Chapter Text
Die Eulennotiz vor ihm ist wichtig, so wie jede, die auf seinem Schreibtisch landet, aber er kann sich einfach nicht darauf konzentrieren. Das Handy brennt ihm ein Loch in die Umhängetasche und er kann es von seinem (früher vielleicht einmal bequemen) Schreibtischstuhl aus spüren. Er weiß absolut nicht, warum er das Ding überhaupt mitgenommen hat. In einem Moment geistiger Umnachtung hat er es eingesteckt und, kaum dass er die Wohnung verlassen hatte, bereits wieder bereut. Keine Ahnung, was er sich davon erhofft hat. Jetzt führt es nur dazu, dass er seine Gedanken nicht bei der Arbeit behalten kann, weil er sich immer wieder fragt, ob vielleicht noch eine Nachricht aufgetaucht ist, nicht, dass er die letzten Tage nachgesehen hätte, und er wird auch jetzt den Teufel tun und es aus seiner Tasche holen.
Die französische Delegation äußerte sich kritisch gegenüber der…
Er liest den Satz noch einmal, aber sein Kopf will einfach nicht verarbeiten, was die französische Delegation zu kritteln hat, weil das Wort Kritik eine tiefsitzende, instinktive Reaktion in ihm auslöst, die ohne Zweifel auf Rogers Aussage zurückzuführen ist. Ist das die einzige Sache, für die er im Gedächtnis bleibt? Dass er während der Schulzeit Punktabzüge verteilt hat? Dass er die Kritiken und Beschwerden und (teils haltlosen) Anschuldigen des Ministeriums bearbeitet und auf fundierter Grundlage ablehnt, sodass er sich schon den ein oder anderen bösen Blick eingefangen hat, bei dem er das ein oder andere Mal schon überlegt hat, sich Informationen zu Schutzamuletten durchzulesen, bevor er sich heftig selbst daran erinnert hat, dass es keine wissenschaftliche Grundlage für solchen Schnickschnack gibt und es sich lediglich um Geldmacherei durch abergläubische Hexen, Muggle und Zauberer handelt. Ein unbedachter Gedanke oder ein unangenehmer Blick voller absichtlicher negativer Wünsche wird ihn nicht ins Unglück stürzen.
Die französische Delegation äußerte sich kritisch gegenüber der anstehenden…
Percy ballt seine rechte Hand zu einer Faust zusammen, bevor er alle Finger von seiner Handfläche wegstreckt und die Muskeln überdehnt, um sich wieder ins Hier und Jetzt zurückzurufen, aber seine Gedanken driften nach spätestens der Hälfte des Satzes ab und er liest zwar weiter, aber er kann sich, sobald er die Notiz beendet hat, nicht mehr daran erinnern, was darin gestanden hat.
Er wirft einen Blick auf die Uhr, die an seiner Wand hängt, und fragt sich, ob zehn Uhr zu früh ist, um eine Pause zu machen. Seine Mutter würde ihn vermutlich sogar dafür loben, an den Mittag gedacht zu haben und (Zitat) nicht vom Fleisch zu fallen vor lauter Arbeit (Zitat Ende), wenn sie davon erführe. Aber dann müsste er ihr mit Sicherheit auch erzählen, was ihn dazu gebracht hat, sich von der Arbeit abzuwenden, und wie könnte er ihr erklären, dass drei Nachrichten auf einer Dating-Seite ihn derart aus dem Konzept gebracht haben? (Ist es nicht generell absolut beschämend, dass es so wenig braucht, damit er komplett aus der Bahn geworfen wird? Vielleicht sollte er die Sache einfach vergessen und die Idee begraben gehen. Es kann schließlich nichts Gutes dabei herauskommen, wenn die eine Hälfte nur auf das Eine aus ist und die andere Hälfte ihm keine Gesprächskrumen zuwirft, die er tatsächlich erwidern kann; keine Dialoghalme, an denen er sich aus dem Urgewässer der Unsicherheiten ziehen kann. Und vor allem wenn der statistische Ausreißer ihn nur kontaktiert, um ihn daran zu erinnern, dass er ein regelkonformer, langweiliger Spießer ist, der anderen, die ihr Leben so viel aufregender gestalten, eben jenes schwierig macht.)
Percy wird keine Pause machen. Was er stattdessen tun wird, ist, was er bereits vor Tagen hätte tun sollen, als er Roger nicht mehr geantwortet hat, weil es nichts mehr gab, das er hätte antworten können: Er wird seinen Account wieder löschen, bevor er sich in noch mehr Fettnäpfchen und Unannehmlichkeiten bringen kann, die mit ihm schließlich unabwendbar sind. Vielleicht doch die Katze. Gibt es nicht auch felllose Katzen, die ihn vielleicht langfristig nicht den letzten Nerv kosten werden? Er wird es herausfinden, wenn es so weitergeht. (Und es wird so weitergehen, weil Percy es nicht in sich hat, irgendetwas zu ändern.)
Demonstrativ, als müsste er sich selbst etwas beweisen, legt Percy die Eulennotiz zur Seite und zieht stattdessen seine Tasche hinter sich neben dem Schrank hervor, um die vorderste Kladde zu öffnen und das Mobiltelephon hervorzuziehen, das beinahe harmlos neben seinem Portemonnaie gelegen hat, aber in seinen Händen plötzlich fast böswillig aussieht.
Mit dem Rücken zu seiner Bürotür weckt Percy sein Handy auf, um mit einsinniger, aber vor allem zielführender, Entschlossenheit die Website zu öffnen und dem Leben seines Accounts ein Ende zu bereiten, damit er sich nie wieder damit herumschlagen muss. (Außer Ginny hat sowieso kein Mensch davon gewusst, dass er sich dort angemeldet hat, und die hat ihm schließlich versprochen, es nicht wieder anzusprechen, also sollte er doch eigentlich gute Chancen haben, dass er nach heute nie wieder an dieses kleine Missgeschick, an diesen Unglücksfall, zurückdenken muss.)
Aber als er dann auf das kleine Icon klickt, das für sein Profil steht, sieht er, dass neue Nachrichten in seinem Postfach darauf warten, gelesen zu werden, und es ist doch so schrecklich unhöflich, Nachrichten einfach nicht zu beantworten. (Es sei denn, es sind eindeutige Angebote oder vulgäre Nachrichten, mit denen er einfach generell nichts anfangen kann, und von denen auch seine Mutter nicht erwarten würde, dass er sie beantwortet.) Also findet er sich nur ein paar wenige Sekunden später in seinem Postfach wieder, aber alle etwaigen Nachrichten sind vergessen, als er entdeckt, dass Roger ihm noch einmal geschrieben hat, vor ein paar Tagen sogar, nur einen Tag nachdem Percy ihn so schnöde ignoriert und abgeschrieben hat.
Percy weiß nicht, was er davon halten soll. Er hätte nicht gedacht, dass er noch einmal von Roger hören würde; hätte eher erwartet, dass Roger ihm lediglich geschrieben hat, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er ihm diese Begegnung aus seinem vierten Jahr noch immer nachträgt.
Soll er die Nachricht anklicken? Es könnten weitere unbedeutende Punktabzüge sein, wegen derer Roger sich bei Percy beschweren möchte. Es könnte allerdings auch eine Entschuldigung für sein ungebührliches Verhalten sein, die Percy verdienen würde. Und hat Percy nicht oft genug in seinem Leben gelernt, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient hat? (Hat er nicht selbst genug zweite und dritte und sechste Chancen bekommen, um zu wissen, wie es sich anfühlt, wenn einem vergeben wird?)
Sein Finger trifft die Entscheidung für ihn und im nächsten Moment wird er auf den Verlauf ihrer Nachrichten weitergeleitet.
Wie stehst Du zu der These des Autors, dass Pseudoambivalenzen in dieser Form nicht in menschlicher Zwischenkommunikation zu finden sind?
Die Augenbrauen zusammengezogen starrt Percy auf die Nachricht, die (wieder einmal) so sehr von allem abweicht, was er erwartet hätte, und ihm den Wind aus den Segeln nimmt. Wie soll er darauf reagieren? Bei einer Entschuldigung hätte er sagen können, dass so etwas schon vorkommen könne, dass er ja nicht nachtragend sei (wie wahr das auch immer ist). Bei einem weiteren Vorwurf hätte er erwidern können, dass, wer sich an die Regeln hielte, auch die Konsequenzen umgehen könnte. Aber das hier? Das ist weder das eine noch das andere und Percy findet sich schwimmend und paddelnd mitten auf dem Ozean der möglichen Konversationskatastrophen wieder, ohne dass er eine Ahnung hätte, wo er wieder festes Land finden könnte.
Ich denke, dass es ein furchtbar US-zentrischer Ansatz ist und genügend Kulturen und Völker außer Acht lässt, in denen sehr viel ambiguitäts- und ambivalenztoleranter gelebt wird, weswegen, wenn auch nicht aus juristischen, dann aus zwischenmenschlichen Gründen Pseudoambivalenzen zum Tragen kommen.
Percy starrt auf seinen Bildschirm, weil es natürlich absolut wahrscheinlich ist, dass Roger ihm nach mehreren Tagen der Ignoranz und vollkommenen Funkstille in Sekundenschnelle antworten wird; weil es natürlich absolut nicht unangemessen ist, während seiner Arbeitszeit am Handy zu sitzen und auf die Nachricht eines Typen zu warten, der ihn wenige Tage zuvor noch vor den Kopf gestoßen hat; weil es natürlich absolut in Ordnung ist, dass sein Herz so rast, als hätte er einen kleinen Sprint hingelegt und wäre nicht seit Stunden an diesem Schreibtisch, ohne sich großartig zu bewegen.
Aber egal, wie sehr er sich auch anstrengt und wie viel Kraft er auch auf-, er kann sich einfach nicht von dem Gerät ab- und seiner Eulennotiz wieder zuwenden.
Genau in der Sekunde, in der sein Bildschirm wieder schwarz wird, meint Percy eine neue Nachricht auftauchen zu sehen, aber als er das Handy wieder aufweckt, starrt ihm weiterhin nur seine eigene Nachricht entgegen, und er schilt sich einen Tor, weil er doch gerade eben noch in Gedanken durchgegangen ist, warum es gar keinen Sinn ergibt, hier und jetzt auf eine Antwort zu warten.
Percy seufzt, legt das Telephon vor sich auf dem Tisch und dann sein Gesicht in seinen Handflächen ab, weil es nur so derartig kurz gedauert hat, bis er jeglichen Anschein von Vernunft verloren hat. Er ist eben doch ein bisschen erbärmlich, nicht wahr?
Der Tag ist dahingeflossen wie Honig, wie eingekochter Birkensaft, wie das tranigste und langsamste flüssige Ding, das Percy sich vorstellen kann, und es ist das erste Mal, dass er sich aktiv dazu entschließt, um Punkt fünf Uhr alles zur Seite zu legen und sich auf den Weg nach Hause zu machen, nachdem er sich pünktlich um Zwölf für eine Stunde in ein Café gesetzt hat, in dem er lustlos zu Mittag gegessen hat. Es ist der unproduktivste und unerfreulichste Tag seiner gesamten Ministeriumslaufbahn gewesen, da ist er sich ganz sicher, und der Gedanke stimmt ihn noch ein wenig schlechter als zuvor.
Die Wohnungstür fällt zu laut hinter ihm ins Schloss und er schlüpft aus seinen Schuhen und seinem Mantel, bevor er seine Tasche neben der Couch auf den Boden fallen lässt und sich auf den Weg in die Küche macht, um sich Wasser für einen Tee aufzusetzen. Diesen Abend kann eigentlich nichts mehr retten, aber vielleicht kann er nach ein, zwei Stunden auf der Couch in sein Bett verschwinden und mit ein paar (viel) mehr Stunden Schlaf als sonst morgen frisch in den Tag starten. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Während der Kessel allerdings auf der Herdplatte steht und nachdem Percy sich eine Tasse inklusive Teeblättern vorbereitet hat, braucht es immer noch ein paar Minuten, bis er sich tatsächlich auf die Couch legen kann, und beinahe fremdgelenkt, fast wie an Marionettenfäden, führen Percys Schritte ihn zu seiner Tasche, aus der er mit spitzen Fingern und größtem Unwillen sein Handy herauszieht, weil er es fast nicht ertragen kann, noch länger zu warten, um nachzusehen, ob Roger ihm vielleicht geantwortet hat – oder eben auch nicht. Den ganzen Tag hat er sich in Geduld geübt und hat sich auf seine Arbeit konzentriert und immer und immer wieder dem Drang widerstanden, das Ding wieder hervorzuholen und auf Neuigkeiten zu überprüfen, weil er eigentlich nicht mehr damit rechnet, tatsächlich eine Antwort zu bekommen. (Und er hat sich doch auch immer noch nicht entschieden, ob er wirklich eine Antwort möchte. Was erhofft er sich schon von Roger, der drei Jahre jünger ist als er und Groll hegt über so lange Zeit, dass es ihm vermutlich bereits die ersten Steine in die Galle gepflanzt hat.)
Da sind tatsächlich neue Nachrichten, aber das muss noch lange nicht bedeuten, dass auch eine von Roger ist. – Außer, dass es tatsächlich Roger ist, der ihm keine zehn Minuten, nachdem er sich wieder seiner Arbeit zugewandt hat, geantwortet hat. (Percy hätte den ganzen Tag schon nachsehen und die Reaktion lesen können, und diese Realisierung kommt mit einem bitteren Beigeschmack. Aber vermutlich ist es besser so, vermutlich wäre es ganz furchtbar schlecht für ihn und seine psychische Gesundheit gewesen, wenn er sich noch mehr in seinem Tagesablauf eingeschränkt hätte, um auf Nachricht zu hoffen, nur um am Ende dann enttäuscht zu werden. – Auch, wenn hoffen und enttäuscht sein Konnotationen bergen, derer er sich in diesem Moment und zu dieser Zeit nicht annehmen kann und will, weil sie rutschige Trittsteine bei heftigem Wellengang sind und Percy doch nur den festen Boden der Tatsachen unter den Füßen haben möchte.)
Gute Antwort.
Zwei Worte und mehr nicht, keine eigenen Gedankengänge oder Überlegungen, die Percy vielleicht einen Einblick in Rogers Kopf bieten würden, anhand derer Percy entscheiden könnte, wie weiter mit Roger zu verfahren sei. Zwei Worte, die so unfassbar nichtssagend sind, aber gleichzeitig auch etwas bieten, das Percy vorher noch nie gehabt hat: Einen Menschen, der ihn nach seiner Meinung gefragt hat, ohne bei seiner Antwort komplett von dem abzukommen, was ihn zuvor zu Percy gezogen hat. Zwei Worte, die keine Enttäuschung sind oder Genervtheit oder Ungeduld. Zwei Worte, die bedeuten, dass Percys Antwort gelesen und anerkannt und vielleicht sogar wertgeschätzt wurde. (Oder zumindest ist es das, woran Percy sich festklammert mit eisigen Händen, weil es die ganze Situation ein bisschen erträglicher macht, ein bisschen weniger wie Zeitverschwendung erscheinen lässt.)
Percy ist sich nicht sicher, ob es an ihm wäre, Roger nach seinen Gedanken zu fragen, oder ob die Diskussion damit erledigt ist und sie beide wieder ihrer Wege gehen, ohne die Existenz des anderen zu beachten oder gar miteinander zu interagieren. Ein Teil von ihm möchte so verzweifelt gerne zurückfragen, möchte Rogers Antwort aufs Genauste studieren und in all ihre Einzelteile zerlegen, um die innere Logik und die dahinterliegenden Motive zu analysieren und immer wieder falsch anzuordnen und zu kategorisieren, bis ihm wie Schuppen von den Augen fällt, was die ganze Zeit direkt vor ihm gelegen hat. Aber ein viel größerer Teil von ihm hat Angst davor, eine Erwiderung zu verfassen und dann auf unfruchtbarem Boden aufzulaufen, die Segel vom Wind verlassen und der Bug bis ins Unrettbare zersplittert.
Also aktiviert Percy seufzend die Tastensperre, legt das Telephon beiseite und wendet sich wieder seinem Tee zu, der in der Küche darauf wartet, von ihm zubereitet und allein auf der Couch getrunken zu werden. Wahrscheinlich ist es besser so.
Das Ding mit Wochenenden ist, dass Percy sich nur so viel Arbeit mit nach Hause nehmen und dort erledigen kann, bevor sie ihm ausgeht und er allein in einem stillen Zimmer sitzt, das sich ein bisschen kalt und ein bisschen einsam anfühlt. Das Ding mit Wochenenden ist, dass er, wenn er keine Arbeit hat, die er vor sich liegen hat, ein wenig ins Trudeln kommt. Nicht immer, meistens sogar nicht, weil es immer etwas zu tun gibt, weil er immer putzen oder aufräumen oder ein weiteres Buch lesen kann, weil es immer etwas gibt, das seinen Körper oder seinen Geist so beschäftigt, dass er keine Zeit hat, sich im Selbstmitleid zu suhlen oder sich in Gedanken zu verlieren, die letztendlich sinnlos sind.
Seine Finger trommeln auf das Holz des Tisches und sein Blick verliert sich irgendwo in der Luft, weil er einfach nicht aufhören kann, darüber nachzudenken, dass Roger ihn zweimal kontaktiert hat; aus den unterschiedlichsten Gründen und ohne erkenntlichen Grund, wenn das irgendwie Sinn ergibt. Es juckt Percy in den Fingerspitzen, ob es eine magische Drei gibt, ob Roger ihn noch mit einer Frage oder einer Tatsache konfrontieren möchte, die Percy ganz unerwartet trifft und ein bisschen aus dem Gleichgewicht bringt.
Wäre denn wirklich etwas dabei, sähe er nach? Wäre es so schlimm, wenn er nachgeben und zumindest ein paar kleine irrationale Gefühle zulassen würde? Es müsste nie einer erfahren, er könnte ganz allein mit seinem Versagen sein und seine Unzulänglichkeiten im Nachhinein bereuen. Es ist schließlich nur, um seine Neugierde zu befriedigen, nicht weil er sich tatsächlich irgendetwas von der Sache erhofft. (Und Percy könnte sich ergehen, endlos und in ewigen Kreisen rennend, weil es wahrlich Neugier ist, weil alles in ihm drängt, sich wieder seinem Handy zuzuwenden und nachzusehen und den Kopf in den Nacken zu werfen vor lauter Frustration, bevor er, den Blick gen Himmel gerichtet, seine Alltäglichkeiten in Angriff nehmen würde, weil letztendlich doch niemals etwas bei rumkommen wird, weil Roger sich mitnichten weiter mit ihm auseinandersetzen wird. Er hat ja gar keinen Grund dafür.)
Percy ist ein schwacher, schwacher Mann, das Mobiltelephon ist bereits in seinen Händen und er hat keine Ausrede für sich und sein Verhalten. Er ist einfach nur sehr, sehr schwach und neugierige Katzen verbrennen sich bekanntlich die Tatzen, aber er hat so viel Zeit seines Lebens in einer erstarrten, unbewegten, unveränderlichen Seifenblase verbracht, er ist sich nicht sicher, ob er sich jemals zuvor verbrannt hat.
Was hältst Du von L. Crafts These, dass in Okklumentik erprobte Kinder eher zu Ambivalenzintoleranz neigen?
Irgendwo ganz tief hinten in seinem Kopf klingelt die Erinnerung an ein Thesenpapier, das er vor Monaten im Journal sur occultisme et magique gelesen hat und das in den Wochen hernach Reviews und Antwortschreiben provozierte, die das zweite Heft im darauffolgenden Quartal beinahe vollständig füllten, weswegen ein Artikel, den Percy selbst freudig erwartet hatte, in Heft Nummer Drei verschoben wurde.
Das ganze Ereignis zaubert ihm immer noch Unmut und ein wenig schlechte Laune in die Magengegend und er tippt seinen Frust in sein Mobiltelephon, bevor er es sich noch einmal anders überlegen kann.
Die Stichprobe war zu klein, um statistisch signifikante Aussagen über die Nullhypothese treffen zu können. Und das Experiment wäre vor einer Ethikkommission niemals zugelassen worden.
Es ist eine kurze Antwort, die noch nicht einmal an all den Problemen kratzt, die Percy mit der Umsetzung dieser doch eigentlich durchaus interessanten Forschungsprämisse hatte.
Natürlich ist ihm klar, dass die systematische Erforschung der Magie, die seit der Nachkriegszeit immer mehr Zuwachs gewonnen hat, noch immer in ihren Kinderschuhen steckt und er nicht erwarten kann, dass jeder publizierte Artikel goldwert ist, aber letztendlich wird wissenschaftliches Arbeiten bei den Muggeln bereits seit hunderten von Jahren praktiziert und es sollte doch nicht zu viel verlangt sein, sich zumindest an den minimalsten Standard zu halten, um transparentes und möglichst fehlerfreies Arbeiten zu gewährleisten.
Leider scheint Percy mit dieser Ansicht allein auf weiter Flur zu sein.
(Um etwas vom Thema abzukommen: Wenn Percy noch einen Artikel zum Thema „Eine Prognose zum Hypothetischen Bruchs des Geheimhaltungsstatuts Entwickelt Anhand Popkultureller Phänomene der Muggle“ lesen muss, dann muss er vermutlich im Dreieck springen und laut und lang und Halsschmerzen erzeugend schreien.)
Gerade, als Percy die Bildschirmsperre aktivieren und das Handy beiseitelegen möchte, taucht eine weitere Nachricht am unteren Ende des Bildschirms auf, und er hält das Handy eine halbe Armlänge entfernt vor sein Gesicht, damit er die klitzekleine Schrift auch tatsächlich lesen kann.
Ihr Forschungsbericht war mangelhaft.
Die Vergleichsgruppe bestand aus den drei Kindern ihres Bruders.
Ich hab gehört, ihr ‚weltberühmtes‘ Keksrezept ist nur Fertigteig mit einem Extrakilo Zucker.
Ich weiß nicht, was ihre Backfertigkeiten mit ihren furchtbaren wissenschaftlichen Praktiken zu tun haben.
Das nennt sich Geplauder, Percy.
„Das nennt sich Geplauder, Percy“, wiederholt Percy leise und vor allem fassungslos. Wie froh er ist, dass außer ihm kein Mensch in seiner Wohnung ist, der miterleben könnte, wie beschämend er sich verhält. Dass er tatsächlich für einen winzigen Moment genießen konnte, dass ein Mensch denselben Artikel wie er gelesen und sich dabei gedacht hat, dass die Ansprüche an Publikationen zu niedrig sind, dass Thesenpapiere erst durch andere Fachleute extern begutachtet werden sollten, bevor sie unauslöschlich auf Papier gebannt werden, wo sie quasi den anderen Expert*innen vorgeworfen werden wie Fleisch vor die Wölfe.
Aber Geplauder? Das ist etwas, das schon immer außerhalb von Percys Komfortzone lag, wenn er es denn überhaupt einmal geschafft hat, sich eine einzurichten, und die sich dann nicht als Farce herausstellte.
Geplauder umfasst Gespräche über Wetter und Verkehrslagen, über oberflächliche Gemütslagen und die Pläne fürs Wochenende. Geplauder ist ein Nicken über den vollen Kaffeebecher oder die weichgekochten, auseinanderfallenden Nudeln in der Kantine. Geplauder ist belanglos und dröge und füllt Percy bis in den letzten Winkel mit Unruhe und Panik, weil er nicht weiß, wie viel davon angebracht und erwünscht und vonnöten ist, und weil er weiß, dass, wenn er das falsche Thema wählt, er genauso gut das Todesurteil des Gesprächs unterzeichnen könnte und es wäre genauso effektiv. Percys Vorstellung von einem guten Gespräch ist nun, leider Merlins, nicht das, was alle anderen sich darunter vorzustellen scheinen.
Also antwortet er Roger nicht auf seine Aussage, weil Gerüchte über fremde Leute, nach Percys Informationen, nicht zu den gesellschaftlich akzeptierten Geplauder-Themenkomplexen gehört, weswegen Percy nicht sicher ist, ob es an ihm wäre, ein Gerücht auszugraben, das er in die Küche werfen könnte, oder er sich sogar eines ausdenken müsste, weil Gerüchte doch seltenst einen wahren Kern enthalten, was unweigerlich dazu führt, dass irgendjemand irgendwann seine Phantasie bemüßigt haben muss. Und wenn Percy eins nicht kann (oder gar will), dann ist es, haltlose Anschuldigungen in die Welt zu setzen, die ihm nur auf ewig ein schlechtes Gewissen machen, mit dem er nicht umzugehen weiß. (Percy hat doch so schrecklich schlechte Erfahrung mit haltlosen Gerüchten und den munkelnden Erfahrungsberichten, die als unhaltbar ausgemacht wurden. Vielleicht sollte Percy in Zukunft doch mehr auf das geben, das er in den Pausenräumen und auf den Gängen mit halbem Ohr mitanhören kann.)
Kein Geplauder für Percy und auch kein Geplauder für Roger. Nur die schwere Stille seiner Wohnung und die erdrückende Gewissheit, dass ihm jetzt nichts Anderes mehr bleibt als die einsame, einsame Nacht allein zu Haus.
Nach einem Wochenende der kontemplativen Einsamkeit ist die Rückkehr ins Ministerium und zum alltäglichen Arbeitsstress genau das, was Percy gebrauchen kann. (Er könnte auch andere Dinge gebrauchen, wie die warmen Hausschuhe, die er bei seinen Eltern im Fuchsbau stehen hat, und die weihnachtlichen Pullover, die er auch im Januar in seinen eigenen vier Wänden trägt, weil sie die Kälte ganz gut aus seinen Fingern halten, die er aber nicht während der Arbeit tragen kann, weil er professionell zu erscheinen hat und nicht wie der letzte Waldschrat, der seine Hütte nur dann verlässt, wenn er autark nicht mehr leben kann und sich an externe Mächte wenden muss, die ihm beim Lebenserhalt unter die Arme greifen sollen.)
(Percy könnte auch gebrauchen, den Tagespropheten morgens in zwei Hälften ziehen zu müssen, um sich dann während des Frühstücks die Seiten hin- und herzureichen, bis alle Information gelesen, aufgenommen und verarbeitet wurden. Percy könnte gebrauchen, nicht allein aufzuwachen, aber das geht vielleicht doch etwas zu weit.)
Arbeitsstress hat noch keinem geschadet, aber den meisten geholfen, und Percy bringt er immer wieder an den Punkt zurück, an dem er wieder etwas freier atmen kann und etwas weniger denken muss. Sich mit den Problemen anderer Leute herumzuschlagen, aber nur, wenn es abstrakte und emotionslose Probleme mit einer persönlichen Distanz sind, hatte schon immer einen irgendwie beruhigenden Effekt auf Percy, und als er in seinem Büro sitzt und sich einer Beschwerde zuwendet, weil die Zauberprüfungsbehörde Geld aus dem Transportetat für die Abschiedsfeier einer Mitarbeiterin abgezwackt hat, die für zwei Monate in Elternzeit geht. Es gibt keine Finanzstelle, heute ist das ganz allein Percys Aufgabengebiet.
Um den Taschenrechner, den sein Vater ihm zum zwölften Geburtstag geschenkt hat, weil jeder Junge in diesem Alter ein personalisiertes Muggleartefakt besitzen sollte, aus der Umhängetasche zu ziehen, dreht Percy sich um und öffnet die Kladde, wobei sein Blick, wie es in den letzten Wochen immer häufiger der Fall ist, auf dem Mobiltelephon landet, das harm- und leblos direkt neben dem Taschenrechner ruht. (Percy kann sich nicht daran erinnern, das Ding eingesteckt zu haben.)
Ein Blick kann nun auch nicht schaden, oder? Einfach nur, um festzustellen, dass da keinerlei neue Nachrichten in seinem Postfach sind, sodass er sich danach ruhigen Gedankens seiner Arbeit zuwenden kann, ohne dass ihn die Ungewissheit immer wieder zu seiner Tasche zurückführt, ohne dass er irgendwas gebacken kriegt.
Mal wieder entscheidet er weniger, als dass seine Hände für ihn entscheiden, die nach dem Mobiltelephon greifen und den Taschenrechner links liegen lassen. Diese elenden Verräter, wie sie die Bildschirmsperre lösen und den Browser öffnen, bevor Percy eine Chance hat, zu begreifen, dass er sich während der Arbeitszeit mal wieder mit allem möglichen beschäftigt, aber nicht mit der Arbeit.
Aber er wird belohnt (oder vielleicht wird er auch vom Universum bestraft, wer kann das schon so genau sagen?) und da leuchtet tatsächlich eine kleine Benachrichtigung auf, dass Roger ihm eine neue Nachricht gesendet hat, seit sie das letzte Mal miteinander geschrieben haben.
(Percy kennt die Gepflogenheiten nicht und er ist sich absolut nicht sicher, ob Roger ihm besonders häufig schreibt, eine angemessene Menge oder vielleicht doch eher ziemlich selten. Ist das, wie Dating-Websites funktionieren? Man erkiest einen Menschen aus anhand von Oberflächlichkeiten und beschönigenden und erlogenen Selbstdarstellungen, nur um dann Gespräch um Gespräch zu führen, bis der Funke überspringt? Das klingt anstrengend und mühsam und überhaupt nicht effizient. Es muss doch, auf diese oder auf jene Weise, einen besseren, schlichteren Weg geben, um die Kompatibilität zweier Menschen festzustellen. Percy hat keine Zeit sich zu verlieben, eigentlich hat er ja noch nicht einmal Zeit für eine Beziehung. Percy will seine Mutter zufriedenstellen und vielleicht ab und an nicht in eine leere Wohnung zurückkehren, das wird doch mitnichten zu viel zu wünschen sein. – Und Roger … Roger wird ihn diesem Ziel nicht näherbringen. Aber vielleicht kann Percy dennoch irgendetwas aus ihren zusammenhangslosen und irritierend spezifischen Gesprächen ziehen. Er muss nur herausfinden, was.)
(Der einzige Weg, es herauszufinden, ist, weiter mit Roger zu sprechen.)
Objektpermanenz bei Ghoulen?
Existiert.
Danke.
Percy könnte Lieder darüber dichten und von einem musischeren Menschen interpretieren lassen, dass Ghoule nicht nur über Objektpermanenz verfügen, sondern auch ein überraschendes Verständnis vom Fluss der Zeit und der Art und Weise, wie Objekte sich innerhalb dieses verändern, haben.
Ein Schauer durchläuft ihn und macht, dass sich die Härchen auf seinen Armen aufrichten. Der Ghoul hat noch nicht einmal über seinem Zimmer gewohnt, aber er hat dennoch mitbekommen, wie Ron sich mit ihm gequält hat. (Vor allem, während der Ghoul an Grieselkrätze litt.)
Aber sich in Erinnerungen an seine Jugend zu ergehen, wird seine Arbeit auch nicht schneller fertig werden lassen, also lässt er sein Handy mit gesperrten Tasten wieder in seine Tasche gleiten und wirft einen Blick auf die Beschwerde über die Zauberprüfungsbehörde, die noch immer unberührt und unberechnet auf seinem Schreibtisch liegt. Vielleicht kann er, mit ein wenig schieben, das notwendige Geld im Spesenkonto auftreiben, damit er niemandem hinterherrennen muss, um ministeriumseigenes Geld einzutreiben, wofür er nun wirklich weder die Zeit noch die Muße hat. Percy hat viel zu tun und es wäre doch gelacht, wenn er das Geld nicht in einem passenderen Etat auftreiben würde.
Obwohl gerade erst einmal Ende Januar ist, ist die ganze Stadt gefüllt mit valentinstäglichem Unsinn. Liebeszauber und Glücksamulette werden angepriesen und rosafarbene Dekoration und Plüschtiere finden sich sogar im Schaufenster von Flourish and Blotts. Pfannkuchen werden mit kleinen Herzen dekoriert und zwischen seinen Rechnungen findet er Angebote für heruntergesetzte Wochenenden zu zweit.
Percy kennt sich nicht unbedingt gut mit Mugglegeschichte aus, aber er ist sich dennoch sicher, dass Sankt Valentin nicht hierfür gestorben ist.
„Percy, Schatz, Dein Vater und ich machen uns doch nur Sorgen!“, ruft seine Mutter in diesem Moment aus, vielleicht, weil sie denkt, dass er sie über die Glut im Kamin nicht hören kann. Es ist schließlich auch so eine weite Distanz, die überbrückt werden muss. „Möchtest Du nicht vorbeikommen? Wir können zusammen Abendessen.“
„Ich werde an Valentinstag wie an jedem anderen Tag auch arbeiten“, erwidert Percy und er hat das Gefühl, dass unsichtbare Fäden seine Schultern nach hinten-oben ziehen, sodass er mit besonders gradem Rücken vor dem Kamin sitzt und seiner Mutter die Stirn bieten kann.
Molly wirft die Arme in die Luft, Percy kann es genau vor sich sehen, und lamentiert: „Am Valentinstag arbeiten! Das kann nicht Dein Ernst sein, Percy! Den romantischsten Tag des Jahres am Schreibtisch verbringen!“
„Es ist schwerlich der romantischste Tag im Jahr“, entgegnet Percy mit einem schweren Seufzen. Es ist beinahe dasselbe Gespräch, das sie im November anlässlich des Weihnachtsfestes (und dann sogar noch einmal am Weihnachtsfest) geführt haben, das Percy auch beinahe allein verbracht hätte, weil er seinen Eltern die Mühe ersparen wollte, noch mehr Mäuler stopfen zu müssen, nachdem seine Geschwister mit all ihren Partner*innen und Kindern vorbeigekommen waren. (Es ist beinahe dasselbe Gespräch, dass ihn an Weihnachten dazu gebracht hat, sich auf Ashes of Love anzumelden. Und was hat es ihm gebracht? Kryptische Nachrichten eines jungen Mannes, der sich niemals so für ihn interessieren wird, wie seine Mutter es sich vielleicht wünschen würde, wenn sie wüsste, dass Percy kein Interesse an Hexen hat. – Oder wie sie es vielleicht befürchten würde, wenn sie wüsste, was wirklich los ist. Percy weiß nicht, was seine Eltern davon halten würden, wenn sie wüssten, was in ihm so vor sich geht. Gemessen an Mollys Enkelkinderwünschen denkt Percy, dass seine Chancen, einfach wortlos so hingenommen zu werden, wie er ist, vielleicht nicht so groß sind, wie er sich wünschen würde.) „Und wenn doch, würde ich Dad und Dir ungern die Chance nehmen, den romantischsten Tag des Jahres zu genießen.“
Molly winkt ab. „Wir haben genug Tage im Jahr, die wir allein sind. Die Kinder sind bei uns, damit Deine armen Geschwister die Chance haben, auch mal einen Tag außer Haus zu verbringen.“
„Du möchtest also, dass ich meinen entspannten Arbeitstag und meinen ruhigen Abend gegen ein Haus voller Kinder eintausche?“, fragt Percy ungläubig. Sollte seine Mutter inzwischen nicht wissen, dass er so gar nichts mit Kindern am Hut hat und vielleicht auch niemals haben wird? (Mit wem auch? Seine biologische Uhr tickt. Nur, weil Zauberer und Hexen länger leben als Muggle, heißt das nicht, dass er mit vierzig noch Kinder bekommen möchte. Oder überhaupt.)
Der Ausdruck auf dem Gesicht seiner Mutter wird geradezu verdächtig unschuldig, während sie antwortet: „Nun, vielleicht inspiriert Dich ja, dass die Kleinen da sind.“
Da weht der Wind her. Die Vorstellung, dass ihm die Nähe zu kleinen, klebrigen Kleinkindergesichtern irgendwie zu Kinderwunschgefühlen verhelfen soll, ist so absurd, dass ihm für einen Moment die Worte fehlen. Das Einzige, das naher Kontakt zu seinen Nichten und Neffen auslöst, ist die Erleichterung, wenn er sie an seine Geschwister zurückgeben kann. Aber das ist wohl etwas, das seine Mutter nicht nachvollziehen kann – das seine Mutter noch nicht einmal in Erwägung ziehen kann, sonst würde sie ihm nicht mit solchen Vorschlägen um die Ecke kommen.
„Mum“, beginnt Percy, wieder mit einem schweren Seufzen und diesmal sogar hängenden Schultern begleitet, aber seine Mutter fährt ihm einfach über den Mund und insistiert: „Denk drüber nach, Percy. Wir wollen nur das Beste für Dich und ich bin mir sicher, dass Dir ein Tag weg von der Arbeit gut tun würde. Wie sollst Du denn jemanden kennenlernen, wenn Du immer nur an Deinem Schreibtisch sitzt und nie das Sonnenlicht zu Gesicht bekommst? Du bekommst noch Vitamin D-Mangel, weil Du nur drinnen im Dunkeln herumsitzt.“
Als sie ihren kleinen Monolog beendet und ihn mit einem auffordernden Ausdruck auf dem Gesicht ansieht, atmet Percy einmal tief durch und zählt langsam bis fünf, weil zehn vermutlich zu lange dauern würde, als dass Molly abwarten könnte, und er gibt nach: „Ich werde darüber nachdenken, Mum“, weil es einfach einfacher ist, als sich noch weiter mit ihr herumzustreiten. An diesem Punkt wird sie keine seiner Antworten und Argumentationen akzeptieren und Percy hat irgendwann gelernt, seine Energie zu rationieren und für Diskussionen aufzusparen, die weniger aussichtslos sind.
„Danke, mein Schatz“, sagt seine Mum und er weiß, dass sie es nur gut mit ihm meint. Es hindert ihn aber nicht daran, sich eingeengt und fluchtbereit zu fühlen.
Fünf ganze Stunden sind es, die Percy aushält nach dem Gespräch mit seiner Mutter, bis er wieder nach seinem Handy greift und die Website öffnet, die ihm wieder einmal mehrere Nachrichten verkündet, die aber, wie nicht anders zu erwarten, maßgeblich aus eindeutigen Angeboten und inhaltslosen Begrüßungen bestehen. Aber eine, die ihm gerade rechtkommt, ist von Roger, der irgendwie zu spüren scheint, wann Percy gerade eine kleine Ablenkung von seinem Alltag gebrauchen kann, und ihm eine neue Frage präsentiert. Percy ist sich nicht sicher, ob es eine Ginny-Situation ist und er Roger vor den Kopf stößt, wenn er gleich jeden Gedanken in seinem Kopf herausposaunt.
Wenn Flubberwürmer Münder an beiden Enden haben, woher kommt dann Flubberwurmschleim?
Flubberwürmer sind wenig erforscht. Ich kann Dir keine definitive Antwort hierzu bieten, aber es gibt ein paar mehr oder minder überzeugende Vorschläge.
Es kommt nicht sofort eine Erwiderung und Percy wird das kleinste bisschen unruhig auf seiner Couch. Ihm ist natürlich vollends bewusst, dass Roger mitnichten die gesamte Zeit an seinem Handy oder seinem Computer sitzt und eine neue Benachrichtigung sehen kann, aber er hat sich irgendwie schon daran gewöhnt, dass Roger nie sehr lange braucht, bis er reagiert, und die Untätigkeit, mit der Percy sich nun konfrontiert sieht, macht, dass er ein wenig auf seinem Platz hin und her rutscht.
Für eine kurze Zeit versucht Percy, sich mit Hausarbeit abzulenken, aber jedes Mal, wenn er einen Teilschritt beendet hat, greift er wieder nach dem Mobiltelephon, nur um keine Antwort entdecken zu können, und wendet sich danach einem weiteren zu, der ihn nicht vollständig von seiner Warterei ablenken kann, sodass er sich immer und immer wieder am Bildschirm wiederfindet, als könnten nur Rogers Worte einen Drang in ihm stillen, den er noch nicht einmal in Worte fassen kann, weil er ihn noch nie zuvor verspürt hat.
„Was verhältst Du Dich so töricht, Percy?“, fragt er sein Spiegelbild, das ihn nur wortlos anstarrt und auch keine aufschlussreichen Erkenntnisse bieten möchte. Er fühlt sich gleich noch ein bisschen törichter, aber er kann auch den Blick von seinem müden Gesicht und den kleinen Falten, die sich ihr Zuhause auf seiner Stirn und neben seinen Augen gesucht haben, nicht abwenden. Er fragt sich, wann er so alt geworden ist, und warum alles an ihm so viel Ernsthaftigkeit ausstrahlt; warum er nicht wie seine Geschwister sein kann, die nie ein Problem damit zu haben scheinen, sich der Welt offen und ohne Voreingenommenheit zu präsentieren. Was ist schief mit ihm gegangen und wann. (Und wie kann er etwas dagegen tun? Oder ist es vielleicht sogar schon viel zu spät dafür?)
Bevor er sich noch weiter in solchen Überlegungen verlieren kann, weil er weiß, dass er von Hölzchen auf Stöckchen kommt und irgendwann bei Baum endet, reißt er sich von seinem Spiegelbild ab und wischt noch ein letztes Mal mit einem trockenen Lappen über die Armatur, bevor er sich auch von seinem makellosen, staubbefreiten Badezimmer abwendet und stattdessen in den Wohnbereich geht, wo er sich mit Pergament und Feder an den Esstisch setzt, ohne dass er so recht weiß, was er eigentlich bezweckt.
Penelope,
ich trete aus persönlichen Gründen in Kontakt. Voller Erschrecken musste ich feststellen, dass wir seit geraumer Zeit keinen Umgang mehr miteinander pflegen. Da ich dies zu ändern gedenke, wäre ich Dir mit Dank verbunden, würdest Du Dich beizeiten von mir auf eine Tasse Tee einladen lassen.
Verbindlichst,
Percy Weasley.
Er starrt auf seine eigene Handschrift, fragt sich, ob er zu ungestüm ist oder ob er den Brief vielleicht doch gleich wieder fortschmeißen soll, weil er seit Jahren kein Wort mehr mit Penny gewechselt hat und sie vermutlich keinen einzigen Gedanken mehr an ihn verschwendet hat, seit sie das letzte Mal zusammen abendgegessen haben, was schließlich auch derselbe Abend gewesen ist, an dem sie sich in gegenseitigem Einverständnis voneinander getrennt haben. (Er war vielleicht ein wenig einverstandener als sie, aber letztendlich hatten sie sich darauf geeinigt, befreundet zu bleiben, nur um im Anschluss nie wieder voneinander hören zu lassen. Percy mag auch hier eine große Teilschuld auf sich geladen haben, aber bisher hat er sich noch nie in der Verantwortung gefühlt, etwas an seinem Verhalten zu ändern. Es hat nie einen Grund gegeben.)
Letztendlich, denkt er, ist sein Brief nicht zu persönlich und doch eindeutig von seiner geschäftsmäßigen Korrespondenz zu unterscheiden, und nun muss es an Penny liegen, ob sie sich noch einmal in seine Präsenz begeben möchte oder nicht. Das Einzige, was noch in seiner Hand liegt, ist der Weg zur nächsten Eulerei, in der er seinen Brief aufgeben muss, weil er derart selten Briefe aufgeben muss, dass es sich nie gelohnt hat, eine eigene Eule zu besitzen.
Der Gedanke gibt ihm ein ungutes Gefühl und er legt die Feder schnell beiseite, um ein Wachssiegel auf das Pergament zu drücken und sich auf den Weg zu machen, bevor er noch weiter darüber nachdenken kann. Es ist schließlich ein Zeitpunkt so gut wie jeder andere, um einkaufen zu gehen und sich stattdessen auf das Abendessen zu konzentrieren.
Er wirft keinen weiteren Blick auf seinen Nachrichtenverlauf mit Roger, egal wie sehr es ihn in den Fingern juckt, nachzusehen, ob Roger ihm geantwortet hat. Schließlich kann er nicht sein gesamtes Leben nach Gesprächsfetzen ausrichten, die für ihn so viel mehr Gravitas tragen als für den anderen Konversationsteilhabenden.
Bitte, welche Vorschläge gibt es? Du kannst mich nicht hängen lassen, okay?
H. Pollingtonious stellt im Appendix seines Healer’s Helpmate die Vermutung auf, dass der Flubberwurm eine Art Wiederkäu-Verdauungssystem hat und mit seinem einen Mund konstant Futter zuführt, während der andere das Wiedergekäute irgendwann auswürgt. In den 1750er Jahren führte Dilys Derwent diese Theorie weiter und schlug vor, dass Flubberwürmer abwechselnd mit dem einen und dem anderen Mund fressen und der jeweils andere Mund währenddessen Flubberwurmschleim auswürgt. Hippokrates Smethwyck schließlich vermutete, dass Flubberwürmer mit einem Mund fressen, verdauen und Schleim absondern und dann auf den anderen Mund wechseln. Quasi eine regenerative Brache. Dem widersprechend äußerte Rutherford Poke, dass es „offensichtlich“ und leicht herausfindbar sei, dass Flubberwürmer keinen Schleim auswürgen, sondern wie eine zweite Haut abstreifen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen sei.
Sollte es nicht einfach sein, herauszufinden, was stimmt?
Anscheinend sind Flubberwürmer schüchtern und sondern nicht vor jeder Person Schleim ab.
War das ein Witz, Percy Wesley?
Ich bin kein Flubberwurmexperte.
Warum dann das ausufernde Wissen über Flubberwürmer?
Ich lese die Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der magischen Tierpflege und den New York Ghost.
Sogar das Wahrsage-Supplement am Freitag?
Wenn ich etwas zum Lachen brauche.
Wenn ich Dich also nach Deinem Sternzeichen frage, würdest Du mich auf die Straße jagen?
Sternzeichen haben keinerlei wissenschaftliche Grundlage und sind daher für nichts von Relevanz.
Nervositätsschweiß steht Percy im Nacken, während er sich in dem kleinen Café in der Winkelgasse umsieht, das Penny als Treffpunkt auserkoren hat. Wie immer ist er eine Viertelstunde zu früh, aber er hat ein Buch in seiner Tasche, damit er sich nicht allzu sehr langweilt oder in Gedanken verstrickt, die einem unbelasteten Gespräch mit seiner Ex-Freundin im Weg stehen könnten.
Aber er muss gar keinen Gebrauch von dem dünnen Heft in seiner Tasche machen, da Penny bereits an einem Tisch im hinteren Bereich des Cafés sitzt und ihrerseits in einem Buch liest, das sich dem Aussehen nach auch in seinem Regal befinden könnte.
„Penelope“, sagt er zur Begrüßung, um auf sich aufmerksam zu machen, und sie legt ein Lesezeichen zwischen die Seiten, bevor sie das Buch zur Seite legt und ihn ansieht.
„Percy“, erwidert sie und deutet auf den Platz ihr gegenüber. „Ich hoffe, Du bist gut hierhergekommen.“
Percy nickt. „Der Weg war annehmbar.“ Dann streift er den Mantel von seinen Schultern, hängt ihn über die Stuhllehne und setzt sich hin, die Hände verloren in seinem Schoß liegend.
Nachdem eine Servicekraft seine Teebestellung aufgenommen, zubereitet und vor ihm auf dem Tisch abgesetzt hat, was alles in leicht unangenehmem Schweigen zwischen ihnen geschieht, nimmt Penny einen Schluck von ihrem Tee und fragt dann: „Du hast aus persönlichen Gründen Kontakt zu mir aufgenommen“, weil sie noch nie viel von Geplauder gehalten hat. Percy hat ihre Effizienz und schnickschnacklose Art und Weise immer schon wertgeschätzt.
„Wir hatten einmal guten Kontakt“, erwidert Percy mit einem Nicken, „den ich gerne wiederaufleben lassen würde, wenn es Dir denn auch recht wäre.“
„Wenn Du dort anzuknüpfen suchst, wo wir das letzte Mal geendet sind“, wendet Penny ein, während sie ihre Hände um ihre Tasse legt, „dann muss ich an dieser Stelle intervenieren und Dich darüber aufklären, dass ich in einer festen Beziehung bin.“
Penny weiß es nicht, aber es ist Salz in seine Wunden. Ist das wirklich das Einzige, das an ihm von Interesse ist? Dass er sich um Beschwerden kümmert und ob er endlich jemanden findet, der sich mit ihm abgeben möchte? Hat Percy als Person denn so gar keine Qualitäten?
„Ich bin nicht aus romantischen Gründen hier“, sagt er also spitz, den Rücken durchgedrückt und die Ohren brennend. „Doch ich glaube, Glückwünsche sind in solch einem Fall angebracht.“
Die Anspannung in Pennys Schultern verschwindet und ein kleines Lächeln breitet sich auf ihren Lippen aus, als sie antwortet: „Danke. Ich bin froh, dass Du geschrieben hast. Nach unserer Trennung wäre ich gern in Kontakt geblieben, aber ich war mir unsicher, wie viel Funkstille nach dem Ende einer Beziehung herrschen muss, bevor es wieder in Ordnung ist, miteinander zu sprechen. Und dann kam das Leben, wie es so spielt, dazwischen.“ Sie wendet ihren Blick kurz ab und bei den meisten Menschen würde Percy eine kommende Lüge wittern, aber Penny ist ihm in manchen Belangen so ähnlich und offen über Gefühle zu sprechen liegt ihr ebenso wenig wie ihm. Trotzdem sagt sie: „Ich hab Dich vermisst, Percy“, und er glaubt ihr.
Percy weiß auch nicht, was die sozialen Gepflogenheiten vorschreiben und ob es eine angemessene Zeitspanne gibt und was sie beträgt, aber er hat es auch nicht auf sich genommen, Kontakt zu ihr zu suchen, und er kann ihr schlecht vorhalten, was er selbst nicht über sich bringt. (Er weiß nicht, was es ist, das er darauf erwidern sollte.)
„Ich weiß“, beginnt Percy und ihm ist bewusst, dass sie bemerken wird, dass er ihre Aussage nicht erwidert hat, „dass ich gerade noch gesagt habe, dass ich nicht aus romantischen Gründen hier bin, aber wenn wir gerade dabei sind, das Thema zu berühren, denke ich, dass ich Dir eine Frage stellen sollte, die ich Dir vor Jahren bereits hätte stellen sollen, als es noch akut und frischer in Deinem Kopf war.“
„In Ordnung“, erwidert Penny mit schief gelegtem Kopf.
„Bei unserer Trennung sagtest Du, dass Du Dir mehr von einer Beziehung erhoffst“, fährt Percy also fort. „Ich habe das hingenommen und Dir Deinen Freiraum gelassen, auszudrücken, was Dir wichtig war. Aber in Retrospektive denke ich, hätte ich dieses Gespräch als Lernmöglichkeit nutzen sollen. Wenn es nicht bereits zu spät ist, würde ich gerne dieses Versäumnis nachholen und Dich fragen, aus welchen Gründen Du Dich von mir getrennt hast.“
Penny atmet tief durch und sieht in ihre Tasse, die Augenbrauen zusammengezogen, dass sich eine steile Falte dazwischen bildet, die er so gern mit dem Daumen geglättet hat, als sie noch zusammen gewesen sind, bis sie ihn mit einem leichten Lachen auf den Lippen angesehen und einen Kuss auf seine Nasenspitze gesetzt hat. (Dieses sehnende, ziehende Gefühl breitet sich wieder in seinem Zwerchfell aus, das er auch gespürt hat, als er die Häuslichkeit und Heimeligkeit zwischen Ginny und Harry an Weihnachten mitansehen musste. Es ist keine Sehnsucht nach Penny und ihrer gemeinsamen Beziehung, aber doch ein Sehnen nach einer Heimat in Form einer Person, die seine Eigenarten erträgt und deren Sorgenfalten er glätten kann.)
„Es gab keinen einen ausschlaggebenden Grund“, sagt Penny schließlich und es klingt ganz schrecklich nach Es ist Dein ganzes Sein, Percy, was ihm wie ein Stein in den Magen fällt, „manchmal haben wir mehr aneinander vorbeigelebt. Aber mehr hat für mich bedeutet: Mehr Kommunikation, mehr Einblicke in das, was Du fühlst und denkst. Du warst schon immer so schrecklich verschlossen mit dem, was ganz tief in Dir vorgeht, und manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich so viel von Dir nicht kenne und vielleicht nie kennenlernen werde. Das hat mir Sorge gemacht und ein bisschen Angst. Und manchmal hat es einfach geschmerzt, weil ich Dich so gern mochte, Percy.“
Sie löst ihre Hände von ihrer Tasse und streckt sie nach vorne aus, um seine Hände mit ihren zu umschließen, während sie ihm tief in die Augen sieht und ihn das Bedürfnis überkommt, sie von sich abzuschütteln und davon zu laufen. Aber das würde nur beweisen, dass er sich in all den Jahren nicht das kleinste bisschen verändert hat, während sie anscheinend gewachsen ist und sich weiterentwickelt hat, sodass sie mitten in der Winkelgasse in einem Café mit ihm so offen über ihre Unsicherheiten und Ängste damals sprechen kann, ohne dass sie den Blick abwenden muss oder es ihr allzu unangenehm zu sein scheint.
Vielleicht hat Percy sich geirrt und Penny und er sind sich so überhaupt nicht ähnlich, weil ihn allein seine Anwesenheit in so viel Emotion unruhig macht und ihm das Atmen ein bisschen schwerer fällt.
„Danke für Deine Ehrlichkeit“, sagt Percy um den Kloß in seinem Hals herum, obwohl es eigentlich mehr ein Krächzen ist, das er herauswürgen muss, weil ihm plötzlich ein paar Tränen in den Augenwinkeln brennen, die er nicht wegblinzeln muss, aber die ihm doch die Sicht ein wenig verschwimmen lassen. „Ich werde mich darum bemühen in unserem kommenden Verhältnis offener mit meinen Gedanken und Gefühlen zu sein.“
„Ach Percy“, seufzt Penny, bevor sie ihre rechte Hand an seine Wange legt und mit dem Daumen über seine Wange streicht. Sie versucht das Thema zu wechseln: „Wie geht es Dir?“
„Ich—“ Percy unterbricht sich selbst, weil er an dem Kloß in seinem Hals einfach nicht vorbeikommt und weil er auch nicht so genau weiß, was er auf ihre Frage antworten soll. Gerade geht es ihm nicht unbedingt blendend oder auch nur annehmbar. Er schluckt. „Ich wäre Dir dankbar, wenn wir das Gespräch vorerst auf Dich lenken können.“
Es ist nicht zwingend ein Eingeständnis seines Gemütszustandes, aber es ist auf jeden Fall schon näher an einem tatsächlichen Gespräch über seine Gefühle und Gedanken, als er normalerweise dran ist. Pennys trauriges Lächeln zeigt ihm, dass sie ungefähr denselben Gedanken gehabt haben muss. Aber sie hat auch genügend Verständnis für seine Position, dass sie seinem Wunsch tatsächlich nachkommt.
„Ich arbeite im St. Mungos, wie Du vermutlich mitbekommen hast“, erzählt Penny also, ohne die Hände von ihm zu nehmen. Der Kontakt gibt ihm ein wenig Ruhe zurück, aber nicht sonderlich viel. „Ab und an vertrete ich Helbert Spleens Kolumne im Tagespropheten. Ansonsten verbringe ich im Moment viel Zeit im Laden meiner Eltern, weil meine Mutter sich den Arm gebrochen hat und sie die Hilfe vertragen können.“
Percy nickt und konzentriert sich auf die ruhige Kadenz, in die Penny immer verfällt, wenn sie von sich erzählt. Obwohl so viel Zeit vergangen ist, fühlt es sich ein wenig an wie heimkommen, ihr zuzuhören und ihre Haut auf seiner zu spüren. Bis eben ist ihm nicht klar gewesen, dass er sie ebenfalls vermisst hat. Es ist ein bisschen wie, wenn er nach monatelanger Abwesenheit das erste Mal wieder bei seiner Familie ist und seine warmen, eingelaufenen Hausschuhe anzieht und ihm auffällt, dass kein anderes Paar Schuhe, das er besitzt, derartig bequem ist. (Penny ist nicht wie ein Paar Schuhe, natürlich, aber das Gefühl des Angekommenseins und der Zugehörigkeit ist in etwa vergleichbar.)
„Tatsächlich haben Suzie – Du erinnerst Dich vielleicht, Suzie Fawcett, sie war auch in Ravenclaw –, Suzie und ich haben einen Buchclub gegründet“, sagt Penny gerade und sie streicht noch ein letztes Mal mit dem Daumen über seine Wange, bevor sie ihre Hände wieder zu sich zurückzieht. „Du solltest Dich bei Gelegenheit anschließen. Ich denke, Dir würde unsere Buchauswahl zusagen.“
„Danke“, sagt Percy und er meint nicht nur das Angebot, Bücher zu besprechen, er meint auch alles andere.
Die Tür fällt hinter Percy ins Schloss und für einen Moment fühlt sich die Stille in seiner Wohnung ohrenbetäubend an. Die Zeit ging so schnell vorüber und keine vier Stunden, nachdem sie sich zusammengesetzt haben, fiel Pennys Blick auf die Uhr und sie musste nach Hause eilen. Und Percy blieb nichts Anderes übrig, als ebenfalls heimzukehren.
Das Seltsame an der Sache ist, dass sich die Stille nicht anfühlt, wie wenn er aus dem Fuchsbau zurückkommt, nachdem er Tage mit Unmengen an Menschen verbracht hat, oder wenn er von einer Ministeriumsfeier wiederkommt, auf der man den zahllosen Menschen nicht einmal entfliehen kann, wenn man sich auf einen der Balkone zurückzieht, auf denen geraucht und gequatscht wird und auf denen man keine ruhige Minute findet. Sie fühlt sich leichter an, etwas unbelasteter und nicht annähernd so drückend. (Oder vielleicht sind seine Schultern einfach weniger nachgiebig.)
Er streift seine Schuhe ab und hängt die Jacke an den Haken, während er sich von der trockenen Heizungsluft die Wangen und Finger aufwärmen lässt, bis er in seinem Zimmer seinen Weasley-Pullover vom Stuhl klaubt und ihn sich über den dünnen Pullunder streift.
Der Hals tut ihm ein bisschen weh und auch die Wangen schmerzen ein wenig, aber die Wärme, die sich in seiner Magengegend breitgemacht hat, nachdem er seine anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten aus dem Weg geräumt hatte, hält noch immer an und füllt sein Herz mit—mit einer Art Zuneigung vielleicht. Und sie füllt ihn mit—mit einer Art Bewegungsdrang, einem Treiben oder vielleicht Hinterherjagen, ziellos und ratlos nach was.
Er tritt ein paar Schritte an die Küchenzeile, aber der Nachmittagstee hat ihm die Lust auf eine weitere Tasse zunichte gemacht, und er geht auf seine Couch zu, weil auf dem kleinen Tisch daneben noch immer sein Buch liegt – das Lesezeichen lugt auffordernd zwischen den Seiten hervor –, aber es zieht ihn so gar nicht dorthin. Und nun steht er orientierungslos mitten im Raum, der Zeigefinger seiner rechten Hand zuckt tatenlos und ein Teil von ihm möchte die Hand ausstrecken. Er weiß nur nicht, wohin.
Keine neuen Nachrichten. Weder am Wochenende noch gestern noch heute.
Es ist nicht so, als hätten Roger und er täglich miteinander geschrieben. Eigentlich kann er sogar an zwei Händen abzählen, wie oft sie in den letzten sechs Wochen überhaupt miteinander korrespondiert haben. Aber als er jetzt, am Valentinstag, allein in seiner Wohnung sitzt, nachdem er den gesamten Tag auf der Arbeit verbracht hat, und er weder nachgeben und seine Eltern besuchen noch auf Penny ausweichen kann, weil diese in einer romantischen Beziehung ist und den Valentinstag vermutlich verplant hat, weiß er nicht so recht, wohin mit sich. (Vermutlich? Definitiv. Sie hat ihm doch selbst davon erzählt in einem der Briefe, die sie in der letzten Woche ausgetauscht haben. Ein weiterer liegt auf seinem Küchentisch, aber er fühlt sich nicht bereit, ihn zu öffnen und zu lesen. Penny kann einen weiteren Tag warten.)
Wenn Percy es ganz genau nimmt, dann kann er an zwei Händen abzählen, wie oft Roger ihn angeschrieben hat. Vielleicht hat er einfach keine Lust mehr, immer wieder den ersten Schritt zu tun, ohne dass Percy ihm entgegenkommt. (Vielleicht ist er aber auch Percys Ansichten und Meinungen überdrüssig. Es ist die wahrscheinlichere Möglichkeit, wenn Percy sich aber zu sehr darauf konzentriert, dann rutscht seine Laune von einer suchenden Rastlosigkeit zu einem bodenlosen Loch, das ihn die halbe Nacht wachhält. Penny würde ihm vermutlich sagen, dass er nicht für andere Menschen mitdenken soll, weil die schließlich selbst entscheiden können, was sie wollen, aber dass er niemals herausfindet, was das sein könnte, wenn er ihnen nicht die Chance gibt. Vermutlich, weil sie [noch?] nicht an dem Punkt angekommen sind, an dem er ihr erzählen würde, dass er sich a) einen Account auf einer Dating-Seite gemacht hat, und b) dass er mit Roger schreibt. Im Moment ist er sich nicht sicher, ob er je an dem Punkt ankommen wird, an dem er frei und ohne jegliches Schamgefühl darüber sprechen können wird.)
Sollte er Roger anschreiben?
Vielleicht sollte er Roger anschreiben.
Er wird Roger anschreiben.
Mit dem festen Vorsatz geht er zu seiner Tasche, um das Handy herauszuziehen, nur um festzustellen, dass der Akku beinahe leer ist, und während er nach dem Ladekabel sucht, das er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hat und von dem er keine Erinnerung hat, wann er es das letzte Mal genutzt hat, fällt ihm auch auf, dass er gar kein Gesprächsthema hat, das es rechtfertigen würde, Roger in seinem alltäglichen Treiben zu stören. Also blickt er sich bei seiner Kabelsuche ebenfalls in seiner Wohnung um, klappert sein Bücherregal ab und wirft einen Blick auf den Tagespropheten, der noch immer auf dem Couchtisch liegt, aber ihm will einfach nichts unterkommen, das er ansprechen könnte.
Als er sich schließlich mit Handy und Ladekabel auf der Couch wiederfindet, starrt er auf ihren Nachrichtenverlauf und seufzt schwer.
Vor ein paar Monaten hat Maud Ashborn einen Vortrag gehalten, der beweisen sollte, dass Flubberwürmer lediglich die Larve eines anderen Tieres ist, aber konnte nicht eindeutig beweisen, was mit den Flubberwürmern passiert, nachdem sie sich verpuppen. Ich glaube nicht, dass sie eindeutig beweisen konnte, dass die Kokons auch tatsächlich Flubberwürmer enthielten. Davon gehört?
Das sind unfassbare Informationen, was für eine Wendung. Ich bin absolut schockiert. Hat kein Mensch die Puppen geöffnet?
Ich glaube, Rutherford Poke hat eine aufgeschnitten und es kamen Unmengen an Flubberwurmschleim zum Vorschein?
Das ist so eklig, ich bin begeistert!