Broschüre "75 Jahre Hietzing 1921 - 1996"
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Bei der ersten Nachkriegsgeneralversammlung trat Dr. Walter Schalk sein Amt
als Obmann an Dr. Wilfried Dorazil ab. Die Schwierigkeiten im geschäftlichen
Leben der Nachkriegszeit erforderten seine ganze Arbeitskraft in seinem
Buchhandelsgeschäft. Doch soll seiner großen Verdienste um den Klub
er hatte sich in schwerster Zeit dem Verein zur Verfügung gestellt an
dieser Stelle mit aufrichtigem Dank besonders gedacht werden. Langsam normalisierte
sich das Leben wieder, und auch unser Klubleben gelangte wieder in ruhigere Bahnen.
Vor allem die Jugend stellte sich bei uns ein, und dieser Umstand war Gewähr
genug, dass die Belange des Klubs auch in Zukunft bestens vertreten sein würden.
Inzwischen vermochte unser Verein unter der bewährten Führung von
Dkfm. Franz Prochazka eine Jugendgruppe aufzustellen, die unter dem Namen
Mariahilf (Schulgemeinde) in der Geschichte zu finden ist. Beachtlich schnell hat
sich auch die Kampfkraft unserer Ligamannschaft gehoben, und schon nach Ablauf des
Spieljahres 1947/48 stand der Name Hietzing wieder in der Ehrenliste der Wiener
Vereinsmeister. Sicherlich ein Verdienst unserer Meisterspieler, denen auch von
dieser Stelle aus für ihren unermüdlichen und erfolgreichen Einsatz gedankt
sei. Aber nicht nur das Jugendschach war bei uns gut aufgehoben, auch das Damenschach
fand bei uns seine besondere Heimstätte. Dank der unermüdlichen Anstrengungen
von Frau Dr. Inge Kattinger hatte Hietzing alle bedeutenden Schachspielerinnen
Wiens abgesehen von wenigen Ausnahmen in seinen Reihen versammelt. Auch
Frau Reischer, die nach Paula Wolf-Kalmar zu den Stützen des Damenschachs in
Österreich zählte, war bald nach Kriegsende aus Argentinien zurückgekehrt
und zum Hietzinger Schachklub gestoßen, zu dessen Säulen sie neben der
schon genannten Frau Dr. Inge Kattinger sowie Frau Hausner u.a.m. gehörte.
Auch bei den Herren blieb die Entwicklung nicht stehen. Mit Stolz und Freude
erfüllt uns, dass aus unseren Reihen nach dem Kriege die beiden jungen Meister
Alfred Beni und Andreas Dückstein kometenhaft ihren schachlichen Aufstieg nahmen.
Beide zählten lange Jahre zu den Spitzenspielern Österreichs. Von den sechs
Österreichischen Titelträgern gehörten vier dem Schachklub Hietzing an
und zwar neben den beiden Genannten auch Österreichs Spieler
Zwischen 1960 und 1970 hatte der Klub seine größte Ausdehnung. Um 500 Mitglieder und 6, zeitweilig sogar 7 Sektionen. Die Schulgemeinde Mariahilf schuf durch Abspaltung die Sektion Schachgemeinschaft Margareten. Die ehrgeizigen und starken Spieler der 1. Klasse begnügten sich nicht mehr damit, immer in der 1. Klasse zu siegen. Sie wollten in die Liga aufsteigen, was ihnen auch gelang. Aber dadurch verlor die starke Ligamannschaft von Schulgemeinde Mariahilf ihre Ersatzspieler und wurde sehr geschwächt. Die Hietzinger Liga hatte keine Unterklassen, sodass neben Hietzing und Schulgemeinde Mariahilf immer wieder auch der Schachklub Austria das Rennen in der Liga gewinnen konnte.
Es gab dann auch zunehmend innere Spannungen. Die Sektionen, vor allem der Schachverein, wollten mehr Selbstständigkeit. Ursprünglich gab es nur Mitgliedsbeiträge für den Gesamtklub. Er zahlte die Verbandsbeiträge für alle Sektionen, beschaffte aber auch das nötige Material. Den Sektionen blieben ca. 10 bis 15 Prozent der eingehobenen Beiträge für ihre eigenen Zwecke. Der Schachklub Flötzersteig war zuerst damit unzufrieden und trat aus dem Gesamtklub aus. Die anderen setzten gegen den zähen Widerstand von Präsident Dr. Wilfried Dorazil durch, dass nunmehr die Sektionen ihre Mitgliedsbeiträge selbst kassieren konnten. An den Gesamtklub wurde der so genannte Sektionsbeitrag für Veranstaltungen wie Klubmeisterschaft, Wettkämpfe im In- und Ausland und für das gemeinsame Nachrichtenblatt bezahlt. Jedoch gab es fast bei jeder Generalversammlung des Gesamtklubs große Diskussionen, um die Höhe des zu zahlenden Beitrags, der dann auch nicht immer vollständig bezahlt wurde.
Das alles führte dazu, dass Präsident Dr. Wilfried Dorazil nach jahrzehntelanger erfolgreicher Präsidentschaft die Freude daran verlor, den Klub weiter zu leiten. Einige Male konnten ihn der alte Funktionärsstamm noch umstimmen, aber 1970 weigerte er sich endgültig, noch einmal zu kandidieren. Dazu kam auch noch, dass sein Lebenstraum, das eigene Schachheim in der Laurenzgasse, sich nicht nach seinen Vorstellungen weiter entwickelte. Dass gerade damals durch die Verlegung der Straßenbahnschienen die Gegend einer Baustelle glich und mühsam zu erreichen war, trug das Seine dazu bei. Dr. Herbert Petrousek weigerte sich, mit dem Schachklub Wieden ins neue Lokal zu übersiedeln. Die Jugend von der Schulgemeinde konsumierte nichts und hinterließ nur Abfälle. Auch die schon berufstätigen Mitglieder von Schulgemeinde Mariahilf und Margareten gingen lieber ins daneben gelegene Lokal des Griechen statt im eigenen Lokal zu konsumieren. Der Bridgeklub, der zuerst zur Abdeckung der Kosten beigetragen hatte, zog wieder zurück ins Kaffeehaus. Veranstaltungen des Wiener Schachverbandes wie die Wiener Stadtmeisterschaften waren doch seltener. Frau Margarete Beisteiner, die die Kantine wirklich preiswert führte und auch das Lokal reinigte, kam nicht mehr auf ihre Kosten und stellte ihre Betreuung ein. Jetzt mussten die Spieler selbst für Ordnung sorgen, was nur sehr mangelhaft geschah. Frau Dr. Inge Kattinger bezahlte aus ihrer eigenen Tasche eine Putzfrau, um mit ihrer Mannschaft ein halbwegs ordentliches und beheiztes Spiellokal vorzufinden. Die anderen Mannschaftsführer taten dies nicht. Der Petroleumofen verbreitete (durch unsachgemäße Behandlung) statt Wärme nur Ruß und Gestank. Durch diesen Umstand geschah es, dass die Mannschaften von Hietzing, Margareten und Schulgemeinde mit Hilfe Ing. Karl Orienters im Café Frey Unterkunft fanden.