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Kamille und Salbei

Summary:

Leo sah auf die Leiche, auf den gequälten, leeren Blick, und ihm wurde schon schlecht bei dem Gedanken, sie anzufassen. Vorsichtig stützte er sich ab, damit er den Bannkreis nicht beschädigte und lehnte sich vor. Dann schob er seine Jacke zurück und griff nach der toten Hexe.

Eine Ermittlung der etwas anderen Art.

Notes:

Ich weiß auch nicht genau, wo das herkam. Urban Fantasy für den Urlaub für meine Händchenhalten Partnerin. ♥

Work Text:

Leo richtete sich mit einem gezwungen tiefen Atemzug wieder auf. Irgendetwas in dieser engen, kleinen Kellerwerkstatt schnürte ihm fast die Kehle zu, er konnte nur nicht identifizieren was. Der Lichteinfall von draußen war seltsam. Irgendetwas lag in der Luft. Der Typ von der Tatortsicherung, der ihn reingelassen hatte, hatte ihm allerdings versichert, dass der Tatort gesichert war, dass sich nichts mehr im Raum befand, das ihm gefährlich werden konnte. Wie er das gesagt hatte, hatte sich höhnisch angehört, aber Leo vertraute darauf, dass sie ihren Job gut und richtig gemacht hatten. Es war Standardprozedur, einmal den Tatort durchzuräuchern, bevor er für die Kommissare freigegeben wurde. Was auch immer in der Luft lag war passiv, als würde es auf etwas warten. Er wollte schon Rainer von der Dämonenfahndung anrufen und ihn bitten, vorbeizukommen, aber das würde auf morgen warten müssen.

Die Leiche lag vor ihm, mittlerweile mit einer Plane zugedeckt, damit niemand den entsetzten Gesichtsausdruck sehen musste, mit dem die Hexe gestorben war. Sein Puls schlug hart in seinen Adern und alles fühlte sich heiß und stickig an. Die Luft war schwer und untersetzt mit etwas Aggressivem, was seine Lungen nur noch mehr einengte. Alles hier war beklemmend. Er wechselte wieder die Position und kniete sich hin. Er blickte in die Schatten, die ihn sonst so willkommen hießen, aber selbst die waren gerade unruhig. Unter den Regalen, in den Nischen, alles hatte sich zurückgezogen und stand auf Abwehr. Er stieß einen zittrigen Luftzug aus um etwas von dieser Schwere loszuwerden, die sich in ihm angesammelt hatte und rieb sich über das Brustbein.

Plötzlich hörte er jemanden die Holztreppe herunterkommen. Er musste sich gar nicht umdrehen, um zu wissen, wer da auf ihn zukam. Er hatte Adams Ankunft im oberen Teil des Hauses schon vor ein paar Minuten gespürt. Das leichte Flattern in seiner Magengegend, die Freude, die sein Körper verspürte, war unmissverständlich. Einen Monat hatten sie sich nun gar nicht gesehen, in den Monaten davor, seit Adam mit ihm Schluss gemacht hatte, auch nur sporadisch, aber sein ganzer Körper vibrierte immer noch, wenn Adam in der Nähe war. Er veränderte zum sicherlich zehnten Mal in der letzten halben Stunde die Position. Wenn er doch nur einen tiefen Atemzug machen könnte, ohne hier in der Schwere fast zu ersticken.

„Hallo“, begrüßte er Adam. Er hatte versuchen wollen, Adam wieder mit dem Nachnamen anzusprechen, aber sein Herz wollte das nicht zulassen. ‚Adam‘ schien aber doch zu intim, um ausgesprochen zu werden, weshalb er sich angewohnt hatte, in Adams Gegenwart einfach seinen Namen wegzulassen. Er drehte sich zu ihm hin und blickte auf. Sein Herz zog sich zusammen. Adam sah immer noch schön aus, die blauen Augen stählern und intensiv als sie den Raum absuchten. Seine Wangenknochen waren vielleicht etwas prominenter. Es tat immer noch weh, ihn zu sehen. Die Zeit, in der sie jetzt keinen Fall zusammen gehabt hatten, hatte Leos Herz um kein bisschen geheilt. Wie sollten auch ein paar Monate reichen? Jahre würden diese tiefe, klaffende Wunde nicht heilen können, die Adam hinterlassen hatte.

„Hölzer“, murmelte Adam zur Antwort. Er klang unglücklich und verbissen. Klar, er war ja auch hier in Leos Nähe. Kein Wunder, dass er unglücklich war. Der Anrede nach zu urteilen hatte er offensichtlich kein Problem, die Distanz zwischen ihnen wieder aufzubauen. Die Luft wurde fast noch schwerer und schmeckte jetzt auch noch bitter, nachdem Adam heruntergekommen war. Das war immer ein Zeichen, dass Adam wütend war. In den letzten Wochen, in denen sie zusammen gewesen waren, bevor Adam Schluss gemacht hatte, hatte die Luft ständig so geschmeckt: bitter und ablehnend. Er konnte den Hass, den Adams Vater in Leos Leben verbreitet hatte, manchmal heute noch riechen wenn er nachts schweißgebadet aufwachte.

„Alles klar?“, fragte Leo halbherzig. Er wollte Adam fragen, warum er wütend war, aber er wollte keinen Streit beginnen. Vielleicht wollte er auch einfach nicht hören, dass Adam sauer war, weil er mit ihm zusammenarbeiten musste. Selbst Adams Schatten war heute klein und unauffällig. Früher hatten Adams Schatten Leo schützend in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers eingehüllt, hatten ihn in jedem Raum, den er betrat, willkommen geheißen, aber das hatte Adam wohl auch abgestellt.

Adam ignorierte ihn, sah ihn nicht einmal an. „Was haben wir?“ Er klang ungeduldig und tappte mit seinem Finger auf seinen verschränkten Armen. Seine ablehnende Haltung half Leos Atemproblemen gar nicht.

Er holte durch seine enge Kehle Luft. „Dunkle Hexe. Wollte wohl irgendetwas herholen und hat sich übernommen.“ Er zog die Plane zurück und hörte Adams Schrecken in seinem Atemzug. Der Schatten unter der Plane streckte sich nicht einmal nach Adam. „Ja, genau“, kommentierte er. Die Grimasse, die die Leiche schnitt, war furchterregend und sagte zumindest aus, dass was auch immer sie gerufen hatte, nicht harmlos war. Als hätte sie mit ihren letzten Atemzügen noch um ihr Leben geschrien. Leo hatte sie noch nicht angefasst, freute sich aber nicht unbedingt auf das Erlebnis. Er fuhr mit der Erklärung fort.

„Das Zeichen da war schon so als die Spurensicherung kam“, sagte er und zeigte auf eines der verwischten Zeichen in dem großen Bannkreis am Boden. „Der Rest des Bannkreises war intakt.“ Er atmete tief ein, aber es kam so wenig Luft durch, dass es sich fast nicht lohnte. Er schnaufte. „Die Gabenschüssel hat das Zeichen verwischt, die lag auch schon so da, wie sie jetzt liegt.“ Vielleicht hatte die Hexe die Schüssel umgestoßen, vielleicht war durch einen Fehler im Ritual etwas anderes gekommen, als sie erwartet hatte. Er öffnete seinen Mund, aber einen Moment lang kam kein Geräusch heraus. Er wollte hier raus, er musste wieder atmen. Alles war so heiß. „Spusi hat Proben genommen. Riecht nach Wermut.“

Adam sah ihn an, kalkulierend und verbissen. „Was ist los mit dir?“

Leo zuckte mit den Schultern. „Irgendetwas stimmt nicht. Ich bekomme nicht gut Luft.“

„Ich merke gar nichts. Der Typ von der Tatortsicherung hat gesagt, du hättest gesagt, dass etwas wartet, als du reingekommen bist?“

Leo zog die Augenbrauen zusammen. Daran konnte er sich nicht erinnern. „Du bekommst ganz normal Luft?“, fragte er unsicher.

Adam nickte. „Oben hat auch keiner was erwähnt.“

In der Tatortsicherung waren generell keine Empathen und ihr Team war keine Ausnahme. Es überraschte Leo nicht, dass von denen niemand etwas bemerkt hatte. Er kniete sich wieder anders hin, weil er sich so eingeengt fühlte und sah Adam an. Er wusste doch auch nicht, was hier nicht stimmte. Vielleicht brauchten sie einen Ritualexperten oder die Dämonenfahndung. Sie konnten ja Rainer anrufen, sobald sie hier fertig waren.

Adam nickte. „Was ist mit der Leiche?“ Er fühlte sich ungeduldig an. Vielleicht konnte er es auch nicht erwarten, wieder rausgehen zu können; von Leo weg.

Leo senkte den Blick. Klar. Nur nicht zu lange in seiner Gegenwart bleiben. Er sah auf die Leiche, auf den gequälten, leeren Blick, und ihm wurde schon schlecht bei dem Gedanken, sie anzufassen. Vorsichtig stützte er sich ab, damit er den Bannkreis nicht beschädigte und lehnte sich vor. Dann schob er seine Jacke zurück und griff nach der toten Hexe.

„Leo, warte“, zischte Adam plötzlich und machte einen Schritt auf ihn zu, aber es war schon zu spät.

Als seine Hand die kalte Wange berührte, zuckte ein Schmerz wie ein elektrischer Schlag durch seinen ganzen Körper. Es tat so weh, dass ihm komplett die Luft wegblieb. Der Schmerz bohrte sich in jede Zelle seines Körpers, die letzten Gefühle der Hexe schossen ihm in Mark und Bein. Schmerz, Wut auf jemanden, Trauer, dass sie etwas getan hatte, was sie nicht wollte, ein dunkles Brennen, das in ihren Augen gestartet hatte und sich wie Lauffeuer durch ihren ganzen Körper ausgebreitet hatte, bis es sie verzehrt hatte. Das bisschen Luft, das er in der letzten halben Stunde noch durch seine Luftröhre gebracht hatte, wurde ihm wie aus der Lunge gesaugt. Alles brannte in ihm. Er hörte sich selbst vor Schreck erstickt röcheln, aber nichts kam mehr in seine Lunge. Er wusste, dass er sich nicht mehr aufstützen konnte und jeden Moment in den Bannkreis fallen würde, aber da packte ihn Adam schon von hinten und zog ihn von der Leiche weg. Irgendwo lachte etwas tief und hallend. Er hätte doch zuerst die Dämonenfahndung vorschicken sollen und nicht die Leiche einfach so anfassen sollen.

Er landete hart auf seinem Rücken und konnte nur hilflos an die Decke starren, während sein ganzer Körper steif und angespannt zuckte. Er konnte nicht atmen. Er bekam keine Luft. Alles war heiß. Die Hand, mit der er die Hexe angefasst hatte, begann zu brennen, ein Gefühl, das sich langsam aber stetig seinen Arm hinauf ausbreitete. Adam schrie seinen Namen. Leos Blickfeld wurde kleiner, dunkler. Sein Puls fühlte sich noch schwerer an als zuvor und das Pochen in seinem Kopf wurde eindringlicher und langsamer. Er sah alles wie durch eine Röhre.

Adam stand von ihm abewandt und er wollte nur noch darum bitten, dass Adam ihn vielleicht ein letztes Mal ansehen würde. Er hörte Gläser im Regal zerbrechen, bevor Adam wieder in seinem Gesichtsfeld auftauchte und ihn mit großen Augen anstarrte. Er verrieb etwas in seinen Händen, aber Leo konnte nicht erkennen was. Der bittere Geruch von Wut wurde abgelöst von panischer Angst. Er wollte lachen. Er hatte noch nie seine eigenen Emotionen in der Luft gespürt. Die Hitze war mittlerweile unerträglich. Plötzlich wurde ihm klar, was hier passiert war: ein Trugschatten. Falsche Schatten, die manchmal für Attentate oder Hinterhalte verwendet wurden. Deshalb waren die Schatten im Raum so ängstlich gewesen, deshalb war Adams Schatten so klein geworden. Die Hexe hatte einen Trugschatten heraufbeschworen, der sich in ihr ausgebreitet hatte, deshalb das Brennen, das sie gefühlt hatte. Deshalb auch der Schmerz, als er in Leo übergegangen war. Es war ironisch. Er hatte sein Herz an einen Schattenwandler verloren, hatte sich die letzten Monate schon längst wie tot gefühlt, seitdem Adam ihn verlassen hatte, und jetzt…

Plötzlich zog Adam ihn zu sich und hielt seine Hand über Leos Nase und Mund. Der intensive Duft von Kamillenblüten, Salbei und anderen Kräutern füllten seine Lunge. Das letzte, das er noch sah, bevor ihn die Dunkelheit einhüllte, waren Adams tränengefüllte Augen.

 

 

 

 * * *

 

 

 

Adam duckte unter dem Plastikband der Spurensicherung durch und betrat den Tatort. Draußen hatte er schon seinen Namen in die Liste eintragen müssen, direkt unter Leo Hölzer. Sein Vorgesetzter hatte ihm schon gesagt, dass sie diesen Fall zusammen bekommen würden, aber er war nicht wirklich vorbereitet. Wie konnte er sich auch darauf vorbereiten? Ein Monat hatten sie sich nun schon nicht gesehen, in den Monaten davor auch nicht oft. Er war Leo ausgewichen wie ein Feigling. Jedes Mal, wenn er Leo sah, zog sich in ihm alles zusammen, bis seine Gefühle wie ein Stein in seinem Magen lagen. Besonders wenn Leos verletzte, traurige Augen ihn jedes Mal festzuhalten schienen, wenn sie ihn sahen. Scheiße, er war nicht bereit. Er atmete tief durch.

Die Tatortsicherung packte im Vorraum des Hauses gerade zusammen, die Spurensicherung war noch mit dem Katalogisieren ihrer Beweise beschäftigt.

„Abend, Schürk“, grüßte ihn einer der Kollegen. „Hölzer ist schon unten.“

„Danke. Was habt ihr?“

„Eine tote Hexe in einem Bannkreis in ihrer Kellerwerkstatt. Ich warn dich vor, Hölzer ist wieder komisch drauf.“

Ein anderer Kollege schaltete sich da auch noch ein. „Ja, hat was davon gefaselt, dass etwas auf ihn wartet? Empathen, ey…“ Er zuckte mit den Schultern.

 „Ja, haben Empathie. Na und?“, fragte Adam aggressiv. Sein Schatten baute sich gleich mit ihm auf.

„Hysterie wohl eher“, murmelte der etwas eingeschüchtert.

Adam schnaubte einfach nur und stiefelte an ihnen vorbei. Er konnte jetzt nicht mit denen darüber streiten, dass sie als Wissenschaftler vielleicht einfach gewisse Dinge nicht verstanden. Er wollte auch gar nicht, er hatte andere Sorgen. Er sah sich noch die Beweise an, die die Spusi gesichert hatte, bat um einen kleinen Glückstalisman von einer der Kolleginnen, damit er fand was er suchte und ging die Treppen hinunter.

Im Raum selbst herrschte eine seltsame Mischung aus Kampfspuren und Ritual, die er nicht deuten konnte. Die Schatten im Raum waren auch nicht hilfreich. Ein Bannkreis war am Boden aufgezeichnet, aber irgendetwas schien schiefgegangen zu sein. Die Leiche lag inmitten der Szene, eine Plastikplane über ihrem Gesicht.

Leo kniete mit dem Rücken zu ihm bei der Leiche. Er grüßte Adam und drehte sich zu ihm um. Wieder diese traurigen Augen. Er sah nicht aus, als würde er gut schlafen. Adam wollte am liebsten wieder umdrehen, die Treppe hinauf und hinaus, raus in die Nacht laufen, einfach die Schatten um sich hüllen und flüchten. Aber das war keine Option, nicht wenn sie weiterhin miteinander arbeiten wollten.

Adam war derjenige, der Schluss gemacht hatte und dem Blick musste er jetzt standhalten. Er wusste, dass er Leos Herz gebrochen hatte. Es war kein Geheimnis, dass Leo ihn geliebt hatte, dass er ihn mit ziemlicher Sicherheit immer noch liebte. Ihm ging es nicht anders. Er hatte Leo zu seinem eigenen Schutz verlassen, aber das hieß nicht, dass er ihn nicht immer noch mit jeder einzelnen Zelle seines Körpers liebte. Aber hier waren sie, beide zerstört.

„Hölzer“, murmelte er und zwang somit eine Distanz zwischen sie, die ihm selbst ins Herz stach. Wütend auf sich selbst über diese Scheiß-Situation, die er ihnen mit seiner Entscheidung aufgezwungen hatte, wagte er sich noch einen Schritt näher, blieb aber dort stehen. Er wollte nicht im Weg sein, wenn Leo gerade am Arbeiten war.

„Alles klar?“, fragte Leo und Adam schnaufte. Wieso frage Leo das noch? Wieso kümmerte er sich immer noch um Adam? Er fühlte sich klein in Gegenwart von so viel Größe. Leo waren die warmen Emotionen aber auch in die Wiege gelegt worden, im Gegensatz zu Adam.

„Was haben wir?“, fragte er, statt zu antworten. In diesem Raum mit Leo zu sein, setzte ihm mehr zu, als ihm lieb war. Je früher er hier rauskam, desto eher konnte er seinem Hass und seiner Wut auf seinen Vater wieder freie Luft lassen, ohne dass Leo wieder dafür zahlen müsste. Er musste seine Emotionen nur noch kurz im Zaum halten.

Leos Stimme war seltsam belegt als er sprach und er atmete schwerer als sonst. Angestrengt, als wäre ihm übel. Adam kannte Leos Körper in- und auswendig, irgendetwas war nicht in Ordnung. Spürte er etwa Adams Emotionen schon wieder? Er konnte sich noch erinnern, wie es Leo damals ging, als Adam jeden Abend vor Hass kochend von seinem Vater nach Hause gekommen war und unbewusst alles an Leo wie an einem Blitzableiter abgeladen hatte. Schuldgefühle kamen wieder hoch, dieses ewige Auf und Ab an Emotionen, deren er einfach nicht Herr wurde. Aber das schien es nicht zu sein. Als Leo die Plane, die über die Leiche gelegt worden war, zurückzog, erschrak Adam. Die Leiche sah aus, als wäre sie qualvoll gestorben, wie von innen verzehrt. Ihr Mund war offen, das ganze Gesicht panisch verzerrt. Ihre Haut war auffällig fleckig, beinahe dunkelrot an manchen Stellen.

Er hörte aufmerksam zu, wie Leo erklärte, was sie bis jetzt herausgefunden hatten. Es war nicht viel: Die Schüssel, die er vorhin schon gesehen hatte, war eine Gabenschüssel für eine Ritualzahlung, aber irgendetwas stimmte nicht. Der Bannkreis war außen nicht beschädigt, aber innen war er verwischt. Sehr seltsam. Was ihn mehr störte als alles andere hier war Leos keuchender Atem, die Art wie seine Hände zitterten und Brustkorb sich beinahe hektisch hob und senkte.

„Was ist los mit dir?“, fragte er schließlich. War da noch irgendetwas im Raum? Die Tatortsicherung hatte doch gesagt, dass alles sauber war. Die hatten sicher schon einmal alles durchgeräuchert.

Leo zuckte mit den Schultern und sah ihn etwas hilflos an. „Irgendetwas stimmt nicht. Ich bekomme nicht gut Luft.“

Ja, so sah es aus. „Ich merke gar nichts“, sagte Adam. Er konnte sich noch an die Folgen der Reizüberflutungen von vor ein paar Monaten erinnern, egal wie sehr Leo immer abstritt, dass sie passierten. Das hier sah ähnlich aus. Sie arbeiteten nun schon lange zusammen, hatten schon Schlimmeres gesehen, aber so hatte er ihn noch nie bei einem Tatort gesehen. Was auch immer ihm so zusetzte war nicht normal und er wollte Leo hier rausbringen. Er wiederholte laut, was der Kollege von der Tatortsicherung ihm vorhin gesagt hatte, dass Leo gesagt hätte, etwas würde auf ihn warten. Was hatte auf Leo hier gewartet?

Als Leo nachfragte, ob er denn wirklich nichts merkte, nickte Adam. Er war aber eben auch kein Empath. Wenn hier jemand etwas spürte, dann wohl Leo. „Oben hat auch keiner was erwähnt.“ Die Tatortsicherung war aber generell nicht so feinfühlig. Leo sah aus als wäre ihm heiß, denn er wechselte schon wieder ungeduldig auf sein anderes Knie. Eines war klar, Leo sollte nicht mehr länger hierbleiben.

„Was ist mit der Leiche?“, fragte er. Vielleicht konnten sie das ja der Ritualuntersuchung überlassen. Komm, wir gehen. Du musst hier raus.

Er tastete nach dem Talisman in seiner Tasche, aber es war eben einer für gutes Glück bei der Suche, nicht beim Überzeugen von sturen Ex-Partnern, dass sie Tempo machen sollten. Er blickte sich um. Die Schatten verhielten sich auch so seltsam in diesem Raum, klein und erbärmlich, sie versteckten sich regelrecht. Normalerweise näherten sich Schatten ihm sofort, krochen aus den Nischen, wuchsen mit seinem eigenen zusammen, wollten mit ihm kommunizieren. Aber die Schatten in diesem Raum flackerten regelrecht, als hätten sie Angst, als wären sie-

ersetzt worden.

Scheiße.

Ein Trugschatten.

„Leo, warte!“, zischte er als er sah, dass Leo gerade dabei war, die Leiche anzufassen.

Doch es war zu spät.

Er sah, wie Leo vor Schmerz zusammenzuckte und erstarrte, als er die Wange der toten Hexe berührte, wie schwarzer Trugschatten von der Leiche in seine Hand fuhr. Er krümmte sich und wäre nach vorne gefallen, wenn Adam ihn nicht mit einem heftigen Ruck nach hinten und von dem Bannkreis weggezogen hätte. Er landete mit voller Wucht auf dem Rücken und zuckte dort hilflos wie ein Fisch auf Land. Er konnte nicht atmen. Er wurde schon rot, Adern traten hervor, während seine Muskeln krampften.

„Nein, nein, bleib hier bei mir!“, rief Adam. „Leo!“

Absolute Panik machte sich in ihm breit. Nicht Leo. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht so.

Gegen einen Trugschatten konnte nicht einmal er als Schattenwandler viel tun, weil es eben kein richtiger Schatten war. Instinkt half ihm weiter. Er stand auf, drehte sich zu dem Regal hinter ihm und mit einer Hand auf dem Talisman ließ er sich durch die Gläser führen. In seiner Panik glitten ihm ein paar aus den Händen, aber dann hatte er Kamille und Salbei und andere Kräuter beisammen. Er häufte alles in eine Hand und kniete sich zu Leo.

„Bitte,“ flüsterte er während er die Kräuter in seinen Händen verrieb. Nicht so, Leo. Lass mich nicht alleine. Er blinzelte Leo aus verschwommenen Augen an und sah, wie seine Tränen auf Leos Jacke tropften. „Komm schon.“

Als er zufrieden war mit der Mixtur, zog er Leo gegen seinen Körper und klatschte einfach seine volle Hand in Leos Gesicht, über Mund und Nase, um so viel von dem Zeug auf einmal zu verteilen. Leo sah ihn so ängstlich an, dass er nur den Kopf schütteln konnte. Als Leo seine Augen schloss und sein Körper schlaff wurde, drückte Adam ihn nur noch fester an sich. Nicht Leo. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht so. Er ruckte mit aller Kraft an den Schatten im Raum, denen er noch Herr werden konnte und zog.

Einen Moment später wurde der Raum schlagartig dunkel und es knallte ein derart heftiger Windzug durch den Raum, dass oben die Tür zuflog. Adam hatte noch nie einen Trugschatten verjagt, wusste nicht, ob es das schon war, aber es wurde wieder hell und sein eigener Schatten wuchs um ihn und Leo herum. Es wurde dunkler, aber sicherer. Erleichtert, dass der Trugschatten wohl geflüchtet war, ließ er seine Hand von Leos Gesicht fallen, legte sie um seinen Kopf und drückte ihn an sich. Tränen fielen auf Leos kräuterstaubiges Gesicht und er wischte sie halbherzig weg. „Komm schon“, murmelte er. Er beugte sich über Leo und legte seine Lippen vorsichtig an Leos. Bitte wach auf.

Er klammerte sich an Leo, krallte sich regelrecht in Leos Jacke fest und wiederholte sein Mantra. Er spürte Leos Atem zuerst, bevor ihm bewusst wurde, dass Leos Hand in seinen Pullover gewandert war und sich dort im Stoff festhakte.

„Hey“, murmelte er und lehnte sich zurück.

Leo blinzelte.

„Hey“, antwortete er. Er zog die Augenbrauen zusammen und blickte um sich, bis seine Augen schließlich auf Adams trafen. Er sah verwirrt aus und überrascht.

Adam lächelte ihn an. „Alles gut.“

Leos Hand wanderte nach oben und legte sich über Adams Herz. Seine Augen schienen in Adams herumzusuchen. Adam konnte nichts sagen. Alles was er sagen wollte, konnte Leo ohnehin schon längst spüren, riechen, fühlen, sehen… wie auch immer er Adams Gefühle für ihn aufnehmen konnte. Leo schien schließlich gefunden zu haben, was er gesucht hatte, denn die verwirrte Falte zwischen seinen Augen ging weg. Stattdessen leuchtete er Adam glücklich an.

Adam war kein Empath, er hatte nie gelernt, Gefühle zu lesen, aber was er jetzt in Leos Augen sah, war das deutlichste ‚Ich liebe dich auch‘ das er je gespürt hatte.

Leo zog an seinem Pullover, bis Adam sich hinunterbeugen musste und mit seinen Lippen an Leos stieß. Dann schloss er die Augen und ließ sich fallen.