeit in Anspruch zu nehmen. Percy überlegt, ihn darauf hinzuweisen, dass Oliver nach Ms Harris Ausschau gehalten hat und nur vollkommen zufällig auf Percy gestoßen ist. Aber das könnte durchaus wie eine Anklage klingen, weswegen Percy die Worte wieder dorthin zurückschickt, wo sie hergekommen sind.
„Du überstrapazierst meine Zeit keineswegs”, sagt Percy stattdessen und es überrascht ihn selbst, wie viel Aufrichtigkeit in diesen Worten steckt. Er kann sich nicht daran erinnern, dass Oliver je seine Zeit überstrapaziert hat. Von den Hausarbeiten wird er ihn abgehalten haben immer wieder mit seinen Quidditchspielen und -trainingseinheiten, aber, auch wenn Percy auf den Tribünen gebibbert und gezittert hat, so hat er sich doch auch stets irgendwie darauf gefreut, Oliver in seinem eigenen Element zu sehen. (Vielleicht war es nur Percys jugendhafte Naivität, mit der er meinte, dass das vereinnahmende Glänzen aus Olivers Augen vielleicht auch auf Percy überspringen könnte, wenn er sich nur lang genug damit umgab. Oder vielleicht war es einfach nur die Röte, die von Olivers auf Percys Wangen wanderte, ohne dass Percy oder Oliver etwas dafür tun musste.)
Oliver tritt einen Schritt nach vorne und Percys Augen folgen jeder einzelner seiner Bewegungen. Aber Oliver setzt sich nicht auf den angebotenen Platz, sondern beugt sich nur fast unmerklich nach vorne und senkt seine Stimme, sodass Percy sich ein wenig anstrengen muss, um seine Worte zu hören: „Weißt Du, ich finde, wir sollten uns zum Mittagessen treffen und uns auf den neuesten Stand bringen, was so passiert ist.” Es ist schwerlich ein Geheimnis, für das Oliver hätte ruhiger sprechen müssen, aber Percy ist heute ohnehin absolut überfordert, also war es vielleicht sogar besser, dass Oliver mit ihm gesprochen hat, als wäre er ein wildes, verängstigtes Pferd, das jeden Moment vor ihm fliehen könnte.
Die Offerte, Zeit miteinander zu verbringen und nach einigem holperigen Auf und Ab vielleicht wieder die nervöse Leichtigkeit zu finden, die irgendwann in der Schulzeit zwischen ihnen geherrscht hat, klingt zu gut, um wahr zu sein, aber Percy weiß eigentlich auch, dass er nicht zusagen sollte, weil es genügend Gründe für ihn gibt, es nicht zu tun. Wenn er zum Beispiel erst einmal seine Arbeit unterbricht, um nach draußen zu gehen und dort Mittag zu essen, dann wird er danach keine Chance mehr haben, mit den Gedanken zu seiner Arbeit zurückzukehren. (Und dann ist da natürlich auch noch die Tatsache, dass das hier Oliver Wood ist, der ihn darum bittet, eine ganze Stunde mit ihm an einem kleinen Tisch, gegenüber voneinander sitzend, zu verbringen, während Percy mit jeder Faser seines Körpers darum wird kämpfen müssen, nicht den letzten Nerv zu verlieren. Natürlich nur, weil die einzige Person, mit der er überhaupt essen geht, Penny ist und das bedeuten würde, dass er sich an eine weitere Person gewöhnen muss. Schließlich tut er sich so unfassbar schwer mit neuen Leuten.)
Es gibt tausendundein gute Gründe, warum er sich nicht mit Oliver verabreden sollte, und er legt sich bereits die Worte zurecht, mit denen er Olivers Angebot höflich, aber distanziert ablehnen kann, aber das Einzige, was ihm über die Lippen kommt, ist: „Ja, das … das sollten wir tun.“ Und er weiß nicht, wen von ihnen beiden er am meisten damit überrascht.
„Oh!“ Oliver richtet sich unwillkürlich auf, die Augen groß und weit, und ein Grinsen breitet sich auf seinen Lippen aus, das ein Grübchen in seine Wange treibt und alle Luft aus Percys Lungen. „Phantastisch! Ich meine—“ er unterbricht sich mit einem kleinen Lachen „—klasse. Ich—ich muss—heute! Wie wäre es, wenn ich Dich nachher abhole und wir gemeinsam essen gehen?“
„Okay“, hört Percy sich sagen und es fühlt sich ein wenig an, als würde er neben sich selbst stehen dabei, als hätte er keinerlei Mitspracherecht, was aus seinem eigenen Mund nach draußen fällt, als hätten sich all seine vernünftigen Gedanken verabschiedet.
Olivers Gesicht strahlt und Percy hat das Bedürfnis, seinen Blick abzuwenden, aber er bringt es einfach nicht über sich, weil er nicht glauben kann, dass Oliver ihn so ansieht. (Da sind entfernte Erinnerungen an eine Zeit, in der Oliver ihn oft so angesehen hat. Zeiten, in denen das Letzte, das er vor dem Schlafengehen gehört hat, nicht die geistig abwesende Verabschiedung von Kolleg*innen oder hastig gemurmelte Entschuldigungen von Passant*innen gewesen ist.)
Mit einem Grinsen sagt Oliver: „Ich hol Dich ab? So in einer Stunde? Dann ist es ja auch schon zwölf“, und dann, nachdem Percy irgendwie ein Nicken zustande gebracht hat, ist Oliver auch schon aus der Tür und lässt Percy in einem viel zu leeren Raum alleine zurück.
Percy starrt auf die Stelle, an der Oliver gerade noch gestanden hat, und ein kleiner Teil von ihm stellt benommen fest, dass Oliver nie gesagt hat, warum er auf der Suche nach Imogen Harris gewesen ist. Da ein viel größerer Part von ihm jedoch dabei ist, zu realisieren, dass Oliver ihn gerade zu einem Mittagessen eingeladen hat und Percy wider jeglichen Verstand zugesagt hat, verschwendet er auch jetzt keinen weiteren Gedanken daran, sondern verfällt stattdessen in Panik.
(Es ist schlimmer als der Nachmittagstee mit Penny, weil Penny und er wenigstens Gemeinsamkeiten haben, durch die sie ursprünglich zueinander gefunden haben. Oliver und er, sie wurden durch äußere Umstände einander in die Arme getrieben—oder eher: Percy wurde Oliver durch widrige Umstände in die Arme getrieben und Oliver konnte aufgrund Percys zählebiger Anwesenheit überall, wo er stand und ging, einfach nicht anders, als ihn in seine Arme zu schließen. Aber jetzt? Es ist so viel Zeit vergangen, seit sie das letzte Mal miteinander gesprochen haben, und Oliver hat sich weiterentwickelt und ein schillerndes Leben geführt, während Percy im Ministerium gearbeitet und sich um soziale Verpflichtungen herumgewieselt hat. Welche Grundlage für ein Gespräch werden die beiden schon haben?)
Percy zieht das Schreiben der Abteilung für magische Spiele und Sportarten näher zu sich heran und versucht, zu verarbeiten, was er liest, aber obwohl er die Worte äußerst bedacht und besonders betont in seinem Kopf ausspricht, kann er ihre Bedeutung einfach nicht fassen. Die Finger seiner rechten Hand trommeln auf die Tischplatte und er zieht seine Unterlippe zwischen die Zähne, nur um sie im nächsten Moment wieder loszulassen.
„Reiß Dich am Riemen“, schilt Percy sich selbst, nur um sich dann sofort ein bisschen lächerlich und zugegebenermaßen ziemlich erbärmlich zu fühlen, weil er laut mit sich selbst spricht, statt seine Arbeit zu tun, wofür er schließlich eigentlich bezahlt wird.
Seine Lippen formen tonlos die Worte, die er liest, aber er weiß trotzdem nicht, was so Wichtiges in dem Schreiben steht und er wirft den Kopf mit einem frustrierten Stöhnen in den Nacken. Anscheinend muss er anders an die Sache herangehen, als einfach so zu tun, als würde überhaupt nichts geschehen, obwohl es ihm sehr viel lieber wäre, wenn er einfach so mit dem Mittagessen verfahren könnte, wie er alles angeht, was als unangenehme Verpflichtung im Haus steht.
Oliver ist, von Penny einmal abgesehen, das nächste, was Percy zu einem besten Freund in seiner Schulzeit gehabt hat. Sie haben ihre Lernabende miteinander verbracht, auch wenn Oliver mehr damit beschäftigt gewesen ist, Strategien für seine Mannschaft zu entwickeln und dasselbe zusammengeknüllte Stück Pergament immer wieder durch imaginäre Torringe zu werfen, als müsste er bald für die Position des Jägers vorspielen. Außerhalb ihres Schlafsaals verbrachten sie kaum Zeit miteinander, weil Percy zu gern mit seiner Nase in einem Buch steckte und Oliver immer irgendwo zu sein hatte – auch wenn dieses irgendwo zumeist seine Mannschaftsmitglieder darstellte, die sich entweder angeregt mit ihm unterhielten oder seine wirren Monologe über sich ergingen ließen. (Eine Position, in der Percy sich auch das ein oder andere Mal wiedergefunden hatte, wenn Oliver ihm von einem neuen Manöver erzählte, das er unbedingt ausprobieren wollte, oder wenn Oliver sich den Kopf darüber zerbrach, wie sie Slytherin im nächsten Spiel bloß schlagen sollten. Selbst war Percy nicht wirklich daran interessiert gewesen, sich näher mit dem Thema auseinander zu setzen, aber Olivers rhetorische Ergüsse hatten keinerlei Einsatz von Percy bedürft und er hatte Olivers Stimme einfach über sich hinwegwaschen lassen, ohne sich zu sehr auf die Worte selbst zu konzentrieren.)
Inzwischen ist Percy absolut davon überzeugt, dass Olivers und seine Freundschaft maßgeblich deswegen funktioniert hatte, weil Percy sich weniger dafür interessiert hatte, wann seine Meinungen und Interessengebiete tatsächlich auf fruchtbaren Boden fielen, und Olivers Egozentriktoleranz schon immer unfassbar hoch gewesen ist. Aber es ist so viel Zeit vergangen und er glaubt, wenn er nun versucht, Kontakt mit Oliver zu knüpfen und nur auf höfliches Desinteresse trifft, er sich nicht so leicht wieder davon erholen wird. (Er denkt an Ginnys Okay, ich versteh schon und diesen Blick, der solche Sätze zwangsläufig begleitet. Dieses Du bist gerade viel zu viel, Percy, ich ertrag das nicht, weil Percy immer nur zu viel oder zu wenig sein kann, aber nie die goldene Mitte, weil er anscheinend niemals gelernt hat, was Mäßigung ist. Er kann nur uninteressiert an anderen Leuten sein oder sich beinahe am Gedanken an sie verzehren. Er kann nur still am Esstisch sitzen und nicht so recht wissen, wohin mit sich, oder sich in einem halbstündigen Vortrag über den erstmaligen Einsatz von Emulgatoren in Zaubertränken verlieren, während alle anderen am Tisch ihn entweder abwürgen oder Interesse vorschützen, aber gleichzeitig darauf warten, dass er endlich fertig ist, um nach einer angespannten Pause das Thema zu wechseln. Er kann nur ganz oder gar nicht und sich dabei selbst ein wenig verlieren.)
Oliver ist ein Mann des Volkes und Percy gehört die meiste Zeit über noch nicht einmal zum Fußvolk dazu.
Der Kaffee bei Starbucks ist ekelhaft! Vermisse den guten hogwart’schen Kürbissaft!
Laut ISO-Richtlinie ist Kürbissaft stets entkoffeiniert zu servieren, wo ist die Korrelation?
Keine vorhanden!
Das Klopfen an seiner Tür ist viel zu laut im stillen Raum – oder vielleicht kommt es Percy nur so vor, weil er mit angespannten Nerven darauf gewartet hat, dass Oliver wiederkommt und ihn abholt, damit sie zusammen essen gehen können.
Er atmet noch ein letztes Mal tief durch, dann ruft er: „Herein!“ und greift schon mit einer Hand nach seinem Schal, der hinter ihm über der Stuhllehne hängt, um ihn sich um den Hals zu winden.
Olivers rotbackiges Gesicht kommt zum Vorschein, aber er betritt Percys Büro nicht, während er zusieht und darauf wartet, dass Percy sich ausgehfertig gemacht hat. (Er hat einen dicken Mantel und es ist ja schon gar nicht mehr so kalt wie vor ein paar Wochen, aber Percys Blutdruck ist die meiste Zeit über so niedrig, dass ihm trotzdem die Finger und Zehen beinahe abfrieren, sobald er die gut geheizten Räumlichkeiten des Ministeriums oder seiner Wohnung verlässt.)
„Bist Du bereit?“, fragt Oliver und, o Merlin und Morgana, Oliver hat keine Vorstellungen davon, wie wenig bereit Percy eigentlich ist.
Percy nickt. Dann wirft er seine Tasche über die Schulter und durchquert den Raum, als würde ihm das Herz nicht gegen den Kehlkopf klopfen und die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger jucken, als hätte er in Brennnessel gefasst.
Mit einem Grinsen hält Oliver ihm die Tür auf, sodass sie Seit an Seit den Korridor hinunterlaufen und schweigend das Ministeriumsgebäude verlassen können. Fieberhaft versucht Percy sich irgendetwas aus dem Ärmel zu schütteln, das er zu einem Gesprächsthema verballhornen kann, aber das Einzige, was ihm einfällt, sind der Artikel über quantitative Metathese in Zaubersprüchen und die damit einhergehende Veränderung der Wirkungseffizienz, den er vor ein paar Tagen gelesen hat und mit dem er wohl kaum das passende Publikum in Oliver gefunden hat. Dann springt sein Kopf zu der sich immer weiter steigernden Nachfrage nach Furunkel-weg-Zaubern, die mit Sicherheit nicht das richtige Gesprächsthema für diese Zeit und diesen Ort sind, weil Percy sich inzwischen gut genug kennt, um zu wissen, dass er nicht bei der statistischen Seite des Themas wird bleiben können, sodass er sich in Gedanken zu Furunkeln selbst verlieren wird, und er kennt andere Menschen inzwischen gut genug, um zu wissen, dass Furunkel nicht das Thema sind, das kurz vor dem Essen oder währenddessen angeschnitten werden sollte – wenn überhaupt. Vielleicht könnte er stattdessen aber etwas über das Wetter sagen? Es ist immer ein guter Start in die Unterhaltung, vom Wetter anzufangen, denkt Percy.
„Hast Du schon von dem Zauberer gehört?“, fragt Oliver und reißt Percy somit aus seinem Gedankenkarussell heraus.
Percy blinzelt ihn hinter seinen dicken Hornbrillengläsern heraus an und runzelt die Stirn verwirrt. Er fragt zurück: „Welcher Zauberer?“
„Der Zauberer ist in ein Restaurant gegangen und hat einen Hasen gegessen. Der ist ihm aber irgendwie nicht so wirklich bekommen und er ist, ohne zu zahlen, nach Hause geeilt“, antwortet Oliver. Dann macht er eine Pause, in der Percy nicht weiß, ob er etwas erwidern soll oder nicht. „Er ist der erste Zauberer, den ein Hase verschwinden ließ.“
Oliver beobachtet Percy, während der zwei Passant*innen ausweicht, und als von Oliver kein weiterer Kommentar kommt, fragt Percy: „Haben sie ihn gefunden?“
„Den Zauberer?“ Olivers Schultern, die er bis eben fast bis an die Ohren gezogen hatte, sacken verwirrt nach unten.
Percy nickt. „Er wird seine Rechnung doch hoffentlich rückwirkend beglichen haben?“
„Ich—“ Oliver unterbricht sich und starrt Percy an, bis ein Lachen aus ihm herausbricht und seine flache Hand sanft gegen Percys Schulter schlägt. „Du bist so ein Scherzkeks, Percy.“
Sich auf die Zunge beißend versucht Percy, nicht zu sagen, dass er mit Sicherheit kein Scherzkeks ist und dass er es durchaus ernst gemeint hat, weil es nur rechtens ist, seine Rechnung zu begleichen und nicht die Zeche zu prellen. Und es ist vermutlich nicht die Schuld der Servicekraft, dass dem Zauberer das Essen nicht bekommen ist. – Also erwidert Percy Olivers Blick ausdruckslos, bis Olivers Lachen abebbt und schließlich vollständig versiegt.
„Ich meine“, beginnt Oliver, dann sieht er verlegen zur Seite und seine Stimme wird ein wenig leiser, als er weiterspricht: „Also, es ist ein Witz.“
„Ein Witz“, wiederholt Percy, ohne dass er so recht versteht, was Oliver ihm damit sagen möchte. Er beobachtet Oliver dabei, wie er sich verlegen im Nacken kratzt und hakt nach: „Was ist der Witz daran?“
Olivers Hand kommt zum Stillstand und er legt seinen Kopf schief, während er Percy ansieht und sich zu fragen scheint, ob Percy seine Frage ernst gemeint hat oder nicht. Dann scheint er zu einem Ergebnis zu kommen (dem richtigen) und antwortet: „Bei den Muggeln werden herkömmliche Illusionist*innen als Zauber*innen bezeichnet und der wohl klassischste Trick ist, dass sie einen Hasen aus einem Zylinder ziehen und ihn danach wieder darin verschwinden lassen.“
„Der Witz spielt also mit der Erwartungshaltung, dass normalerweise der Zauberer den Hasen verschwinden lassen würde“, paraphrasiert Percy, weil es manchmal einfacher für ihn ist, Dinge zu verarbeiten, wenn er sie noch einmal laut ausspricht. Dann stellt er trocken fest: „Witzig.“
„Findest Du?“ fragt Oliver und er richtet sich dabei ein wenig auf, als könnte er nicht glauben, dass Percy so denken könnte. Percy versteht das Problem nicht. Er hat durchaus Sinn für Humor. Ihm müssen nur alle Fakten bekannt sein.
„Mit gegebenem Kontext und der Bereitstellung von soziokulturellem Hintergrundwissen“, sagt Percy, „mit Sicherheit. Es ist witzig, weil es wahr ist.“ Er nickt noch einmal, um seine Worte zu bestätigen und deutet dann mit seinem Kinn in die Richtung, in die sie gerade laufen. „Hast Du Dich bereits entschieden, wo wir essen gehen wollen?“
Olivers Augenbrauen schießen aufeinander zu und treffen sich in der Mitte seiner Stirn, dann bleibt er mitten in der Bewegung wie erstarrt stehen und er kratzt sich wieder verlegen im Nacken, während er Percy anstarrt. Er sagt entschuldigend: „Ich hab gar nicht, also, ich hab irgendwie gar nicht darüber nachgedacht, wo wir essen gehen könnten.“
Percy schließt für einen Moment die Augen, dann zeigt er mit einer zackigen und vielleicht etwas eckigen Geste in eine Seitenstraße zu ihrer Linken und sagt: „Dort drüber ist ein kleines Café, das von einer Hexe geführt wird. Wenn ich die Mittagspause außer Haus verbringe, gehe ich meist dorthin, weil es in Laufweite ist.“ Und weil Pippa Ridgewell immer genau die richtige Menge an Aufmerksamkeit und Ignoranz an den Tag zu legen weiß, dass Percy sich weder von ihrer gluckenden Art erdrückt noch von einer kalten Schulter abgeschreckt fühlt. Pippa ist ein über die Maßen angenehmer Mensch, dem Percy gern mehr Besuch ins Haus bringt, auch wenn das bedeutet, dass er Gefahr läuft, anderen Menschen, die er kennt, über den Weg zu laufen. (Aber das hier ist Oliver und nicht irgendein fremder Mensch, dessen Anwesenheit Percy unangenehm belasten würde. Und vielleicht haben sie ohnehin eine so schlechte Zeit, dass Oliver gar nicht mehr wiederkommen möchte. Percy wird sich schon irgendwie darüber hinweghelfen können, dass ihm sein Lieblingscafé vermiest werden wird. Er ist es ja irgendwie gewöhnt, dass alles, was er tut, einen bitteren Beigeschmack hat.)
„Was meinst Du?“, fragt Oliver, während sie den Weg zu Pippas Putzige Pausenplätzchen einschlagen. (Das erste Mal, dass Percy das Café betreten hatte, hatte es in Strömen geregnet und er konnte ja schlecht einen Zauber sprechen, um sich trocken zu halten, während um ihn herum Muggel mit Regenschirmen und -mänteln zuhauf ihn hätten sehen können. Erst auf seinem Weg nach draußen ist ihm das altrosafarbene Schild über dem Eingang aufgefallen, aber es passte so gut zu den ebenfalls altrosafarbenen Polsterbezügen der schweren Sessel und dunklen Holzstühle und den feinen Spitzendeckchen auf den runden Tischen, dass es ihn nicht so sehr gestört hatte, wie es der Fall gewesen wäre, wenn er es von draußen bereits gesehen hätte.)
„Wie, was meine ich?“, fragt Percy zurück.
„Na, was meinst Du mit wenn Du zur Mittagspause das Haus verlässt“, führt Oliver weiter aus, während er gegen einen Kiesel tritt, der vor ihm auf dem Gehsteig liegt. „Verlässt Du Dein Büro in der Mittagspause nicht?“
Es ist definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um Oliver darüber aufzuklären, dass Percy die wenigste Zeit seiner Mittagspausen außerhalb seines Büros verbringt. Erfahrungsgemäß sind die meisten Leute der Meinung, dass Mittagspausen nicht in Arbeitsräumen stattfinden sollten, und technisch gesehen stimmt Percy zu, aber soll er sich denn allein in den Pausenraum setzen, wo seine Mitarbeiter*innen pausenlos schnacken? Percy glaubt eher nicht so.
„Nicht besonders häufig“, gibt Percy aber dann doch zu, weil Oliver irgendwie immer einen Riecher dafür gehabt hat, wenn Percy versucht hat, ihm eine Höflichkeitslüge aufzutischen. Und er will sich nicht bereits so früh während ihres Treffens ins Aus katapultieren, indem er bei einer Lüge erwischt wird.
„Bringst Du Dein eigenes Mittagessen mit?“, fragt Oliver weiter und Percy erwidert so halb neben der Wahrheit: „So etwas in der Art“, weil es mit Sicherheit auch weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort ist, um mit Oliver über sein kompliziertes Verhältnis zu Freizeit-Arbeits-Gleichgewicht und Essen im Allgemeinen zu sprechen.
In fünfhundert Metern Entfernung taucht das runde, altrosafarbene Schild zu Pippas Putzige Pausenplätzchen auf, als Oliver und er um die Ecke biegen, und Oliver sieht ein bisschen skeptisch aus, als Percy die Tür aufdrückt und ihr unangenehmes Schweigen ignoriert, das von leisen Hintergrundgesprächen und Pippas lauter Stimme unterbrochen wird: „Percy! Schön, Dich wiederzusehen!“ Pippa sagt solche Dinge zu fast allen Leuten, die ihr Café betreten, aber Percy glaubt dennoch, dass ein Körnchen Wahrheit in der Aussage steckt. Percy ist ein vorbildlicher Gast und Pippa ist eine Gesellschaftsperson.
„Schön, hier zu sein“, erwidert Percy ihren Gruß und er meint es tatsächlich ernst. „Hast Du noch einen Tisch für zwei frei?“ (Es ist immer noch seltsam, sie zu duzen, aber wenigstens stolpert er nicht mehr über angefangene Halbsätze voller Förmlichkeiten.)
„Für Dich immer“, sagt Pippa, bevor sie Oliver und ihn zu einem kleinen Tisch an der Seite führt, auf dem altrosafarbene Speise- und Getränkekarten liegen, in die echte, getrocknete Malven einlaminiert wurden. „Einen schwarzen Tee?“ Percy nickt. „Und was kann ich Dir bringen, Herzchen?“
„Einen Earl Grey, bitte“, antwortet Oliver, während er seinen Stuhl zurück- und sich den Mantel auszieht. Percy tut es ihm gleich und im nächsten Moment sitzen sie zusammen an einem viel zu kleinen Tisch, unter dessen Platte ihre Knie aneinanderstoßen, egal in welche Richtung sie sich drehen. Percys Wangen fangen unweigerlich an, zu glühen.
„Es ist nett hier“, stellt Oliver fest und Percy nickt. „Aber es ist nicht unbedingt, was ich auf Deine Empfehlung hin erwartet hätte.“
„Ich komme manchmal hierher“, entgegnet Percy, als wäre das tatsächlich eine Antwort auf Olivers Aussage. Dann wiederholt er: „Es ist nett hier.“
Dann breitet sich wieder Schweigen zwischen ihnen aus und Percy ist sich nicht sicher, ob es irgendetwas gibt, das er sagen könnte, das die Stimmung irgendwie auflockern würde. Seine Finger wickeln sich unterm Tisch umeinander und er versucht zu rationalisieren, dass das Treffen mit Penny ebenfalls äußerst verhalten gestartet hatte. Es ist vollkommen normal, sich zu fühlen, als hätte man seine eigene Zunge verschluckt, wenn man sich lange Zeit nicht gesehen hat. Und noch viel mehr, wenn man Percy Weasley heißt und nur ganz oder gar nicht kann und ganz beinahe immer aus einem riesig großen Fettnäpfchen besteht.
„Ich hab gehört, dass Du vielleicht in unsere Abteilung versetzt wirst“, sagt Oliver plötzlich und Percy versucht seinem Gesicht irgendwelche Regungen abzulesen, die ihm sagen könnten, ob Oliver an- oder abgetan von der Idee ist. Aber Percys Minenlesefähigkeiten sind auch nicht besser geworden in der Zwischenzeit, während Oliver nicht mehr jede seiner Gefühlsregungen auf dem Revers zu tragen scheint. Es macht es beinahe unmöglich, herauszufinden, was Oliver denkt.
Percy nickt. „Ja, aber aufgrund von Ms Harris Kündigung und weiteren anstehenden strukturellen Veränderungen ist mir nicht bekannt, ob der Plan auch in die Tat umgesetzt wird.“ Seine Handrücken drücken gegen seine Oberschenkel und er konzentriert sich auf die Art und Weise, wie sein rechter Schuh leicht am Boden klebt, als hätte jemand etwas verschüttet und die zuckrige Flüssigkeit wäre bereits halbgetrocknet gewesen.
„Oh“, sagt Oliver und seine Schultern sacken nach unten, beinahe, als wäre er enttäuscht darüber, dass Percy und er nicht in derselben Abteilung arbeiten könnten. Dann legt er den Kopf leicht schief und fragt: „Warte. Strukturelle Veränderungen? Werden Leute entlassen?“
„Ich darf über geplante Änderungen des Ministeriums nicht sprechen, bis sie finalisiert und offiziell gemacht werden“, antwortet Percy, weil es die Antwort ist, die ihm eingetrichtert wurde, als er gerade einmal siebzehn Jahre alt gewesen und dann in kürzester Zeit bis zum Juniorassistenten des Zaubereiministers aufgestiegen ist. Doch kaum, dass die Worte aus seinem Mund gekommen sind, erinnert er sich daran, dass er versucht, ein freundschaftliches Verhältnis mit Oliver zu pflegen, und Freundschaften eben auch beinhalten, dass man sich heimlich Dinge erzählt, die vielleicht nicht für die Ohren der Öffentlichkeit bestimmt sind, aber auch nicht schaden können, wenn man sie inoffiziell unter der Hand weitererzählt. Also setzt er (nach einer kleinen Pause der Erkenntnis) hinterher: „Es soll eine neue Abteilung eingerichtet werden, die für ministeriumsinterne Angelegenheiten zuständig ist.“
Und dann, weil er sich besonders wagemutig (oder vielleicht auch einfach zu nervös und aufgeregt) fühlt: „Ich spekuliere darauf, endlich meine eigene Abteilung zu bekommen.“ (Früher hätte mehr Eindringlichkeit hinter den Worten gestanden, er hätte nicht spekuliert, er hätte gar nicht in Frage gestellt, ob jemand anders die Stelle bekommen könnte. Er wäre einfach wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass er die Leitung bekäme. Es wäre das Mindeste, nicht wahr? Nach seiner langen, harten Arbeit im Ministerium.)
„Das ist phantastisch, Percy!“ Olivers Gesicht leuchtet beinahe und seine Mundwinkel graben sich in seine Pausbacken hinein in dem größten Grinsen, das Percy je gesehen hat. (Früher hätte es sich vielleicht eher wie eine Degradierung angefühlt, nachdem er ja direkt unter dem Zaubereiminister gearbeitet hat, und Olivers Freude wie Spott, aber nach so viel Zeit, die Percy springend von Abteilung zu Abteilung verbracht hat, ist er sich ohnehin nicht mehr sicher, ob er so geeignet für den Posten des Zaubereiministers wäre.) „Aber … ich meine, wollte Du nicht eigentlich immer Zaubereiminister werden?“
Percy brummt leise und vage. „Ich denke, es gibt genügend Leute, die besser für diesen Posten geeignet wären.“ (Früher hätten solche Worte niemals seinen Mund verlassen. Vielleicht ist es der Einfluss von Penny und Roger, aber vielleicht ist es auch 1998 mit all seinen schlimmen, schlimmen Facetten gewesen, das Percy vor Augen geführt hat, dass all seine Buchbildung und sein theoretisches Wissen ohne Transferleistung oder kritische Auseinandersetzung überhaupt nichts taugt. Vermutlich sollte einer wie er nicht die Möglichkeit bekommen, an der Spitze einer gesamten Gesellschaft zu stehen und Entscheidungen zu treffen, die das Leben Hunderter oder Tausender nicht nur beeinflussen, sondern sogar bestimmen.)
„Also, ich denke“, erwidert Oliver bestimmt, „dass Du einen phantastischen Zaubereiminister abgeben würdest.“ Er lächelt bekräftigend und für einen klitzekleinen Moment kann Percy fast glauben, dass er vielleicht tatsächlich einen guten Zaubereiminister abgeben würde.
Glaubst Du, dass manche Menschen dazu vorherbestimmt sind, sich zu treffen?
Manchmal, wenn ich meine Eltern oder Geschwister ansehe, dann frage ich mich, wenn auch nur kurz, ob es so etwas wie Schicksal vielleicht doch geben kann. Ich glaube nicht an Astrologie oder daran, dass unser Leben vorherbestimmt und durch Sterne oder den Willen höherer Mächte determiniert ist, aber es gibt doch hin und wieder diesen kleinen, irrationalen Teil in mir, der sich fragt, ob Schicksal sich verhält wie Elektronen, die nur dann einen Weg wählen, wenn sie beobachtet werden und sich entscheiden müssen. Es ist alles ein bisschen Schrödingers Katze, oder?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich weiß, was Du meinst, obwohl ich ‚Schrödingers Katze‘ nachgeschlagen habe!
Es war kein sonderlich ausgereifter Gedanke und vielleicht hätte ich ihn lieber für mich behalten sollen, da ich mich durchaus ein wenig albern fühle, ihn überhaupt „laut“ formuliert zu haben. Vielleicht können wir die Sache einfach wieder vergessen?
Leider kann ich das nicht tun!
Du lässt keinerlei Gnade walten?
Ich hänge quasi wie ein Fisch an Deiner Angel, also: Nope!
Manchmal kommen Menschen genau zum richtigen Zeitpunkt in Dein Leben oder sie sagen zur rechten Zeit genau das rechte Wort und sie erschüttern Dein ganzes Sein und merken noch nicht einmal, dass sie Dich mit zittrigen Beinen zurücklassen. Und auf der anderen Seite hast Du all diese Kugelmenschen um Dich herum, die wollen, dass Du einer von ihnen wirst, und irgendwie möchtest Du vielleicht ebenfalls einer von ihnen sein, weil ‚bedingungslos geliebt zu werden‘ gar nicht so beängstigend klingt wie ‚sich in- und auswendig kennen.‘ Also siehst Du Dir diese Menschen an, die zum richtigen Zeitpunkt in Dein Leben treten oder zur rechten Zeit das rechte Wort sagen, und fragst Dich, ob einer von ihnen vielleicht Deine bessere Hälfte ist. Aber schicksalsähnliche Empfindungen sind nicht dasselbe wie Schicksal, bis wir im Nachhinein zurückblicken, nichtssagende Indizien in allesbedeutende Beweise umwandeln und entsprechend evaluieren. Weißt Du, was ich meine?
Ich denke, dass Kugelmenschen eine nette Idee sind, solange sie funktionieren, aber letztendlich doch als Konzept versagen. Ich bin vollständig als Mensch. Ich brauche keinen anderen Menschen, der mich vervollständigt. Wenn überhaupt, können andere Menschen mich lediglich ergänzen. Wie Eisbecher!
Wie Eisbecher?
Klar, wie Eisbecher. Eine Kugel Vanilleeis im Becher ist ein Eisbecher. Wenn ich andere Eiskugeln dazupacke oder Sahne oder Schokostreusel, dann wird der Eisbecher ja auch nicht vollständiger, nur eben erweitert. Menschen sind also quasi genau wie Eis!
Ich denke, ich kann mich Deiner Logik nicht erwehren?
Warum das Fragezeichen, wirst Du mir etwa frech? Skandalös, Percy Weasley!
Es würde mir im Traum nicht einfallen. Wäre es sehr verwerflich?
Ich bin ein wenig eifersüchtig auf die Person, die solche Seiten aus Dir herauskitzelt, also: Nein, absolut nicht verwerflich!
Es gibt keinerlei Grund, eifersüchtig zu sein!
Dann geh mit mir aus.